Wenn es eine Bibliothek nur für Bücher mit Supermarktregeln gäbe, hätte Jan Kunath seinen Mitgliedsausweis längst zurückgeben müssen. Kunath hat nämlich unerlaubt in der großen Discounterbibel herumgemalt, sogar ganze Seiten herausgerissen und ohne Erlaubnis ein paar neue Kapitel hinzugefügt. So geht man nun wirklich nicht nicht mit uralten, in Albrechtleder eingebundenen Gesetzestexten um!
Bloß eine Frage noch: Warum eigentlich nicht?
Seit September 2010 ist Kunath (Foto) Geschäftsführer von Rewes Sorgen-Discounter Penny, bei dem es über viele Jahre Konzept war, die besten Ideen der Konkurrenz zu mopsen und sie dann halbherzig in die eigenen Läden zu kippen. Das hat nicht funktioniert. Gegen Aldi, Lidl und Netto (ohne Hund) konnte Penny wenig ausrichten. Also hat Kunath sich eine Komplettumkrempelung überlegt:
“Wir wollten unseren eigenen Markttypen bauen – und nicht wieder einen, der aussieht wie Aldi oder Lidl mit einem Penny-Logo drüber.”
Das ist ungewöhnlich ehrlich für den Geschäftsführer eines deutschen Discounters. (Zumal die Qualifikation fürs leitende Management bisher firmenübergreifend dieselbe war wie bei Geheimdienstbewerbungen: ein ausgeprägtes Schweigeverhalten.)
Vor einem Jahr startete Rewe die radikalste Modernisierungsaktion, die es bis dato in der deutschen Discount-Branche gegeben hat. Bis 2015 müssen sämtliche Penny-Filialen mit einem modernen Ladendesign ausgestattet sein; das Logo ist schon aufgefrischt worden; nichts soll mehr an den lieblosen Einkaufsschmuddel aus vergangenen Tagen erinnern. Und im Supermarktblog verrät Kunath, wie er das hinkriegt.
Zuerst einmal nämlich mit einer Idee, die da lautet: Aldi ist nicht mehr der Maßstab. Kunath sagt:
“Penny soll über die reine Preis-Leistung auch auf andere Bedürfnisse der Kunden eingehen.”
Mit den neu gestalteten Läden fängt alles an. Vorbei sind die Zeiten gruseliger Fototapeten, jahrmarkthafter Lichtspots und notdürftig zusammengestückelter Sonderflächen. “Vor zehn Jahren konnte noch kein Kunde Supermärkte und Discounter auseinandersortieren. Heute ist das völlig anders”, sagt Kunath. “Es gibt doch keinen vernünftigen Grund, warum jemand in einem hässlichen Laden einkaufen sollte.”
Die Wände sind jetzt in hellem Grau gestrichen, die Regale einheitlich gestaltet, bunte Sortimentsschilder sorgen für Farbe. Alles ist einfach, aber modern – und viel schicker. Dazu passend ist das helle, aggressive Rot im Logo durch einen wärmeren Ton ersetzt worden, die Retro-Schrift durch einen komplett neue Typo. “Was wir jetzt machen, sieht besser aus und ist sogar billiger, weil mit ganz einfacher Wandfarbe gearbeitet wird. Die Fototapeten waren teurer”, sagt Kunath. “Das ist das Tolle. Die Läden werden freundlicher, ohne dass es im Vergleich zu vorher mehr Geld kostet.”
Daran zeigt sich ganz gut, wie verkorkst das alte Penny-Konzept gewesen ist, in dem es teuer war, billig auszusehen. Kunath versucht jetzt das Gegenteil.
Zur Obst- und Gemüse-Abteilung am Anfang jedes Marktes gehört nun ein Kühlregal mit Sandwiches, vorgeschnittenem Obst, Smoothies und Säften. Auf Fleischklopse mit Kartoffelsalat lässt sich zwar nicht ganz verzichten, tendenziell soll künftig aber mehr Frisches angeboten werden: Wraps, Salate, im Sommer auch mal Kokusnusssplitter. Das kommt bei den Discount-Käufern zwar an, anders als im Supermarkt aber nur bis zu einer bestimmten Preisschwelle, haben die Modernisierer herausgefunden. Belegte Sandwiches für 2,49 Euro sind vielen zu teuer. “Lassen Sie aber ein Gürkchen weg und gehen auf 1,99 Euro runter, sieht das schon wieder ganz anders aus”, erklärt Kunath.
Die Tiefkühltruhen sind vom hinteren Ende der Läden nach vorne gerückt, direkt vor die Kassen. “Weil wir keine Regale mehr auf die Tiefkühltruhen bauen, haben viele Kunden nach dem Umbau den Eindruck, die Märkte seien größer geworden.”
Die Weinregalimitation ist rausgeflogen. Jetzt stehen die Flaschen wieder im normalen Regal. Das spart Geld. Und besonders glaubwürdig war der Holzkistenzirkus vorher eh nicht.
Die bei Konkurrenten immer noch übliche Zwangsführung, bei der die Kunden am Eingang durch längsstehende Regale erst einmal tief in den Laden hineingelotst werden, gibt es bei Penny nicht mehr. Stattdessen setzt Kunath auf Querreihen, wie sie in Supermärkten üblich sind. Die alte Aufteilung findet der Penny-Chef “nicht mehr zeitgemäß”:
“Ich brauche einen Kunden nicht an Warengruppen vorbeilotsen, die ihn gar nicht interessieren, wenn er bloß ein Getränk und ein Sandwich kaufen will.”
Das Aktionsartikelangebot, in der Branche unschön “Non-Food” genannt, ist um die Hälfte reduziert worden – “auch damit die Mitarbeiter mehr Zeit haben, sich um die Convenience und Frische zu kümmern”. Dafür gibt es etwas mehr Lebensmittel.
“Die Grundregel im Discount lautet: Um ein neues Produkt einzulisten, wird ein anderes ausgelistet. Bei Penny ist das Sortiment aber alleine schon durch die Convenience-Produkte größer geworden. Wir haben auch in der Drogerie zusätzliche Produkte aufgenommen. Dafür gibt es zum Beispiel viel weniger Konserven als früher, weil die nicht mehr so wichtig sind.” 1700 bis 1800 Artikel sind in einem durchschnittlich großen Penny-Markt derzeit zu kaufen.
Für normale Kunden lesen sich viele der Änderungen wie Selbstverständlichkeiten, eine überfällige Modernisierung des in die Jahre gekommenen Discount-Konzepts. Dabei sind sie ein kleines Wunder – weil der Discount über viele Jahre dachte, er sei immun gegen solchen Firlefanz. Hauptsache, die Preise bleiben niedrig. Dann kommt das notwendige Übel, nämlich die Kundschaft, von alleine.
Das war ein Irrtum.
Inzwischen ist das notwendige Übel so pingelig geworden, dass sich selbst Aldi Nord den neuen Verhältnissen anpasst, wenn auch widerwillig. (Von seinem praktischen Holzpalettenkonzept will man sich dort partout nicht trennen.)
Bei Penny war die Lage hingegen so kritisch, dass Kunath nicht nur die Läden umräumen, sondern auch goldene Discount-Rituale in Frage stellen durfte.
Getränke konnten früher nur im Gebinde gekauft werden, was die Kundschaft nicht davon abgehalten hat, einzelne Flaschen aus der Plastikhülle herauszupulen, weil unterwegs eben niemand sechs Anderthalb-Liter-Flaschen Cola austrinkt. An der Kasse kam dann die Abfuhr vom Personal: wird nur im Gebinde verkauft. “Das haben wir abgestellt – weil die Kassiererin damit nicht umgehen kann und der Kunde unzufrieden ist”, sagt Kunath. “Im Kassensystem sind jetzt auch Einzelartikel angelegt.” Und die Mitarbeiter pulen schon mal Flaschen vor: Weil die Regale ohne zerfledderte Plastikgebinde aufgeräumter aussehen.
Die Preise stehen im Discounter am Regal klassischerweise über dem Artikel. Es gibt nur keinen vernünftigen Grund dafür, weil die meisten Kunden von sich aus erstmal unterhalb des Produkts nachsehen. Also stehen die Preise jetzt auch bei Penny drunter.
Seit einigen Wochen leistet sich Penny als erster Discounter ein eigenes Kundenmagazin: ”mittendrin”. (Das man in vielen Filialen allerdings alleine aufspüren muss.)
Die sichtbarste Änderung ist die neue Eigenmarke, die genau so heißt wie der Laden selbst: “Penny”. In der Branche ist das immer noch unüblich. Die vielen Fantasiemarken bei Aldi sollten den Kunden einst suggerieren, dass es beim Discounter eine ähnliche Vielfalt wie in den Supermärkten gebe. Aber erstens wissen die meisten Leute heute, dass das Quatsch ist. Und zweitens haben sie sich an die einheitlichen Eigenmarken der Supermärkte gewöhnt.
Praktischerweise hat Kunath vor seiner Zeit als Penny-Chef bei Rewe die Marken Rewe Bio und Rewe Feine Welt etabliert. Und die Taktik in den neuen Job mitgenommen.
(Scheint ja auch zu funktionieren: Seit vergangenem Sonntag ist die neu verpackte Penny-Milch jedenfalls einer von drei Stars im neuen Hamburger “Tatort”.)
Damit die Penny-Produkte nicht alle gleich aussehen, haben viele Artikel eigene Illustrationen, die mit dem abgebildeten Inhalt spielen: Auf der Sandwicheis-Packung rollt sich ein kleines Männchen einen Schneeball aus Vanilleeis; die Cornflakes springen gut gelaunt vom 1-Meter-Brett ins Milchschwimmbecken und bekommen dafür von anderen Flakes Haltungsnoten; und in der Buttermilch klettert ein Abenteurer in Richtung Trinkhalmspitze.
Zucker, Milchprodukte und die verbliebenen Konserven scheren sich nicht viel um die etablierten “Colorcodes”, also die Farben, an die wir uns bei gewissen Produkten gewöhnt haben. Sahne und Würfelzucker sind (zum Beispiel) hellrosa verpackt, Pfirsiche hellblau und Apfelmus in sattem Magenta.
Bei manchen Artikeln ist’s aber auch schief gegangen: Der Anthrazit-Hintergrund für Mais und Erbsen ist bei den Kunden durchgefallen. (Und wird wieder geändert, in eine helle Variante.)
Das komplette Sortiment will der neue Chef dann aber doch nicht auf die Penny-Marke umstellen. Drogerie- und Kosmetikartikel heißen jetzt Today. Bei Saisonartikeln will Kunath ebenfalls “eine gewisse Abwechslung”, so wie bei den kürzlich verkauften Eigenmarken-Osterartikeln mit den Hasenfabrik-Illustrationen (Douceur).
Fleisch und Wurst, die bisher vom Metzgerabsender “Heinz Wille” kamen, haben nun das neue “Mühlenhof”-Schiefertafellogo auf die Packung gedruckt.
Das sind eine Menge Änderungen in einer Branche, deren Kundschaft es normalerweise schon nicht leiden kann, wenn ihr im Stammladen ständig das Sortiment von einem Flur in den nächsten geräumt wird. Aber Kunath sagt:
“Zurück geht nicht mehr.”
Warum Rewe sich den Aufwand (und die Kosten) nicht einfach spart und auf den Discount verzichtet – und ob Penny jetzt den Supermärkten in die Quere kommt, steht im nächsten Blogeintrag.
Fotos: Rewe (1), Supermarktblog