Foto: © Joel Chant/Amazon.co.uk Ltd./Transport for London
Jedes Jahr verkauft das Institut für Meteorologie an der FU Berlin Namenspatenschaften für bis zu 60 Hochs und 150 Tiefs, um damit die kontinuierliche Wetterforschung seiner Studenten zu finanzieren. Ein hervorragendes Geschenk, um den Gatten zum Geburtstag zu erfreuen oder die Schwiegermutter zu ärgern, wenn die (symbolisch) übers Land hinwegregnet.
Zumindest bis Amazon demnächst dazwischen grätscht.
Der Konzern könnte den Forschern problemlos Geschenkekonkurrenz machen. Mit Namenspatenschaften für seine neuen Abholboxen. Die haben nämlich, wie ihre Vorbilder im Ausland, landestypische Namen. Und müssten deshalb eigentlich Silvana, Sarafina, Estefania, Kelenta, Loredana, Sara-Jane, Lavinia bzw. Jeremy Pascal heißen.
Für seine ersten „Amazon Locker“ auf deutschem Boden hat sich der Konzern dann aber doch erstmal bloß für „Anja“, „Boris“, „Andreas“, „Fritz“ und – öhm – „Kelby“ entschieden. (Wie öde, null Prozent Übereinstimmung mit den Top 50 der Kindernamen 2015.)
Bislang äußert sich das Unternehmen nicht zu Meldungen, ein konkurrierendes System zu den Packstationen von DHL aufzubauen. Vor einigen Wochen allerdings suchte Amazon (wie die „Süddeutsche“ zuerst berichtete) nach Technikern und Mitarbeitern, die Partner überzeugen sollen, Amazon Locker in ihren Läden oder auf ihrem Gelände aufzustellen. In den Anzeigen stand:
„Amazon Pickup Locations, are exciting, delivery solutions that we are introducing into the DE marketplace.“
(Okay, Kommasetzung üben, wir, nochmal.)
Zunächst lässt Amazon die Locker von den eigenen Mitarbeitern testen. Erste Stationen stehen derzeit in den Logistikzentren Pforzheim, Bad Hersfeld und Rheinberg sowie in den Amazon-Büros München und Berlin-Mitte.
„Online bestellen, hier abholen“, steht in grauen Klebebuchstaben auf dem orangefarbenen Kasten im Hauptstadtbüro, direkt am Eingang. Abholbox „Anja“ hat sechs Fächer für große Pakete, zwölf für mittelgroße und 37 für kleine. Wie bei den DHL-Packstationen gibt es in der Mitte einen Touchscreen-Bildschirm, darunter ist ein Scanner angebracht, der Barcodes registrieren kann.
Und so funktionieren die Locker:
1. Beim Checkout wählen Kunden statt ihrer eigenen Adresse oder einem Paketshop den Amazon Locker als Empfangsadresse.
2. Wenn das Paket drinliegt, kommt ein „Amazon.de Locker-Abholcode“ per Mail, der an der Station in Form einer – einmal gültigen – Buchstabenkombination angegeben werden kann. Alternativ lässt sich der darunter stehende Barcode an der Station scannen, um das Fach zu öffnen. Kunden können sich für Benachrichtigungen per SMS anmelden. (Die Code-Anzeige in der App hat bei meinem Test noch nicht geklappt.)
3. Danach lässt Amazon drei bis fünf Werktage Zeit, die Bestellung abzuholen (ggf. plus Wochenende; die Angaben in Mail und App unterscheiden sich) – aber das kann sich im regulären Betrieb natürlich noch ändern.
4. Nach drei Tagen kommt eine „Letzte Erinnerung“. Reagiert der Kunde dann immer noch nicht, wird die nicht abgeholte Bestellung an Amazon zurückgesendet und der Kaufbetrag erstattet.
5. Alles kein Hexenwerk für Packstation-Kenner. Es wird nicht mal eine Kundenkarte benötigt.
Unabhängiger von DHL
Während Amazon beteuert, mit seiner eigenen Paketzustellung, die aktuell in München und Berlin läuft (siehe Supermarktblog), den übrigen Logistikpartnern keine Konkurrenz machen zu wollen, sondern vor allem Spitzen abzudecken und eine schnellere Zustellung zu ermöglichen, wäre ein bundesweiter Start des Locker-Systems ein ziemlich klarer Angriff auf DHL. Dort gibt man sich betont lässig:
„Es gibt aktuell rund 8 Millionen registrierte DHL Kunden, die unsere Packstationen nutzen. Wir werden wie bislang unser Packstation-Netz an die wachsenden Nutzerzahlen anpassen“,
erklärte mir eine Sprecherin auf eine Anfrage vor wenigen Wochen. Mit bundesweit über 2700 Packstationen muss sich DHL so schnell auch keine Sorgen machen, von Amazon ausgestochen zu werden. Darauf zielt der Konzern vermutlich auch gar nicht ab. Mit eigenen Stationen könnte sich Amazon allerdings unabhängiger von DHL machen. Gegenüber der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“ (Paywall) erklärte Amazon-Manager Bernd Schenger kürzlich, man werde Paketstationen nur dann unterstützen, wenn sie „offen für andere Paketdienste“ seien.
Die deutschen Test-Locker werden derzeit von Hermes befüllt. Mit einem eigenen System wäre Amazon nicht mehr gezwungen, beim Versand auf den Marktführer zurückzugreifen, wenn Kunden ihre Bestellung in einer Box abholen wollen.
Wer macht Platz für Amazon?
Interessant ist vor allem, welche Partner Amazon für seine Locker in Deutschland gewinnen kann.
Die Formulierung in der Abholmail – „wir möchten Sie daran erinnern, dass Ihre Amazon.de-Bestellung bis Geschäftsschluss [oder 00:00 Uhr in rund um die Uhr geöffneten Geschäften]“) – legt die Vermutung nahe, dass man wie in Großbritannien und Frankreich auf Läden und Einkaufszentren zielt. In London stehen viele Amazon Locker zum Beispiel in kleinen Supermärkten von Co-Op:
Die Frage ist nur: wie lange noch?
Mit dem Start von Amazon Fresh ist der Konzern zum direkten Konkurrenten der Lebensmittelketten geworden. Deshalb ist es nur schwer vorstellbar, dass ein großer deutscher Händler in seinen Läden Platz für die Abholstation eines Unternehmens macht, das ihm die Kunden wegnimmt. Freilich gelingt DHL mit seinen Paketshops gerade dasselbe. Womöglich werden vor allem kleinere Händler schwach, wenn die Miete, die Amazon für die Integration seiner Locker zahlt, hoch genug ist.
Das dürfte dann auch DHL zu spüren bekommen, weil die Konkurrenz um attraktive Plätze für die Abholstationen steigt. Vor allem, weil die beiden Unternehmen dabei längst nicht mehr alleine sind.
Mehr dazu steht im nächsten Blogeintrag.
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Foto: Supermarktblog