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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Der Schöne und das Biest: Aldis halbe Discount-Revolution in Gladbeck

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Was hat ein durchschnittlicher Aldi-Markt mit dem Kölner Dom gemeinsam? Wenn man am einen Ende mit der Sanierung fertig ist, kann man am anderen eigentlich sofort wieder anfangen.

Und noch was: Bei beiden ging es bislang vornehmlich darum, ihren ursprünglichen Zustand zu erhalten. Im einen Fall, weil dem Eigentümer so ein neugebautes Imax-Kino im Hauptschiff vermutlich ganz und gar nicht in die (Neu-)Gotik passen würde. Im anderen, weil es insbesondere den Managern im Norden des zweibrüdrigen Discount-Imperiums schwer zu erklären war, dass es möglich sein sollte, ihr vor Jahrzehnten entworfenes Ladendesign noch besser zu gestalten.

Deshalb blieb bei der Modernisierung des Aldi-Nord-Filialnetzes vor einigen Jahren das meiste so, wie es war – nur ein bisschen weniger schrecklich verfliest und netter angestrichen (siehe Supermarktblog).

Inzwischen kann der Discounter sogar ganz ansehnliche Flachdachmärkte mit Tageslichtschimmer bauen, bei denen äußerlich nichts mehr an die braun geziegelten Architekturschandtaten von früher erinnert.

Nach drinnen hat sich dieser Sinneswandel bislang aber nur bedingt gewagt, auch nicht in frisch eröffneten Aldi Nords. Ja, sicher: heller ist’s. Doch die Kunden werden hinterm Eingang weiterhin auf die Sprintstrecke zum Ladenende geschickt, wo zur Belohnung ein Babybrötchenknast mit Aufbackwaren wartet, sofern die erste Ladung Aktionsware, Getränke und Süßkram unbeschadet passiert wurde.

Zurück geht’s ähnlich freudlos nach einer scharfen Kurve vor den Kühltheken …

… bis zum hochgebockten Obst und Gemüse, das leidlich mit bunt bedruckten Pappschildern aufgewertet vor den Kassen auf seine Verzehrerlösung wartet. (Ganz ähnlich sieht das im Aldi-Süden aus).

Im Großen und Ganzen ist ein Einkauf bei Aldi aber immer noch: ein Einkauf bei Aldi. Vielleicht aber nicht mehr lange. In einem Markt im nordrhein-westfälischen Gladbeck testet das Unternehmen seit einigen Monaten, was passiert, wenn man sich bei der Einrichtung ein klitzekleines bisschen mehr Mühe gibt. Dafür hat Aldi Nord nicht nur seine bislang eisern verteidigte Grundstruktur aufgegeben und dem Hausdesigner die Handschellen abgelegt, sondern veranstaltet auch ein deutlich aufwändigeres Obst- und Backtheater.

Wow, werden Sie als alter Werbe-Crack jetzt sagen, drei Überraschungen auf einmal! Das geht nun wirklich nicht. Geht aber doch:

Überraschung 1

Wenn Erzrivale Lidl seine Kunden nur wenige Meter nach Ladenbetritt hinter der Marmelade mit knusprigen Brötchen und tunkbaren Teilchen bezirzt, hilft nur eins: Aldi muss noch ein paar Schritte früher zu Kaffeepotte kommen. Voilà: die fabelhafte Baker Street! Das meterlange Backparadies öffnet sich direkt hinterm Eingang und drängt einem den frisch gebrühten Kaffee geradezu auf, während man daneben in die Auslage mit dem Zweitfrühstücksinhalt spickt: auf „Blätterteig-Kirschkissen“, „Käsetwister“, Joghurtdrinks und den „Pizzasnack Salami“.

Daneben geht’s direkt weiter mit einer klassischen Brötchenvollzugsanstalt (samt integrierter Brotschneidemaschine), die sich untrennbar mit dem daneben abgepackten Kuchen, Toast und Knäckebrot verschmolzen hat, auf die über der verschnörkelten Backreklame kleine Licht-Spots gerichtet sind – gerade so als müssten sie gleich noch Autogramme schreiben.

Wenige Meter davon entfernt mündet die Baker Street direkt in den neuen Place de Légumes, wo sich Obst und Gemüse in drei quer gestellten Auslagen mit Holzverkleidung in Schalen geworfen haben und trotz der Brot-Prominenz schon deshalb ganz cool bleiben, weil sich um sie herum bereits die ersten Ausläufer der beginnenden Kühlregallandschaft abzeichnen.

Im Grunde genommen hat Aldi Nord auf diesen paar Metern bloß das zusammengeführt, was sowieso zusammen gehört: alles Frische, Knusprige, Sofortverzehrbare. Aber alleine das sorgt dafür, dass der Discount-Einkauf unter völlig anderen Vorzeichen beginnt. Das ist (vor allem im Vergleich zu Lidl) zwar nichts grundlegend Neues, für Aldi jedoch ein Riesenfortschritt.

Überraschung 2

Die Rennpiste gibt’s immer noch. Aber sie wirkt in Gladbeck viel weniger rennpistig, weil sie nicht von einer endlosen Längsregalmauer begrenzt ist. Stattdessen macht Aldi direkt hinterm Brötchenknast Platz für Aktionstische und schiebt zur Auflockerung die ersten Querregale dazu, was den Markt sofort deutlich größer wirken lässt.

Das führt unweigerlich zur nächsten Premiere: den Mottoparty feierenden Regalköpfen, an denen Aldi erstmals Produkte platzieren kann, die besonders hervorgehoben werden sollen. Zum Beispiel, weil sie „Neu im Sortiment“ sind, wie die irren Pastillen hier:

Oder weil’s eine schöne Abwechslung ist, das eigene Bio-Sortiment nicht mehr bloß zwischen den konventionellen Produkten in den Regalen zu versenken, sondern ein eigenes Plätzchen dafür zu haben, wo sich alles auf einen Rutsch vorzeigen lässt (und mit einem glücklichen Kind schmücken, das in einen noch glücklicheren Apfel beißt).

Falls Sie sich darüber hinaus schon immer gefragt haben, wie sich Discount-Manager einen richtig gelungenen „Mädelsabend“ vorstellen: der Gondelkopf an der Weinabteilung verrät’s. Mit Toffifee, Schaumwein und Pistazien. (Reihenfolge egal?)

Überraschung 3

Tatsächlich scheint sich Aldi diesmal Gedanken darüber gemacht zu haben, wie sich der Discount-Einkauf grundlegend aufwerten lässt, ohne dabei die eigenen Grundprinzipien zu vernachlässigen.

Mindestens ebenso clever wie die Querreihen-Auflockerung des Ladens sind zum Beispiel die Trennwände in dunkler Holzoptik, die einzelne Sortimente voneinander abgrenzen und der dadurch möglich werdenden Warenhochstapelei etwas die Ramschigkeit nehmen. Weil man den nächsten Stapel ja gar nicht erst sieht.

Und was muss das für ein Spaß gewesen sein, als der Markt-Designer den (platz-)sparenden Traditionsbewahrern im Management vorgeschlagen hat, anderthalb Kubikmeter Platz für ein Gittertisch-Ensemble vor der Kühltheke zu verschwenden, auf dem fast nichts liegt – außer den sechseinhalb Zutaten für das dort angeschriebene „Rezept der Woche“.

Zur Dauereinrichtung dürfte der (anderswo auch schon gefloppte) Rezepttisch eher nicht werden. Aber was zählt, ist der Ruck: Aldi hat geschnallt, dass es nicht immer gleich einem Hochverrat am Discount-Prinzip gleichkommt, mal was Neues auszuprobieren.

Leider war, als dieser Schwung wieder nachgelassen hat, in Gladbeck immer noch die zweite Hälfte des Markts übrig.

Keine Überraschung

Und die sieht aus, wie zweite Markthälften bei Aldi halt so aussehen. Zum vorsorglichen Trost: Goethe, bitte!

Vom Gemüse befreit sind Gang und Fläche,
Von Gittertisch zu Gittertisch reicht hier der triste Blick;
Am Eingang grünte noch das Hoffnungs-Glück;
Doch der alte Albrecht, in seiner Schwäche,
Holt schnell die bekannte Last zurück.

Das geht so natürlich alles nicht. Der Kundschaft erst schöne Brezeln machen, einen Kaffee brühen und die Gemüse-Vielfalt um den Einkaufswagen hindrapieren, nur um sie dann, kaum sind die hübsch separierte Fisch- und Fleischkühlung passiert, eiskalt in die bekannte Tristesse der endlosen Aktionswarensteppe zu stoßen, an deren Ende nun auch noch die Obst-Wiedergutmachung fehlt.

Alles, wirklich alles, was der Gladbecker Markt in der ersten Ladenhälfte aufgebaut hat, reißt er auf dem Rückweg zur Kasse wieder ein. Gerade so als habe der Designer von einer Sekunde auf die nächste gemerkt, dass er noch Resturlaub abbauen müsse, und sich auf Nimmerwiedersehen in die Ferien verabschiedet.

Über die „Aktuellen Angebote“ auf meterlang aneinander gerückten Grabbeltischen lässt sich gerade noch so in eine bessere Discountwelt hinüber schielen. Aber um auch andere Filialen aufzuwerten, taugt das in Gladbeck eindrücklich demonstrierte Halbversagen gewiss nicht.

War angenehm mit dir, holder Aldi. Aber du musst dich schon entscheiden: Schöner Discounter oder weiter ein Biest?

Fotos: Supermarktblog

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