Aldi Nord und Aldi Süd mögen zwar separate Unternehmen sein, am Ende überwiegen bei Strategie, Sortimentsaufteilung und Werbung jedoch oft die Gemeinsamkeiten. Mit einer Ausnahme: Die Albrecht-Ableger verfolgen im Discount grundlegend andere Aufbackwege. Welche der Taktiken geht gut auf? Und wer muss womöglich bald andere Pläne kneten? Ein Vergleich in zwei (relativ) neu eröffneten Märkten.
Das Aldi-Süd-Rezept
Zutaten:
- 1 unsichtbarer „Backofen“
- 3 mannshohe Metallplatten
- 15 Druckknöpfe
- 10 bis 15 laufende Meter Holzverkleidung (aus dem Baumarkt)
- 1 Kühlregal
So wird’s gemacht: Die Metallplatten schwarz lackieren, mit Riesenbrezeln dekorieren und vor den unsichtbaren „Backofen“ schrauben. Kühltheke daneben platzieren und ruhen lassen. Währenddessen Druckknöpfe einfetten. Die Holzverkleidung zurecht sägen und um das Backensemble legen, sodass sämtliche sichtbaren Ränder bedeckt sind. Aufbackware in den unsichtbaren „Backofen“ einlegen und nach Kundenknopfdruck herausklonken lassen.
So wird’s serviert: „immer frisch von früh bis spät“, lautet das sehr klein geschriebene Versprechen auf dem nagelneuen Backtresor in der schick designten Unterhachinger Aldi-Süd-Filiale bei München. Den Kunden bleibt nichts anderes übrig, als das zu glauben. Selbst überzeugen dürfen Sie sich von der verheißenen Frische erst, wenn ihnen die bestellte Backware in den dafür vorgesehenen Ausgabeschlitz geschossen wurde.
„Das Betätigen einer Taste verpflichtet zum Kauf“,
mahnt ein gleich mehrfach auf der metallenen Front angebrachter Schriftzug (dessen rechtliche Gültigkeit zumindest in Zweifel gezogen werden darf).
Die modernisierte Variante des vermeintlichen „Backofens“ mag nicht mehr ganz so trist aussehen wie ihr beiger Vorfahre. Der Inhalt bleibt mit gerade einmal 13 Aufbackprodukten aber weiter übersichtlich: Brötchen, Baguette und Ciabatta, zweimal Lauge, Croissants (mal süß, mal süßer) und die Pizza-Snacks „Margherita“ und „Classico“ werden per Knopfdruck heiß gefönt – letztere noch dazu „in praktischer Schale für Entnahme und Transport!“ Hier, bitte:
Selbige Schale, ein Papierkarton mit Plastikfoliengrundierung gegen die Durchfettung, schmälert die Händlermarge des ohnehin günstigen Snacks (zu 79 Cent) zusätzlich. Und sorgt beim Kunden, zusammen mit der Klarsichttüte, in die sie rutscht, für ein schlechtes Müllgewissen.
Maximale Auswahl scheint für Aldi Süd bei seiner Aufbackstrategie schon mal nicht im Vordergrund zu stehen, eher die (verhältnismäßig neue) Kombination des Backtresors mit der kalten Theke nebenan, in der Smoothies, Säfte, Salate, Joghurts, geschnittenes Obst, Wraps und Sandwiches darauf warten, vom eiligen Mittagspäusler zur Kasse getragen zu werden. (Ohne Knopfdruck.)
Kann natürlich auch sein, dass Aldi Süd damit bloß zu kaschieren versucht, was für eine doofe Idee das damals war, sich Maxi-Backmonster in die Läden zu stellen, aus denen dann bloß ein Mini-Sortiment verkauft werden kann.
Das Aldi-Nord-Rezept
Zutaten:
- 2 Brötchenknastfassaden mit jeweils 4 Zellenreihen
- 10-12 Eisenrüttler (nach Bedarf)
- Krümelrutschen, Plastiktrenner
- 1 Brotschneidemaschine
- 1 geheimnisvolle Zaubertür
So wird’s gemacht: Zellen für die Füllung mit Krümelrutschen auskleiden und Plastiktrenner einsetzen. Gründlich mit den Brötchenknastfassaden vermengen und in die Filiale stellen. Brotschneidemaschine am Rand festdrücken. Hinter der geheimnisvollen Zaubertür verschwinden, um Aufbackware vorzubereiten; in die dafür vorgesehenen Zellen stopfen.
Bitte servieren: „Mein Bestes“, schreibt Aldi Nord auf eine verschnörkelte Tafel über seinen doppelten Brötchenknast, aber „Mein Meistes“ wäre auch nicht falsch gewesen. In der frisch eröffneten Brandenburger Filiale am Vorortwaldrand von Hohen-Neuendorf, die sich am Gladbecker Design orientiert (siehe Supermarktblog), backt der Discounter alles auf, was die Tiefkühlung hergibt: Franzbrötchen, Apfelecken, Käse-Zwiebel-Brötchen, Fitnessstangen, Dinkelschrippen, Chia-Brot – und simple „Bäckerbrötchen“ dürfen auch nicht mehlen fehlen. Selbst wenn die dafür verwendete Rohlinge bestenfalls beim Transport in die Filiale mal an einem Bäcker vorbeigefahren sind.
42 – zweiundvierzig! – unterschiedliche Aufbackprodukte zählt der staunende Brötchenknastgast, alleine acht Brotsorten, zwei davon in Bio-Qualität.
Das ist vielleicht doch nicht die Antwort auf alles. Aber zumindest auf die Aufbackstrategie der Discount-Schwester: Nord bringt mehr als dreimal so viele Artikel wie die Süd auf ungefähr derselben Backstrecke unter – und kriegt daneben auch noch eine Brotschneidemaschine gestellt. Konkurrent Lidl treibt inzwischen einen vergleichbar hohen Aufwand, bleibt bei der Artikelzahl aber ebenfalls hinter Aldi Nord und benötigt für seine großzügigeren Brötchenknasts deutlich mehr Platz.
Freilich hat die Nord-Lösung auch gravierende Nachteile: Zum Beispiel viel mehr (Personal-)Aufwand bei der kontinuierlichen Warenbeschüttung, im Zweifel bis in den Abend hinein, wenn die Wegwerfgefahr kurz vor Ladenschluss gefährlich ansteigt.
Mittelfristig droht Aldi Nord zudem wohl die Befreiung zusammengepferchter Croissants durch engagierte Backtivisten. Von artgerechter Gebäckhaltung lässt sich in vielen Zellen aktuell jedenfalls kaum sprechen:
Fazit: Wer backt besser?
Auswahl oder Aufbacksimulation – was trifft den Geschmack der Discountkunden besser? Keine Frage: Das hölzern ummantelte Snack-Ensemble in den Süd-Märkten fügt sich hervorragend ins aufgemöbelte Ladendesign ein und sieht schick aus.
Aber wenn man sich von den Familienpartys leiten lässt, die sich freitagnachmittags vor den Brötchenknastzwillingen in der Brandenburger Nord-Filiale ereignen, dann kriegt der bislang eher nicht für seine Innovationen bekannte kleinere Aldi-Bruder seine Strategie wohl besser gebacken. Dass man als Kunde dabei nicht unnötig Wert auf eine ansprechende Produktpräsentation legen darf, scheint dem zumindest nicht im Wege zu stehen.
Immerhin sind sich die Discount-Geschwister bei der Positionierung des Bäckerersatzes einig: ganz weit vorne im Laden.
Am Ende sieht es aber ganz danach aus, als ob Aldi Nord diesmal flexibler auf die Wünsche der Discountkundschaft zu reagieren wüsste. So flexibel, dass der noch vor wenigen Monaten zum Standard ernannte, aber – aus verständlichen Gründen – wohl wenig genutzte Kaffeeautomat in der Filiale in Hohen-Neuendorf von vornherein weggelassen wurde.
So ein Zeitschriftenregal passt ja als Lückenfüller auch ganz gut an die Schrippenfront:
Fotos: Supermarktblog