Was sind das eigentlich für Metalltulpen, die da seit einiger Zeit aus den Kassen bei Rewe und Lidl wachsen? Und vor allem: Wozu?
Offiziell heißen die Tulpen „Top Down Lesegeräte“ bzw. „Top Down Reader“ (TDR) und sind (möglicher) Bestandteil moderner Image-Scanner, wie sie zum Beispiel die italienische Firma Datalogic herstellt. Die denkt sich nicht nur schnittige Namen für ihre Supermarktgerätschaften aus (in diesem Fall: „Magellan 9800i“), sondern sorgt an der Kasse nach eigenen Auskünften auch für „maximalen Warendurchsatz“ – also dafür, dass es bei Ihrem nächsten Einkauf so richtig flutscht.
Die Erkennung der Produkte im „Magellan 9800i“ basiert auf elektronischer Bildverarbeitung und muss sich nicht mehr auf klassische Barcodes beschränken, sondern erfasst z.B. auch digitale Wasserzeichen. Mehrere eingebaute Lesefelder sollen dafür sorgen, dass Kassierer bzw. Kassiererinnen die Artikel nicht mehr nach allen Seiten drehen müssen, um sie zu erfassen – bei Bedarf eben auch über einen zusätzlichen Top Down Reader, der das Produkt von oben registriert.
Im Zweifel ist die Installation in den Märkten also bloß eine Investition der Handelsketten in die Zukunftsfähigkeit ihrer Kassen.
Weil die TDR-Tulpen allerdings auch über ein zur Kundenseite ausgerichtetes Lesefeld verfügen („Customer Facing Reader“), ergeben sich für die Supermärkte zusätzliche Möglichkeiten. Rewe hat auf Nachfrage des Kollegen Hanno Bender vom Bargeldlosblog bei Twitter bereits verraten, für was die Reader auch benutzt werden sollen: zum Scannen digitaler Payback-Karten. (Ungefähr so.)
Nein, dass ist ein Scanner für digitale PAYBACK-Karten.
— REWE (@REWE_Supermarkt) March 28, 2017
(Und ab nächster Woche vermutlich auch für die neue Mobil-Bezahllösung Payback Pay, bei der Kunden einen auf dem Smartphone erzeugten QR-Code einlesen lassen, um den Betrag von ihrem Konto abgebucht zu kriegen.)
Bleibt immer noch die Frage, was Lidl damit anfangen will. Immerhin werden auch dort die Kassen vieler Filialen seit einiger Zeit entsprechend nachgerüstet.
Mission: Kundentreue
Möglich wäre, dass der Discounter das selbst noch nicht so genau weiß, aber sich alle Optionen für die Zukunft offen halten will und deshalb in die Umrüstung investiert.
Ebenfalls denkbar ist, dass Lidl sich bei seiner voranschreitenden Supermartkwerdung darauf besinnt, ein eigenes Treueprogramm zu starten, möglicherweise sogar mit Kundenkarte, die an der Kasse gescannt werden könnte. (Kleinere Discounter haben sich mit Treueprogrammen zuletzt allerdings schwer getan; siehe Supermarktblog.)
Oder Lidl geht einen eigenen Weg – und setzt ganz einfach auf Coupons, wie Supermarktblog-Leser Peer L. auf Twitter bereits vermutet hat.
Mit solchen, die aus dem wöchentlichen Handzettel rausgeschnitten werden müssen, hat der Discounter in der Vergangenheit ja schon experimentiert, hier eine Aktion aus 2016:
Ausriss: Lidl / via discountfan.de
Es gibt aber noch eine viel praktischere Lösung. Die testet der Handelskonzern aktuell in den USA, wo im Juni – begleitet von einem beachtlichen Medienhype – die ersten 15 Lidl-Filialen eröffnet haben (größer, bunter und sehr viel Eigenmarken-lastiger als ihre europäischen Vorbilder; Supermarketnews.com hat einen Überblick, siehe dazu auch Supermarktblog).
Ein QR-Code für alle Coupons
Um ihnen kontinuierlich die Vorzüge des deutschen Lebensmittel-Discounts kommunizieren zu können, lockt Lidl USA Kunden in seine Smartphone-App (Android, iOS). Dort lassen sich – nach Anmeldung – nicht nur persönliche Einkaufslisten erstellen. Im wöchentlichen Wechsel gibt es auch digitale Coupons, die nach dem Payback-Prinzip aktiviert werden müssen, um einzelne Produkte günstiger zu kriegen: Auf Erdnussbutter gibt’s 15 Prozent Rabatt, „Chicken Popcorn Bites“ sind 50 Cent günstiger, der Honig im lustigen Bärentöpfchen ebenfalls (usw.).
Die Einlösung funktioniert (etwas versteckt) über das Kundenprofil, in dem es die Option gibt:
„Scan qr code to apply your coupons“
Der darüber erzeugte QR-Code integriert automatisch alle im eigenen Account aktivierten Coupons – und muss nur noch beim Bezahlen eingelesen werden.
Wie praktisch, dass die Kassen in den amerikanischen Lidl-Filialen scheinbar dieselben sind wie hierzulande (nach der Umrüstung) und ebenfalls über Top Down Reader verfügen. Zumindest lässt sich das auf dem Foto von Getty Images erahnen:
Die Coupon-Lösung wäre für Lidl auch in Deutschland ein cleverer Schachzug. Weil der Discounter damit einerseits Kunden zur Online-Registrierung motivieren und sich damit direkten Zugang zu ihnen erschließen könnte. Und weil sie andererseits so herrlich einfach (bzw. Discount-affin) ist.
Plastikkartenfrei in die Zukunft?
Komplizierte Punktesammel- und Einlöseverfahren werden vermieden, am Ende zählen bloß die in der App aktivierten Coupons. Plastikkarten müssen gar nicht mehr ausgegeben werden. Damit würde sich Lidl die aufwändige Digitalisierung sparen, mit der alle seit längerem aktiven Treueprogramme im Handel derzeit konfrontiert sind. (Bei älteren bzw. weniger technikaffigen Kunden könnte das freilich für Ärger sorgen.)
Die Technologie dafür ist offensichtlich schon da. Sobald die Kassen in allen Märkten – bzw. allen Märkten einer möglichen Testregion – umgerüstet sind, ließen sich Coupons auch in die deutsche Lidl-App integrieren und die Reaktionen der Kunden testen. Mit über 3.000 Filialen in Deutschland hätte Lidl in jedem Fall das Potenzial, zu beweisen, dass Kundenbindung beim Lebensmitteleinkauf im großen Stil auch ohne externe Anbieter wie Payback und DeutschlandCard funktionieren kann.
Ach so, und: Die lustigen Gemüsekumpels, die derzeit als Produktbild-Platzhalter in der App und Begrüßungskommando in den amerikanischen Läden unterwegs sind, kriegen wir dann auch bitte, ja? Wie finden Sie das, Frau bzw. Herr Brokkoli?
Nachtrag: Eine Lidl-Sprecherin erklärt auf Supermarktblog-Anfrage:
„Um den Service für unsere Kunden kontinuierlich zu erweitern und die Arbeitsprozesse für unsere Mitarbeiter zu erleichtern, testet Lidl stetig neue Innovationen wie zum Beispiel Kassensysteme mit Top Down Readern. Bis August stattet Lidl Deutschland bundesweit alle Filialen damit aus und schafft so die technischen Voraussetzungen, um bei Bedarf kurzfristig entsprechende Systeme einführen zu können.
Eine Einführung einer entsprechenden App-Lösung ist bei Lidl Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen, für die Zukunft jedoch nicht ausgeschlossen.“
Und Penny besteht darauf, mit der Idee Erster gewesen zu sein.
Vielen Dank für die Themen-Inspiration an Supermarktblog-Leser Peer L., der unter kreuzundpeer.de übers Reisen bloggt (mit Supermarkt-Inhalten)!
Fotos: Supermarktblog