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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Wie dm und Real die Bedürfnisse von Bestellabholern missversehen

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„Sind Sie das mit dem Paket?“, ruft die herbei geeilte dm-Mitarbeiterin über das Regal mit den Trockenfruchtriegeln hinüber, erhält nickend Bestätigung und schreitet sodann zur Übergabe des quadratisch verpackten Online-Drogerieeinkaufs zwischen Duftkerzensortiment und Mascarawand, bevor sie mit höflichem Gruß wieder in der Bürotür dazwischen verschwindet.

Zack, Duschgeleinkauf erledigt!

Noch bis Ende August bietet die Drogeriemarktkette dm Kunden, die im Online-Shop des Unternehmens bestellen, die kostenlose Lieferung in die Filiale an – zum Selbstabholen für alle, die nicht zuhause auf den Paketdienst warten wollen (und keine Lust haben, sich die Sachen selbst aus den Regalen zusammen zu suchen).

„Paket abholbereit mitnehmen und mehr Zeit zum Stöbern haben“,

wirbt das Unternehmen auf Plakaten vor den Märkten (und im Netz) für die Aktion, mit der die Verzahnung von Online-Geschäft und Filialen angeschoben werden soll – vermutlich bevor sie wieder eingestellt wird und man in Karlsruhe behaupten kann, es zumindest versucht zu haben.

Ein allzu großer Verlust wäre das für viele Kunden derzeit wohl nicht. Was weniger daran liegt, dass die Selbstabholung (im Branchenjargon als „Click & Collect“ bekannt) keine gute Idee ist. Sondern eher daran, dass die von dm dafür genutzten Prozesse ziemlich unpraktisch sind.

In den dm-Filialen fehlt ein Ort, den Abholkunden direkt ansteuern können, um ihre Produkte zeitsparend einzusammeln. Es gibt keine Theke, nicht mal einen Aufsteller oder eine Klingel, um die notwendige Kundenbetreuung zu signalisieren. Abholer landen mehr oder weniger freiwillig doch wieder an der Kasse, um dort zu fragen, wer sich kümmern kann.

Mit Duschgelziegel durch die Stadt

Ist schon klar, dass dm für seinen Click-&-Collect-Test nicht extra Theken in die Filialen stopft. Aber natürlich ist das ein Henne-Ei-Problem: Wer doch wieder anstehen muss, um seinen Einkauf zu kriegen (oder sich den Zorn der übrigen Kassenschlange zuzieht, wenn er dazwischen grätscht), wird die Abholbestellung kaum als angenehme Alternative wahrnehmen – und wieder drauf verzichten.

Vor allem, wenn die Bestellung so hervorragend gepackt ist wie jetzt – hervorragend allerdings nur für den Versand, weil die Produkte nicht in der Filiale kommissioniert werden, sondern im Verteillager.

Dass die von dm offensichtlich engagierten Tetris-Weltmeister mühelos sechs Kilo Rasierschaum, Shampoo, Zahnpasta und Biomüsli in einer Pappkiste mit dm-Aufdruck verschachteln können, so dass oben höchstens drei Millimeter Luft bleiben, ist zwar beachtlich. Diese Beachtlichkeit dann aber wie einen unhandlichen Riesenziegelstein durch die Stadt nachhause zu schleppen, lässt sich wahrlich nicht als Vergnügen bezeichnen (erklärt aber zumindest, warum dm als kleines Geschenk kostenlose Probeschuheinlagen in den verbliebenen Packluftraum geschoben hat).

Wagen Sie besser erst gar nicht, Toilettenpapier oder Windeln mitzubestellen!

Wenn dm damit wirbt, mit der Abholung bliebe praktischerweise „mehr Zeit zum Stöbern im Laden, passt das auch nur so mittel zum Parallelversprechen: dass es im „Online-Zusatzsortiment“ doch eine „viel größere Auswahl“ gibt.

Mag sein, dass einzelne Kunden die Drogerie-Selbstabholung trotzdem hilfreich finden. (Wenn sie z.B. ohnehin mit dem Auto unterwegs sind.) Aber allen anderen empfiehlt dm derzeit indirekt sehr die klassische Nachhauselieferung – oder halt doch wieder den Einkauf im Laden.

Wer zahlt nicht gern mit – Paydirekt?

Künftig 4,95 Euro für einen Service zu bezahlen, der gar nicht praktisch ist, dürften jedenfalls die wenigsten Duschgelbesteller überzeugend finden.

Kann aber natürlich auch sein, dass man in Karlsruhe mit dem vorübergehenden Filial-Lieferkostenverzicht auch bloß dem Banken-Partner Paydirekt einen Gefallen tun wollte, der sich sicherlich äußerst großzügig dafür gezeigt hat, beim Kaufabschluss auf dm.de automatisch als Standardbezahlart ausgewählt zu sein. (Konkurrent Paypal bleibt trotz seiner enormen Verbreitung außen vor.)

(Mehr zu den – sagen wir: ungewöhnlichen Akquisebemühungen von Paydirekt steht nebenan im Bargeldslosblog.)


Real macht es anders, vor allem: anders unpraktisch. Ende April hat die Handelskette ihr bisheriges Abhol-/Lieferkonzept „Real Drive“ beendet und separate Drive-Stationen geschlossen, um ihre neue, mit dem Marktplatz Hitmeister.de fusionierte Website zu starten und bisherige Kunden mit einem automatischen Kontotransfer zwangszuüberraschen („Vielen Dank für die Registrierung Ihres Kontos auf real.de!“).

Lieferservice gibt es seitdem keinen mehr. Das dürfte sich vermutlich ab September aber wieder ändern, wie Mitarbeiter erklären. (Die Real-Pressestelle äußert sich dazu auf Supermarktblog-Anfrage nicht.)

Den Abholdienst hat der Konzern im neu – und sehr viel übersichtlicher – gestalteten (bzw. als „Beta“ gekennzeichneten)  „Real Lebensmittelshop“ allerdings beibehalten. Die unpraktischsten Einschränkungen leider auch.

Eines allerdings macht Real ein bisschen cleverer als dm: Abgeholt werden die Einkäufe im Berliner Markt, einem von bislang zehn Test-Standorten, nämlich an einem eigenen Schalter, der keine Zweifel am richtigen Kundenverhalten lässt:

1. „Bitte klingeln Sie hier.“
2. „Bitte warten Sie hier.“

Den Abholpunkt kennen Kunden noch aus Drive-Zeiten:

Nach dem Relaunch ist eigentlich alles dasselbe in Grün – nur halt in einem geringfügig weniger giftigen.

Leider schafft’s Real nicht, Erstbesteller beim Abschluss des Online-Einkaufs deutlich darauf hinzuweisen, dass die Abholung nicht direkt im Markt erfolgt, sondern in einer Seitenstraße um die Ecke. Das holt ein Real-Mitarbeiter aber kurz vor Beginn der ausgewählten Abholuhrzeit telefonisch nach.

Ohnehin kann sich Real bei seinen Mitarbeitern bedanken, die mit Freundlichkeit und guter Laune die vielen kleinen Schwächen ausbügeln, über die man sich als Kunde bei der Bestellung (zur Erinnerung: im frisch relaunchten Shop) ärgern kann.

Auch das ändert aber nichts am (hier im Blog schon mal kritisierten) Hauptproblem: dass das angebotene Online-Lebesnmittelsortiment nur einen Bruchteil der Produkte umfasst, die es im Markt daneben zu kaufen gibt – wo die Einkäufe auch kommissioniert werden. Und wo Real mit üppiger Online-Auswahl für Nicht-Lebensmittel wirbt.

Während die Ladenregale also mit zahlreichen Produktalternativen vollgeräumt sind, herrscht online in vielen Produktkategorien gähnende Leere. Die Handelskette erklärt online lapidar:

„Aus technischen Gründen kann sich das Sortiment des real,- Lebensmittelshops von dem der stationären real,- Märkte unterscheiden.“

Übersetzt: pffffff, kaufen Sie halt woanders ein.

Mehr noch: In Berlin gibt sich Real maximale Mühe, Zusatzeinkäufe bei der Selbstabholung zu verhindern. Der Abholtresen verfügt (außer für Mitarbeiter) über keine direkte Marktanbindung, das heißt: Wer vergessen hat, Pilze mitzubestellen oder doch noch einen Wein für abends braucht, muss sich entscheiden, ob er dafür einmal um den halben Block läuft, die Rolltreppe hochfährt, ans andere Ende des Centers in den Markt läuft und dort dann nochmal an der regulären Kasse ansteht. (SB-Kassen gibt es nicht.) Vermutlich: nicht.

Kunden wollen zusatzeinkaufen

Dabei käme vielen Kunden die Möglichkeit zum einfachen Zusatzeinkauf entgegen: In einer Befragung der britischen Software-Firma JDA erklärten 16 Prozent, die Abholung ihres Einkaufs im Laden dazu zu nutzen, weitere benötigte Produkte zu besorgen. 10 Prozent gaben an, auch schon bei Artikeln zugeschlagen zu haben, die eigentlich gar nicht auf der Einkaufsliste standen. Auf diese Umsätze verzichtet Real (am Standort Berlin) derzeit freiwillig.

Und: nein, nachträglich lassen sich morgens früh auch keine weiteren Produkte zum Einkauf hinzufügen, selbst wenn der noch gar nicht „in Bearbeitung“ ist. Da hilft’s auch wenig, dass nur eine wirklich günstige „Servicegebühr“ von einem Euro für die Kommissionierung fällig wird.

Das zweistündige Abholzeitfenster ist ebenfalls nicht verschiebbar, falls einem am Morgen noch was dazwischen kommen sollte. Ist aber egal, sagt der Mitarbeiter, der extra in den Abholpunkt kommt, um dort auf den Vormittagskunden zu warten: Nach Ablauf des Zeitfensters bleibt der Einkauf ohnehin erstmal liegen. Oder man ruft einfach kurz an und sagt Bescheid.

Ja gut, Telefonnummer steht natürlich keine in der gemailten Bestellbestätigung. Aber der Mitarbeiter schreibt sie gerne fürs nächste Mal auf den Kundenbeleg in DIN-A-4.

All das ist auch deshalb so ärgerlich, weil die SB-Warenhauskette eigentlich eine perfekte Anlaufstelle für Selbstabholer hat: die Informationstresen, die an den Eingang jedes Markts gebaut und ideal gelegen sind, um noch was zusatzeinzukaufen. Wie praktisch, dass sie schon als „Real.de Abholpunkt“ gekennzeichnet worden sind – für alle Bestellungen, die keine frischen Lebensmittel enthalten.

Auf diesen Korks muss man erstmal kommen.

Der Real.de-Relaunch wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen, einheitliche Infrastrukturen in den Märkten zu schaffen. Am Ende hat’s zumindest in Berlin leider nur für eine neue Klebefolie in der Seitenstraße gereicht.

Reinstopfen ist keine Lösung

Dass beide Unternehmen damit experimentieren, Kunden für ihre Online-Services zu gewinnen, indem sie diese mit einer Filialabholung verknüpfen, ist eigentlich lobenswert – zumal viele Handelsketten im europäischen Ausland schon viel weiter sind. (Tesco arbeitet in Großbritannien daran, Online-Bestellungen landesweit noch am selben Tag in Märkten abholbereit zu machen, verlangt dafür aber auch nicht zu knapp Gebühren.)

Tatsächlich funktionieren die grundlegenden Abläufe in beiden Fällen ja auch prima: Freundliche Mitarbeiter übergeben in der Regel fehlerfrei kommissionierte Einkäufe.

Zugleich demonstrieren dm und Real aber, wie sich Händler bei der erfolgreichen Etablierung eines Click-&-Collect-Angebots selbst im Wege stehen, wenn sie glauben, das bisschen Abholerei ließe sich ohne großen Aufwand in die bisherigen Filialkonzepte stopfen, ohne dafür investieren oder umbauen zu müssen. Das ist nicht nur schade für Kunden, die ein solches Angebot nutzen wollen würden. Sondern auch für die Handelsketten, die sich damit Umsätze entgehen lassen, um die sie sonst so hart mit ihren Wettbewerbern kämpfen.

Sind Sie auch Abholeinkäufer – egal, ob bei dm, Real oder anderswo? Dann schreiben Sie doch Ihre Erfahrungen (und Ideen) in die Kommentare!

Fotos: Supermarktblog"

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