Ein Märchen! Es war einmal mitten im Herbst, die Regentropfen fielen wie Frösche und Schildkröten vom Himmel herab. Da entschloss sich der eingebildete kranke Kaiser S., zu sterben. Wie er sich aufs Dahinscheiden vorbereitete, dachte er: Hätt’ ich nur einen Nachfolger, gelb wie verfärbte Kassenzettel, blau wie mein Auge! Da vermachte er der Edeka sein Dreiviertelreich. Und überließ der Rewe, die missgünstig und übermütig intervenierte, des lieben Friedens willen den Rest.
Die Rewe hatte einen wunderbaren Spiegel; wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
„Spiegeln, Spiegeln, an der Wand,
Wer ist der zackigste Supermarkt im Kaisersland?“
Und der Spiegel antwortete, weil die Rewe alle ihr überlassenen Filialen zügig übernommen und unter eigenem Namen wieder eröffnet hatte:
„Rewe, Ihr seid die Zackigste im Kaisersland.“
Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte. Edeka aber wuchs heran, ward immer forscher und schmückte sich fortan mit dem Versprechen in großen Lettern: „10% günstiger als zu Kaiser’s Zeiten!“ Als acht Monate ins Land gegangen waren, fragte die Rewe wieder; diesmal jedoch antwortete der Spiegel:
„Rewe, Ihr seid die Zackigste hier,
Aber Edeka wirbt tausendmal schlauer als ihr.“
Da erschrak die Rewe und ward orange und gelb vor Neid. Wenn Sie Edeka erblickte, kehrte sich ihr das Kassenband im Laden um, so sehr ärgerte sie sich. Da rief sie einen Ladendesigner und sprach: „Bring das alte Ladendesign unserer Erbfilialen hinaus in den Wald, ich will’s nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es auslöschen und alles neu gestalten; auf dass nichts mehr an frühere Zeiten erinnere. Aber zackig. (Und kosten soll’s auch nichts.)“
Der Ladendesigner gehorchte, ging fort – und huddelte, wie ihm geheißen.
Friedhof der Kampagnenreste
So sehr, dass es in Berlin inzwischen sehr auf die Filiale ankommt, was Rewe zu sehen kriegt, wenn die Handelskette in den Spiegel sieht: den modernen Supermarkt, als den man sich in Werbung und Testfilialen positioniert. Oder doch eher den Schein-Discounter, zu dem einige der Edeka abgeluchsten Kaiser’s-Filialen gerade umgebaut werden.
Nach wenigen Tagen wiedereröffnen die Märkte bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate. Während beim ersten aber bloß die nötigsten Anpassungen ans eigene Konzept vorgenommen wurden und die Läden danach (so wie bei Edeka) immer noch ziemlich deutlich nach dem Vorgänger aussahen, ist das diesmal anders.
Das frühere Kaiser’s-Design mit den vielen kleinen Unübersichtlichkeiten ist größtenteils Geschichte. Stattdessen führen nun – je nach Laden – schnurgerade Startbahnen flughafenartig durch die Obst- und Gemüseabteilung in den Markt hinein. In größeren Filialen stehen die U-Bahn-haften Niedrigkühltheken nicht mehr schief, sondern kerzengerade auf der Verkaufsfläche; Regale z.T. nicht mehr längs, sondern quer – auch wenn das die Landebahn zur Kasse hin an einigen Stellen gefährlich verengt.
Dazu sind neue Metallschütten fürs Aktionsgemüse angeschafft worden. Die Seitenwände sind in Knallrot (und Brechbeige) gestrichen. Aber der Fußboden ist noch derselbe – genau wie das Bedientheken-Design aus dem Tengelmann’schen Schwarz-Rot-Gold-Konzept (siehe Supermarktblog).
Rewe hat die Kaiser’s-typische Rumpeligkeit in den „modernisierten“ Märkten kurzerhand durch eine neue eigene Rumpeligkeit ersetzt.
Das liegt auch daran, dass zwischen Kaiser’s-Überresten und Elementen des aktuellen „Rewe – Dein Markt“-Auftritts ein Best-of abgelegter Rewe-Imagekampagnen in den Laden gehängt wurde, obwohl die letzte bereits vor über anderthalb Jahren verabschiedet worden ist (siehe Supermarktblog). Über den Regalen, dem Brot und dem Obst und Gemüse steht: „Schmackhafter leben“, „Knackiger leben“, „Vollmundiger leben“, „Köstlicher leben“, „Aromatischer leben“.
Und über den Molkereiprodukten und den Getränken: „Jeden Tag ein bisschen cremiger“ bzw. „Jeden Tag ein bisschen erfrischender“. Willkommen zurück, 2006! Hat sich ja gelohnt, den ganzen alten Kram nicht wegzuschmeißen. (Bei den Kaiser’s-Schildern ist man da weniger zimperlich; danke an Sven E. für das Foto!)
Ganz anders ist die Situation kurioserweise im echten Discounter – der einzigen Berliner Filiale, die Rewe von Kaiser’s geerbt und dann auf Penny umgestellt hat, weil direkt daneben ein nagelneuer Rewe-Designmarkt steht. In dem weiß das Sortiment gar nicht mehr, wohin vor lauter Platz. (Bitte hier entlang zum Ladenrundgang.)
Brötchenknast muss sein
Das ist den übrigen notdürftig renovierten Ex-Kaiser’s-Filialen nicht vergönnt. Auch weil jede einen riesigen Brötchenknast hineingerammt bekommen hat. In seinem City-Konzept verzichtet Rewe, um auf der spärlichen Verkaufsfläche Platz für die Aufbackstation zu schaffen, notfalls sogar auf wertvollen Regalplatz:
In etwas größeren Märkten ist dem meterlangen Brötchenknast die komplette Käsetheke zum Opfer gefallen – und gleichzeitig der frühere „Back Stop“ an einen Partner-Bäcker vermietet worden, der dort nun sein eigenes Vorkassenkonzept betreibt.
Eine dritte Variante ist das direkte Nebeneinander des „Back Stop“, der samt Theke erhalten geblieben ist (und mit einem schwarzen Aufkleber notdürftig zum „deli am Markt“ deklariert wurde) mit der direkt daneben gelegenen Aufbackanstalt inklusive glaswandabgetrenntem Befüllbereich.
Damit wäre wohl ein für allemal geklärt, dass sich Rewe erfolgreiche Stadtsupermärkte künftig nicht mehr ohne üppiges Aufbackangebot vorstellen kann. Nach klassischem Supermarkt sehen die Läden deswegen aber noch lange nicht aus; eher so, als teste Rewe, ob das eigene Format auch in der Discount-Variante funktioniert. Zumal die Kunden nach der Neueröffnung vor allem über Preisreduktionen gelockt werden.
(Erst erhöht, dann) Dauerhaft gesenkt!
An und in den Läden brüllen orange-rote Schilder im Zwei-Meter-Abstand das Versprechen:
„Über 2.500 Preise dauerhaft gesenkt!“
An den Regalen sind zahlreiche Preisangaben durchgestrichen und durch niedrigere ersetzt worden. Wer von der falschen Seite zu lange draufschaut, wird wahrscheinlich hypnotisiert in den „Preissenkung“-Strudel hineingesogen. Dabei hat die vermeintliche „Preissenkung“ ihre Haken.
In Rewe-Bestandsmärkten, die in der Nähe der übernommenen Kaiser’s-Filialen liegen, stehen die niedrigeren Preise ganz selbstverständlich am Regal. Ohne großes Niedrigpreistheater.
Möglicherweise macht’s Rewe so ähnlich wie Edeka und bezieht sich auf frühere Kaiser’s-Preise, die abgesenkt wurden? Steht aber nirgends dabei – vor allem beinhaltet die 2.500-fache angebliche „Preissenkung“ auch Rewe-Eigenmarken. Wie soll das gehen, wenn es die bei Kaiser’s ich gar nicht zu kaufen gab? Doch nicht etwa, indem nach der Premieren-Neueröffnung der übernommenen Filialen die Preise zunächst höher angesetzt wurden als in Bestandsmärkten, um sie dann wieder absenken zu können?
Ein Beispiel:
- Vegetarische Wurst von Rügenwalder gehört zu den Verkaufsschlagern vieler Supermärkte, und als Kaiser’s in Berlin zu Rewe wurde, kostete die Packung in manchen Filialen statt wir bisher 1,29 Euro (Bild 1: rechts noch am Regal) plötzlich 1,39 Euro (links).
- Im Zuge der großen „Preissenkung“ hat Rewe die 1,39 Euro („Alter Preis“) durchgestrichen – und großzügig wieder auf 1,29 Euro abgesenkt (Bild 2).
- Oder, wenn die Konkurrenz in der Nähe nicht ganz so groß ist, teilweise abgesenkt auf 1,35 Euro pro Packung (Bild 3).


Das ist die Abwandlung eines ein alten Tricks der Markenhersteller, über den die Verbraucherzentralen regelmäßig berichten: Beim „Füllmengen-Karussell“ setzt ein Hersteller Preiserhöhungen durch, indem er z.B. schleichend die Füllmenge eines Produkts verringert, anschließend eine „neue Größe“ einführt, die als Vorteil beworben wird, aber bloß dazu dient, den Preis im Laden anzuheben – bis nach einiger Zeit wieder heimlich die Füllmenge zu sinken beginnt (usw.).
Supermärkte haben zwar keine Füllhöhen (außer vielleicht samstagabends auf den paar Metern vom Wegbier-Kühlschrank zur Kasse), können von Waschmittelherstellern aber noch ordentlich was lernen.
Rabatte, Rabatte, Rabatte!
Um von Preiserhöhungen im Sortiment abzulenken, eignen sich z.B. Rabattaktionen, wie Rewe sie zur Wiedereröffnung der Kaiser’s-Filialen veranstaltet hat. (Gleichzeitig lassen sich die Rabatte damit refinanzieren.)
Ein paar Wochen später senkt man die Preise wieder (geringfügig) ab und wirbt offensiv damit, obwohl einzelne Produkte jetzt in manchen Läden womöglich teurer sind als früher beim Wettbewerber.
Und wenn der Schein-Discounter das nächste Mal in den Spiegel schaut und fragt: „Spiegeln, Spiegeln, an der Wand / Wer ist der zackigste Supermarkt im Kaisersland?“, dann ist dem verdammten Spiegel die Antwort ja wohl hoffentlich klar!
Mehr über Edekas Preisalarm in den Ex-Kaiser’s-Märkte steht bald im Supermarktblog.
Fotos: Supermarktblog