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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Ein Jahr nach dem Umbau-Start: Verzettelt sich Aldi Nord mit seiner Modernisierung?

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Was schätzen die meisten Menschen an einem guten Nachbarn? Dass er abends nicht zu lange die Musik aufdreht. Dass er nicht unnötig Müll vor der Tür rumstehen lässt. Und ab und an mal mit etwas Mehl und ein paar Eiern aushelfen kann. (Zusatz für Leser aus dem süddeutschen Raum: DASS ER GEFÄLLIGST DIE KEHRWOCHE EINHÄLT!!)

Nach diesen Kriterien ist Aldi am Steinplatz in Leipzig-Südvorstadt ein hervorragender Kiezkumpel. Besonders, seit sich der Laden die alten Joggingklamotten abgestreift hat und völlig neu einkleiden ließ.

Damit die Entwöhnung während der halbjährigen Umbauphase nicht zu groß wird, bezog der Discounter im März in 150 Metern Entfernung ein Verkaufszelt als Zwischenstation. Seit Ende Oktober ist der ursprüngliche Laden nun wieder offen. Und ein Beispiel dafür, dass selbst ein riesiger Discount-Konzern irgendwie sympathisch wirken kann, wenn er sich Mühe gibt, in die Nachbarschaft zu passen.

In Leipzig liegt das nicht nur daran, dass Aldi seine Unterkunft in einem alten Lebensmittelladen, dessen Schriftzüge noch die Fassade zieren („Getränke – Obst & Gemüse – Lebensmittel“), gleich mit herausgeputzt hat.

Sondern auch daran, dass drinnen alles an Flexibilität herausgekitzelt wurde, was das neue Ladendesign „ANIKo“ hergibt.

Zur Erinnerung: Vor gut einem Jahr startete Aldi Nord das größte Umbauprogramm seiner Unternehmensgeschichte. Ziel ist es, sämtliche Filialen – national und international – auf ein neues, sehr viel moderneres Design umzustellen, damit Kunden künftig noch lieber zum Einkaufen kommen. Dass die Läden nach dem Umbau erstmal arg bunt und rummelig wirken (siehe Supermarktblog), ist Gewöhnungssache. Unterm Strich ist es Aldi Nord aber gelungen, sein Konzept von der Gammeligkeit zu befreien, ohne sich dafür komplett auf den Kopf stellen zu müssen.

Der neu eröffnete Markt in Leipzig zeigt, dass das auch in kleineren Läden klappt. Um auf die (im Vergleich zu freistehenden Märkten) winzige Verkaufsfläche zu passen, musste die Aufteilung der Sortimente angepasst werden.

Wer geradeaus in den Laden läuft, steht direkt in der Kosmetik- und Babyartikelabteilung.

Getränke sind an die lange Wand in der Marktmitte geräumt, deren Backsteinmauerung zum Teil freigelegt wurde – was sehr gut zum neuen Design passt.

Am Marktende haben Obst und Gemüse zwar weniger Platz als anderswo, sehren aber genauso schick aus.

Dahinter hat Aldi sogar Platz für ein Kühlregal gefunden, in dem der Discounter – passend zur Kundenklientel – den Umfang seines wachsenden Bio-Sortiments demonstrieren kann. Rechts davon befinden sich die Leergut-Automaten, die in Standardfilialen sonst ganz vorne stehen.

Käse und Milchprodukte warten um die Ecke auf dem Rückweg zur Kasse, dannfolgt wie gewohnt die an die Wand geräumte Tiefkühlung. Erst ganz am Ende des Markts war Platz für das riesige Backwaren-Ensemble inklusive Brötchenknast, der allen Einschränkungen zum Trotz mit großer Auswahl klotzt.

Anders gesagt: Der Discounter hat ganze Arbeit geleistet, um Kunden den Eindruck zu vermitteln, auf engstem Raum maximale Aldi-Auswahl zu bieten. Das ist auch deshalb so wichtig, weil man in der Essener Zentrale mächtig unter Druck steht, den Umbau zum Erfolg zu führen. So sehr, dass es im Management zuletzt mächtig geknirscht hat.

Anfang September überraschte Aldi Nord mit der Erklärung, der bisherige Gesamtverantwortliche Marc Heußinger habe um die vorzeitige Auflösung seines noch bis 2021 laufenden Vertrags gebeten. Heußinger habe zunehmend unter Druck gestanden, weil den Gesellschaftern die Modernisierung nicht schnell genug gehe, berichtete das „Handelsblatt“. Zudem steigen in den umgebauten Läden die Kosten, weil dort mehr Personal benötigt wird (z.B. um Brötchen aufzubacken und Gondelköpfe einzuräumen).

Das geht nur, wenn auch die Umsätze wachsen, die Kunden also mehr einkaufen. Genau daran scheint es aber laut „Lebensmittel Zeitung“ mancherorts zu hapern:

„[E]s zeigt sich an einer Reihe von Standorten, dass die erwünschten positiven Effekte auf den Umsatz längst nicht überall eintreten.“

(Also jedenfalls: nicht sofort.)

Seit anderthalb Monaten ist Torsten Hufnagel verantwortlich dafür, dass sich das ändert. Der 45-Jährige war zuvor bereits Heußingers Stellvertreter und maßgeblich an der Entwicklung des neuen Konzepts beteiligt. Jetzt steht er vor einer schweren Entscheidung: Entweder, Hufnagel lässt sich Zeit, das neue Konzept wie geplant umzusetzen und an schwierigen Standorten (wie in der Leipziger Südvorstadt) so anzupassen, dass Aldi langfristig von der positiven Kundenwahrnehmung profitiert und sich gegen die Konkurrenz wappnet.

Oder er drückt aufs Tempo und spart kurzfristig Kosten, um die Investitionen überschaubar zu halten.

Zum Beispiel, indem der Umbau nur auf Sparflamme umgesetzt wird, wie es jetzt schon an einzelnen Standorten der Fall ist. Die weist Aldi Nord auf seiner Website zwar als modernisiert aus, das neue Design wurde aber allenfalls zur Hälfte umgesetzt. Aufteilung und Regalplatzierung entsprechen der neuen Kundenführung; statt den neuen Sortimentshinweisen hängen aber (wie früher) Fotopappen über den Kartons.

Die Tiefkühl-Inszenierung fällt komplett flach: keine Wandfliesen, keine Leuchtreklame.

Nicht mal für die Holztapete hinterm Regal mit der Tiernahrung hat’s noch gereicht.

Das Spardesign mag sehr viel näher an der bisherigen Aldi-Identität sein, und es schmälert nicht die gute Auswahl. Sehr wohl  hinterlässt es aber einen völlig anderen Eindruck als die Läden, die vollständig nach dem ursprünglichen „ANIKo“-Prinzip umgebaut wurden.

Auch das hat Aldi zuletzt schon abgespeckt, um mit geringerem Aufwand renovieren zu können. Die türkis glänzenden Fliesen aus der Tiefkühlung gibt’s nur noch als Tapete (was angesichts der Sortimentsilluminierung allerdings kaum auffällt).

Und am Ladeneingang wirbt Aldi weiterhin unübersehbar für sein „Rezept der Woche“. Die separaten Gittertische, auf denen die für die Zubereitung benötigten Artikel zunächst gesammelt präsentiert wurden …

… sind aber schon seit längerem auch in modernisierten Märkten wieder Geschichte. Und man muss erstmal ein bisschen suchen, um zu merken, dass die Auswahl auf den Balkon der Obst-und-Gemüse-Regale verlegt wurde.

Der freie Platz vor der Wurst-Kühlung wird seitdem wieder von (den ursprünglich abgeschafften) Tiefkühltruhen belegt, in die wöchentlich wechselnde Aktionsware einsortiert ist. Das bringt offensichtlich mehr Umsatz als die Discount-untypische Waren-Zweitplatzierung.

In neu eröffneten Märkten (hier wieder Leipzig) ist die Aktionstruhe komplett in rot eingekleidet und unübersehbar.

Dass Aldi Nord im Laufe der Zeit Nachbesserungen am Konzept vornehmen würde, war von vornherein klar. Ebenso wie die Tatsache, dass es teuer werden würde, sämtliche Filialen auf den neuen Stand zu bringen (5,2 Milliarden, sagt Aldi selbst).

Das Konzept jetzt nur noch halbherzig umzusetzen, weil die Kunden sich in manchen der wieder eröffneten Läden nicht direkt bewusstlos kaufen, wäre jedoch fahrlässig.

Aldi Nord hat Jahrzehnte gebraucht, um zu merken, dass das eigene Discount-Konzept nur dann erfolgreich bleiben kann, wenn man es an die gesellschaftlichen Realitäten anpasst. Mag sein, dass der Weg dorthin holprigerer ist als gedacht. Aber wenn die Kunden wirklich merken sollen, dass es dem Discounter ernst ist mit dem Wandel, hilft’s nix, nur zur Hälfte konsequent zu sein. Und am Ende doch wieder die alten Pappen aufzuhängen.

Die Nachbarn sind ja nicht doof.

Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Ein Jahr nach dem Umbau-Start: Verzettelt sich Aldi Nord mit seiner Modernisierung? erschien zuerst auf Supermarktblog.


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