Immer wenn die Deutsche Umwelthilfe veranschaulichen will, wieviele Einwegflaschen, Einwegverpackungen und Coffee-to-Go-Becher hierzulande weggeworfen werden, stapelt sie sie in Gedanken aufeinander und rechnet dann aus, wie oft das bis zum Mond und zurück reicht. Was natürlich Quatsch ist. Aber mit den Pressemitteilungen deutscher Supermarktketten zur Reduktion von Verpackungen ginge das zur Abwechslung auch.
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht mindestens einer der großen Händler kommuniziert, welcher Plastikstrohhalm und welcher Joghurtdeckel künftig weggelassen werden.
Diese Mitteilung hier zum Beispiel, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese, diese und die noch.
Nie zuvor ist im Lebensmitteleinzelhandel so umfassend über derartige Einsparmaßnahmen diskutiert worden. Und tatsächlich bemühen sich alle großen Ketten darum, die gängigsten Änderungen umzusetzen. Die Fortschritte, die dabei erzielt wurden, sind in den Märkten unübersehbar.
- Bio-Bananen und Bio-Zucchini werden ganz selbst verständlich mit Klebebanderolen statt in Plastikbeuteln angeboten.
- Satt in festen Plastikschalen liegen Produkte in Trägern aus karton oder Graspapier.
- Ja, das geht sogar mit Beeren.
- Lidl verkauft Cocktail-Tomaten (saisonabhängig) inzwischen sogar lose.
- Selbst Amazon Fresh wickelt nun Papierbanderolen um Bio-Bananen und Bio-Zitronen, um den nachhause gelieferten Wocheneinkauf nicht mit einem ganz so argen Plastikwegwerfritual beginnen zu lassen.
Die allermeisten Händler folgen dabei der „Reduce, Reuse, Recycle“-Strategie, die sich international zunehmend durchsetzt (oder wie’s z.B. bei Rewe heißt: „vermeiden, verringern, verbessern“). Und sie nutzen das auch fürs Marketing.
Datteltomaten im Plastikeimer
Kürzlich hatte Lidl bereits damit geworben, in seinem Obst- und Gemüse-Sortiment „immer mehr unverpackt“ anzubieten; Netto (ohne Hund) schreibt gerade selbstbewusst auf Plakate:
„Reinbeißen ohne Gewissensbisse: Äpfel haben wir ohne Verpackung!“
„Grüner wird’s nicht: Gurken haben wir unverpackt!“
„Plastikvermeidung – jetzt mit Stiel.“
Und:
„Für alle, die bei Plastik rot sehen. Du willst unverpacktes Obst und Gemüse? Dann geh doch zu Netto.“
Ganz so konsequent, wie das klingt, ist’s dann aber doch nicht. Mag sein, dass es bei Netto (ohne Hund) wirklich „bis zu 100 … Artikel“ verpackungsfrei gibt. Aber allen, die bei Plastik rot sehen, bietet sich dazu im Laden immer noch genügend Gelegenheit (siehe dazu auch Supermarktblog).
Äpfel in Bio-Qualität gibt’s beim Edeka-Discounter auch weiterhin verpackt: im Papierträger mit Folienüberzug; Datteltomaten in riesigen Plastikeimern; Paprika im Plastikschlauch; Birnen, Tomaten und Champignons in Plastik- statt Papierschalen.




So begrüßenswert der grassierende Einspar-Enthusiasmus auch sein mag: Die allermeisten klassischen Supermärkte und Discounter stehen damit noch ziemlich am Anfang.
Um dem Verpackungsüberfluss den Kampf anzusagen, müssten sich die Handelsketten noch von viel mehr lösen als bloß von überflüssigen Folien und Schalen: vor allem von der Gewohnheit, Kund:innen vieles in vorgepackten Großportionen und aktionsrabattierten Mengen zu verkaufen, kurz gesagt: von einem nicht unwesentlichen Teil ihres bisherigen Geschäftsmodells.
Selbst dann bliebe ein großer Teil des Sortiments weiterhin eine kleine Hölle für Verpackungs-Paranoiker. (Das gilt im übrigen genauso für den Bio-Fachhandel, der bei Obst und Gemüse Maßstäbe setzt – und gleichzeitig dabei versagt hat, frühzeitig auf umweltschonendere Verpackungsalternativen für alle übrigen Bio-Lebensmittel hinzuwirken.)
Längst überfällige Änderungen
Die jetzigen Änderungen demonstrieren vor allem eines: Wie nachlässig der Lebensmitteleinzelhandel lange mit dem Thema umgegangen ist und es – aus Komfort oder Gewohnheit – ignoriert hat. Was nicht mehr geht, seitdem die Thematik im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion angekommen ist.
Genau betrachtet hätten viele Änderungen längst umgesetzt werden können, sie hatten in den Zentralen bloß keinerlei Priorität, auch weil es die allermeisten Kund:innen nicht vehementer eingefordert haben. Anders formuliert:
- Dass u.a. Edeka, Netto (ohne Hund) und Kaufland ihren Eigenmarken-Joghurts keine Einweg-Plastikdeckel mehr überstülpen und stattdessen wiederverwertbare Varianten dazu schenken verkaufen: gute Sache, aber längst überfällig.
- Dass z.B. Kaufland, Rossmann und dm Taschentücher-Boxen mit Papierlaschen und ohne unnötige Folien-Sichtfenster anbieten: super, aber längst überfällig.
- Dass Lidl Nüsse bei gleichem Inhalt in kleinere Packungen füllt: richtig so, aber längst überfällig.
- Dass Rewe bei Fertigsalaten in Plastikschalen zumindest den zusätzlichen Deckel weglässt, weil die Folie obendrüber auch reicht: wenigstens ein Anfang, aber längst überfällig.
Dass nicht alles immer so schnell geht, wie sich die Kund:innen das wünschen, ist dabei gar nicht das (Haupt-)Problem. Händler müssten bloß lernen, im Laden besser zu erklären, weshalb Gurken zwischenzeitlich womöglich doch wieder plastikverpackt sind, um in Wintermonaten auf längeren Transportwegen nicht labberig zu werden und im Abfall zu landen. (Wobei inzwischen ja alle Ketten eine Lösung für das Problem gefunden zu haben scheinen.)
Kommunikation statt Kampagnen!
Wenn wieder irgendein Markenprodukt aus dem Regal fliegt, weil sich Händler und Hersteller nicht über die künftigen Konditionen einig geworden sind, kriegen das die allermeisten ja auch hin.
Genau daran fehlt es oft aber: An ehrlicher, erklärender Kund:innen-Kommunikation –an Erklärungen, warum etwas noch nicht funktioniert, oder welche Änderungen als nächstes bevorstehen. Das wäre allemal glaubwürdiger als Werbekampagnen, die demonstrieren sollen, wie toll sich alle schon anstrengen – vor allem dann, wenn die Realität im Regal von den Kund:innen ganz anders wahrgenommen wird:
Hey @REWE_Supermarkt! Hat irgendwie nur so mittelgut geklappt mit dem „endlich unverpackt“: pic.twitter.com/yrrFdR6Dvn
— Géraldine. (@Miezkatz) July 29, 2019
Unzureichend erklärt schaden solche Aktionen der Glaubwürdigkeit mittelfristig eher (siehe Supermarktblog).
Um aber nochmal auf die großen Markenhersteller zurückzukommen: Interessant ist, wie konsequent Edeka, Rewe, Lidl, Aldi & Co. zwar stets mit der Industrie darum ringen, die günstigsten Preise zu erzielen – diese Verhandlungsmacht aber selten dafür einsetzen, Produktlistungen mit der Auflage zu verbinden, dass Hersteller die Verpackungen ihrer Marken zur Kund:innenbezirzung am Regal nicht unnötig aufblasen.
(In Großbritannien hat Tesco angekündigt, zumindest die Listung von Marken mit zu hohem Anteil nicht recycling-fähiger Verpackung in Zukunft zu überdenken.)
Erfolge vs. „Ingwer-Shots“
Die Zahl der bunten Plastikdeckel auf Marken-Joghurts und unnötig üppig verpackten Marken-Kekse ist jedenfalls nach wie vor riesig. Vielen Herstellern scheint das Thema weiterhin nur dann relevant zu sein, wenn sich über ökologisierte Produktvarianten Geld damit verdienen lässt.
(Zugegebenermaßen hält sich die Autorität eines Händlers, der auf der einen Seite weggelassene Gurkenfolien predigt, aber auf der anderen Einwegplastikfläschchen-„Ingwer-Shots“ in Gittertische kippt, bei Verhandlungen wohl auch in Grenzen.)
Anstatt nur zu nörgeln, kann man natürlich die Erfolge der vergangenen Monate feiern: zum Beispiel, dass wiederverwertbare Knotenbeutel für loses Obst und Gemüse selbst im Discounter heute zum Standard gehören. Und dass Bio-Obst und Gemüse mit Laser-Gravur auf der Schale sich tatsächlich durchsetzen. Sieht im Zweifel auch noch ziemlich super aus:
Noch vor ein paar Jahren wäre vieles davon (zumindest für mich) kaum vorstellbar gewesen. Dabei tun sich viele deutsche Handelsketten mit Innovationen aus eigener Kraft tendenziell natürlich weiterhin schwer.
Kräuter ohne Topf, Milch ohne Deckel
Dass es Händler in europäischen Nachbarländern nicht unbedingt besser machen, belegen z.B. diese traurigen, einzeln in Plastik eingeschweißten Paprika bei Jumbo in den Niederlanden:
Es gibt aber auch eine Menge, dass sich aus anderen Ländern noch abgucken lässt.
- Merkur in Österreich kann Salate ohne Plastikschale (aber leider weiter mit Deckel).
- Asda in Großbritannien verkauft Kräuter ohne Topf und Plastikhülle im Papiertütchen mit Pflanzanleitung.
From today customers can buy reusable fruit & veg bags to take home their loose produce. Made from recycled materials, they're both durable & washable. The move sees Asda shake up its fruit & veg aisle, joining plastic-free herbs on the shelves: https://t.co/Ufr1popCfQ #plastic pic.twitter.com/y8VN35ElJD
— Asda PR Team (@asdaprteam) October 9, 2019
- In Schweden beschreibt Markenhersteller Arla auf Joghurt-Packungen nicht nur exakt, wie man den letzten Tropfen Inhalt rausdgedrückt bekommt, sondern hat auch an die Perforation gedacht, um die Materialien getrennt voneinander recyceln zu können.


- Und der Aldi-Ableger Hofer lässt bei seiner Zurück-zum-Ursprung-Heumilch (ebenfalls in Österreich) den Drehverschluss ganz weg, spart damit fast die Hälfte des bisherigen Materials und bringt Kund:innen bei, wie man Milchtüten wieder wie früher aufreißt.
Fast die Hälfte des Plastiks sparen wir, indem wir auf den Schraubverschluss bei der neuen Ursprungs-Heumilch verzichten. Wie aber öffnet man die neue Verpackung am besten? pic.twitter.com/nfWHZV0wTz
— Zurück zum Ursprung (@zumursprung) January 30, 2020
Wäre halt schön, wenn sich diese Änderungen durchsetzen, ohne dass Supermärkte und Discounter jedes Mal wieder wieder beklatscht und getätschelt werden wollen.
Dabei ist die Erwartungshaltung zahlreicher Kund:innen zweifellos ähnlich anstregend. Manche glauben, die Verpackungsberge, die sie gestern noch ohne zu murren eingekauft haben, ließen sich mit einem Fingerschnips in Luft auflösen. Andere übersehen, dass nicht jede Verpackung überflüssig ist, wenn sie dabei hilft, Lebensmittel länger haltbar zu machen. Die schwierigste Erkenntnis ist vielleicht, dass sich vieles nur ändern lässt, wenn wir auch bereit sind, einen Teil unserer Einkaufsgewohnheiten anzupassen.
Führt weniger Plastik zu mehr Plastik?
Ende des vergangenen Jahres berichtete der „Guardian“ über eine Recherche der britischen Environmental Investigation Agency (EIA) mit Greenpeace: Obwohl alle großen Händler Einwegtragetaschen aus Plastik in Großbritannien entweder kostenpflichtig gemacht oder ganz abgeschafft hatten, sei der Plastikverbrauch bei sieben von zehn Supermarktketten von 2017 auf 2018 gestiegen. Und zwar im Wesentlichen, weil öfter die als Ersatz angebotenen Permanent-Tragetaschen gekauft wurden. Die Verkaufszahl der „bags for life“ sei in den vergangenen Monaten geradezu explodiert, heißt es in der Untersuchung.
Ganz so weit, wie uns Werbekampagnen und Pressemitteilungen weismachen wollen, sind wir also vielleicht noch nicht.
Um wirklich weniger Einwegverpackungen zu verbrauchen, werden sich Handelsketten und Kund:innen beide sehr viel stärker als bisher mit Mehrweglösungen auseinander setzen müssen. Das dürfte deutlich anstrengender werden als Plastik- durch Papierschalen zu ersetzen und beim nächsten Einkauf daran zu denken, eine eigene Tasche mitzunehmen. Mehr dazu steht bald hier im Blog.
Danke an Jürn für die Arla-Fotos!
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Verpackungsreduktion im Supermarkt: Wettstreit der Weglasser erschien zuerst auf Supermarktblog.