– Aktueller Hinweis –
„Filialen haben regulär geöffnet“: Supermärkte und Discounter stellen sich gegen Fake News im Netz
Alle großen Handelsketten dementieren Gerüchte, dass es wegen der Ausbreitung des Coronavirus zu Supermarkt-Schließungen kommen soll. Die Warenversorgung sei gesichert, reguläre Öffnungszeiten blieben bestehen. Ein Überblick.
Hinweis: Dieser Text spiegelt der Stand der Dinge zu Beginn der 12. Kalenderwoche 2020. Er dient vor allem einer allgemeinen Erläuterung der Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel zu Beginn der Corona-Krise. Die geschilderten Prozesse werden täglich durch neue Nachrichten und Ereignisse beeinflusst und können sich deswegen auch schnell verändern. Zudem sind regionale Unterschiede möglich.
Seit dem Wochenende Tagen verbreiten sich über die sozialen Medien nicht nur Falschmeldungen zu eingeschränkten Öffnungszeiten im Lebensmitteleinzelhandel, die alle großen Ketten dementiert haben (siehe Supermarktblog). Auch Fotos von leergekauften Regalen verunsichern viele, weil dadurch der Eindruck entsteht, schnell in die Läden eilen zu müssen, um noch etwas abzubekommen. Politik und Händler versichern jedoch, dass die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt sei.
BMin @JuliaKloeckner betont in der #Bundespressekonferenz:
– Unsere Versorgung in Deutschland mit #Lebensmittel|n ist gesichert.
– Die #Supermärkte bleiben offen – alles andere sind Falschmeldungen.
– Die #Lieferketten sind weitgehend intakt.#Coronavirus #Corona #Covid19— BMEL (@bmel) March 17, 2020
Um zu erklären, warum die Regale trotzdem manchmal leer sind, hab ich mich in der Handelsbranche umgehört, wie sich das Einkaufsverhalten der Kund:innen in den vergangenen zwei Wochen verändert hat, was das für die logistischen Prozesse der Supermärkte und Discounter bedeutet und wie sich all das auf die Situation in den Läden auswirkt.
Wann ging das alles eigentlich los?
Mit zunehmender Verbreitung des Coronavirus in Europa sind Ende Februar in vielen Medien Berichte über die Notfallvorsorge im Krisenfall erschienen, die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – schon immer – empfohlen wird. Ab diesem Zeitpunkt stiegen Einkäufe bei den dort aufgeführten Artikeln (u.a. Reis, Konserven, Toilettenpapier) deutlich an und blieben auch weitgehend konstant, bevor bei einigen Händlern zu Beginn der vergangenen Woche ein Rückgang registriert wurde. Am Mittwoch, als die Auswirkungen der Krise auf ihren Alltag für viele greifbarer wurden, ist die Nachfrage dann jedoch wieder sprunghaft angestiegen.
Wieviel mehr wird verkauft?
So pauschal lässt sich das nicht sagen, weil es sich von Warengruppe zu Warengruppe stark unterscheidet. „Bei einigen Artikeln ist es das Drei- bis Vierfache der üblichen Menge“, berichtet ein Mitarbeiter einer großen Handelskette. Am Wochenende stieg dann auch die Nachfrage nach Obst und Gemüse. (Später mehr dazu, warum das wahrscheinlich so ist.)
Wenn die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt ist – wieso sind dann am Wochenende wieder so viele Fotos von leeren Supermarktregalen in den sozialen Medien aufgetaucht?
Das hängt auch damit zusammen, wie Supermärkte und Discounter beliefert werden. Frisches Obst und Gemüse kommt in der Regel sechsmal pro Woche in den Läden an. Artikel mit längerem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) – also genau die, die gerade massenhaft gekauft werden – werden hingegen durchschnittlich nur alle zwei oder drei Tage geliefert. Dazu kommt Folgendes:
- Wenn die Märkte neue Ware aus den Lagern bestellen, geschieht das in der Regel mit ein bzw. zwei Tagen Vorlauf.
- Gleichzeitig ist der Samstag oftmals kein Anliefertag für Ware mit längerem MHD.
Das bedeutet: Die Mitte vergangener Woche bestellte Ware war teilweise schon kurz nach der Lieferung wieder ausverkauft. (Es gibt Aussagen, denen zufolge manche Händler am vergangenen Freitag fast doppelt soviel verkauft haben wie an einem regulären Freitag.) Am Samstagmorgen sind Kund:innen in die Läden gekommen und standen deshalb punktuell vor leeren Regalen. Kurz gesagt: Der Freitag hat aufgefressen, was vom Donnerstag an Ware übrig geblieben ist, und dann kam auch noch der Samstag obendrauf.
Weshalb wird nicht von vornherein viel mehr bestellt?
In der Regel übernehmen automatische Systeme die Nachbestellung für Artikel mit längerem MHD. Ein Anstieg wie zuletzt kann die Prognose aber durcheinander bringen – die Händler müssen manuell eingreifen und eigene Vorhersagen liefern, ohne zu wissen, wie lange die Nachfrage anhält und wann sie wieder absinkt. Teilweise werden die Bestellungen auch ausgesetzt und Ware wird aus der Zentrale gesteuert zugeteilt.
Ist das nicht einfach wie vor Weihnachten und Ostern?
Viele Händler sagen, dass sie sich „im Weihnachtsmodus“ befinden, ja. Das bedeutet u.a., dass es zusätzliche Samstagsbelieferung in den Lagern gibt und auch schon über Sonntagsbelieferungen diskutiert wird. Dabei hilft das derzeit gelockerte Sonntagsfahrverbot: LKWs können den Warenbedarf von Märkten und Lagern auf sieben statt sechs Tage verteilen.
Es gibt derzeit aber noch zwei Besonderheiten:
1. Die Nachfrage ist vor allem in Warengruppen gestiegen, die vom Feiertags-Boom sonst eher nicht betroffen sind. Nudeln und Toilettenpapier kaufen die allermeisten Kund:innen das Jahr über relativ gleichmäßig – immer dann halt, wenn zuhause Nudeln und Toilettenpapier alle sind.
2. Am Anfang waren die meisten Händler wohl noch davon überzeugt, dass es sich bei dem Anstieg um einen Einmaleffekt zur Bevorratung handeln würde. Die Bestände in den Lagern wurden erweitert – aber niemand hat sich vorstellen können, dass in der vergangenen Woche alles nochmal derartig zunimmt.
Dazu kommt, dass z.B. Toilettenpapier aufgrund seines Volumens in den Läden sehr viel Platz wegnimmt, den die Händler natürlich nicht mit unnötigen Paletten blockieren wollen, sondern dort lieber andere Artikel verkaufen. Deshalb wird im Normalbetrieb ständig nachgeliefert. Es ist aber auch schneller mal eine Palette leergeräumt, wenn plötzlich alle auf einmal Klopapier kaufen.
Anfangs war die Zahl der Hamsterkäufer wohl gar nicht so groß (tagesschau.de bezifferte sie im „Deutschland Trend“ Anfang März auf 11 Prozent) – aber die, die sich bevorratet haben, taten das mit enormen Mengen. Einige Händler sind deshalb dazu übergegangen, Beschränkungen einzuführen (z.B. zwei Artikel pro Warengruppe pro Einkauf).
Wie funktioniert das mit dem Nachschub im Normalfall?
Für jede Filiale wird eine individuelle Abverkaufsprognose errechnet, die berücksichtigen soll, wie Kund:innen wahrscheinlich in den nächsten Tagen einkaufen. Danach richtet sich die Marktbestellung. Eine Direktbelieferung von Produzenten an die Märkte ist inzwischen eher selten; stattdessen wird die Ware über Regional- und Zentrallager verteilt. Je nach Marktgröße und Entfernung zum Lager gibt es pro Filiale einen definierten Belieferungsrhythmus.
Ein – stark vereinfachtes – Beispiel: In Filiale X kaufen pro Tag üblicherweise drei Kund:innen eine Dose Kidneybohnen, das macht bei sechs Öffnungstagen (Mo bis Sa) 18 Dosen in der Woche. Um mindestens einen möglichen Ausfall einer Lieferung zu kompensieren, werden im Lager 36 Dosen bestellt. Wenn aber statt drei plötzlich dreißig Dosen am Tag verkauft werden, ist das, was sonst für zwei Wochen gereicht hätte, im Markt nach einem Tag schon wieder weg. Genau das ist zuletzt passiert.
Unter regulären Bedingungen halten Händler Bestände für ein bis drei Wochen in ihren Lagern vor, ohne dass Nachlieferungen vom Lieferanten nötig sind, sagt ein Mitarbeiter einer großen Handelskette.
Jetzt verzögert sich das alles?
Genau. Die Herausforderung in der aktuellen Situation ist, die Lager frühzeitig darüber zu informieren, dass es in bestimmten Warengruppen zu einer erhöhten Nachfrage kommt, damit nicht erst reagiert wird, wenn die Produkte schon alle weg sind, sondern schon vorher nachbestellt.
In der Branche heißt der Effekt, der sich jetzt ergibt, „Bullwhip“- bzw. Peitscheneffekt: Kund:innen kaufen viel mehr als gedacht, Märkte bestellen mehr (als sie evtl. benötigen), Lager laufen leer und merken: der Bedarf ist riesig, sie bestellen mehr beim Lieferanten – und der kriegt diese unerwarteten Mehrbestellungen plötzlich von allen Händlern gleichzeitig.
Welche Herausforderungen müssen die Hersteller noch bewerkstelligen?
Sie müssen die Ware so verteilen, dass nicht in den Lagern in Berlin das ganze Toilettenpapier steht, während die in München leer ausgehen. Deshalb unterstützen Händler gerade vor allem kleinere Lieferanten bei der Koordination.
Zudem haben sich viele Kund:innen mit Artikeln aus dem niedrigen Preissegment bevorratet, also Produkten zum Discount-Preis – den klassischen Eigenmarken der Handelsketten. Die werden bei Lieferanten üblicherweise nicht für alle Unternehmen gleichzeitig hergestellt, sondern nacheinander. Jetzt muss z.B. entschieden werden: Welche Eigenmarke kommt zuerst aufs Produktionsband? Das macht die Planung besonders aufwändig.
Dieses Kaufverhalten hat möglicherweise auch dafür gesorgt, dass die Regale in manchem Discounter noch ein bisschen leerer aussahen als im Supermarkt, weil Artikel aus dem niedrigen Preissegment dort sehr viel mehr Raum einnehmen (und öfter gekauft wurden).
Schaffen Hersteller und Händler das alles?
Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschlands und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, erklärt: „Die Ernährungsindustrie umfasst knapp 6.000 Betriebe! Wir haben 170.000 Produkte in den Läden stehen. Wir haben einen hohen Selbstversorgungsgrad bei den Rohstoffen.“ Sollte ein Betrieb wegen Erkrankung der Beschäftigten ausfallen, gebe es „andere Hersteller, die die Versorgung gewährleisten“. (Bislang ist dieser Fall noch nicht vorgekommen.) Außerdem arbeite die Politik daran, dass der freie Warenverkehr in Europa trotz Grenzschließungen nicht wesentlich beeinträchtigt werde.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nennt auf Twitter konkrete Beispiele für den Selbstversorgungsgrad mit ausgewählten Lebensmitteln in Deutschland.
Ernährungsministerin Julia Klöckner sagte heute in der Pressekonferenz, auch der Großhandel habe signalisiert, im Zweifel Supermärkte beliefern zu können, weil dort durch die Schließung von Kantinen und Restaurants ohnehin Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Aber die Ausnahmesituation gilt nur für sehr wenige Warengruppen, oder?
Ja – und nein. Denn das Verhalten der Kund:innen scheint sich noch einmal zu ändern. Zunächst wurden, wie gesagt, vor allem haltbare Artikel zur Bevorratung gekauft. Durch die Maßnahmen der Behörden, die eine Verbreitung des Coronavirus verlangsamen sollen, wird nun zunehmend das öffentliche Leben in den Städten eingeschränkt. Leute fahren nicht mehr zur Arbeit und essen in der Kantine, sie sitzen stattdessen im Home Office und kochen zuhause. Dafür müssen sie – ganz genau: in den Supermarkt. Gerade zeichnet sich ab, dass deshalb jetzt verstärkt frische – und auch teurere – Produkte gekauft werden, um sich, wenn man schon zuhause festsitzt, auch was zu gönnen.
Was können Kund:innen tun, um die Lage zu entspannen?
Abgesehen von den bekannten Regeln (Abstand halten, niemanden anhusten, Hände waschen!) genau das, wozu viele Händler schon seit Tagen aufrufen:
- Nur soviel zu kaufen, wie wirklich benötigt wird, damit auch für andere genügend übrig bleibt (die sich vielleicht nicht bevorraten können).
- Am besten nicht Freitag oder Samstag in den Laden gehen, weil dann ohnehin schon viel los ist. Aktuell überlegt die Politik, das Sonntagsverkaufsverbot auszusetzen, um die Lage zu entzerren.
- Und, genauso wichtig: Freundlich zu Mitarbeiter:innen in den Läden sein und nicht ungehalten werden, weil ein Regal mal noch nicht wieder aufgefüllt worden ist. Stattdessen einfach mal „Danke“ sagen.
Hinweis: Dieser Text spiegelt der Stand der Dinge zu Beginn der 12. Kalenderwoche 2020. Er dient vor allem einer allgemeinen Erläuterung der Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel zu Beginn der Corona-Krise. Die geschilderten Prozesse werden täglich durch neue Nachrichten und Ereignisse beeinflusst und können sich deswegen auch schnell verändern. Zudem sind regionale Unterschiede möglich.
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Lebensmittel-Logistik in der Corona-Krise: Warum es manchmal etwas dauert, bis die Regale im Supermarkt wieder aufgefüllt sind erschien zuerst auf Supermarktblog.