Wenn Kund:innen im Supermarkt oft genug einem bestimmten Reiz ausgesetzt sind, gewöhnen sie sich dran – und reagieren zunehmend schwächer darauf. Die Wissenschaft nennt das Habituation. Und sagen wir mal so: Im Moment gibt es beim Lebensmitteleinkauf eine ganze Menge zu habituieren.
Deshalb haben zahlreiche Handelsketten inzwischen (zum Teil mehrseitige) Bedienungsanleitungen für ihre Läden in den Eingang gehängt:
„Wir bitten Sie, alle unsere Hinweise sorgfältig zu lesen und einzuhalten.“
Dem würde man als Kund:in natürlich gerne nachkommen. Das sorgfältige Studium des Beipackzettels für den stationären Lebensmittel- und Drogerieartikeleinkauf gestaltet sich aber schon deshalb schwierig, weil für jede Kette und (manchmal) jeden Standort unterschiedlich umfangreiche Regeln vorgesehen sind – zusätzlich zur allgemeingültigen Niesetikette, zum (bislang noch freiwilligen) Mund-/Nasenschutz, zum Anfassverzicht, der gewünschten Zügigkeit des Einkaufs usw. usf.
Vor allem Einlassbeschränkungen handhaben Händler bislang ziemlich unterschiedlich. Über die Sinnhaftigkeit der Einkaufswagen-Mitführpflicht wird in den Kommentaren unter diesem Blog-Eintrag bereits lebhaft diskutiert. Aber ob jetzt 30, 35 oder 80 Kund:innen in den Laden dürfen, lässt sich nur schwer überblicken. Vielleicht hülfe es schon, das (von dm verwendete) zentrale Erklärelement der Bedienungsanleitungen stark vergrößert in den Eingang zu tapezieren:
„1 Kunde rein
1 Kunde raus“


Fragen Sie sich auch: Was davon bleibt uns länger erhalten? Und was können wir uns (hoffentlich) ganz schnell wieder abgewöhnen? Das kommt ein bisschen darauf an, wen man fragt – beispielsweise zum Bezahlen an der Kasse.
Selten wurden Kund:innen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel so nachhaltig darum gebeten, ihre Einkäufe wenn möglich nicht bar zu bezahlen.
Und dass Händler aktiv dazu auffordern, den Wocheneinkauf mit der Smartwatch zu begleichen, hätte vor wenigen Wochen vermutlich auch kaum jemand für möglich gehalten.
Die Arbeitsgemeinschaft der Geldautomaten-Betreiber schäumt angesichts dieses „Kriegs“ gegen das Bargeld (wirklich, die schreiben Krieg, nee: Krieg 2.0!) – und aus Vollständigkeitsgründen sei erwähnt: Eine erhöhte Ansteckungsgefahr durch Bargeld ist bislang nicht belegbar. Womöglich aber ein Corona-bedingter Gewöhnungsprozess der Kundschaft an den Bargeldloseinkauf?
Kartenzahlungen nehmen zu
Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken hat laut „FAS“ zuletzt „rund 50 Prozent höhere Transaktionszahlungen“ mit der Girocard festgestellt. Die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) ließ sich von Händlern bestätigen, dass es „eine signifikante Verschiebung zu Bargeldlos und Kontaktlos“ gebe. Und aus der fortlaufenden Konsum-Analyse des App-Start-ups Finanzguru, das Bankbuchungen seiner Nutzer anonymisiert und aggregiert auswertet, lässt sich ablesen, dass der Anteil von „Barentnahmen“ am Geldautomaten an den Gesamtausgaben seit Anfang März von 35 Prozent (KW 9) auf 21 Prozent (KW 15) zurückgegangen ist. (Was auch damit zusammenhängen könnte, dass es derzeit generell weniger Barzahlungsgelegenheiten gibt.)
Eine Umfrage der Bundesbank hat allerdings ergeben, dass die Mehrheit der Befragten in der Krise weiter so bezahlt wie vorher. „Unmittelbare Auswirkungen auf das mittelfristige Bezahlverhalten können wir aus der momentanen Situation nicht erkennen“, lässt sich Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann von der dpa zitieren. Sein Vorstandskollege Burkhard Balz hat der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, dass es Mitte März (zu Beginn der Krise) eine steigende Bargeld-Nachfrage gegeben habe: In dieser Phase „hoben die Deutschen teils doppelt so viel ab wie sonst. Inzwischen hat sich das normalisiert. Vergangene Woche hoben sie so viel ab wie vor einem Jahr (…).“
Erstmal richtig anstehen lernen
Gleichwohl scheint es so zu sein, dass fast alle, die ihr Bezahlverhalten geändert haben, seltener bar und öfter mit Karte bezahlen (90 Prozent). 79 Prozent geben an, jetzt öfter kontaktlos zu zahlen. „Ich glaube, das wird sich weiter fortsetzen“, meint Bundesbank-Vorstand Balz. (Das Limit für kontaktlose Girocard-Zahlungen ohne PIN-Eingabe steigt zudem von 25 auf 50 Euro.)
Einstweilen wird im Lebensmitteleinzelhandel aber das Anstehen mit gebührendem Abstand geübt. Böden wurden aufwändig mit Markierungen beklebt, um Kund:innen anzuweisen, wo sie zu stehen haben, um den Mindestabstand (zwischen 1,50 und 2 Metern) zueinander einzuhalten und das Ansteckungsrisiko gering zu halten.
Das Problem dabei ist: Die allermeisten Läden sind schlicht und einfach nicht fürs Abstandhalten gebaut. Das gilt gar nicht nur für enge City-Märkte mit schmalen Regelreihen, sondern auch für klassische Vollsortimenter und SB-Verbrauchermärkte, die natürlich nicht auf Teile ihres Sortiments verzichten wollen, um in den Läden mehr Platz fürs Anstehen zu lassen. (Was durch die Entfernung von Aktions-Gittertischen durchaus möglich wäre.)
In vielen Läden verschiebt sich das Gedränge, das sonst in der Kassenschlange herrscht, durch die Bodenmarkierungen deshalb bloß weiter nach hinten in den Laden. Dort stehen Kund:innen, die schon aufs Kassieren warten, nun denen im Weg, die gerade noch einkaufen wollen. Mindestabstand? Funktioniert da einfach nicht. Egal, wie vorbildlich Markierungen geklebt oder wieviele Kund:innen eingelassen worden sind.
Ein weiteres Problem ergibt sich durch die Bauweise vieler Märkte: Weil Kassen oft parallel zueinander stehen, können Kund:innen beim Anstehen zwar den vorgeschriebenen Abstand nach vorne einhalten – aber nicht den zur Kundin bzw. zum Kunden in der Schlange direkt daneben.
Duschvorhang ersetzt Stolperfalle
In seinen Drogeriemärkten hängt dm den Anstehbereich für die Kassen deshalb inzwischen mit Plastikfolie ab, vorm Bezahlen muss man sich auf die richtige Seite des Duschvorhangs einfädeln.
In den meisten dm-Märkten sind zudem die bekannten Plexiglastrenner zum Schutz der Mitarbeiter:innen an der Kasse angebracht worden; diese Lösung hat (glücklicherweise) die aus Kartons selbstgebastelten Stolperfallen abgelöst, um die man mit dem Pflichteinkaufswagen herum navigieren musste, damit man dem Kassenpersonal nicht zu nahe kommt.
„Abstandsregeln werden nach dem 20. April nicht wegfallen. Jetzt arbeiten wir an dauerhaften Lösungen, die besser ins Corporate Design passen“, kündigte Christian Harms, in der dm-Geschäftsführung für das Mitarbeiter-Ressort verantwortlich, in der „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) an. Anders formuliert: Statt auf Warentrenner dürfte sich der Handel in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt aufs Kund:innentrennen fokussieren.
Im Idealfall funktionieren die – nicht so wie bei Lidl. Dort hat man Paletten ans Ende der Kassentresen gelegt, wo Kund:innen die gescannte Ware zügig in den Wagen räumen sollen – was bei größeren Einkäufen auch sonst schon eine Herausforderung ist. Die Ware jetzt noch einen Meter weiter heben zu müssen, um dem Personal nicht zu nahe zu kommen, sorgt vor allem dafür, dass Kund:innen genervter sind als vorher, sich der Bezahlprozess verlängert – und im Zweifel auch die Schlange im Laden.
denn’s Biomarkt hat mit den Plexiglaswänden an seinen Stehkassen in manchen Märkten auch die senkrecht zur Kundin bzw. zum Kunden laufenden Einräumflächen zugebaut. Entweder angelt man die gescannte Ware dann seitlich dahinter hervor; oder man geht halb um die Kasse herum, um seine Einkaufstasche einzuräumen – was das Kassenpersonal dann aber wieder genauso anhustanfällig macht wie ohne Plexiglasschutz. Sonderlich zweckdienlich ist das eher nicht.
Die SB-Kassenaufsicht bei Kaufland darf derweil von einem leuchtend gelben Bauzaun abgesperrt darauf warten, dass Kund:innen an den Automaten Fehlermeldungen produzieren – die sich dann oft doch nur durch einen beherzten Direkteingriff an der jeweiligen Kasse beheben lassen.
Während vor allem die Discounter in Deutschland weiter munter ihren Nonfood-Quatsch in ausgeteilten Faltblättern bewerben (siehe Supermarktblog) …
… hat sich der Lebensmitteleinzelhandel in Österreich darauf verständigt, das Geschäft mit solchen Artikeln des nicht-täglichen Gebrauchs seit Ostersamstag massiv einzuschränken. Rewe, Spar, Hofer, Lidl und Metro geben das als „Akt der Solidarität“ mit anderen Händlern aus, die ihre Läden in der aktuellen Phase weiterhin nicht geöffnet haben dürfen. Gleichwohl scheint es Medienberichten zufolge davor massiven Druck aus der Branche gegeben zu haben, der ORF berichtet von „Unstimmigkeiten innerhalb des Handels“. Offensichtlich wollten die Ketten mit ihrer freiwilligen Selbstbeschränkung einer behördlichen Anordnung zuvorkommen.
Kein Rasenmäher aus dem Supermarkt
Nicht mehr verkauft werden derzeit z.B. Fernsehgeräte, Fahrräder, Elektrogroßgeräte, Möbel (inklusive Gartenmöbel!), Bekleidung, Autozubehör, Malerbedarf, Fitnessgeräte und Navigationsgeräte. Sortimente wie Spielwaren sind von der Selbstbeschränkung ausgenommen.
Wie übereinstimmend berichtet wird, hatte sich vor allem Spar mit seinen Interspar-Märkten lange gegen eine Beschränkung gewehrt und noch am morgen vor der gemeinsamen Bekanntgabe gemeldet, man halte ein Nonfood-Verkaufsverbot „für zu kurz gedacht, ja sogar für gefährlich“ und befürchte „massive negative Folgen“ insbesondere „bei den österreichischen Vorlieferanten“.
Aus der Schweiz gibt’s derweil ein anderes Argument dafür, den Lebensmittelhandel weiter Nonfood verkaufen zu lassen: Weil sonst noch mehr online bestellt werde und die Schweizerische Post schon jetzt nicht mehr mir dem Zustellen hinterher kommt. Wenn man nicht ausreichend Personal und Sortierkapazitäten hat, kann das halt auch mit der Habituation so schnell nichts werden.
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Abstandhalter, Kontaktloszahlung, Bedienanleitungen: Corona und die neue Normalität in Supermärkten und Drogerien erschien zuerst auf Supermarktblog.