Ende 30. Juni schließt die „Vorratskammer in der Box“ ein für allemal ihre Pappklappen, hat Amazon kürzlich die Kund:innen seines Lieferangebots für ungekühlte Lebensmittel und Drogeriewaren informiert. Dann stellt das Unternehmen in Deutschland seinen Pantry-Dienst ein. Über den konnten sich Prime-Mitglieder Artikel des täglichen Bedarfs in haushaltsüblichen Mengen per Paket nachhause liefern lassen.
Für jede angebrochene Box mit einer Füllmenge von 20 Kilogramm (oder 110 Litern) wurde anfangs eine Versandkostenpauschale von 4,99 Euro in Rechnung gestellt; zuletzt waren es noch 3,99 Euro pauschal (mit diversen Fantasie-Rabatten und Kostenloslieferung beim Kauf ausgewählter Produkte). Damit ist künftig Schluss.
Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt eine Amazon-Deutschland-Sprecherin die Umstellung:
„Im Zuge unseres Bestrebens, stets das bestmögliche Kundenerlebnis zu bieten, werden die meisten Bestseller von Amazon Pantry in Kürze im generellen Produktangebot auf Amazon.de erhältlich sein – mit schnellerer Lieferung, ohne Mindestbestellwert und zusammen mit tausenden preisgünstigen Produkten des täglichen Bedarfs, die bereits verfügbar sind. In ausgewählten Regionen sind sie außerdem bei AmazonFresh und Prime Now erhältlich.“
Kurz gesagt: Amazon verzichtet künftig einfach darauf, Prime-Mitgliedern für den Versand haltbarer Lebensmittel zusätzliche Versandkosten in Rechnung zu stellen.
Gleichzeitig vollzieht sich aktuell auch beim Frische-Lieferdienst Amazon Fresh, der weiterhin nur in wenigen deutschen Städten verfügbar ist, ein sanfter Strategiewechsel.
Fresh-Mitgliedschaft wieder abschließbar
Bedingt durch die Corona-Krise war Amazon – wie quasi alle Wettbewerber – im März und April diesen Jahres mit der Lieferung frischer Lebensmittel an Kapazitätsgrenzen gestoßen: Die Nachfrage der Kund:innen war größer als die Zahl der zur Verfügung stehenden Lieferzeitfenster. Liefer-Flatrates wie bei Rewe und Amazons Fresh-Monatsgmitgliedschaft waren (vorübergehend) für Neukund:innen nicht mehr buchbar.
Während diese Einschränkung bei Rewe weiterhin gültig ist, hat Amazon Fresh seine Kund:innen in der vergangenen Woche darüber informiert, dass wieder Mitgliedschaften für Fresh abgeschlossen werden können. Wer monatlich 7,99 Euro zahlt, kann sich mit einem Mindestbestellwert in Höhe von 40 Euro wieder so oft wie gewünscht beliefern lassen.
Eines hat sich allerdings nicht geändert:
„Neue Lieferfenster werden im Laufe des Tages für bis zu 96 Stunden im Voraus freigeschaltet.“
Anders gesagt: Fresh-Besteller:innen können den Liefertermin für ihren Wocheneinkauf bis zu vier Tage im Voraus planen – aber nicht für einen Zeitpunkt, der weiter in der Zukunft liegt.
Vor Beginn der Corona-Krise hatte Amazon die Möglichkeit angeboten, Fresh-Zeitfenster bis zu vier Wochen im Voraus zu reservieren. Damit könnte jetzt ein für allemal Schluss sein. Und Fresh würde weiter an Prime Now heranrücken (das taggleiche Lieferungen von Lebensmitteln, Elektronik und Gedöns verspricht – und als eigenständiger Dienst zunehmend überflüssiger wäre; siehe Supermarktblog).
Lieferungen für den aktuellen Bedarf
Nach Supermarktblog-Informationen hat sich vor Corona ohnehin die Mehrheit der Fresh-Kund:innen für eine zeitnahe Belieferung mit frischen Lebensmitteln entschieden; die krisenbedingte Bevorratungspanik hat dieses Bestellverhalten gehörig durcheinander gewirbelt. Zahlreiche Kundinnen dürften sich im März auf einen Schlag Zeitfenster für mehrere Einkäufe, auch für Termine in der Zukunft, gesichert haben.
Dieser Effekt hat dazu beigetragen, dass andere Fresh-Besteller:innen trotz Mitgliedschaft nicht oder nur schwer bestellen konnten. (In Großbritannien hatte Ocado mit ganz ähnlichen Problemen und daraus folgend mit einer enormen Unzufriedenheit regelmäßiger Kund:innen zu kämpfen; siehe Supermarktblog.)
Mit der 96-Stunden-Regelung, die bei Fresh nun langfristig in Kraft bleiben könnte, umgeht Amazon dieses Problem ein für allemal. Und sorgt dafür, wieder eine größere Zahl von Kund:innen regelmäßig mit Lebensmitteln für den aktuellen Bedarf beliefern zu können. (Dass der Algorithmus nicht Wochen im Voraus angeben muss, ob Produkte zum Wahlzeitpunkt verfügbar sind und damit lästige Erstattungen bzw. teurer Ersatz vermieden werden, dürfte ein angenehmer Nebeneffekt sein.)
Damit scheint sich im deutschen Markt für Liefer-Lebensmittel langsam ein Trend abzuzeichnen.
Nur Rewe ist zum Vor-Corona-Modus zurückgekehrt
Auch Bringmeister von Edeka konzentriert sich weiterhin darauf, Kund:innen Zeitfenster zur Verfügung zu stellen, die eng an den Liefertermin gebunden sind. Der Kalender auf der Website und in der App ermöglicht zwar nach wie vor, bis zu vier Wochen in die Zukunft zu klicken; nach spätestens vier Tagen heißt es dort aber jedes Mal:
„Leider alles ausgebucht.“
Getnow erlaubt in Berlin aktuell Vorausbestellungen mit Lieferterminen bis zu sechs Tagen in der Zukunft.
Picnic orientiert sich seit jeher strikt am Wochenbedarf seiner Kund:innen und gestattet die Terminbuchung mit vier bis fünf Tagen Vorlauf. Die in den Tagen darauf bereits fest geplanten Lieferzeiten werden in der App schon angezeigt, sind aber als „Noch nicht verfügbar“ ausgegraut und erst später anwählbar.
Von den großen Händlern ist lediglich Rewe ist wieder zum Vor-Corona-Modus zurückgekehrt und erlaubt in Berlin derzeit Terminreservierungen bis zu zwei Wochen im Voraus.
Nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass das eine Ausnahme bleiben könnte – und sich Lebensmittel-Lieferdienste (nicht nur hierzulande) künftig sehr viel stärker darauf konzentrieren werden, den aktuellen Bedarf ihrer Kund:innen zu bedienen.
Lebensmittel für jetzt sofort
Amazon steuert seit vergangenem Jahr ohnehin konsequent in diese Richtung – zumindest im Ausland. In den USA hat der Konzern im vergangenen Jahr bekanntlich sein Supermarkt-Geschäft neu strukturiert und eng mit der Sofortlieferung von Lebensmitteln verknüpft. (Mehr dazu stand u.a. hier und hier im Supermarktblog.) Dass Amazon auch in anderen Märkten so oder ähnlich verfahren wird, liegt nahe.
In Großbritannien deutet sich das bereits an: Mitte April berichtete „The Grocer“, Amazon plane einen Dienst für die ultraschnelle Lieferung von Lebensmitteln, die direkt – und ohne Zuzahlung – in sein Mitgliederprogramm Prime integriert sei. (Zusammenfassung von Reuters; Exciting Commerce hat sich auch damit beschäftigt: hier, hier und im Exchanges-Podcast.)
Genau das also, was Amazon in seinem Heimatmarkt bereits praktiziert, für seine Supermarktkette Whole Foods Market und für Amazon Fresh, das – wie an dieser Stelle bereist spekuliert – bald auch als Marke im stationären Handel starten könnte. (Zumindest wäre das eine konsistente Fortführung der im vergangenen Jahr präsentierten Strategie.)
Zeitnahe Lieferung soll selbstverständlich werden
Erste Filialen für die angekündigte neue Amazon-Supermarktkette stehen in den Startlöchern; Corona dürfte die Pläne noch einmal durcheinander geworfen haben. (Der noch nicht eröffnete Markt in Woodland Hills, Los Angles, wurde während Corona – wie zahlreiche Whole-Foods-Filialen – kurzerhand zum Darkstore für die Bestellkommissionierung umfunktioniert.) Erste Filial-Eröffnungen werden aktuell für Juli oder August erwartet.
Amazon setzt zunehmend darauf, dass die Mehrheit der Kund:innen ihre Lebensmittel am selben Tag haben will, ohne lange vorauszuplanen. (Und ist damit nicht alleine.) Ziel ist es, die zeitnahe Lieferung von Produkten des täglichen Bedarfs zu einer ähnlichen Selbstverständlichkeit zu machen wie den regulären Einkauf im Geschäft – und Kund:innen, ohne dass die sich in ihrem Einkaufsverhalten groß umstellen müssen, dafür mehr Auswahl zu lassen: Selbst einkaufen? An die Tür geliefert kriegen? Im Laden abholen?
Egal, für was man sich entscheidet, das dahinter liegende Versprechen ist immer das gleiche: Lebensmittel sofort. Zeitfenster für den Montag in vier Wochen braucht es dafür in Zukunft keine mehr.
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Zeitfenster nur noch kurzfristig? Wie sich Amazon zunehmend auf die Sofortlieferung von Lebensmitteln konzentriert erschien zuerst auf Supermarktblog.