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Antwort auf den Offenen Brief von Edeka Südwest: „Wir können nicht nur günstig“? Dann hört endlich auf, so zu tun

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Liebe Edeka Südwest,

in dieser Woche hast du einen „offenen Brief an die Verbraucher im Südwesten“ geschrieben und ihn ganzseitig in Tageszeitungen veröffentlichen lassen. Darin beklagst du den aktuellen Irrsinn, dass aufgrund der Mehrwertsteuersenkung zwischen den Anbietern im Lebensmitteleinzelhandel eine wahre Preisschlacht ausgebrochen ist (siehe dazu auch Supermarktblog):

„Im Vergleich scheint immer derjenige besser abzuschneiden, der den jeweiligen Warenkorb zusammengestellt und die entsprechende Werbeanzeige geschaltet hat.“

Du schreibst, der Discount sorge dafür, dass viele Lebensmittel in Deutschland „so günstig wie kaum woanders“ seien. Der Preis allerdings dürfe „für ein Produkt nicht das alleinige Kriterium sein“, argumentierst du und nennst weitere wichtige Punkte: Regionalität, Tierwohl, Frische, Genuss und Qualität. Dafür setzt du dich gemeinsam mit deinen Kaufleuten in der Region ein:

„Wir können nicht nur günstig. Wir können mehr!“

Du hast ja so recht, liebe Edeka Südwest – und ich bin froh, dass endlich mal jemand auf den Punkt bringt, woran der Handel mit seiner einseitigen Fokussierung hierzulande schon lange krankt. Einerseits.

Andererseits scheinst du mir ein Teil des Problems zu sein, das du kritisierst. Ich will das gerne kurz erklären.


Zur Wahrheit gehört auch, dass sich Edeka mit Werbung für Niedrigpreise zuletzt nicht gerade zurückgehalten hat. Unter anderem in „Bild“ und „Bild am Sonntag“ erschienen Ende Juni doppelseitige Anzeigen mit den (zum Teil arg holprig formulierten) Versprechen:

„Tausende Produkte wunschlos günstig“
„Jetzt spart jeder Einkauf noch mehr“
„Jetzt noch mehr im Preis gesenkt“

Darunter waren über mehrere Spalten kleingedruckte Produkte aufgelistet, die nun günstiger angeboten werden als bisher.


Abb. [M]: Edeka/Smb

Mehr noch: Der Trick, dass jeder Preisvergleich immer zu Gunsten des Handelsunternehmens auszufallen scheint, das ihn erstellen hat lassen, kommt mir sehr bekannt vor – von Edeka.

Nach der Übernahme der Kaiser’s-Tengelmann-Märkte wollte zum Beispiel die Regionalgesellschaft Edeka Minden-Hannover ihren Berliner Neukund:innen demonstrieren, dass sie bei Edeka künftig günstiger einkaufen könnten als beim Vorgänger. Dafür wurden an den Ladeneingängen Einkaufswagen mit selbst ausgewählten Warenkörben aufgebaut. Freilich ohne zu erwähnen, dass viele Artikel nach der Übernahme auch teurer geworden sind.

Es geht mir gar nicht darum, in Frage zu stellen, dass Edeka seine Position als Marktführer im deutschen Lebensmitteleinzelhandel auch dazu nutzt, positiven Einfluss auszuüben. Viel zu oft spielt Edeka das Spiel der Discounter aber mehr als bereitwillig mit.

„Preise feiern, wenn sie fallen“

Erinnert sich noch jemand an das kleine Werbe-Desaster zu Beginn des Jahres, als Edeka Minden-Hannover den 100. Jahrestag seiner Gründung mit einer Kampagne feierte, bei der zunächst weder Tierwohl noch Frische und auch nicht Genuss oder Qualität im Mittelpunkt standen (siehe Supermarktblog)?

„Essen hat einen Preis verdient: den niedrigsten“, stand auf Plakaten mit Geburtstags-Testimonial Otto Waalkes, die von der Regionalgesellschaft aufgehängt wurden – und Landwirt:innen so sehr verärgerten, dass diese mit ihren Traktoren kurzerhand ein Edeka-Regionallager blockierten.

Alles bloß ein Missverständnis, ruderte man in Minden anschließend zurück. Gemeint sei nicht Essen in Form von Lebensmitteln, sondern der Ort Essen nahe Oldenburg. (So wie viele andere zwischen Hannover und Berlin, wo die gleichen Motive mit den jeweiligen Ortsnamen angeschlagen waren.)

Nachher wurden die Plakate kleinlaut wieder abgehängt, und Edeka-Regionalchef Mark Rosenkranz versprach beim Wiedergutmachungstreffen mit Erzeuger:innen, sich künftig noch intensiver fürs Regionale zu engagieren.

Das ändert aber nichts daran, dass die Kampagne vorrangig darauf ausgelegt war, Kund:innen mit Niedrigpreisen in die Märkte zu locken („Man soll die Preise feiern, wenn sie fallen.“)

Hat ja auch funktioniert. In einem Interview aus dem Frühjahr erklärte Minden-Hannover-Vorstandssprecher Rosenkranz:

„In den ersten beiden Monaten 2020 haben sich die Umsätze, auch aufgrund von Preisaktionen zu unserem Jubiläum, stark über dem Vorjahr entwickelt.“

Sonderrolle für Südwest?

Zugegeben: Wenn die eine Regionalgesellschaft am Rad dreht, lässt sich das nur schwer einer anderen anlasten. Und womöglich kommt Edeka Südwest im Verbund auch eine gewisse Sonderolle zu. Zurecht verweist man am Unternehmenssitz in der Offenburger Edekastraße darauf, bereits vor 14 Jahren die Eigenmarke „Unsere Heimat – echt & gut“ entwickelt zu haben, für die man mit zahlreichen Erzeuger:innen aus der Region kooperiert. Von Edeka Südwest ging auch das frühzeitige Bemühen aus, enger mit Bio-Anbauverbänden wie Demeter zusammen zu arbeiten.

Aber man müsste sich schon in herausgehobener Situation befinden, um solche Initiativen als generellen Standard innerhalb des Edeka-Verbunds zu empfehlen, sagen wir: zum Beispiel als Aufsichtsratsvorsitzender.

Genau der Position also, die Uwe Kohler nicht nur bei Edeka Südwest bekleidet, sondern seit 2017 auch für die Hamburger Edeka-Zentrale, die die Strategie der genossenschaftlich organisierten Gruppe „in enger Abstimmung mit den regionalen Großhandelsbetrieben“ steuert.

Kampf für bessere Gehälter

Kohler ist selbst überzeugter Händler, betreibt eine zweistellige Zahl an Märkten im Südwesten Deutschlands (mit steigender Tendenz) und scheint – nach seinen Äußerungen in Interviews zu urteilen – ein Verfechter klassischer Kaufmannstugenden zu sein: Selbstbestimmung, Freiheit, Kreativität. Die müssen Kohler zufolge nur in einem Fall hinter das gemeinsame Interesse zurücktreten: wenn es darum geht, den „besten Preis“ zu erzielen, zum Beispiel mit günstigen Einkaufskonditionen.

„Wir wollen die besten Konzepte und die besten Sortimente zum besten Preis. Den besten Preis erzielen wir, wenn die Vorstufe möglichst kostengünstig arbeitet“,

sagte er der „Lebensmittel Zeitung“ 2018. Dafür müssten Prozesse „weitgehend aufeinander abgestimmt“ sein. „Und wenn wir schlanke Prozesse wollen, muss der Einzelne dort Verzicht übern, wo etwas nur ihm alleine nutzt.“

Verzicht üben müssen laut Verdi bei Edeka zum Beispiel auch Angestellte, deren Gehalt zum Teil sehr viel niedriger ausfällt als es die Gewerkschaft gutheißt. Der Edeka-Aufsichtsratschef sieht diese Kritik als „Herabwürdigung des mittelständischen Unternehmertums“. Niemand schaffe so viele Arbeitsplätze „wie die selbstständigen Kaufleute unserer Branche“ (LZ-Interview, 2018). Aber müsste die Fairness gegenüber den eigenen Mitarbeiter:innen bei einem Unternehmen, das sich selbst als Vielkönner sieht, nicht auch eine zentrale Rolle spielen?

Der Fall Netto (ohne Hund)

Schließlich weiß auch Kaufmann Kohler um die Bedeutung der Angestellten, die bei Edeka für „fachkundige Beratung“ sorgen und in Werbespots glücklich strahlend Kund:innen bedienen. Per Anzeigen-Interview in der „Badischen Zeitung“ wünschte er sich kürzlich, „[d]ass die steigende Wertschätzung, die unsere Mitarbeiter in dieser schwierigen Zeit erfahren, dauerhaft bestehen bleibt“.

Wobei es in Ordnung zu gehen scheint, dass besagte Wertschätzung selbst im eigenen Verbund eher einseitig gelebt wird. Und nur unter sehr besonderen Bedingungen bei der Edeka-Discounttochter Netto (ohne Hund).

Die steht Rivalen wie Aldi oder Lidl in ihrem Discount-typischen Handeln in nichts nach, und das gilt keinesfalls nur für den Schreiwettbewerb, wer gerade der Günstigste im ganzen Land sein will.


Abb.[M]: Netto (ohne Hund)/Smb

Sondern auch für die knapp kalkulierte Personalplanung, auf der das Geschäftsmodell des Discounts zu wesentlichen Teilen fußt. Schon im Regelbetrieb ist das für die Angestellten eine enorme Herausforderung, weil zahlreiche Arbeiten parallel zueinander erledigt werden müssen und kaum Spielraum bleibt, wenn mal was schief geht. Corona hat die Situation vielerorts noch verschärft (siehe Supermarktblog).

„Dankeschön“ für mehr Umsatz

Im Frühjahr erklärten zahlreiche Handelsunternehmen, sich bei ihren Mitarbeiter:innen monetär für deren harte Arbeit in der Ausnahmesituation erkenntlich zeigen zu wollen – mit Sonderprämien, Gehaltserhöhungen, zum Teil auch mit Warengutscheinen.

So wie Netto (ohne Hund), wo jede:r Mitarbeiter:in Anfang Mai ein Schreiben der Geschäftsführung erhielt, in dem es hieß:

„Wir sagen Danke!
die Corona-Pandemie hat uns alle gefordert wie noch nie. Besonders für unsere Kolleginnen und Kollegen in den Filialen und in der Logistik ist es eine außergewöhnliche und anstrengende Zeit. (…) Für Ihre außerordentliche Leistung bedanken wir uns sehr.“

Als „Zeichen unserer Wertschätzung“ gewähre man daher „einen Einkaufsrabatt von 20%“ für eine „Ersparnis von [bis zu] 120 €“ – befristet zunächst bis Mitte Juni. (Die Frist ist inzwischen bis Ende August verlängert worden.) Kleiner Haken: Um in den vollen Genuss dieser „Wertschätzung“ zu kommen, muss man als Netto-(ohne Hund)-Angestellte:r im Gesamtwert von 600 Euro beim eigenen Arbeitgeber einkaufen.


Discount darf alles

„Die geben keinen einzigen Cent für uns aus, sondern generieren damit sogar noch Umsätze“, sagt ein Mitarbeiter im Supermarktblog-Gespräch. (Bestenfalls in Millionenhöhe, wenn alle die eingeräumte Höchstsumme ausschöpfen würden.) Eine andere erklärt: „Ich hab bei Netto echt schon viel erlebt, aber mich in all den Jahren noch nie dermaßen beleidigt und herabgewürdigt gefühlt.“

Gleichzeitig schreiben Kaufleute aus dem Mutterkonzern einen offenen Brief an die Konsument:innen, um sich als bessere Alternative zum Discount zu empfehlen – den man im eigenen Unternehmen aber freien Lauf lässt?


Liebe Edeka Südwest,

ich bin bereit, dir zu glauben, dass du es ernst meinst mit deinem Brief. Dass viele deiner Kaufleute es satt haben, immer zuerst darum kämpfen zu müssen, auch günstig zu sein, damit die Kundschaft nicht zu Aldi oder Lidl wechselt. Der beste Beweis dafür, daran etwas ändern zu wollen, wäre aber: sich auch im eigenen Verbund sehr viel stärker zu engagieren, weniger preisfokussiert zu agieren. Und nicht auf andere zu zeigen, deren Spiel am Ende auch Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler mitspielt. (Wenn auch, zum Teil, über Bande.)

Ich kann mit vorstellen, dass das kompliziert, schwierig und undankbar ist. Aber, hey, ihr habt ja nicht geschrieben: Wir wissen, dass es auch bei uns noch einiges zu verbessern gibt. Sondern: „Wir können nicht nur günstig. Wir können mehr!“

Es wird höchste Zeit, zu demonstrieren, dass sich das nicht nur auf die Produktauswahl in euren Läden bezieht.

Dein Supermarktblog

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Fotos: Supermarktblog"

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