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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Rewes Österreich-Wagnis: Billa Plus und die Last des würdigen Merkur-Ersatzes

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Ich hab da einen Geistesblitz: Wie wär’s, wenn Volkswagen die Marke Audi aufgäbe und der Einfachheit wegen in Volkswagen Plus umbenennen würde? Dann ließen sich haufenweise Abteilungen zusammenlegen, Marketingbudgets einsparen und so viele Werbemaßnahmen vereinheitlichen, dass am Ende schon Geld verdient wird, bevor auch nur ein einziger VW Plus e-tron GT verkauft ist. Sie finden das eine ziemlich dämliche Idee, eine über Jahrzehnte etablierte Marke, die massig Fans und treue Kund:innen hat, ohne Not einzustampfen?

Ist aber ziemlich genau das, was Rewe gerade im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel gemacht hat.

Anfang April verpasste die Handelsgruppe – deren Auslandsgeschäft in Österreich, Italien und Osteuropa unter dem Namen Rewe International firmiert – ihren 144 Merkur-Filialen den Namen der Handelsschwester Billa. Märkte ab 1.500 Quadratmetern heißen jetzt Billa Plus, und statt des Merkur-typischen Türkis hängen nun rund 700 neue Schilder in Knallgelb an den Fassaden. 40.000 Einkaufswagengriffe wurden ummontiert, 10 Millionen Preisschilder neu gesteckt. Wozu noch mal? Ach, ja: um künftig Geld zu sparen.


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Alle Standorte bleiben bestehen, zusätzliche sollen eröffnen. Die ehemalige Merkur-Kundschaft wird in den Billa-Plus-Läden „Willkommen in der Familie“ geheißen, und ein gänzlich ideenfreier Werbespot, in dem irgendwer wen anders heiratet, ergänzt rätselhaft: „Weil es sich zu zweit noch voller leben lässt.“ (Was auch eine misslungene Schnapsreklame sein könnte.)

Gute Idee oder Riesenfehler?

Marcel Haraszti; Foto: REWE Group / Harson

Dabei ist noch längst nicht klar, ob Rewe sich mit der Initiative tatsächlich freigeschwommen hat, um künftig noch „kundenorientierter, regionaler, einfacher, flexibler“ aufzutreten, wie Marcel Haraszti, Vorstand von Rewe International, im Interview mit dem Branchenmagazin „Cash“ (Ausgabe 2/21) behauptet hat. Oder ob es sich bei der Markentilgung um einen der größten strategischen Fehler handelt, den der europäische Lebensmitteleinzelhandel seit langer Zeit erdulden musste. (Mal abgesehen von der schleichenden Demontage der Marke Real durch Metro.)

Denn Merkur hatte etwas, von dem zahlreiche Wettbewerber nur träumen können: ein hervorragendes Qualitäts-Image mit klarem Leistungsversprechen und glücklicher Kundschaft, die deshalb einigermaßen entsetzt auf die Ankündigung reagierte, dass ihr Lieblingssupermarkt verschwinden soll.

Dass es zu Veränderungen kommen würde, hatte sich schon seit längerem angedeutet. Bereits im vergangenen Jahr führte Rewe die Organisationen seiner beiden Handelssparten im Vollsortiment zusammen, der Betrieb der Merkur-Märkte ging im Spätsommer auf die Billa AG über. In diesem Zuge wurden zahlreiche Stellen in der Verwaltung gestrichen. Der „Standard“ berichtete damals, die Doppelstrukturen „lähmten“ das Unternehmen, es gebe „Rivalitäten und Reibungsverluste“, die man sich im erbitterten Wettbewerb nicht mehr leisten konnte und wollte. Haraszti räumt ein, in der bisherigen Aufstellung „nicht schnell und nicht effizient genug“ gewesen zu sein. Im Sommer 2020 tauchten dann plötzlich Produkte der Billa-Eigenmarke in Merkur-Märkten auf, um Synergieeffekte zu testen („Billa zu Gast bei Merkur“). Schon damals war klar, dass sich eine – noch dazu stark Relaunch-bedürftige – Eigenmarke für rund 140 Merkur-Märkte auf Dauer kaum mehr rechnen würde.

Dazu kam, dass der Hauptwettbewerber Spar während der Corona-Krise erstmals die Marktführerschaft im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel übernahm und die mit Neuorganisation beschäftigte Rewe auf Platz zwei verwies.

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Formatwandel bei Merkur

Aus Rewe-Sicht mag die Vereinheitlichung nachvollziehbar sein, um sich in Zukunft weniger zu verzetteln. Fachleute sind dennoch skeptisch. Christoph Teller, Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing an der Johannes Kepler Universität Linz, bezeichnete den Wegfall von Merkur gegenüber „Cash“ als eine „enorme Markenwertvernichtung“ und argumentierte, mit der Umbenennung der Läden werde gleichzeitig „Markendehnung“ mit Billa betrieben.

Die Handelskette hat durchaus ein solides Image: Billa testete früh einen eigenen Online-Lieferservice samt „Lieferpass“, Click & Collect und bewies mit seinem Landhausmarktkonzept zugleich, wie schlimm es schiefgehen kann, wenn ein Supermarkt mit viel Klebefolie so tut als sei er ein Hofladen (siehe Supermarktblog).

Auch Merkur konzentrierte sich in den vergangenen Jahren darauf, sein Format an die sich ändernden Bedürfnisse der Kund:innen anzupassen – und ging dabei ebenso konsequent wie überlegt vor. Zusätzlich zu großen SB-Warenhäusern eröffneten kleinere Filialen in der Innenstadt, die Frische und Regionalität in den Mittelpunkt rückten. Der Merkur-Markt im Wiener Einkaufszentrum Post am Rochus war von Anfang an ein moderner Stadtsupermarkt ohne Retroquatsch und Schnörkel, in dem das Einkaufen tatsächlich Spaß machte – SB-Kassen inklusive.

An „Vitaminbars“ gab es Smoothies, Salate und kleine Mahlzeiten, die vor den Augen der Kundschaft zubereitet wurden. Und auf der Verkaufsfläche war viel Platz für Rewes Besser-Bio-Marke „Ja! natürlich“, samt Bildern der Bäuerinnen und Bauern, von deren Höfen die Produkte stammten.

Merkur hatte viel Platz, um regionale Produkte seiner Besser-Bio-Marke „Ja! Natürlich“ zu bewerben; Foto: Supermarktblog

Zuletzt testete Merkur ein intelligentes Backshop-Regal, um Brote und Brötchen der Nachfrage entsprechend aufbacken zu können und zum Ladenschluss möglichst wenig übrig zu haben.

Und als 2018 am Wiener Hauptbahnhof der Signa-Architekturklotz Icon Vienna eröffnete, zog Merkur gleich mit drei Märkten ein: Ins Erdgeschoss mit einem „Merkur mini markt“, in dem sich besonders eilige Reisende schnell mit Lebensmitteln, belegten Semmeln und Salaten für ihre Zugfahrt eindecken konnten. Eine Etage tiefer ermöglichte ein regulärer Supermarkt Heimkommenden den klassischen Einkauf zur Kühlschrankwiederauffüllung. Und schräg gegenüber war noch ausreichend Platz für ein Convenience-Ensemble samt Backtheke, Konditorei, Vitaminbar und rie-hie-sigem Getränke- bzw. Snack-Angebot.

Merkur war in vielerlei Hinsicht der Gegenentwurf zum einstigen SB-Warenhausableger der Rewe Group in Deutschland: Dass Toom vor sieben Jahren ausrangiert und durch Rewe Center ersetzt wurde, war damals bloß folgerichtig, weil die meisten Läden (und mit ihnen die Marke) so heruntergekommen waren, dass ein kompletter Neuanfang sinnvoller schien. Bei Merkur verhält es sich nun quasi andersherum: Aus Sicht der Kund:innen hätte man sich das ganze Umbenennungstheater getrost sparen können.

Mehr Billa, mehr Bio

Weil das auch Rewe International bekannt ist, beeilt man sich dort zu versprechen, dass keine der Merkur-Qualitäten verschwinden soll. Die Kund:innen hätten die Marke aber ja nicht „wegen des Namens“ geliebt, sagt Vorstand Haraszti, „sondern wegen der Leistung“ – und die „bleibt“. Bloß halt mit drübertapeziertem Billa-Logo, Billa-Eigenmarken in den Regalen und der offenen Frage, wieviel in der Liaison von der früheren Innovation noch übrig bleiben wird, die sich ja auch ein Stück weit aus dem Wettbewerb im eigenen Unternehmen heraus speiste.

Billa Plus verspricht nun „einfachere Aktionen und Rabatte“, führt das Billa-„Festtagssortiment“ ein, bietet Produkte der Rewe-Drogeriemarke Bipa sowie Artikel der – ähnlich wie bei Tegut in Deutschland – neu eingeführten Basis-Biomarke Billa Bio (für die wohl einige Produkte des Partners Alnatura im Sortiment weichen müssen).

Bislang ist es aber bloß eine Wette mit offenem Ausgang, ob sich die Qualität, mit der sich Merkur profiliert hat, auch auf die neue Stammmarke (einer Ableitung von „Billiger Laden“, noch dazu) übertragen lässt. Und eine Einladung an die Kundschaft, zu überprüfen, ob ihr bisheriger Lieblingssupermarkt auch in Zukunft derselbe bleiben soll – oder ob es sich bei der Konkurrenz nicht vielleicht auch angenehm einkaufen lässt.

Corso für Feinschmecker, Plus für Familien

Aufgeräumter wirkt die „Vereinheitlichung des Markenauftritts“ zunächst einmal nicht. Denn zusätzlich zu den regulären Billas und den Billa-Plus-Märkten gibt es weiterhin Billa Corso als Delikatessmarktkonzept, das bislang auf wenige Filialen in Wien, Salzburg, Klagenfurt und Graz beschränkt ist und im Zuge der Umbenennung mit dem ehemaligen Flagshipstore – Merkur Hoher Markt in Wien – einen weiteren Standort zugeordnet bekam. Haraszti spricht außerdem von möglichen neuen Corso-Filialen u.a. in Linz und Innsbruck, die Kund:innen eine besondere Auswahl bieten sollen, wohingegen Billa Plus als „ein Markt für die ganze Familie für jede Woche“ positioniert werde.

Die Tankstellenshops unter dem Namen „Merkur Inside“, die BP Austria an 85 Standorten installiert hat, sollen ihren Namen derweil behalten.

Foto: Supermarktblog

Und so sehr das auf dem Papier auch Sinn ergeben mag: In der Realität vieler Kund:innen ist das alles zunächst einmal sehr, sehr erklärungsbedürftig. Zur „Einsparung eines zweistelligen Millionenbetrags“, wie „Cash“ spekuliert, scheint Rewe International das Risiko aber eingehen zu wollen. Selbst wenn dafür eine Marke fallen muss, die im eigenen Portfolio möglicherweise sogar die stärkere war – aber unkomplizierter auszutauschen als Billa mit seinen österreichweit über 1.000 Filialen.

Billa muss jetzt beweisen, dass die Marke ihrem Erbe gerecht wird. Und eins ist schon mal klar: Ein paar neue Klebefolien werden diesmal ganz sicher nicht ausreichen.

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