Dass große Affen wohl-situierten Moguln problemlos aufs Dach steigen können, hat zumindest die Filmgeschichte eindrucksvoll bewiesen. Seit einigen Monaten läuft ein großes Live-Experiment, ob das auch für den Lebensmitteleinzelhandel gilt.
Vor ziemlich genau einem Jahr lieferten ein paar überengagierte Radfahrer:innen in Berlin erstmals Käse, Bananen, Brot und Snacks aus, die Kund:innen wenige Minuten zuvor per App bestellt hatten. Seitdem hat das mit Risikokapital vollgepumpte Liefer-Start-up Gorillas zahlreiche weitere europäische Großstädte erobert (und ist in dieser Woche in New York gestartet). Bei Amazon lief’s andersherum: Vor vier Jahren importierte der Allesversender seinen Lebensmittellieferdienst Fresh nach Deutschland und beliefert Prime-Mitglieder seitdem auch mit frischen Produkten.
Eine Bestandsaufnahme mit der Frage: Wer ist der gefährlichere Herausforderer für Lidl, Edeka, Aldi & Co.? (Und mit Unterstützung von Supermarktblog-Lesern, die regelmäßig bei Fresh bestellen.)
1. Verfügbarkeit
Amazon Fresh liefert auch vier Jahre nach dem Start weiterhin nur in Berlin und Potsdam, München sowie Hamburg, das derzeit (noch) vom Berliner Lager mitversorgt wird.
Gorillas hat sich außer in Berlin, Hamburg und München in Frankfurt am Main, Köln, Bremen, Düsseldorf, Hannover, Leipzig, Nürnberg und Stuttgart ausgebreitet – deckt an den allermeisten Standorten jedoch nur Teile der jeweiligen Stadt ab. (Am breitesten bislang in Berlin, München, Hamburg und Köln.)
Das ergibt ein ziemliches Unentschieden.
2. Warenverfügbarkeit und Sortiment
„Frisch, lokal, bio – Lebensmittel & mehr gratis geliefert“: So wirbt Amazon seit einiger Zeit in seinen Kanälen für Fresh – und bildet Produkte dazu ab, von denen ein einziges „Bio“, aber keines „frisch“ oder „lokal“ ist. Immerhin kann man dem Konzern nicht vorwerfen, unnötig Geld für gutes Marketing auszugeben. Aber das ist gewiss nicht das größte Problem, das Fresh in Deutschland hat.

Deutlich ärgerlicher ist die Warenverfügbarkeit, die stärker schwankt als jedes Kirmes-Fahrgeschäft mit Überschlag. Bei vielen Artikeln ist unklar: Sind sie nur gerade nicht verfügbar? Oder schon komplett aus dem Sortiment genommen? Das ist vor allem für Kund:innen ärgerlich, die sich – wie im klassischen Supermarkt – an bestimmte Produkte gewöhnt haben und dann immer wieder umplanen müssen.
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Um ihnen die Entscheidung zu erleichtern, bietet Fresh Wiederbesteller:innen in der Rubrik „Letzte Einkäufe“ zwar Produkt-„Alternativen“ an – allerdings, ohne dass klar ist, wozu: Die ursprünglich gekauften Artikel werden dadurch nämlich unsichtbar. Das lässt die ein oder andere Empfehlung ziemlich kurios wirken. Und müllt die Liste mit Artikeln zu, an denen Kund:innen gar kein Interesse haben.
Ich hab mal nachgeschaut: Von den 100 zuletzt von mir bei Fresh bestellten Artikeln waren zu Beginn dieser Woche 24 gerade nicht oder gar nicht mehr verfügbar – fast ein Viertel. Die früher regelmäßig eingeblendete Anzeige, wann ein Artikel (voraussichtlich) wieder vorrätig sein wird, wird inzwischen seltener angezeigt. So weiß man nie, ob es sich vielleicht lohnt, mit der Bestellung noch zu warten. Oder ob die Bio-Kichererbsen einfach für mehrere Wochen in Ferien gefahren sind. (Schönen Aufenthalt!)

„Es ist ja okay wenn die Produkte vorübergehend nicht vorrätig sind“, sagt Supermarktblog-Leser Martin S. „Aber manche Artikel würde ich schon gerne wieder kaufen, wenn sie verfügbar sind, und die in den Einkaufswagen geben. So muß man immer eine Zweitliste führen und bei jeder Bestellung (…) erneut scannen. Das ist ziemlich nervig. Und im Amazon-Kundenzufriedenheits-Universum eigentlich ein Mangelhaft.“
Das Angebot aus der „Frischetheke“, in der es lange Zeit Wurst und Käse wie im Supermarkt zur Auswahl gab (zeitweise sogar nach Wunsch geschnitten), ist massiv eingedampft worden und größtenteils durch abgepackte Ware ersetzt.
Was die Sortimentsbreite betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Supermarktlog-Leser Marco P. bemängelt: „Amazon Fresh ist ungefähr so breit ausgestattet wie ein durchschnittlicher Edeka/Rewe in der Kleinstadt. Aber sobald man etwas über diesen guten Standard hinaus will, kann Amazon Fresh einfach nicht mithalten.“ Oliver B. ist hingegen zufrieden: „Bei Amazon gab es Convenience-Futter wie Wraps, Giovanni-Rana-Lasagne, Bio-Chicken-Nuggets aus Frankreich. Hab am Wochenende wirklich gerne in den Kühlschrank geguckt. Bei Rewe neulich war alles irgendwie ‚Rewe’.“
Gorillas verfügt mit seinen dezentralen Warenlagern naturgemäß über ein deutlich kleineres Sortiment im Vergleich zu Fresh, das aber je nach Standort ziemlich passgenau zusammengestellt wirkt. Auch hier ist die schwankende Warenverfügbarkeit aber ein Problem. Zeitweise sind komplette Teilsortimente an Grundnahrungsmitteln „ausverkauft“ (zum Beispiel: Brot). Oder die Nachbarschaft hat schon wieder den kompletten Brokkoli weggeordert.
Das hilft sicher dabei, den Ausschuss bis Ladenschluss gering zu halten. Wenn die Lieblingsmilchalternative oder die Eier allerdings auch am Ende des nächsten Tages immer noch nicht wieder im virtuellen Regal stehen und zeitweise riesige Lücken im Frischesortiment klaffen, klappt das nicht mit dem unkomplizierten Soforteinkauf, den Gorillas zusammen mit überzeugten Investoren propagiert.
(Kann aber natürlich sein, dass die Plakate, auf denen derzeit für „Mo Di Mi Do Fr Sa Gorillas“ geworben wird, bloß sagen wollen, dass man jeden Tag nachschauen muss, ob die gewünschten Artikel wieder verfügbar sind.)

Die Wichtigkeit regionaler Partnerschaften haben beide Anbieter erkannt und bringen tagesfrisch gebackene Brote vom Biobäcker, Kräuter aus lokalem Anbau, Fleisch vom (Bio-)Metzger. Fresh hat noch Delikatessen in petto. Gorillas ist mit mehreren lokalen Brauereien, Kaffeeröstern, örtlichen Öko-Lieferanten für Molkereiprodukte und einer ganzen Reihe von Spezialitäten-Produzenten im Geschäft. (Dafür bringen die in schwarz gekleideten Kurierfahrer:innen keine Getränkekisten vorbei.)
Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile, deshalb: ein weiteres Unentschieden.
3. Bestellprozess
Seit der Integration von Fresh in Amazons Mitgliederprogramm Prime (siehe Supermarktblog) haben die zuletzt im Hintergrund vorgenommenen Umstellungen am System die Loyalität von Fresh-Stammkund:innen über mehrere Monate auf eine harte Probe gestellt.
Wer „mehr als 75 unterschiedliche Artikel bestellen“ wollte, sollte „dafür bitte mehrere Bestellungen“ aufgeben. (Ich hab nicht rausfinden können, ob das weiterhin gilt.) Gleichzeitig wurde der Bestellwert für die kostenfreie Belieferung hochgesetzt. (Für eine Zweitlieferung muss also im Zeifel Gebühr bezahlt werden.)

Die Möglichkeit, Bestellungen nach deren Absenden noch zu verändern, funktionierte nicht mehr zuverlässig: Teilweise ließen sich weitere Produkte hinzufügen, andere aber nicht mehr löschen. Außerdem sollten „nur bei ausgewählten Bestellungen weiterhin Artikel“ hinzugefügt werden können – ohne zu sagen: bei welchen. Lange war das bis kurz vor Versand Standard. „Diese Fristnennung ist entfallen, stattdessen heißt es irgendwann urplötzlich (also auch schon am Tag davor), dass die Artikel verpackt werden und man nichts mehr hinzufügen könne, was recht schade ist. Auch kann man bei Artikeln nur noch die Anzahl erhöhen, aber nicht mehr reduzieren“, hat Supermarktblog-Leser Martin S. beobachtet. Alles stornieren und neu bestellen ist technisch möglich – bloß absurd kompliziert.
Dabei wird gerade die Bestellflexibilität, die in der Vergangenheit einwandfrei funktionierte, von vielen Kund:innen sehr geschätzt, wie Supermarktblog-Leser Oliver B. bestätigt: „Ich bestelle drei Tage vorher und füge dann immer wieder einzelne Artikel hinzu, zum Beispiel in Bus oder U-Bahn, und das Ergänzen geht bei Amazon unkomplizierter – das ‚Shoppen@BVG‘ ist für mich sehr angenehm.“
Die klassische Navigation durchs Sortiment ist eine ziemliche Zumutung (geworden) und gleicht einem endlosen Klicken durch Unterkategorien. Wer sich übers Fresh-Menü und den Punkt „Frisch & gekühlt“ zu „Frisches Gemüse“ hangelt (Klick), um dann „Gemüse aus Deutschland“ (Klick) zu sehen, gelangt auf eine weitere Unterseite „Obst & Gemüse aus Deutschland“, auf der dann noch mal in der Ecke „Mehr entdecken“ ausgewählt werden muss (Klick), um alle verfügbaren Produkte zu sehen. Der Weg zum frischen Käse führt über „Frisch & gekühlt“ zu „Eier- & Milchprodukte“ (Klick), Käse > „Mehr entdecken“ (Klick), „Kästetheke“ > „Alles anzeigen“ (Klick) und „Frischer Hartkäse“ > „Alles anzeigen“ (Klick), um zu einer spärlichen Auswahl aus abgepacktem und tatsächlich frischem Käse zu navigieren. (Für frischen Weichkäse bitte noch einmal zurücknavigieren und anderswo klicken.)
Jede Wette: Wer das designt hat, kauft unmöglich regelmäßig Lebensmittel über Amazon ein.
Leider funktioniert die Suchfunktion, insbesondere in der App, nicht deutlich besser: Bei der Warenzusammenstellung killt das System regelmäßig die im Suchfeld voreingestellte Auswahl „Amazon Fresh“ und zeigt dann Produkte an, die nicht über Fresh bestellbar sind. Per Filter lässt sich das manchmal regulieren – manchmal aber auch nicht. (Über die separat gebrandete Fresh-Startseite, die sich über das neue App-Menü aufrufen lässt [siehe hier im Text], scheint es besser zu funktionieren.)
Gorillas macht sich’s viel einfacher: Die Startseite in der App ist auch die Kategorienübersicht, mit einem Klick ist man beim Obst und Gemüse (das allerdings nicht nach Herkunftsländern aufgeschlüsselt wird). Dafür steht das komplette Sortiment jeder Kategorie auf einer nach unten scrollbaren Seite, per Abkürzung lässt sich zu den am oberen Rand einsehbaren Unterkategorien springen („Frühstück“ > „Butter & Margarine“). Das Beste ist aber: In jeder Hauptkategorie werden oben erst mal die Produkte eingeblendet, die man schon mal gekauft hat („Deine Favoriten“). Das erleichtert den Einkauf enorm.
Größter Nachteil der Schnellbestell-App: Den Warenkorb im Laufe des Tages schon mal für den Abend oder den nächsten Morgen zu befüllen, geht bei Gorillas eher nicht. Artikel, die von anderen Kund:innen weggekauft werden, löscht das System nach einem kurzen Hinweis nämlich automatisch – und man muss sie am Tag darauf neu hinzufügen. (Bei Fresh werden sie ausgegraut und können später nachbestellt werden; das funktioniert aber auch unterschiedlich gut.)
Trotzdem hat Gorillas beim Bestellprozess deutlich die Nase vorn und schlägt das katastrophal aufbereitete Klickdurcheinander von Fresh um Längen.
4. Lieferung
Gerade newsletterte Amazon seinen Fresh-Kund:innen stolz, „jetzt noch schneller“ liefern zu können – und tatsächlich hat sich nach der Ankündigung, Prime Now in Fresh aufgehen zu lassen (siehe Supermarktblog), einiges getan. Lieferzeitfenster sind in der Regel auch kurzfristig noch für denselben Tag oder Abend verfügbar, spätestens aber für den darauffolgenden Tag. (Was sich über längere Zeit deutlich schwieriger gestaltete – und über die Einblendung „Lieferfenster können ausverkauft sein“ kommuniziert wurde.) Das einzige Problem ist, dass alle Schnelligkeit nichts hilft, wenn wieder eine ganze Latte an Artikeln zum favorisierten Liefertermin nicht vorhanden ist.
Meine (subjektive) Beobachtung der vergangenen Wochen ist, dass Fresh am zuverlässigsten liefert, je zeitnaher bestellt wird – und Lücken vor allem bei Zeitfenstern am übernächsten Tag oder später entstehen. (Aber das kann auch Zufall sein.)

Eine massive Verschlechterung, die Fresh weit hinter viele Wettbewerber zurückgeworfen hat, ist, dass sich freie Lieferzeitfenster nur noch nach dem Einkauf auswählen lassen anstatt zuvor. So erfährt man immer erst zum Schluss, für welche Produkte man sich vorher schon eine Alternative hätte suchen müssen. (Was leider, siehe oben, oftmals notwendig ist.) Außerdem scheint die Verfügbarkeit in Abhängigkeit vom Wohnort stark zu variieren. Supermarktblog-Leser Martin S. berichtet: „Ein wenig schade finde ich nur, daß es zwischen 12 und 18 Uhr überhaupt keine Lieferfenster gibt.“ (An meiner Adresse aber schon.)
Das könnte auch damit zusammenhängen, dass Amazon einen Großteil der Fresh-Lieferungen auf sein Amazon-Flex-Modell umgestellt zu haben scheint. Einkäufe werden dann (wie bisher schon bei Prime Now) nicht von Kurierdiensten zugestellt, sondern von selbstständigen Fahrer:innen mit ihrem Privat-Pkw. Und die scheinen sehr, sehr unterschiedlich sorgsam mit den ihnen überlassenen Einkäufen umzugehen.
Dazu kommt, dass die kommissionierten Einkäufe seit einiger Zeit in blauen Prime-Now-Taschen verstaut und transportiert werden, in denen Ware so stark heruntertemperiert ist, dass nach dem Auspacken regelmäßig die Hälfte des frischen Obsts und Gemüses entsorgt werden muss, weil das zu lange zu nah am Kühlakku geklebt hat. Erfrorener Kopfsalat, tiefgekühlte Kiwi, vor Kälte glasig gewordene Radieschen und Bananen, die am Tag nach der Lieferung sofort mit der Selbstbräunung beginnen, sind die Regel. Supermarktblog-Leser Martin S. sagt: „Ich habe es mehrfach beim Kundenservice reklamiert, aber [frisches] Blattgemüse kommt immer gefroren an.“
Das macht Fresh ausgerechnet für Frischware – die mal ziemlich gut und lange haltbar war – zunehmend unbenutzbarer und muss durch Reklamationen der Kund:innen massive Abschriften verursachen, die sich durch einen durchdachteren Transport vermeiden ließen. Daran scheint Amazon derzeit aber kein gesteigertes Interesse zu haben.

Die unpraktischen neuen Prime-Papiertüten, in denen alles verstaut ist, sorgen durch fehlende Griffe dafür, dass die Einkäufe schlechter getragen und übergeben werden können.
Und die Vollständigkeit der Lieferungen scheint zu schwanken: Das, was tatsächlich bestellbar war, ist bei meinen Einkäufen der vergangenen Monate mit einer einzigen Ausnahme auch geliefert worden. Supermarktblog-Leser Martin S. berichtet hingegen: „Leider fehlen immer mal Produkte.“
Eines allerdings braucht sich Amazon nicht vorwerfen lassen: Dass die Fresh-Zusteller:innen unpünktlich wären. Gewählte Zeitfenster werden ausnahmslos eingehalten. Supermarktblog-Leser Marco P. sagt: „In vier Jahren und 325 Bestellungen war die größte Verspätung, die sie jemals hatten, 17 Minuten. SIEBZEHN Minuten – und als Hamburger werde ich aus Berlin beliefert!“

Gorillas bietet ausschließlich Sofortlieferung an und hat dadurch nicht nur den großen Vorteil, keine Touren planen zu müssen; Nutzer:innen der App kann auch immer genau das angezeigt werden, was gerade jetzt in diesem Moment noch verfügbar ist. Der Nachteil: Wenn die Lieblingsprodukte im Lager im Nachbarkiez bereitlägen, ließen sie sich trotzdem nicht von dort bestellen, weil jede Adresse einem Standort fest zugeordnet ist. Das ist nicht richtig clever gelöst.
Ein weiterer Minuspunkt ist, dass durch den Zeitdruck, alles in zehn Minuten geliefert zu haben, bei umfassenderen Bestellungen Artikel fehlen, falsche Mengen geliefert oder Bio-Artikel mit konventioneller Ware verwechselt werden. All das ließe sich vermeiden, wenn Kund:innen in der App anhaken könnten: Lasst euch ruhig eine Viertelstunde länger Zeit, Hauptsache der Einkauf kommt wie bestellt an.
Das bedeutet schon wieder: Unentschieden.
5. Lieferkosten
Auch in dieser Hinsicht hat sich Amazon gleichzeitig verbessert und verschlechtert. Verbessert, weil Fresh-Kund:innen die frühere Zusatz-Monatsgebühr nicht mehr bezahlen müssen – was angesichts des zunehmenden Wettbewerbs aber ohnehin nur noch schwer zu vermitteln wäre. Und verschlechtert, weil die kostenlose Lieferung bei Fresh nun einen Bestellwert ab 80 Euro voraussetzt. Das ist deutlich mehr als bei Prime Now, wo die Grenze zuletzt bei 60 Euro lag (zumindest in Berlin); los ging’s übrigens mal mit 20 Euro Warenwert, ab der Prime Now für Mitglieder kostenfrei nutzbar war.
Zwischen 20 und 80 Euro Warenwert müssen 3,99 Euro für die Lieferung im Zwei-Stunden-Zeitfenster gezahlt werden, und 6,99 Euro fürs Ein-Stunden-Zeitfenster. Über 80 Euro schlägt der Ein-Stunden-Service mit 3,99 Euro zu Buche.

Dagegen ist das Versprechen von Gorillas so glasklar wie unschlagbar: 1,80 Euro Lieferkosten ohne Mindestbestellwert, Lieferung: jetzt gleich. Wer zweimal die Woche Lebensmittel im Wert von – sagen wir: 40 Euro für sofort ordert, zahlt bei Gorillas dafür also 3,60 Euro, und bei Fresh 14 Euro (plus die anteilige Prime-Gebühr).
Gorillas Kernversprechen schlägt Amazons Gebührendschungel – um Längen.
6. Reklamation
Seit Anfang des Jahres war die Reklamation z.B. von erfrorenem Gemüse bei Fresh nicht mehr – wie bisher – über die Bestellübersicht möglich, sondern musste per Chat mit dem Kundenservice angestoßen werden. Ein erster Mitarbeiter bzw. eine erste Mitarbeiterin verwies nach der Formulierung des Anliegens an „ein spezielles Team, das Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen kann“, ein zweiter Mitarbeiter bzw. eine zweite Mitarbeiterin entschuldigte sich, erklärte, keine Ersatzlieferung, aber eine Gutschrift zu veranlassen (Bankkonto oder Amazon-Konto?) – und nach 10 bis 12 Minuten hatte man wieder seine Ruhe – bis zur nächsten Kopfsalatreklamation.

Auf meine Rückfrage beim Kundenservice, wieso das plötzlich so kompliziert sei, antwortete eine Mitarbeiterin, die Reklamation sei bei Fresh-Artikeln „oftmals nicht möglich“, weil im System „keine zu den spezifischen Produkten passenden Erstattungsründe“ auswählbar seien.
Nach rund fünf Monaten (und vier Jahre nach dem Deutschland-Start) scheint es aber gelungen zu sein, diese nachzuarbeiten. Deshalb funktioniert die „sofortige Gutschrift nach Übermittlung des Rückgabeauftrags“ jetzt wieder – falls die Kundschaft vorher nicht schon erfolgreich vergrault oder zur Nichtreklamation erzogen wurde.
Besonders mit Ruhm bekleckert sich auch Gorillas in dieser Hinsicht nicht. Wer im Anschluss an eine Bestellung zeitnah im Feedback-Formular den Daumen wegen der fehlenden Avocado senkt, erhält eine Gutschrift in Fantasiehöhe; spätere Produkt-Reklamationen werden aber auch gerne wegignoriert – und als Kund:in verrechnet man den so entstandenen Verlust in Gedanken mit dem nächsten Rabatt, der regelmäßig anlasslos gewährt wird.
Dank der Rückkehr zur unkomplizierten Sofortreklamation liegt diesmal Fresh in Führung.
7. Stadtverträglichkeit und Arbeitsbedingungen
Amazon scheint Fresh-Einkäufe aktuell – wie erwähnt – vor allem von privaten Zusteller:innen ausliefern zu lassen; davor kamen regelmäßig (Miet-)Transporter zum Einsatz. In beiden Fällen ist unklar, wie die Fahrzeuge ausgelastet sind und wie oft am Tag unterschiedliche Fahrer:innen in dieselben Straßen kurven, um Bestellungen abzuwerfen. Nachhaltig ist das tendenziell eher nicht.
Und von der anfangs mit Prime Now propagierten Lieferung mit umweltverträglichen Lastenrädern ist Amazon derzeit weit entfernt (während Konkurrent Rewe genau das in ausgewählten Städten testet).
Gorillas stellt dank der Nähe der Warenlager zu den Kund:innen (bislang) ausschließlich per E-Bike zu, ist zuletzt aber in die Kritik geraten, weil an vielen Standorten Gehwege als Parkplätze für die Fahrradflotte zweckentfremdet wurden. Nachbar:innen beschweren sich auch über die Lautstärke vor den Lagern, das massiv gestiegene Verkehrsaufkommen im Umfeld und ständige Anlieferungen (siehe Supermarktblog). Das kann Amazon im Industriegebiet so schnell nicht passieren.

Wer schon immer mal davon geträumt hat, einen Verleih für Papiertüten zu eröffnen, der darf seinen Traum dank regelmäßiger Bestellungen bei beiden Anbietern bald verwirklichen. Einkäufe werden sehr großzügig auf (nicht separat berechnete) Tüten verteilt.
Beide Unternehmen stehen zudem wegen ihres Umgangs mit Mitarbeiter:innen in der Kritik. Bei Amazon gilt das nicht speziell für Fresh, Gewerkschaften kritisieren aber seit Jahren den hohen Druck und die Arbeitsbedingungen an Lagerstandorten. (In den USA hatte der Konzern zuletzt zudem Ärger mit Pinkelgate.)
Auch Gorillas-Fahrer:innen kämpfen gegen die – ihrer Meinung nach teilweise unfairen – Arbeitspraktiken des schnell wachsenden Start-ups, bislang allerdings vornehmlich in der Anonymität. Das Gorillas-Management hatte mehrfach Besserung zugesagt; die Regenausrüstung der auch bei schlechtem Wetter durch die Stadt eilenden Fahrer:innen machte zuletzt einen sehr soliden Eindruck. An diesem Donnerstag bleibt Gorillas in Berlin geschlossen, damit alle Mitarbeitenden sich an der Wahl eines Betriebsrats beteiligen können.
Weil sich all das nur schwer gegeneinander abwägen lässt, spar ich mir an dieser Stelle eine Wertung.
Fazit
Die Bilanz fällt – nicht nur bei mir – gemischt aus. Supermarktblog-Leser Marco P. urteilt über die Veränderungen bei Amazon Fresh: „Über all [die] Einschränkungen habe ich inzwischen meinen lokalen Supermarkt wieder schätzen gelernt: Da kriege ich nicht nur Persil Pulver, ich kriege es auch sehr zuverlässig, immer wenn ich dort bin, es steht immer an der gleichen Stelle (…).“ Martin S. meint hingegen: „Wenn man den ‚Dreh’ raus hat, überwiegt der Spaß. Eine Regel ist z.B., früh den Wunschtermin zu reservieren und dann (rechtzeitig) die restlichen Artikel nachzuordern.“
Sonderlich einfach hat es Amazon seinen Kund:innen zuletzt jedoch nicht gemacht, Fresh wirklich als vollwertigen und verlässlichen Supermarkt-Ersatz zu begreifen.
Davon ist auch Gorillas – anders als vielfach behauptet wird – noch weit entfernt. Erstaunlich ist aber, wie zügig sich das Angebot weiterentwickelt, wie clever Sortimente auf die Nachbarschaft zugeschnitten werden und wie die Kooperation mit kleineren Produzent:innen und lokalen Anbieter:innen stetig ausgeweitet wird. Wer keine riesige Auswahl braucht, ist mit der Gorillas-Lieferung – auch für Obst und Gemüse, das meist knackig und frisch ankommt – gut bedient. Das gilt aber freilich nur für eine überschaubare Zahl an Kund:innen, die im Liefergebiet wohnt.
Um den Küchen- und Kühlschrank mit einer breiteren Auswahl an Pasta, Reis, Konserven, klassischen Markenartikeln und Tegut-Produkten aufzufüllen, ist Amazon Fresh nach wie vor – auch dank der zeitnahen Auswahl an Lieferzeitfenstern – eine gute Wahl. Die Bestellung frischer Artikel wird aber wegen der beschriebenen Transportprobleme zunehmend zum Roulette-Spiel, bei dem nicht klar ist, welches Gemüse diesmal die Schock-Tiefkühlung überstehen wird.
Um den stationären Supermärkten endgültig den Rang abzulaufen, werden sich sowohl Amazon Fresh als auch Gorillas weiter ins Zeug legen müssen.
Fakt ist aber: Nie war es für Kund:innen (in Großstädten) einfacher, sich Lebensmittel zeitnah und schnell nachhause zu bestellen, ohne dafür selbst Einkäufe schleppen und an der Kasse im Markt anstehen zu müssen.
Großen Dank an Oliver B., Marco P. und Martin S. für die Unterstützung und die Eindrücke!
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Der Beitrag Gorillas vs. Amazon Fresh – wer liefert ab? erschien zuerst auf Supermarktblog.