Zu Beginn des Jahres hat das Werbefachmagazin “Horizont” den Edeka-Vorstandsvorsitzenden Markus Mosa zum “Marketingmann des Jahres” gewählt und sich dabei sehr tief vor ihm verbeugt.
Mosa führe mit “imponierender Zielstrebigkeit” und entwickele das Unternehmen mit “kundenorientiertem Innovationsgeist” weiter, er sei “Regisseur einer Liebesgeschichte in Blau-Gelb” (also den Edeka-Farben). Nachdem der Preisträger sich im “Horizont”-Interview sehr selbstsicher geäußert hatte, fand die Redaktion:
“Große Töne eines Managers, dessen Selbstbewusstsein vom Erfolg herrührt und daher ernst zu nehmen ist. Keine Frage, wem der Innovationsnimbus gebührt.”
Das ist ein erstaunliches Lob angesichts der Tatsache, dass Edeka zu ungefähr keinem der Zukunftsthemen, die derzeit den Lebensmittelhandel in Deutschland beschäftigen, was zu sagen hat.
Ein schlüssiges Konzept zur Online-Bestellung von Lebensmitteln gibt es bei Edeka nicht. Tests mit neuen Ladenformaten werden dem direkten Konkurrenten Rewe überlassen (“Rewe to Go”, “Temma”, “Made by Rewe”). Wie Edeka dem Trend zu Convenience-Lebensmitteln begegnet, ist unklar.
Das liegt zum Teil daran, dass der Konzern stark damit beschäftigt ist, seine in jahrelanger Kleinarbeit gepflanzten Irrgartenstrukturen auf ein verträgliches Maß zurückzustutzen. Die größte Edeka-Regionalgesellschaft Minden-Hannover hat kürzlich die unterschiedlichen Ladenmarken “aktiv markt”, “nah und gut” sowie gerade erst “aktiv discount” abgeschafft, jetzt sind die Vorkassenbäcker dran.
Derweil verkündet die Zentrale mit Stolz: Obst und Gemüse heißt ab sofort nicht mehr “Rio Grande” oder “Gärtners Beste”, sondern einheitlich “Edeka”. (Gleichzeitig werden neue Irrgärten gepflanzt, z.B. die Regionalmarke “Bauer’s Beste”, auch noch mit Deppenapostroph.)
Alles, was im modernen Lebensmittelhandel eigentlich selbstverständlich sein müsste, ist aus Edeka-Sicht, wenn es endlich auch bei Deutschlands größter Supermarktkette ankommt, ein Riesenfortschritt.
Zum Teil ist das in der Struktur des Unternehmens angelegt: Nicht nur die Zentrale, sondern vor allem die sieben Regionalgesellschaften wollen bestimmen, wo’s langgeht. Auch selbstständige Kaufleute haben, wenn sie erstmal ein paar gut laufende Läden in ihrer Region besitzen, einen gewissen Einfluss. Das führt dazu, dass Edeka in jedem Bundesland, ja in jeder Stadt von den Kunden anders wahrgenommen wird.
Mosas Job ist es, diese Wahrnehmung radikal zu vereinfachen. Mit Werbekampagnen wie “Wir lieben Lebensmittel”. Und der Geschichte vom sympathischen Händler um die Ecke, dem Tradition und Fortschritt gleich wichtig sind. “Wir sind moderner geworden, aber auch mutiger!”, hat er im “Horizont”-Interview gesagt. (Wieso: aber?) Wobei Mut für Mosa keineswegs bedeutet, Risiken einzugehen:
“Wir wollen auch keine Revolution. Wir nennen es intern Kontinnovation.” (Gemeint ist vermutlich eine Mischung aus Kontinuität und Innovation.)
Das ist nicht nur sprachlich großer Murks.
Der Edeka-Chef zielt mit seinen Bemerkungen in erster Linie auf den Umbau der Eigenmarkenstrategie, die vor einigen Jahren noch hoffnungslos veraltet war. In mehreren Modernisierungsrunden haben die Produkte ein zeitgemäßes Design verpasst bekommen, zig Namen wurden aussortiert, jetzt steht das meiste unter dem schlichten Namen “Edeka” im Regal. 150 Neuerungen brächte man jedes Jahr in die Läden, sagt Mosa. Der Anteil der Eigenmarken am Sortiment liege inzwischen bei “über 25 Prozent”. Das kommt den Einkaufsgewohnheiten der Kunden entgegen. Es bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass in den Regalen weniger Platz ist für Produkte der klassischen Markenhersteller.
Die Freundlichkeit gegenüber den bisherigen “Partnern” hält sich inzwischen in Grenzen.
“Unser Anspruch ist, unter ‘Edeka’ echte Innovationen auf den Markt zu bringen. (…) Das müssen wir sogar, weil die Markenhersteller kaum noch echte Innovationen auf den Markt bringen, sondern nur noch Me-too-Produkte. Diese Lücke müssen wir schließen, damit die Kunden nicht abwandern.”
Sagt der Vorstand einer Supermarktkette, die viele ihrer Eigenmarken ganz bewusst so verpackt, dass sie der Markenkonkurrenz zum Verwechseln ähnlich sehen. Und die in einer Tour Me-too-Produkte in die Läden bringt: Toppits-Frischhaltebeutel mit Zipper-Verschluss heißen bei Edeka “Ziptec”; und die Edeka-”Granini Für dich”-Bonbons werden direkt neben “Nimm 2″ von Storck positioniert.
Die “echten Innovationen”, die Mosa meint, sind die Frankensteinwurst, in die Fischfett reingerührt wird, um sie als “gesund” bewerben zu können, und das Hack-Fixgericht aus der Tüte, bei dem kein frisches Hack mehr dazu gegeben werden muss (siehe Supermarktblog).
Mit dem “Supergeil”-Spot, der zum Social-Media-Phänomen geworden ist, gelingt es jetzt sogar, sich gleichzeitig als modern zu positionieren. Nach dem Hype weiß inzwischen wirklich jeder Kunde, dass die Edeka-Eigenmarken, die Entertainer Friedrich Liechtenstein im Spot so sympathisch betanzt, “supergeil” sind.
Dass es die Produkte auch beim Edeka-eigenen Discounter Netto (ohne Hund) gibt, ein bisschen hässlicher verpackt, aber mit denselben Zutaten und Inhaltsstoffen, eher nicht.
Das gilt selbst für die Frankenwiener, auf die Edeka so stolz ist:
Netto (ohne Hund) bietet die Produkte zum Teil sogar billiger an: Der Kirsch-Banane-Smoothie aus dem “Supergeil”-Spot ist im Edeka-Center in Berlin 14 Cent teurer als die identische Netto-(ohne Hund)-Variante.
Das “Triple-Choc”-Knusper-Müsli kostet 20 Cent mehr.
Bei den Omega-3-Würstchen hängt bei Edeka Reichelt zwar noch der alte Preis (2,79 Euro) am Regal, auf dem Einkaufszettel steht dann aber schon der angepasste (2,49 Euro), der auch bei Netto (ohne Hund) gilt.
Nun sind solche Preisunterschiede für Kunden ärgerlich, im Wettbewerb zwischen Discountern und Supermärkten aber auch bei klassischen Markenprodukten keine Seltenheit.
Viel erstaunlicher ist, dass sich Edeka mit dieser Strategie selbst im Weg steht. Viele Kaufleute, die eigene Märkte betreiben, sind schon länger skeptisch, ob es eine gute Idee war, sich mit der Übernahme von Netto (ohne Hund) die Billigkonkurrenz ins eigene Haus zu holen. Noch dazu eine, die sich über ihr supermarktiges Sortiment zu profilieren versucht. Als Alleinstellungsmerkmal wären vielfältige, innovative Edeka-Eigenmarken geradezu ideal. Dafür dürfte es die aber auch nirgendwo anders zu kaufen geben.
Womöglich besteht darin die eigentliche Leistung des Vorstandsvorsitzenden: Kunden davon zu überzeugen, im Supermarkt Eigenmarken zu kaufen, die im Discounter günstiger zu haben sind; und selbstständigen Kaufleuten zu erklären, ihr Erfolg stünde bei Edeka im Vordergrund, obwohl jeder kleine Vorsprung der Supermärkte dann doch wieder mit Netto (ohne Hund) geteilt werden muss.
So gesehen hat sich Markus Mosa seine Auszeichnung als “Marketingmann des Jahres” auf jeden Fall verdient.
Fotos: Supermarktblog