Den Überraschungseffekt hatte Edeka definitiv auf seiner Seite, als die Handelskette in dieser Woche Werbeplakate in deutschen Städten aufhängen ließ, auf denen sich die eigene Discount-Schwester Netto (ohne Hund) frontal andissen lassen muss. Auf dem Motiv ist zu lesen:
„Ungünstig: Dann gehst du zu Netto, aber findest nicht alles.
Günstig: Alles günstig bei Edeka bekommen.“
Der erste Satz und das dazu abgebildete – verwirrenderweise ins Nirgendwo zeigende – Mädchen spielen auf eine frühere Werbung des Discounters an („Dann geh doch zu Netto“). Das ist durchaus bemerkenswert, weil eine ungeschriebene Regel – nicht nur im deutschen Lebensmitteleinzelhandel, sondern über die allermeisten Branchen hinweg – lautet, dass es sich nicht schickt, Unternehmen aus der eigenen Markenfamilie gegenüber Kund:innen anzugehen.
VW würde eher nicht auf die Idee kommen, Škoda an den Karren zu fahren, Coca-Cola würde keine Kampagne gegen Sprite lancieren und Lidl niemals über Kaufland spotten – warum auch? Die Liste der Konkurrenten, die sich stattdessen provozieren lassen, wenn man es schon darauf anlegt, ist lange genug. (Wie der Lebensmitteleinzelhandel regelmäßig mit sinnlosen Werbekämpfchen belegt.)
Womöglich hat Edeka – bzw. die für das Unternehmen dahin stümpernde Werbeagentur Jung von Matt – genau darauf gesetzt: den Effekt, dass Betrachter:innen des Motivs darüber staunen, warum Edeka sich ausgerechnet Netto (ohne Hund) zur Brust nimmt.
Voll aufgegangene Strategie
In diesem Fall ist die Strategie voll aufgegangen: Fotos der Kampagne geistern munter durch die sozialen Medien, wo verwunderte Nutzer:innen (und dieses Blog) es posten, ohne dass Edeka zusätzliches Budget dafür bereitstellen müsste. In diesem Fall: Herzlichen Glückwunsch für soviel Chuzpe!
Eine alternative Lesart wäre, dass die Breitseite tatsächlich der Tatsache geschuldet ist, wie wenig (vor allem selbstständige) Edeka-Kaufleute davon begeistert sind, dass ihnen ihre Zentrale mit Netto (ohne Hund) einen zusätzlichen Wettbewerber vor die Nase gesetzt hat. Das passt auf den ersten Blick auch zur Auskunft, die die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo-Text) bei Edeka zur Kampagne eingeholt hat. Die lautet:
„Aus Sicht von Edeka ist Netto Wettbewerb und deshalb gezielt ausgewählt worden.“
Das Motiv gehöre zu einer „Preiskampagne“, in der „witzige Alltagssituationen“ als „ungünstig“ charakterisiert würden, um ihnen „günstige Aktionsartikel“ von Edeka entgegen zu stellen.

Das allerdings dürfte eine Perspektive sein, die viele Edeka-Kaufleute vermutlich nicht zuallererst einnehmen würden, um für sich und ihre Leistungen als selbstständige Händler:innen zu werben. Als vor anderthalb Jahren Corona-bedingt vorübergehend die Mehrwertsteuer gesenkt wurde und sich die deutschen Discounter ein Preisscharmützel lieferten, versuchten die Kaufleute der Regionalgesellschaft Edeka Südwest gegenzusteuern – und formulierten per Zeitungsanzeige, dass für gute Lebensmittel nicht alleine der (in diesem Fall: niedrigste) Preis entscheidend sein (siehe Supermarktblog). Dazu hieß es:
„Wir können Regionalität, Frische, Auswahl und Service …
Wir können Bio, Nachhaltigkeit und Tierwohl …“
(Bevor kurze Zeit darauf dann doch wieder Anzeigen mit abstürzenden Preisen in die Regionalblätter gedruckt wurden, ebenfalls von Edeka Südwest.)

Am Ende zählt nicht nur der Preis
Einer muss damals ganz genau hingesehen haben: Netto (ohne Hund). Denn dort wirbt man seit geraumer Zeit mit fast exakt den Kompetenzen, die eigentlich Edeka für sich reklamiert. Selbstverständlich kommt auch der Discounter nicht ohne Preiswerbung aus; im aktuellen Wochenprospekt sind seitenweise Aktionsartikel abgedruckt. Bemerkenswert ist jedoch, wie sehr sich Netto (ohne Hund) zwischendurch als vollwertiger Lebensmittelhändler zu positionieren versucht, der genau verstanden hat, dass der Kundschaft nicht nur der Preis wichtig ist.
Über die Seiten verteilt ist Netto (ohne Hund) deshalb:
„Der Ort, an dem man sich an der Vielfalt schon satt sehen kann“ (inklusive Obst und Gemüse in Bio-Qualität)
„Der Ort mit allem, was du für den Veganuary brauchst“
„Der Ort, an dem du deine Gerichte klassisch oder vegan zubereiten kannst“ (mit konkretem Rezeptvorschlag)
„Der Ort, an dem Vielfalt einfach jedem schmeckt“
„Der Ort, an dem Frische in aller Munde ist“

Da muss man auch erstmal drauf kommen: Dass der Discounter in Deutschlands größtem Handelsunternehmen für Lebensmittel mit „saftig frischer Apfel-Auswahl“ zum „Tag des deutschen Apfels“ wirbt; und der Supermarkt mit dem riesigen Vollsortiment dafür, „alles günstig“ anzubieten.
Die Angst vor der Abwanderung
Letzteres mag der Furcht geschuldet sein, die zunehmende Inflation könnte die Kund:innen wieder zurück in die Filialen der Discounter treiben, so wie es Edeka-Chef Markus Mosa schon einmal im ersten Corona-Jahr prognostiziert hatte („die Verbraucher [werden] in den kommenden Wochen und Monaten beim Einkaufen von Lebensmitteln wieder preissensibler werden“, „Lebensmittel Zeitung“ vom April 2020) – um dann von der eigenen Kundschaft, die einfach Bock auf leckere Lebensmittel aus Supermarkt hatte, eines Besseren belehrt zu werden.
Die Marktforscher:innen der GfK errechneten in ihrem „Consumer Index“ für die „LEH Food-Vollsortimenter“ (also: Supermärkte) bezogen auf die ersten zehn Monate 2021 zuletzt „rund viereinhalb Prozent Mehrumsatz“ [PDF] im Vergleich zum Vorjahr (das umsatztechnisch auch schon Bombe gelaufen war).
Das erklärt auch ganz gut, warum Netto (ohne Hund) so für sich wirbt wie oben beschrieben. (Und auch die anderen Discounter sich zunehmend mit Vielfalt, Bio und Mehrwert zu schmücken versuchen: um Kund:innen [zurück] zu gewinnen.)
Jeder wirbt dafür, wie der andere zu sein
Zusammengefasst bedeutet das allerdings, dass zwei absichtlich unterschiedlich positionierte Unternehmen, die zum gleichen Handelskonzern gehören, sehr viel Geld dafür ausgeben, in der Werbung zu demonstrieren, dass sie dieselbe Kernkompetenz wie der andere besitzen – und darin im Zweifel sogar noch ein bisschen besser sind. Das mag für Aufmerksamkeit sorgen. Gesamtstrategisch ist es aber ungüns… – ach was: wahnsinnig dumm.
Viel schlauer wäre es, wenn sich sowohl Netto (ohne Hund) als auch Edeka auf das Naheliegende besinnen würden: nämlich in ihren jeweiligen Vertriebsschienen zu punkten, anstatt sich gegenseitig Kund:innen streitig zu machen – und im Zweifel herauszustellen, warum sie die bessere Einkaufsstätte sind als die direkte Konkurrenz.
Aber das wäre vermutlich mühsamer als die Tram-Haltestellen deutscher Städte mit einem Krawallspruch zuzutapezieren, damit man sich in der Hamburger Werbeagentur nachher auf die Schulter klopfen kann, wie gut das in Social Media funktioniert hat.
Es kann sich nur noch um Stunden handeln, bis die Konkurrenz ihr erstes Gegenmotiv aufhängt. Irgendwo wird sicher gerade unter Hochdruck gearbeitet – an: „Wenn zwei sich streiten: Erstmal zu Penny!“
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Der Beitrag Ungünstig: Warum Edekas inszenierter Werbeangriff auf Netto (ohne Hund) Murks ist erschien zuerst auf Supermarktblog.