Quantcast
Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 1004

Aldi vs. Lidl vs. die Gegenwart: Müssen Discounter Online können?

$
0
0
Partner und Sponsoren:
Partner und Sponsoren:

Contra: Schluss mit den Illusionen!

War doch klar, dass das nicht funktionieren würde: Ein paar Wochen ist es her, dass Aldi in Großbritannien seine Zusammenarbeit mit dem Schnelllieferdienst Deliveroo für beendet erklärte. In der Anfangsphase der Pandemie hatte sich der Discounter mit dem Liefer-Start-up zusammengetan, um App-Besteller:innen Lebensmittel innerhalb von 30 Minuten nachhause zu bringen (siehe Supermarktblog). Im Laufe der Monate war die Zusammenarbeit landesweit auf 129 Aldi-Märkte ausgeweitet worden.

Die Nachfrage hielt sich zum Schluss aber offensichtlich stark in Grenzen, weil viele Kund:innen im Laufe der vergangenen Monate wieder zu ihren früheren Einkaufsgewohnheiten zurückgekehrt sind: in die normalen Läden.

Aldis Kooperation mit Deliveroo ist wieder Geschichte: Foto: Aldi UK

Daten der britischen Marktforscher:innen von Kantar belegen diese Entwicklung. Im Vergleich zum Vorjahresmonat schmolz der Markanteil des Online-Lebensmittelhandels in Großbritannien im Dezember 2021 um 3,7 Prozentpunkte ab. Viele Kund:innen sehen keine Notwendigkeit mehr, zuhause darauf zu warten, den Einkauf an die Tür gebracht zu kriegen.


Den Discountern kann es nur recht sein. Weil die Online-Zustellung von Einkäufen schlicht und einfach nicht in ihr Modell passt, das darauf setzt, eine überschaubare Auswahl qualitativ ordentlicher Lebensmittel zum Niedrigpreis anzubieten. Die Margen dieses Geschäfts lassen eine teure Heimzustellung kaum zu – und die preisempfindliche Kundschaft hat schlicht keine Lust, Aufschläge und Lieferkosten dafür zu bezahlen, nicht selbst durch die Regalreihen gehen zu müssen. Zumindest, wenn dafür gerade keine unmittelbare Notwendigkeit besteht.

Aldi Großbritannien erklärt, man wolle an seinem ebenfalls während der Pandemie etablierten Click-&-Collect-Service festhalten, bei dem in über 200 Märkten online vorbestellte Einkäufe fertig gepackt mitgenommen werden können.

Aber auch bei diesem Dienst hatte die Handelskette in den vergangenen Monaten ausgesiebt und Kund:innen einzelner Filialen davon in Kenntnis gesetzt, dass Click & Collect für ihren bisher genutzten Markt nicht mehr verfügbar sei:

„Unfortunately, we will no longer be offering a Click & Collect grocery service in your store, Lea Bridge, from 22nd October 2021. (…) Aldi Grocery Click & Collect services are available from your neighbouring store, Kidbrooke Park Way. Alternatively click here to search other Click & Collect stores in your area. We would like to take this opportunity to apologise for any inconvenience this may cause.“

Ganz offensichtlich ist die Gewohnheit der Stammkundschaft, Produkte des täglichen Bedarfs zum möglichst günstigen Preis zu erhalten, doch stärker als die vermeintliche Zeit- und Aufwandsersparnis, wenn Lebensmittel mit Zusatzkosten online bestellt werden können. Insbesondere, wenn zahlreiche Haushalte angesichts steigender Inflation wieder stärker auf die Preise achten (müssen).

Die stationäre Expansion steht bei Lidl im Vordergrund; Foto: Smb

Der bisherige Lidl-Chef für Großbritannien, Christian Härtnagel (der seit dem 1. März das Deutschland-Geschäft verantwortet), machte kürzlich unmissverständlich klar, wo die Prioritäten seines Unternehmens liegen: in der stationären Expansion. In der Zukunft würden fast 90 Prozent der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel weiterhin stationär erzielt. „Das ist für uns in Ordnung“, sagte Härtnagel – und erklärte, der Umsatzzuwachs von Lidl in Großbritannien sei wegen eines „laser focus on our business model“ möglich gewesen – ohne die „Ablenkung durch Heimzustellungen“.

Klarer kann man’s doch eigentlich nicht sagen: Die Discounter sind nicht trotz des fehlenden Online-Geschäft so erfolgreich – sondern genau deswegen. Weil es wichtiger ist, sich aufs Kerngeschäft zu fokussieren, als in einem Markt zu verzetteln, der ohne Pandemie als Beschleuniger eher stagnieren wird.


Pro: Passt euch endlich an!

Wenn die großen Discounter gerne einen Blick in ihre Zukunft werfen möchten: bitteschön, kein Problem! Die Analyst:innen des Marketing-Unternehmens Cardlytics haben kürzlich aus Millionen britischer Banktransaktionen ermittelt, dass den stationären Supermärkten bis zu 20 Prozent ihrer Umsätze flöten gegangen sein könnten, weil zahlreiche Kund:innen einen Teil ihrer Lebensmittel-Einkäufe auf die neuen Sofortlieferdienste verlagert haben, die in Großstädten eigene Stadtlager eröffnet haben und Kund:innen regelmäßig mit Rabatten locken.

Der überhitzte Quick-Commerce-Markt wird sich höchstwahrscheinlich bald konsolidieren; aber die bis dahin etablierte Gewöhnung der Kund:innen wird sich so leicht nicht mehr zurückdrehen lassen.

Der Online-Einkauf und die zeitnahe Zustellung frischer Lebensmittel ist für viele zur Selbstverständlichkeit geworden, und die wenigsten werden sich in Zukunft noch in die Schlangen klassischer Läden stellen wollen, um darauf zu warten, dass der Discounter ihres Vertrauens eine zweite Kasse eröffnet und ihnen großzügig das Bezahlen ermöglicht.

In der Pandemie hat ohnehin ein großer Teil der Kundschaft erkannt, dass beim Lebensmitteleinkauf nicht alleine der Preis zählt. Sondern Auswahl, Vertrauen, Vielfalt.

Lidl lockt junge Kund:innen, will aber nicht auf deren veränderte Einkaufsgewohnheiten eingehen; Foto: Smb

Natürlich können Aldi, Lidl & Co. auch im Jahr 2022 darauf bestehen, nicht von ihrem in die Jahre gekommenen Geschäftsmodell abzuweichen – aber es hilft den Ketten ja nix, zunehmend auf Lebensmittel in Bio-Qualität, Produkte für Vegetarierinnen und Veganer sowie alternative rnährungsstile zu setzen, wenn die Hauptzielgruppe dieser Sortimente gar nicht mehr zu ihnen in die Läden kommt, weil sie ihr Einkaufsverhalten nachhaltig geändert hat und gelernt, dass sich sie anderswo sehr viel flexibler versorgt wird. Auch wenn das vielleicht ein paar Cent mehr kostet.

Wenn die Discounter die Möglichkeit, Lebensmittel online einzukaufen (und gar nicht unbedingt auch: zu liefern), weiterhin ignorieren, werden sie es insbesondere bei den jungen Familien, die über viele Jahre in mühevoller Arbeit von den Supermärkten weggelockt wurden, schwer haben.

Es mag sein, dass der Marktanteil des Online-Lebensmittelhandels ohne die Einschränkungen einer globalen Pandemie nicht mehr so schnell zunehmen wird wie in den vergangenen anderthalb Jahren. Aber selbst wenn der für Großbritannien prognostizierte Rückgang von Dauer sein wird, entfallen dort am Ende immer noch stattliche 12 Prozent des Markts auf Online-Lebensmittel.

Im United Kingdom, wo es immer noch ausreichend Gelegenheit gibt, den großen vier Supermarktketten Umsätze abzujagen, mag es für Lidl & Co. tolerabel sein, das zu ignorieren. In Deutschland allerdings, wo der Anteil noch sehr viel geringer ist und über längere Zeit deutlich steigen dürfte, wäre es für die Discounter fatal, auf diese Kund:innen zu verzichten – weil dadurch langfristig auch ihr Gesamtmarktanteil gefährdet wäre.

Hofer liefert mit Dienstleister Roksh in Wien; Screenshot: hofer.at

All das wissen die Handelsketten ja selbst: Deshalb testen Aldi bzw. Hofer in europäischen Nachbarländern (konkret: in Zürich und Wien) die Zustellung von Einkäufen am selben bzw. am nächsten Tag mit externen Partnern; und in Polen, Irland, Italien kooperieren auch Kaufland und Lidl längst mit Dienstleistern, die für sie die Zustellung (und teilweise die Kommissionierung) von Online-Einkäufen übernehmen.

In den USA ist der Deal zwischen Aldi und Instacart zudem schon seit Jahren Selbstverständlichkeit – und wird in 95 Prozent aller Märkte angeboten. Der Abholservice („curbside pickup“) soll bis Ende des Jahres auf 1.500 US-Standorte ausgeweitet werden. Geht doch!

Bislang konnten sich die trägen Discounter es leisten, in ihrem Heimatmarkt darauf zu verzichten, weil die Kund:innen kaum Alternativen hatten. Das ändert sich gerade. Wer sich dem nicht anpasst, verliert zwangsläufig an Relevanz – und Kund:innen noch dazu.

Es wird höchste Zeit für Aldi., Lidl & Co., die Online-Herausforderung endlich ernst- und anzunehmen. Ein funktionierendes Modell, um landesweit tausende Filialen zu bauen, zu beleuchten, gleichzeitig zu heizen und zu kühlen, obwohl sich dort zu bestimmten Zeiten die einkaufenden Kund:innen an einer Hand abzählen lassen, haben sie ja schließlich auch gefunden.

Das Supermarktblog erscheint unabhängig von großen Verlagen. Ihre Unterstützung hilft mir dabei, dass hier im Blog auch in Zukunft unabhängige und kritische Texte publiziert werden können. Machen Sie mit? Geht ganz einfach und dauert nur eine Minute. Herzlichen Dank dafür!
-->

Der Beitrag Aldi vs. Lidl vs. die Gegenwart: Müssen Discounter Online können? erschien zuerst auf Supermarktblog.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 1004