Am Dienstag dieser Woche ist es tatsächlich passiert: Der niederländisch-deutsche Lebensmittel-Lieferdienst Picnic hat sich aus Nordrhein-Westfalen herausgewagt und ist in Hamburg gestartet (siehe Exciting Commerce). Dort rollen die kleinen E-Transporter zwar erstmal nur durch Randgebiete rund um die City-Hubs in Billbrook, Langenhorn und Rellingen; auf der Warteliste stehen laut Unternehmsangaben aber bereits 23.000 weitere Hamburger:innen, die gerne bei Picnic bestellen würden.
Und im Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“ konnte Picnic-Deutschland-Chef Frederic Knaudt wieder einen seiner Greatest Hits schmettern: den vom Milchmannprinzip mit der Kostenloslieferung.
„Wir bringen alle Lebensmittel zum günstigsten Preis gratis nach Hause.“
In Hamburg (und mit Verspätung demnächst auch in Berlin) wird sich weisen, ob das Picnic-Prinzip auch in Großstädten funktioniert. (Amsterdam als größte niederländische Picnic-Stadt hat nicht mal halb so viele Einwohner:innen wie Hamburg.)
Ein unschätzbarer Vorteil des Modells ist dabei tatsächlich, dass es sich so leicht erklären und kommunizieren lässt: Wer sich als Kund:in damit anfreunden kann, in einem der fest vorgegebenen Zeitfenster beliefert zu werden, muss sich um Liefergebühren keine Gedanken machen. Damit fällt eine wesentliche Hürde zum Ausprobieren oder Wiederbestellen weg. Das ist für Picnic im Markt weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal.
Fresh-Zusatzgebühren wieder einkassiert
Auch wenn mancher Konkurrent ebenfalls verstanden hat, dass man den Nutzer:innen den Einkauf möglichst einfach machen muss, um eine Gewohnheit draus werden zu lassen.
Oda aus Norwegen, das bislang Berlin und einzelne Orte im Umland beliefert, hat gerade angekündigt, auch nach Niedersachen zu kommen: Ab Mai soll es losgehen, dafür wird ein Verteilzentrum in Braunschweig Weststadt eröffnet; im Sommer werden dann auch Hannover, Göttingen und Wolfsburg versorgt. Die Lieferkosten für Zwei-Stunden-Zeitfenster liegen aktuell bei 2,99 Euro, wer flexibler sein kann (Fünf-Stunden-Zeitfenster) oder für mehr als 100 Euro bestellt, zahlt für die Lieferung nichts (siehe Supermarktblog). Das ist noch verhältnismäßig einfach zu merken. Aber längst nicht der Standard.

Amazon Fresh, das weiterhin nur von Mitgliedern des kostenpflichtigen Prime-Programms in Berlin, Hamburg und München genutzt werden kann, hatte erst Ende Januar angekündigt, den Mindestbestellwert leicht anzuheben und Zusatzgebühren einzuführen. Zu „stark nachgefragten Zeiten“ wurde unabhängig vom Warenkorb pro Lieferung ein Euro in Rechnung gestellt, und zwar: je nach Wochentag zu unterschiedlichen Zeiten. Das war vor allem: kompliziert (siehe Supermarktblog).
Nur wenige Wochen danach erscheinen die Gebühren in der Fresh-Lieferzeitfenster-Auswahl nicht mehr. Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt eine Amazon-Sprecherin:
„Von Zeit zu Zeit überprüfen wir unser Angebot und passen es an, um sicherzustellen, dass wir unseren Kund:innen einen Mehrwert bieten.“
Warnhinweis bei der Zeitfensterauswahl
Anders formuliert: Amazon scheint sich mit den Zusatzgebühren keinen Gefallen getan zu haben – zumal Kund:innen in Berlin und Hamburg mit Oda und Picnic neue Lieferanbieter zur Verfügung stehen, die recht unkompliziert auszuprobieren sind, auch ohne Prime-Mitgliedschaft.
Und dann ist da ja auch noch Knuspr, das seine geplante Deutschland-Expansion (u.a. nach Hamburg) vorerst auf Eis gelegt hat, bis sämtliche bisherigen Lagerstandorte automatisiert wurden, um sie schneller in die schwarzen Zahlen zu bringen.
Das hindert den Ableger der tschechischen Rohlik-Gruppe aber nicht daran, parallel dazu ständig neue Liefermodalitäten zu erfinden, an die sich Kund:innen gewöhnen müssen. Eine massive Anhebung der Lieferkosten im vergangenen Jahr erwies sich als Bumerang, anschließend musste mehrfach nachjustiert werden (siehe Supermarktblog). Aktuell sind die Liefergebühren abhängig von der Höhe des bestellten Warenkorbs und dem jeweiligen Zeitfenster und liegen zwischen 0 und 4,90 Euro bzw. 8,90 bis 9,90 Uhr, falls auf eine Viertelstunde genau geliefert werden soll.
Unter dem Vorwand, auf die Wünsche der Kund:innen zu reagieren, hat Knuspr gerade angekündigt, unter der Woche auch kleinere Bestellungen zu ermöglichen und dafür den Mindestbestellwert von 39 auf 29 Euro abzusenken. Das führt u.a. dazu, dass man bei der Auswahl des Zeitfensters an drei Tagen der Woche einen roten Warnhinweis sieht:
„An diesem Tag können wir deinen Einkauf leider nicht liefern :-(. Der Mindestbestellwert für diesen Tag beträgt 39 Euro.“

Übersichtlich geht anders
Die neue Regelung ersetzt eine vorübergehende von Anfang März, als der Betrag für eine kostenfreie Lieferung von Dienstag bis Donnerstag vorübergehend von 89 Euro auf 69 Euro abgesenkt wurde; im vergangenen Jahr gab es schon mal eine Aktion, bei der Einkäufe ab 29 Euro Warenwert am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zwischen 20 und 21 Uhr komplett kostenfrei zugestellt wurden. Und so sehr das begrüßenswert ist, wenn Dienste ihre Liefermodalitäten regelmäßig überprüfen und anpassen: Übersichtlicher wird der Einkauf für Knuspr-Kund:innen dadurch nicht, im Gegenteil: Wenn man das Gefühl hat, studiert haben zu müssen, um sich in der Zeitfensterauswahl noch zurechtzufinden, kann irgendwas am System nicht stimmen.

Knuspr weiß sich sonst geradezu vorbildlich von Wettbewerbern zu differenzieren, und ehemalige Kund:innen werden regelmäßig mit cleveren Aktionsmails reaktiviert. Ein sehr viel einfacher zu merkendes, berechenbares Lieferkostenmodell wäre aber vermutlich die allergrößte Hilfe, um mehr Stammkund:innen an sich zu binden.
Weil nichts ätzender ist, als sich als Kund:in bei der Belieferung ständig an neue Modalitäten gewöhnen zu sollen, während die Konkurrenz wieder ihren Greatest Hit schmettert.
Danke an Marco P.!
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Der Beitrag Neues aus dem Lieferkosten-Dschungel: Amazon Fresh killt Zusatzgebühren, Knuspr liefert Kleineinkäufe erschien zuerst auf Supermarktblog.