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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Wie “Original Unverpackt” uns beim Einkaufen den Verpackungsmüll abgewöhnen will

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Vielleicht liegt die Zukunft des Supermarkts im Rüsselautomaten. Einem durchsichtigen Plastikdings, das mit Reis, Erbsen, Linsen oder Nudeln gefüllt werden kann, und das unten am Rüssel einen kleinen Verschluss hat, durch den, wenn man eine Box drunterhält, die Lebensmittel durchrieseln. Soviel man gerade davon braucht.

Zumindest wird es im neuen Laden von Milena Glimbovski und Sara Wolf so sein. 20.000 haben die beiden Gründerinnen auf der Crowdfunding-Plattform Startnext einsammeln wollen, um in diesem Jahr eröffnen zu können. Über 90.000 Euro sind inzwischen draus geworden. Und die Aktion läuft noch drei Wochen. Für den ersten Berliner Supermarkt, der Lebensmittel ohne Verpackung verkauft.

Unten kommt die Box dran: Lebensmittel aus dem Rüsselautomaten ("Bulk Bins") für verpackungsfreies Einkaufen / Foto: Original Unverpackt

“Wir alle sind ein bisschen faul geworden beim Einkaufen”, erklärt Glimbovski, was ausschlaggebend für das Projekt war. “Aber wenn sich genügend Leute überlegen, das anders machen zu wollen, muss sich der Handel darauf einstellen.” Da viele Supermärkte und Discounter gerade aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, fangen die beiden Berlinerinnen einfach schon mal an. Offensichtlich haben sich viele Leute sehr danach gesehnt. “Wir kriegen auf Facebook sehr viele Mails von Leuten, die schreiben: Bitte kommt in meine Stadt!”, sagt Glimbovski.

In anderen Städten haben in den vergangenen Monaten ähnliche Läden eröffnet: in Wien, Kiel und Bonn. Das Team von “Original Unverpackt” (so soll der Markt heißen) arbeitet auch schon seit November 2012 an dem Projekt:

“Wir haben uns um Produkte bemüht, bei denen nicht nur im Laden, sondern auf dem ganzen Lieferweg so wenig Müll entsteht wie nötig. Deshalb hat die Vorbereitung etwas länger gebraucht.”

Dafür mussten erstmal Hersteller und Händler gefunden werden, mit deren Hilfe der Laden seinem Anspruch gerecht werden kann. Zu kaufen gibt es künftig: Erdnussbutter im Mehrwegglas, Zahnpasta in Tablettenform, wieder verwertbare Abschminkpads und, ähm, Wodka und Gin. Loses Obst und Gemüse, Brot und Brötchen kommen, wie früher, in Stoffbeutel. Und die Nahrungsmittel aus den Rüsselautomaten, die offiziell “Bulk Bins” heißen, werden in mitgebrachte Plastikboxen umgefüllt und nach Gewicht abgerechnet. “Du investierst einmal in diese wiederverwertbaren Gegenstände – und sparst dann auch noch Geld, weil du nicht ständig Ersatz kaufen musst”, sagt Glimbovski.

Modern soll er auch sein: "Original Unverpackt" aus dem Computer; ein echter Laden wird gerade noch gesucht / Foto: Original Unverpackt

Tatsächlich ist die größte Besonderheit an “Original Unverpackt”, dass der Laden nicht nur auf überflüssige Wegwerfverpackungen verzichten will, sondern dass er seine künftigen Kunden damit auffordert, ihr Einkaufsverhalten grundlegend zu verändern.

Weil der schnelle Einkauf fürs Wochenende auf dem Nachhauseweg von der Arbeit dann der Vergangenheit angehören müsste, sofern man sich nicht spontan eine Zweitgarnitur Tupperware anlegen möchten oder vorsorglich den halben Plastikboxenhausrat auf die Arbeitsstelle mitnehmen möchte.

Die Supermärkte werden mit Interesse verfolgen, wie das Konzept bei den Berlinern ankommt. Immerhin stellt es ein wesentliches Prinzip infrage, mit dem der Handel heute seine Umsätze sichert. Wenn Ware zu Müll wird, muss sie ersetzt werden; zum Beispiel die Wattepads, die wir benutzen, entsorgen – und irgendwann nachkaufen müssen, weil die Packung leer ist. Industrie und Händler haben gar kein Interesse daran, dass wir wieder verwertbare Nicht-Lebensmittel kaufen, weil wir dann seltener Nachschub brauchen und weniger oft in den Laden kommen müssen (um da gleich noch ein paar andere Artikel mitzunehmen).

Eine Großrevolution wird “Original Unverpackt” eher nicht anstoßen. Dafür sind die meisten Leute viel zu sehr daran gewöhnt, bequem einzukaufen, ohne sich weitere Umstände machen zu müssen.

Aber als kleiner Schubs, um unser eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen, ist die große Aufmerksamkeit, die das verpackungsfreie Einkaufen gerade erhält, hervorragend geeignet.

Um die Geduld der mitarbeitswilligen Kundschaft nicht unnötig zu strapazieren, wollen Grimbovski und Wolf auch keinen Miniladen, in dem es nur ein paar ausgewählte Grundnahrungsmittel zu kaufen gibt, sondern setzen auf ein größeres Angebot (das aber immer noch unter dem eines klassischen Discounters liegen soll). Grimbovski sagt:

“Unser Ziel ist: Du kommst einmal zu uns in den Laden ein, kaufst alles ein, was du brauchst und musst dann nicht noch mal zu Rewe oder Lidl. Wir haben alle Grundprodukte des täglichen Bedarfs: Milch, Brötchen, Joghurt, Senf – nur eben ohne zusätzliche Verpackung. Wir kriegen die Lebensmittel, zum Beispiel Zucker oder Reis, in 25-Kilo-Säcken und füllen den Inhalt dann bei uns in die Verkaufsboxen um. Es entsteht nicht immer kein Müll, das lässt sich schwer versprechen. Aber wir versuchen, das auf ein Mindestmaß zu reduzieren.”

Das Minisortiment könnte dem europäischen Vorreiter-Laden “Unpackaged” in London zum Verhängnis geworden sein, der – anstatt die Auswahl der Lebensmittel zu vergrößern – ein Café in den Laden baute und vor wenigen Monaten wieder schließen musste (siehe Supermarktblog).

“Original Unverpackt” soll erstmal ohne Café auskommen. Und hat durch das erfolgreiche Crowdfunding zumindest die finanziellen Mittel, mit einem größeren Angebot zu experimentieren:

“45.000 Euro war die Grenze, ab der wir wussten, dass wir das Sortiment genauso zusammenstellen können wie wir uns das wünschen, eventuell eine Käsetheke in den Laden integrieren und uns eine elektrische Abfüllstation, zum Beispiel für Säfte, leisten können.”

Wie im richtigen Supermarkt soll's bei "Original Unverpackt" Bio und Nicht-Bio geben / Foto: Original Unverpackt

Es wird Bioartikel vom regionalen Naturkosthändler geben, Obst und Gemüse vorzugsweise aus der Region, aber auch konventionelles Nicht-Bio, um “nicht elitär” zu wirken, sagt Glimbovski. Das Team verspricht, Preise auf demselben Niveau wie im klassischen Supermarkt zu haben, immerhin fielen ja die Verpackungskosten weg. Dafür hat “Original Unverpackt” aber natürlich nicht den Rabattvorteil, den die großen Handelsketten bei Herstellern und Lieferanten durchsetzen, wenn sie ihn großen Mengen einkaufen.

Glimbovski entgegnet:

“Die Supermärkte haben aber auch andere laufende Kosten als wir mit unserem Laden. Und wir wollen ja nicht mit den Preisen bei Aldi gleichziehen.”

Rund 100 Quadratmeter soll der erste Markt groß sein. Um alles unterzukriegen, wird die Markenauswahl reduziert: “Dann gibt es vielleicht ein konventionelles Produkt mit Bio-Alternative, aber nicht zehn verschiedene Marken.” Noch läuft die Suche nach einem geeigneten Laden, vorzugsweise in den Bezirken Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, wo die Gründerinnen am ehesten Kunden zu gewinnen glauben. Nach der Eröffnung wolle man sich schnell nach Partnern umschauen, um das Konzept auch in andere Städte zu bringen, wie es sich die Leute bei Facebook gewünscht haben.

Dass die Ledienschaft ein jähes Ende haben könnte, sobald die Leute merken, dass sie ihren Einkauf dann auch besser planen und sich womöglich an einige neue Produkte gewöhnen müssen, glaubt Gründerin Glimbovski nicht:

“Das Feedback war so gigantisch, dass ich davon überzeugt bin: Wenn die Leute bereit sind, Geld dafür zu zahlen, dass wir einen solchen Laden aufmachen, sind sie auch bereit, sich an kleine Umstellungen zu gewöhnen.”

Fotos: Original Unverpackt

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