Kassen zur Selbstbedienung werden im deutschen Lebensmitteleinzelhandel zunehmend zur Regel, hat das EHI Retail Institute bei seiner Markterhebung im vergangenen Jahr festgestellt. Selbst Handelskletten wie Lidl, dm und Rossmann, die lange zögerlich waren, rüsten ihre Filialen nun vielerorts mit Self-Checkouts nach – in teilweise erstaunlichem Tempo.

Je größer die Zahl der Märkte wird, die Kund:innen das Selbstscannen anbieten, desto auffälliger werden jedoch auch die damit einher gehenden Probleme. Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2023, die gerade veröffentlicht wurde, geht hervor, dass die Zahl der Ladendiebstähle in Deutschland im Vorjahresvergleich um mehr als 23 Prozent gestiegen ist.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) beklagt „unhaltbare Zustände“ und geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus: Viele Diebstähle würden der Polizei erst gar nicht gemeldet, weil Anzeigen oft erfolglos blieben.
Handelsketten reagieren, indem sie besonders betroffene Märkte zur Anti-Diebstahl-Festung umbauen (siehe Supermarktblog vom vergangenen Jahr). Dabei steht die Kassenzone verstärkt im Fokus: Denn ausgerechnet die sich nun verbreitenden SB-Lösungen stehen im Ruf, Diebstahl zu begünstigen bzw. zumindest zu vereinfachen, wenn sich Kund:innen unbeobachtet fühlen.
Schranken und KI gegen Diebstahl
Manche Supermärkte rüsten ihre SB-Kassen deshalb mit Auslassschranken (siehe Supermarktblog) und KI-basierter Kameratechnologie (siehe Supermarktblog) nach, um die Diebstahlwahrscheinlichkeit zumindest zu senken.
Andere beschränken entweder die Zahl der Artikel, die am Self-Checkout bezahlt werden können; oder sie bauen die SB-Kassen in letzter Konsequenz wieder ab.
Bislang gab es dazu vor allem Beispiele aus dem Ausland. Aber auch deutsche Handelsketten sehen sich zunehmend gezwungen, zu reagieren: zum Beispiel Netto (ohne Hund), das seit 2018 SB-Kassen in den Läden installiert (siehe Supermarktblog).
Nach Supermarktblog-Informationen nimmt die zu Edeka gehörende Discountkette SB-Kassen in manchen Filialen derzeit entweder (vorübergehend) außer Betrieb oder entfernt sie in Gänze. Das geht übereinstimmend aus Berichten von Mitarbeitenden sowie Kund:innen hervor, die ihrem Ärger darüber auf Google Luft machen. Betroffen sind etwa Netto-(ohne Hund)-Filialen im Berliner Süden (Neukölln) und Osten (Marzahn).
Erst außer Betrieb, dann abgebaut
Nach Supermarktblog-Informationen liegen die Inventurverluste in Netto-(ohne Hund)-Märkten, in denen die SB-Kassen gut funktionieren, bei etwa einem Prozent des Umsatzes; im Schnitt soll der Verlust über alle Self-Checkout-Filialen hinweg jedoch zwischen 2 und 4 Prozent betragen, wie es aus dem Umfeld des Discounters heißt.
Das dürfte für die Handelskette auf Dauer inakzeptabel sein – selbst wenn man gegenrechnet, dass durch das Selbstscannen im Zweifel weniger Personal an der Kasse gebunden ist.

In einer von mir besuchten Berliner Filiale war der Ausbau gerade in vollem Gange. Die vormals vier SB-Terminals waren zunächst außer Betrieb genommen und der Platz davor mit Aktionsware zugebaut worden; inzwischen stehen wieder drei reguläre Bedienkassen im Markt, nur die verbliebenen Expresskassen-Schilder, die von der Decke hängen, erinnern noch an den Selbstbedien-Ausflug. Ein Mitarbeiter an der Kasse verwies nach Kund:innenrückfrage auf die erhöhte Diebstahlfrequenz.
Netto (ohne Hund) will sich auf Supermarktblog-Anfrage aus Wettbewerbsgründen nicht zu den Rückbauten äußern.
Drehteller für den Self-Checkout
Gleichzeitig scheint man in der Zentrale des Discounters aber eine alternative Lösung identifiziert zu haben, die nun in größerem Stil zum Einsatz kommt: In einigen neu oder wieder eröffneten Märkten setzt Netto (ohne Hund) auf Hybridkassen – reguläre Kassen mit Kassenband, die sich mit wenigen Handgriffen zur SB-Kasse umbauen lassen, wenn dort keine Bedienung durch Mitarbeiter:innen erfolgen soll.


Zu diesem Zweck sind Monitor, Scanner und Drucker auf eine metallenen Rondell montiert, das sich um 180 Grad zur Kundschaft drehen lässt. Auf ihrem Anmelde-Screen wechseln Mitarbeiter:innen den Kassenmodus. Anschließend können Kund:innen verpackte Ware regulär scannen oder loses Obst und Gemüse sowie Backwaren über separate Schaltflächen auf dem Bildschirm auswählen. Über eine weitere Schaltfläche lässt sich auch ein „Mitarbeiter rufen“, falls es Probleme gibt.
Bezahlt wird – ausschließlich bargeldlos – über das Kartenterminal am Ende des Kassentischs. (Eine ähnliche Lösung nutzte Penny zur Einführung von Scan & Go in Filialen, die noch über keine regulären Self-Checkout-Kassen verfügten; siehe Supermarktblog.) Auf dem dortigen Screen erscheinen noch einmal die gescannten Produkte untereinander mit der zu zahlenden Gesamtsumme. Das ist übersichtlich und sehr gut gelöst.
Einfacher Test zur SB-Eignung
Im vorderen Kassenbereich werben Aufsteller und Deckenhänger für den Self-Checkout:
„Kasse nicht besetzt? Spare Zeit – scanne selbst!“

In den entsprechend umgerüsteten Filialen scheint eine von drei Kassen die komplette Öffnungszeit des Markts über im Self-Checkout-Modus zu laufen und dürfte nur in Ausnahmefällen als reguläre dritte Kasse genutzt werden. Für Netto (ohne Hund) hat das den Vorteil, das keine zusätzliche Kassentechnologie verbaut (und gewartet) werden muss.
Außerdem kann die Handelskette (die parallel dazu Alternativen zum Selbstscannen im Laden auslotet) auf diesem Weg unproblematisch testen, wie sich die Inventurdifferenzen im jeweiligen Markt entwickeln – bleiben sie stabil, spricht das dafür, den Self-Checkout aktiviert zu lassen. Falls nicht, sind keine teuren Rückbauten notwendig.

Nachteil für die Kund:innen ist, dass ihnen im Hybridmodell (bislang) jeweils nur ein Self-Checkout zur Verfügung steht, nicht – wie bisher bei Netto (ohne Hund) üblich – mehrere.
Offen stehende Kassensperre
Theoretisch reduziert sich auch der Aufwand für das Personal an der regulären Kasse, das die SB-Varianten mitbeaufsichtigen muss. In einem von mir besuchten Markt war die Hybridkasse für die Kassiererin an Kasse 1 allerdings quasi gar nicht einsehbar – auf dem SCO-Bildschirm gibt es allerdings einen expliziten Hinweis an die Kundschaft: „Achtung! Videoüberwachung“.

Problematisch an der Hybridlösung ist, dass durch die Nutzung der dritten Kasse zum Self-Checkout die Kassensperre derzeit dauerhaft offensteht. Theoretisch ließen sich an dieser Stelle Auslassschranken einbauen, die sich nur nach dem Scannen des ausgegebenen Kassenbons öffnen, wie sie etwa Kaufland und Penny nutzen. Bislang scheint Netto (ohne Hund) in diesen Zusatzaufwand aber noch nicht investieren zu wollen.
In wievielen Filialen Hybridkassen derzeit zum Einsatz kommen und ob Netto (ohne Hund) plant, sie künftig überall anstelle der bislang genutzten SB-Terminals zu verbauen, sagt das Unternehmen auf Anfrage nicht.
Danke an S. und Christian M.!
- KI, übernehmen Sie! SB-Kassen bei Lidl, Aldi, Rewe & Co. – abbauen oder upgraden?
- Pick & Go im Lebensmittelhandel: Ein Schritt vorwärts – und einer zurück?
Der Beitrag Netto (ohne Hund) installiert Hybridkassen zum Self-Checkout erschien zuerst auf Supermarktblog.