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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Wie Aldi Süd mit seinen Doppelkassen Kundschaft und Angestellte überfordert

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Ähnlich wie es an der Rügener Kreideküste regelmäßig zu Hangrutschungen kommt, bricht die Kund:innenfreundlichkeit vieler Lebensmittel-Discounter knapp hinterm Scanner an der Kasse ebenso abrupt wie steil ab: Um die Kundschaft zum möglichst schnellen Wiedereinpacken des Einkaufs in den bitte mitzuführenden Wagen zu drängen, reduzieren Lidl, Penny, Aldi Nord & Co. die Ablagefläche auf ein absolutes Minimum.

Kassenkliff mit Kund:innenserviceabbruch bei Aldi Nord; Foto: Smb

Viele Kund:innen fühlen sich davon unter Druck gesetzt, weil sie die nachfolgende Kundschaft blockieren, wenn sie zu langsam sind. Manche überlegen sich Strategien, wie sie die Artikel bereits in der Wiedereinpackreihenfolge aufs Band positionieren oder Obst & Gemüse bzw. Brötchenknastware strategisch dazwischen positionieren können, um durch Wiegen und händisches Eintippen Miniverzögerungen einzubauen. (Auf Reddit ist unter Diskutierenden liebevoll von „Bremsgebäck“ die Rede.)

Andere stört es nicht im Mindesten, wenn Kassierer:innen hinter ihren bezahlten Produkten bereits kleine Türmchen mit den Produkten der Nachfolger:innen aufschichten, während sie in aller Seelenruhe ihre eigenen verstauen.

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Seit anderthalb Jahren versucht Aldi Süd, es besser zu machen. Und was ist der Dank dafür? Ein frecher Beitrag im sonst nicht unbedingt für ausgewiesene Handelskompetenz bekannten Mischmagazin „Der Spiegel“.

Scannen, während andere noch räumen

Im vergangenen Jahr hatte die Handelskette angekündigt, künftig Dopppelkassen in ihre Filialen zu bauen, wie sie bei vielen Super- und Drogeriemärkten schon lange Tradition sind. Mitarbeiter:innen von Rewe, Edeka und dm können so bereits den nächsten Einkauf scannen, während die vorherige Kundin bzw. der vorherige Kunde noch mit dem Einpacken beschäftigt ist. Der neue Einkauf wird an einem Trennarm vorbei einfach in einen zweiten Auffangschacht geschoben. So sollen allzu lange Wartezeiten vermieden werden.

Doch die Doppelkasse ist in Verruf geraten – spätestens seit sich besagtes Mischmagazin im vorigen Monat über die Tücken der Aldi-Süd-Initiative ausließ (Abo-Text, Zusammenfassung u.a. hier). Denn in Mühlheim an der Ruhr hat man ein entscheidendes Detail verändert.

Um den Kassiervorgang noch weiter zu beschleunigen, sind beide Schächte der Aldi-Süd-Doppelkassen jeweils mit einem eigenen Bezahlterminal ausgestattet. Kassierer:innen scannen den Einkauf von Kund:in 1 in Schacht 1 und fragen, ob bar oder mit Karte bezahlt werden soll. Bei Kartenzahlung wird Terminal 1 aktiviert, während die Kassenkraft bereits die Waren von Kund:in 2 in Schacht 2 zu scannen beginnt.

Die Aldi-Süd-Doppelkassen verfügen über zwei Bezahlterminals, um mehrere Einkäufe gleichzeitig abwickeln zu können; Foto: Smb

Einkaufsvorgänge werden an den Doppelkassen also nicht mehr nacheinander, sondern parallel zueinander bearbeitet.

Empfindliche Bezahlchoreographie

Aldi Süd ist der Überzeugung, damit Mitarbeitenden und Kund:innen Gutes zu tun, nachdem man das Konzept zuvor „umfangreich getestet“ habe. Gegenüber dem „Spiegel“ berichtet eine Aldi-Süd-Kassierkraft hingegen, von dieser Form der Einkaufsabwicklung erheblich gestresst zu sein, weil so viele unterschiedliche Dinge gleichzeitig beachtet werden müssten. Außerdem sei es an den neuen Kassen trotz Kameratechnologie schwieriger zu erkennen, ob in Einkaufswagen womöglich unbezahlte Ware liegen bleibe.

Dazu komme, dass Diebstähle erleichtert würden, wenn Kund:innen hinter dem Rücken der Kassierkraft agieren, und abgebrochene Bezahlvorgänge am Terminal erst so spät gemeldet würden, dass man den Kund:innen auf den Parkplatz nachlaufen müsse.

Tatsächlich sind die angeblichen Vorteile der Doppelkassen auch aus Kund:innensicht streitbar: Zum Einpacken mag jetzt mehr Zeit bleiben. Dafür ist es gewöhnungsbedürftig, von der Kassenkraft quasi schon mit Ansage der Kartenzahlung verabschiedet und danach grußlos ignoriert zu werden – nachdem man sich vorher im Zweifel zurechtweisen hat lassen, wie man sich vor seinen Kassenschacht positionieren muss, um die empfindliche Bezahlchoreographie nicht zu stören.

Drei Kund:innen auf einmal

Dafür hat Aldi Süd eigens verschiedenartige Bodenaufkleber angebracht, die die Position von Einkaufswagen und Kund:innenfüßen vorgeben wie auf einer Theaterbühne. (An vielgenutzten Kassen sind die Bodenkleber inzwischen schon fast verblichen, das sieht richtig schön schäbig aus.)

Regieanweisung vom Discounter: Bitte positionieren Sie sich genau so; Foto; Smb

Ein angenehmes oder auch nur freundliches Ambiente schafft das alles nicht: Kassierer:innen wirken im Zweifel noch gehetzter also ohnehin schon. Und bei Hochbetrieb kann’s sehr schnell total unübersichtlich werden: Als ich bei meinem Einkauf kürzlich neben einem weiteren Kunden an meinem Kassenschacht 2 mit Einpacken und Kartenzahlung beschäftigt war, initiierte die Kassiererin bereits einen dritten Kassiervorgang, der bar bezahlt werden sollte, und dessen gescannte Artikel in meine hineinliefen, weil ja kein dritter Auffangschacht mehr zur Verfügung stand.

Stressfreier als alles möglichst schnell vom Kassenkliff wieder in den Wagen zu schieben, wie es die Schwester Aldi Nord weiterhin praktiziert, war das auch nicht.

Abgeguckt hat sich Aldi Süd die Praxis (vermutlich) mal wieder bei seiner österreichischen Tochter Hofer, die schon länger auf Doppelkassen setzt, Einkaufswagen-Positionierungsaufkleber inklusive.

Auch Hofer in Österreich arbeitet mit Doppelkassen und Positionierungsaufklebern; Foto: Smb

Der wesentliche Unterschied ist, dass Hofer aber – in den von mir gesehenen Läden – nur ein einziges Kartenterminal nutzt, das zwischen den Schächten angebracht ist und beim Bezahlen deswegen auf eine klassische Nacheinander-Abwicklung setzt. (In Großbritannien scheint es Aldi Süd genauso zu machen; siehe IGD Retail Analysis [mit Anmeldung].)

Kreisverkehrkasse bei Tesco

Vielleicht ist genau das der entscheidende Punkt – und Aldi Süd will mit seinen durchoptimierten Discount-Doppelkassen einfach zuviel: mit zu wenig Personal zu schnell mehrere Kund:innen gleichzeitig abwickeln. Genauso fühlt man sich danach auch: abgewickelt.

Vor exakt zehn Jahren hatte sich Tesco in Großbritannien bereits an einer – noch aufwändigeren – Variante des zeitoptimierten Zugleichabkassierens versucht: In einer Testfiliale konnten Kund:innen ihre Einkäufe auf ein Förderband legen, dessen Scanner Waren automatisch erfasste, um sie anschließend in einen von drei kreisrund aneinander grenzenden Einpackschächten zu lotsen, an denen eigene Bezahlstationen angebracht waren (siehe Supermarktblog von 2014).

Kreisverkehrkasse bei Tesco (2014); Foto: NCR

Durchgesetzt hat sich die Kreisverkehrkasse nicht – obwohl sie, in einer Variante mit bedientem Scannen, dem Aldi-Süd-Ziel durchaus nahe kommen könnte.

Mit dem entscheidenden Nachteil, dass dafür massig Platz geopfert werden müsste, den der Discount ja an den allermeisten Standorten auch nicht im Überfluss herzugeben hat.

Kampfzone Discounter-Kasse

Die Aldi-Süd-Initiative ist Teil eines größeren Problems: nämlich dass der Lebensmittel-Discount gerade massiv daran scheitert, die Kassenzone so durchzuoptimieren, wie es seinem auf Effektivität zielenden Geschäftsprinzip geschuldet sein müsste.

Ständig neu zu besetzenden Einzelkassen, wie sie weiterhin die Norm sind, aber permanent geöffnet und wieder geschlossen werden, verschwenden wertvolle Arbeitszeit von Mitarbeiter:innen, die ständig durch den Laden laufen müssen, anstatt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Traditionelle Kassenzone bei Lidl: nicht zufriedenstellend durchoptimiert; Foto: Smb

SB-Kassen, wie sie sich gerade in großem Stil durchsetzen, können Schlangen entzerren, sind aber fehler- und diebstahlanfällig. So sehr, dass die Handelsketten sie im Zweifel gleich wieder abbauen: Netto (ohne Hund) verfährt in Berlin und anderswo so (siehe Supermarktblog); Lidl hat (vermutlich zu Beginn des Jahres) sämtliche Schnellkassen in seiner Filiale am Münchner Ostbahnhof („Kleine Einkäufe schnell bezahlen“) wieder abgeschafft, Mitarbeiter:innen-Ausküften zufolge weil – trotz Aufsicht – zuviel Ware am Scanner vorbeigeschmuggelt wurde.

Beim Scannen unter Beobachtung

Und wenn es keine separate SB-Kassen-Aufsicht gibt, muss die einzige Kassenkraft im Laden im Zweifel Probleme am Self-Checkout lösen, während gleichzeitig die Schlange an der eigentlich von ihr geführten Bedienkasse wächst.

Seine eigenen SB-Kassen (mit Aufsicht) hat Aldi Süd derweil so nachgerüstet, dass die scannenden Kund:innen ihr videoüberwachtes Bild direkt über sich auf einem Monitor sehen – vermutlich, um gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, unbeobachtet zu sein.

Aldi Süd hat seine SB-Kassen mit sichtbaren Videomonitoren über dem Scanfeld nachgerüstet; Foto: Smb

Richtig gut funktioniert – allen Innovationen und Experimenten zum Trotz – bislang keine dieser Lösungen. Und es sieht ganz danach aus, als würde die Kasse im Discounter noch eine ganze Weile die Schreckenszone bleiben, die sie schon immer war.

Mehr zum Thema:

Der Beitrag Wie Aldi Süd mit seinen Doppelkassen Kundschaft und Angestellte überfordert erschien zuerst auf Supermarktblog.


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