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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Mr. Choc wohnt hier nicht mehr (oder: Was Sie über süßwarenfreie Kassen wissen müssen)

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Süßwarenfrei und Spaß dabei: Kaiser's wirbt mit schokolosen Kassen, platziert Ü-Eier aber bestens in Kindersichtweite

1. Süßwarenfreie Kassen sind praktisch

Weil das Kind, wenn es im Einkaufswagen sitzt, während der Erziehungsberechtigte gerade den Wocheneinkauf aufs Kassenband hebt, keine Schreianfälle kriegt, wenn es nicht von verführerisch vor seiner Nase baumelnden Schokoriegeln und Gummibärchen hypnotisiert werden kann.

Aber das wussten Sie vielleicht schon.

2. Süßwarenfreie Kassen sind tückisch

Der Süßigkeitenschwund an der Kasse bedeutet jedoch längst nicht, dass der nächste Einkauf mit dem schokonachfüllbereiten Nachwuchs gesitteter ablaufen wird.

Beispiel gefällig? In einem Berliner Markt eröffnete Kaiser’s kürzlich eine süßwarenfreie Kasse (Bild oben). Nirgendwo sonst im Markt ist die Aussicht auf die in Kinderwagenhöhe platzierte Palette mit den Überraschungseiern an der Kasse gegenüber so gut wie dort.

Süßwarenfreie Kassen gehören bei Kaufland zum Standard

Noch ein Beispiel? Bei Kaufland gehören zwei süßwarenfreie Kassen zur Standardausstattung. So lässt sich das Kind entweder frühzeitig an die stattdessen dort platzierten Tabakwaren gewöhnen. Oder von dem Sammelsurium an bunten, schillernden, glänzenden Ersatzablenkungen zur Besitzankündigung inspirieren. Süßwarenfreie Kassen sind oft mit Gutscheinen, Telefonkarten, Batterien, Kabeln und anderem Kleinkram vollgestopft. Die schmecken vielleicht nicht so gut wie ein Duplo. Aber ein Grund zum langweilebedingten Brüllen an der Kasse sind sie allemal.

(Und praktischerweise meist teurer als Schokoriegel.)

Schmeckt nicht süß, ist aber trotzdem ein prima Brüllgrund: Kleinkram an der Kaufland-Kasse

Die einzige halbwegs sichere Möglichkeit, Schreianfälle zu vermeiden, wäre vermutlich, an Kassen ausschließlich Spinat, Rosenkohl und Wirsing anzubieten. (Wobei das vermutlich zu angstbedingten Unmutsbekundungen der jungen Supermarktbesucher führt.)

3. Süßwarenfreie Kassen helfen nur bedingt beim Abnehmen

Sie sind natürlich kein Kind mehr. (Falls doch: Herzlichen Glückwunsch zu Deiner hervorragenden Lektüreauswahl.) Und trotzdem lassen Sie sich in schwachen Momenten beim Anstehen an der Kasse zu ungeplanten Schokoladenkäufen verleiten. Die gute Nachricht ist: An der süßwarenfreien Kasse bleibt Ihnen das erspart. Die schlechte Nachricht ist: Der schwache Moment führt sie womöglich vorher schon zum ganz normalen Süßigkeitenregal, wo Sie statt einem einzelnen Kinderriegel, vor dem das “New England Journal of Medicine” so eindringlich warnt, gleich die Zehnerpackung kaufen.

4. Süßwarenfreie Kassen sind vor allem Marketing

In Großbritannien hat Lidl gerade in allen 600 Filialen süßwarenfreie Kassen eingerichtet und diese “Healthy Tills” getauft (“Gesunde Kassen”), weil dort statt der üblichen Mr.-Choc-Eigenmarkenschokolade nun Obst und Multivitaminsäfte angeboten werden. Man wolle sich auf seine soziale Verantwortung besinnen, erklärt Lidl dazu. Ein klitzekleines bisschen ist daran aber auch das britische Gesundheitsministerium schuld, das Supermärkte sanft dazu drängelt, mehr gesunde Produkte in den Mittelpunkt zu rücken.

Lidls "Healthy Till" in Großbritannien

Die “Healthy Tills” sind sowieso erstmal nur ein Versuch für 10 Wochen. In dieser Zeit will Lidl die Rückmeldungen seiner Kunden analysieren, um zu entscheiden, ob Mr. Choc vielleicht doch zurückkehrt. Es geht aber sowieso nur um eine Kasse pro Laden. (In deutschen Filialen ist keine ähnliche Aktion geplant, hat die “Lebensmittelzeitung” bei Lidl erfragt.)

Dabei sind die Apfelkassen natürlich jetzt schon ein Erfolg, ein PR-Erfolg nämlich. In zahlreichen Medien sind Texte über die “Healthy Tills” erschienen, inzwischen tauchen sie sogar in deutschsprachigen Supermarktblogs auf. Und haben aus der Sicht des Discounters ihren Zweck damit schon erfüllt.

In Großbritannien testet Lidl "healthy tills": Kassen, an denen es Obst statt Gummibärchen gibt

5. Süßwarenfreie Kassen sind Ausnahmen

Das bleiben Sie auch. Der Grund dafür ist einfach und steht in einer Studie des EHI Retail Instituts aus dem Jahr 2010. Er lautet: Die Kasse braucht meistens nur ein Prozent des Platzes im Laden, die Supermärkte machen dort aber 6 Prozent des Umsatzes – (nach Tabak) vor allem mit Süßigkeiten und Kaugummi natürlich.

Die Kasse ist also einer der umsatzstärksten Plätze im Markt. Und den geben die Supermärkte so schnell ganz bestimmt nicht freiwillig her.

Fotos: Supermarktblog/Lidl


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