Während im deutschen Lebensmitteleinzelhandel oft noch eher theoretisch über kassenlose Konzepte und automatisierte Einkaufsprozesse diskutiert wird, hat Edeka-Kaufmann Florian Jäger, der insgesamt sechs eigene Märkte im Raum Stuttgart betreibt, am Stuttgarter Flughafen Fakten geschaffen: Schon seit Ende Juli 2023 können Reisende und Flughafenpersonal dort rund um die Uhr einkaufen – auch nachts, wenn kein Personal mehr ihn Laden ist, und Einkäufe selbst gescannt werden. Für das Experiment arbeitet der Kaufmann mit Wanzl und Diebold Nixdorf zusammen.
Jägers Konzept wurde kürzlich mit dem Retail Technology Award Europe (reta) 2025 in der Kategorie Artificial Intelligence ausgezeichnet. Das Supermarktblog hat mit dem Kaufmann über sein innovatives Marktkonzept gesprochen: Was funktioniert schon gut? Und wo hakt es noch?
Supermarktblog: Herr Jäger, Sie haben Ihren Edeka-Markt am Stuttgarter Flughafen im Juli 2023 auf einen 24/7-Betrieb umgerüstet. Was war Ihre Motivation für dieses Hybrid-Experiment?
Florian Jäger: Die Herausforderung bestand für mich als Kaufmann vor allem darin, wie wir die Filiale an und außerhalb der Randöffnungszeiten betreiben können. Unser bestehendes Personal wollten wir auf gar keinen Fall zusätzlich belasten, und neue Mitarbeiter:innen sind im Lebensmitteleinzelhandel aktuell nur schwer zu bekommen. Generell wird das Thema Personal in naher Zukunft immer drängender.
Edeka Jäger: So funktioniert der 24/7-Einkauf

Tagsüber (bis 22 Uhr):
- Normaler Supermarkteinkauf mit Personal
- Wahl zwischen Bedienkassen und Self-Checkout
- Zugang zum gesamten Sortiment
Nachts (22 bis 6 Uhr):
- Einlass nur mit EC- oder Kreditkarte
- Einkauf ausschließlich über Self-Checkout
- Leicht eingeschränktes Sortiment (z.B. keine Spirituosen, Zigaretten)
- Zugang zum separaten Alkoholbereich nach Altersverifikation
- Bezahlung nur bargeldlos
- Ausgang nur mit gescanntem Kassenbon
Wie genau gestaltet sich der Übergang vom personalbesetzten zum personalfreien Betrieb – um 22 Uhr gehen die Türen zu und ich scanne dann meine EC- oder Kreditkarte, um eingelassen zu werden?
Jäger: Tagsüber ist der Eingangsbereich des Markts offen. Nachts erfolgt der Einlass dann in der Tat nur mit Karte. Bei unserem Gate-System von Wanzl drückt man einen Knopf, der personallose Betrieb wird aktiviert und der separate Ladenbereich mit Produkten ab 18 Jahren, der tagsüber offen zugänglich ist, wird ebenfalls verschlossen. Es gibt aber auch Tag- und Nachtmodi an den Kassen.
Wie handhaben Sie Situationen nach 22 Uhr, in denen Kund:innen Hilfe benötigen? Gibt es eine Fernunterstützung?

Jäger: Aktuell nicht. Aber wir haben Security, die regelmäßig schaut, ob alles in Ordnung ist. Da hilft uns natürlich die Flughafeninfrastruktur. Es gibt auch eine regelmäßige Überwachung. Das ist, glaube ich, für jeden Supermarkt tageweise wichtig, um regelmäßigen Diebstahl zu verhindern.
Natürlich passiert trotzdem auch mal etwas Unvorhergesehenes: Es gibt einen Hersteller, der QR-Codes als Werbung auf seine Artikel druckt – damit kommt die Kasse noch nicht zurecht. Neulich hat ein Kunde im Nachtbetrieb versucht, seine Deutschland Card, die bei Edeka ja inzwischen nicht mehr akzeptiert wird, an allen SB-Kassen nacheinander zu scannen. Es waren aber die einzigen Male, dass wir nachts ein solches Problem hatten.
Haben Sie für den Nachtbetrieb Ihr Sortiment anpassen müssen?
Jäger: Wir haben uns dazu entschlossen, nachts keine Spirituosen und keine Elektro-Kleingeräte – also Kopfhörer, Ladegeräte usw. – zu verkaufen. Natürlich sind auch Zigaretten nicht im Verkauf dann. Zuletzt haben wir Pralinen weggeschlossen – gar nicht wegen Diebstahls, sondern aufgrund der Altersthematik: Wegen der alkoholischen Füllung müsste der Jugendschutz beachtet werden. Und wenn wir die Artikel im separaten Bereich bei den alkoholischen Getränken platzieren, würde dort vermutlich niemand danach suchen.
Leergut können wir nachts derzeit auch nicht zurücknehmen: Wenn der Automat nach fünf Minuten voll ist, war’s das sonst. Außerdem setzen wir ausschließlich auf Kartenzahlung, um Stolpersteine zu verhindern – dadurch wäre auch eine eventuelle Leergutauszahlung nicht möglich. Aus zahlreichen Rückmeldungen von Kolleg:innen, die Cash-Systeme an den SB-Kassen haben, weiß ich, dass das noch eine relativ häufige Fehlerquelle sein kann.

Sie setzen nachts ausschließlich auf Self-Checkout (Video ansehen). Dabei hatten Sie schon 2016 einmal einen Versuch mit dieser Technologie unternommen?
Jäger: Ja, wir sind 2016 am Standort mit SB-Kassen gestartet. Das Benutzer:innenerlebnis war damals aber noch nicht so überzeugend, und deshalb haben wir die Kassen wieder rausgenommen. Bis 2023 gab es im Markt nur Bedienkassen, im Zuge des des 24/7-Konzepts wurde dann wieder umgestellt. Inzwischen sind fünf SB-Kassen und fünf Bedienkassen installiert: zwei am Haupteingang und drei beim Nacht-Ein- und Ausgang im hinteren Marktbereich.
Wie hoch ist die Akzeptanz der SB-Kassen bei Ihrer Kundschaft?
Florian Jäger: Am Flughafen erwirtschaften wir jetzt im Tag-Betrieb, also mit Personal, 38 Prozent des Umsatzes über SB-Kassen. Bei den anderen Märkten sind es 20 Prozent. Wir haben die Bedienkassen mit Handheld-Geräten ausgestattet, sodass Störungen an der SB-Kasse teilweise von dort ausgeräumt werden könne. Zum Beispiel Altersfreigaben: Da müssen Mitarbeiter:innen bloß auf einen Knopf drücken. Das macht es für alle einfacher und Kund:innen müssen nicht so lange warten.

Sie nutzen seit gut einem Jahr auch eine KI-basierte Altersverifikation. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Jäger: Die automatische Alterserkennung an den Kassen – also: KI plus Kamera – nutzen wir im Tagbetrieb, damit unsere Mitarbeiter:innen nicht ständig zu den Kassen laufen müssen. Aber auch, damit sich Kund:innen wohler fühlen. Es ist ja kein schönes Erlebnis, wenn jemand eine Flasche Wodka kaufen möchte und die Kasse blinkt erstmal rot.
Nachts sind wir damit noch nicht so weit, denn die Technologie hat natürlich einen Sicherheitspuffer eingebaut. Das heißt, wenn jetzt jemand ein Produkt kauft, muss er fünf Jahre älter eingeschätzt werden als nötig, damit kein Eingriff von Mitarbeiter:innen erforderlich wird. Eine Freigabe müsste, falls der Kunde zum Beispiel zwischen 18 und 23 eingestuft würde, durch Mitarbeitende geschehen. Das geht nachts nicht.
Zudem haben wir die Altersabfrage ja schon beim Zutritt in den altersbeschränkten Bereich im Nachtbetrieb. Diesen würden wir aus Gründen des Jugendschutzes sowieso so bestehen lassen. Anfangs hatten wir dort nur ein Lesegerät wie am Zigarettenautomaten, bei dem man seinen Ausweis durchziehen kann, damit das Gate sich öffnet. Jetzt testen wir die Alterserkennung – und wenn das System nicht mit Sicherheit feststellen kann, dass jemand alt genug ist, kann der Ausweis eingesetzt werden.
Die Fakten: Edeka Jäger, Flughafen Stuttgart

- Eröffnung des 24/7-Konzepts: Juli 2023
- Verkaufsfläche: 620 m²
- Investitionskosten: ca. 300.000 €
- Kassen: 5 Bedienkassen, 5 Self-Checkout-Kassen
- SB-Kassen-Nutzung: 38% (vs. 20% in anderen Märkten)
- Personalkosten: Von 16% auf 12% gesunken
- Inventurdifferenz: Von 0,8% auf 1,2% gestiegen
- ROI-Ziel: Amortisation innerhalb von 3 Jahren
- Auszeichnung: Retail Technology Award Europe (reta) 2025 in der Kategorie Artificial Intelligence
Gab es Bedenken wegen des Datenschutzes bei diesen Systemen?
Jäger: Datenschutz ist natürlich immer ein großes Thema. Wir haben mit der Edeka Südwest einen tollen Partner, der eine kompetente Datenschutzabteilung hat, die das auf Herz und Nieren prüft. Da geht es unter anderem ja darum, wo die Daten gespeichert werden. In dem Fall ist es Großbritannien, und das ist in Ordnung.
Sie testen auch weitere KI-gestützte Systeme – welche sind das?
Jäger: Wir experimentieren noch mit KI-Waagen: Sie legen als Kund:in eine Banane drauf und erhalten mehrere Vorschläge, um welches Produkt es sich handelt. Der Richtige steht inzwischen tatsächlich zu 95 Prozent immer an der ersten Stelle. Das ist richtig cool. Zeitnah wollen wir auch eine Manipulationssoftware an der Kasse ausprobieren, ebenfalls von Diebold Nixdorf. Da geht es darum, ob alles bezahlt wird, was die Leute in der Hand haben und – falls nicht – dass die Kasse sie höflich darauf hinweist. Auch da ist es aber wieder ein langer datenschutzrechtlicher Weg.
Wir hatten zuletzt auch schon einen Roboter im Einsatz, der Kund:innen Fragen beantworten kann, wenn nachts niemand da ist – und sie eventuell sogar zum Regal führt. Das hat mit der WLAN-Anbindung aber noch nicht hundertprozentig funktioniert, wir arbeiten deswegen weiter daran.
Alles, was die Technologie noch selbstverständlicher erlebbar macht und für die Kund:innen zu einem reibungslos funktionierenden Einkaufserlebnis beiträgt, ist natürlich perfekt.
Welches Feedback erhalten Sie von Kund:innen zur automatischen Alterserkennung und generell zum 24/7-Konzept?

Jäger: Ich habe tatsächlich noch nichts Negatives gehört. Es schimpft ja eigentlich auch selten jemand wirklich über Technik – sondern immer nur über Technik, die nicht funktioniert. Beschwerden gibt es ab und an, weil nicht mit Bargeld bezahlt werden kann. Aber ansonsten kommen die Kund:innen gut mit der Technik zurecht. Die Kund:innen sind nachts im Altersdurchschnitt wahrscheinlich auch eher jünger und deswegen tendenziell auch technikaffiner. Die meisten Leute freuen sich. Die Alternative wäre ja, dass sie sonst nicht einkaufen könnten.
Wie wirkt sich das hybride Konzept wirtschaftlich aus? Rechtfertigt der zusätzliche Umsatz in den Randzeiten die Investitionen in die Technologie?
Jäger: Wir haben rund 300.000 Euro investiert, um den Laden entsprechend umzubauen, inklusive Self-Checkout-Kassen und Gates. Damit sich das nach drei Jahren rechnet, brauchen wir ungefähr tausend Euro Umsatz netto die Nacht. Im Schnitt liegen wir schon deutlich darüber.
Wie hat sich die Umstellung auf Ihre Personalkosten ausgewirkt?
Jäger: Weil wir mit dem gleichen Personal jetzt mehr Umsatz machen, sind die Personalkosten von 16 auf 12 Prozent gesunken, und im Sommer werden es wahrscheinlich noch weniger. Wir hatten bei der Inventurdifferenz einen leichten Anstieg von 0,8 auf 1,2 Prozent. Das muss natürlich auch eingerechnet werden. Aber vor allem haben wir gelernt, dass die Self-Checkouts auch im Tag-Betrieb eine große Hilfe sein können, weil die Mitarbeiter:innen sich stärker auf andere Aufgaben fokussieren können.
Welche weiteren Innovationen planen Sie für Ihren Markt am Flughafen?
Jäger: Wir haben jetzt nochmal einen Umbau anstehen, weil wir eine kleine Drogerie in Eigenregie eröffnen, als Shop-in-Shop-Lösung in Zusammenarbeit mit Budni.
Glossar
Gate-System: Automatische Ein- und Auslassschranken, die den Zutritt zum Markt kontrollieren und nur mit EC-/Kreditkarte oder Kassenbon öffnen.
KI-Alterserkennung: Künstliche Intelligenz, die anhand von Gesichtsmerkmalen das ungefähre Alter einer Person einschätzen kann, ohne biometrische Daten zu speichern.
Manipulationssoftware: KI-gestützte Lösung, die erkennt, ob alle Produkte, die Kunden in der Hand halten, auch tatsächlich gescannt werden.
Handhelds für Kassenpersonal: Mobile Geräte, die Mitarbeitenden erlauben, bestimmte Vorgänge an SB-Kassen (wie Altersfreigaben) aus der Entfernung freizugeben.
Sie haben mal gesagt, dass Sie auch deswegen mit Technologie experimentieren, um sich auf eine Zukunft vorzubereiten, in der es immer schwieriger wird, Personal zu finden.
Jäger: Das hat für mich zwei Aspekte. Die Demografie spricht ja eine eindeutige Sprache: Es wird in Zukunft weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt geben, und so wie es derzeit aussieht, wird es auch schwieriger, Arbeitskräfte aus anderen Ländern zu uns zu holen, wie es die künftige Regierung mit ihrer gesellschaftlich offenbar gewollten Einwanderungspolitik regulieren will.
Ich bin zwar kein Experte, aber nach meiner Wahrnehmung ist es außerdem so: Je stärker automatisiert eine Branche ist, desto höher sind am Ende auch die Gehälter von Mitarbeiter:innen, vor allem in der Konkurrenz mit anderen Branchen. Da geht es um die Frage: Wie kann die Marge, die wir erwirtschaften, das abbilden? Wir können am Ende nicht wesentlich mehr zahlen mit der gleichen Produktivität, die wir jetzt haben. Das wird nur über eine gewisse Automatisierung gehen. Die Leute werden ja nicht anfangen, die Päckchen Butter schneller einzuräumen. Sicherlich kann man Prozesse optimieren. Aber die Technologie muss uns dabei unterstützen, einfachere Arbeitsabläufe zu schaffen.
Ich gönne meinen Mitarbeiter:innen jeden Euro mehr und ich würde gerne mehr bezahlen, das ist so. Aber es ist halt ein weiter Weg. Den werden wir aber alle gehen müssen, unabhängig davon, ob man es gern macht oder nicht.

Überraschenderweise beschreiben Sie sich selbst nicht als überzeugten Technikfan?
Jäger: Ich bin jedenfalls von Natur aus kein Technikfreak. Aber es gibt Technologien, die uns voranbringen können, und dann muss man damit experimentieren. Wenn man als Kaufmann erst in zehn Jahren anfängt, darüber nachzudenken, dann ist das wahrscheinlich wesentlich zu spät.
Wir hatten bislang auf jeden Fall das Glück, mit Diebold Nixdorf einen Partner zu haben, den wir einfach anrufen konnten, um Dinge anzupassen, die für die Abläufe im Markt wichtig sind. Wir haben auch die Freigabe von Edeka erhalten, um all das auszuprobieren – das ist ja auch nicht selbstverständlich.
Inwieweit halten Sie das Konzept des hybriden 24/7-Stores für übertragbar auf andere Standorte?
Jäger: Ich glaube, man muss da sehr genau auf die Rahmenbedingungen schauen. Das Konzept an sich kann – nach meiner Ansicht – schon so wie es ist an geeigneten Standorten ausgerollt werden. Das Thema wäre eher eine noch nicht bestehende Überwachungs- und Sicherheitsstruktur, also: Was passiert zum Beispiel, wenn ein Alarm ausgelöst wird? Oder: Wer macht eine regelmäßige Sichtkontrolle über den Zustand des Marktes, möglicherweise auch aus der Ferne? Ein Flughafen ist in gewisser Hinsicht ja ein geschützter Kosmos mit funktionierenden Sicherheitsvorkehrungen.
Und: Es muss einfach alles zu hundert Prozent funktionieren, auch für die Nutzer:innen natürlich. Die Stolpersteine müssen weg. Aus Sicht der Kund:innen ist jeder Fehler-Piepser einer zuviel.
Personal-Expertise gesucht!

Self-Checkout, Digitalisierung und neue Filialkonzepte revolutionieren den LEH – und stellen Personalverantwortliche vor massive Herausforderungen.
Das Supermarktblog sucht einen exklusiven Fachpartner für Personalthemen:
klicken für mehr Informationen
- 4 fundierte Fachbeiträge pro Jahr
- Exklusive Branchenpräsenz als Personal-Experte
- Zusätzliche Wunsch-Formate nach Absprache
Die Partnerschaft richtet sich an Anbieter von Workforce-Management-Lösungen, Personalberatungen mit Handelsfokus oder Weiterbildungsexperten für den LEH. Interesse an den Konditionen?
Der Beitrag Edeka-Kaufmann Florian Jäger: „Aus Sicht der Kund:innen ist jeder Fehler-Piepser einer zuviel“ erschien zuerst auf Supermarktblog.