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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Wieso sind Produkte aus dem Bioladen nicht umweltschonender verpackt?

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Ganz schön große Plastikpackung für sechs Scheiben Bio-Käse

Anfang des Jahres haben die Wirtschaftsprüfer der Firma pwc “Familienduell” gespielt und 1000 Leute gefragt: Nennen Sie einen Grund dafür, warum Sie Lebensmittel im Supermarkt auch ohne Verpackung kaufen würden. Häufigste Antwort war: Umweltschutz.

Na sowas!

Immerhin 82 Prozent der Befragten haben vorher erklärt, überhaupt verpackungsfrei einkaufen zu wollen. Was, bei Obst und Gemüse, viele ja sowieso schon tun. 18 Prozent haben verneint, wurden anschließend in Klarsichtfolie eingewickelt und fachgerecht entsorgt. Aber eigentlich ist das eine gute Nachricht, wenn die meisten Leute wissen, dass zuviel Verpackung um ein von ihnen zum Verzehr eingeplantes Lebensmittel keine gute Idee ist. (Wobei zu wenig Verpackung auch keine gute Idee ist, weil sonst statt des Produkts vielleicht nur Matsch bei uns zuhause ankommt.)

Dazu haben die Wirtschaftsprüfer abfragen lassen, ob die Kunden für Verpackungsfreiheit weitere Wege – zu anderen Läden – in Kauf nehmen würden, und ungefähr die Hälfte hat gesagt: ja, kein Problem.

(Ist aber doch ein Problem, jedenfalls wenn die Leute den Weg mit ihrem brandneuen SUV zurücklegen, damit sie beim Einkauf verpackungsfreier Lebensmitteln der Umwelt helfen können.)

Bei Läden wie Original unverpackt in Berlin lassen sich Lebensmittel ohne  Verpackung kaufen

Aber so ist das nun mal beim Einkaufen: richtig konsequent zu sein, ist schwer. Im Bio-Markt kaufen wir zum Beispiel Lebensmittel ein, weil sie naturschonender hergestellt wurden als konventionelle Produkte – aber am Ende ist das meiste in dieselben Materialien verschalt wie im klassischen Supermarkt. Muss das so sein?

Nein, meint Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg:

“Mir scheint, früher war es der Branche wichtiger, dass die Produkte nicht nur Bio sind, sondern dass sie auch nachhaltig verpackt werden. Das hat sich gewandelt. Viele Bio-Lebensmittel sind genau wie konventionelle in Plastik verpackt – manchmal sogar sehr aufwändig. Aus Sicht der VZ ist das keine erfreuliche Entwicklung.”

Um den “Problemfall Plastikverpackung” zum thematisieren, listen die Verbraucherschützer anhand konkreter Produkte auf, wie groß der Anteil der Verpackung im Vergleich zum Inhalt ist. Auch Hersteller von Bio-Lebensmitteln müssen sich solche Vergleiche inzwischen gefallen lassen. Schwartau meint:

“Häufig sind die Verpackungen [z.B. von Bio-Käse und Bio-Wurst] auch noch so bedruckt, dass der Kunde gar nicht sieht, dass in der Verpackung an beiden Enden mehr Luft als Ware ist. Das passt unserer Ansicht nach nicht zu Bio und grenzt ist kein redlicher Umgang mit dem Kunden.”

Der hat es aber womöglich so gewollt, sagt Ralph Weishaupt, Berater für Qualitäts- und Prozessmanagement in der Lebensmittelindustrie. Vor zwanzig Jahren wäre jeder, der im Bioladen kostenlose Plastiktüten angeboten bekommen hätte, empört gewesen und nie mehr wieder gekommen. “Bio wird inzwischen von der breiten Masse der Kunden gekauft. Es kann sein, dass deswegen weniger hinterfragt wird.” Und warum haben die Produzenten nicht von sich aus eingelenkt?

“Meine Vermutung ist: Weil die Bio-Branche in den vergangenen Jahren so starken Rückwind hatte, haben sich viele Hersteller darauf konzentriert, neue Produkte zu entwickeln – während im klassischen Lebensmittelhandel echte Produktneuerungen eher die Ausnahme sind und die Industrie sich deswegen stärker auf neue Verpackungen konzentriert.”

Genau das könnte jetzt auch bei Bio-Lebensmitteln wieder in den Vordergrund rücken, wenn die Kunden stärker für das Thema sensibilisiert sind. Es bedeutet aber nicht automatisch: mehr Mehrweg – denn die Glasbehälter haben nicht zwangsläufig eine bessere Ökobilanz, weil sie ja zurücktransportiert und gereinigt werden müssen. Es geht auch darum, Mineralöl-Plastik durch Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zu ersetzen.

“Die Biokunststoffbranche hat lange Zeit auf Kompostierbarkeit gesetzt, das war eigentlich der falsche Weg”, sagt Weishaupt. Weil eine klassische Kompostierung in vielen Fällen gar nicht sinnvoll ist. “Sie können das Material nicht einfach in den Garten werfen, weil die Frage ist, welche Begleitstoffe enthalten sind und sich lösen können, zum Beispiel Kleber und Druckfarben.” Die Supermarktkette Tegut hat sich u.a. deshalb bei ihren neuen Obst- und Gemüsebeuteln “bewusst gegen eine kompostierbare Variante entschieden”.

Materialien wie Bio-PE und Bio-PET lassen sich inzwischen aber im regulären Recyclingsystem verwerten. Weishaupt meint: “Das ist ein großer Vorteil.”

Veganz in Berlin

Die Berliner Supermarktkette Veganz denkt derweil schon über den nächsten Schritt nach: Verpackungen, die genauso vegan sind wie ihr Inhalt. Bisher lässt sich das noch nicht in allen Fällen gewährleisten. Sprecherin Michele Hengst erklärt:

“Herstellern, die bedauerlicherweise bisher noch nicht rein vegan verpacken, bieten wir Hilfe bei der Umstellung an – viele, gerade im konventionellen Bereich, wissen ja mitunter gar nicht genau worauf sie achten müssen.”

Schwierig sei die Umstellung z.B. bei Convenience-Produkten. “So löst sich beispielsweise der Leim beim Pasteurisieren, weswegen die Hersteller auf Klebstoff mit dem Milcherzeignis Kasein zurückgreifen müssen. Es gibt auch Unternehmen, die die Umstellung schon geschafft haben – so wie der Feinkostproduzent LaSelva, der laut Veganz zu 100 Prozent vegane Verpackungen anbietet.

Im Laden verzichtet Veganz bei losem Obst und Gemüse ebenfalls auf unnötige Umverpackungen. Bloß: warum steckt der Salat dann in der Plastikschale? Hengst sagt:

“Salate werden häufig vor dem Transport mit nicht-veganen Mitteln besprüht, um beim Transport keinen Schaden zu nehmen. Das entspricht dann natürlich nicht mehr unserem Anspruch veganer Lebensmittel! Daher ist die Plastikverpackung, die aus besonders dünnem recycle PET bestehen, notwendig, damit die Salate stabil verpackt den Transport gut überstehen.”

Waschmittel aus der Recyclingflasche bei Bipa in Österreich

Inzwischen entdecken auch klassische Handelsketten das Thema Verpackung für sich, um sich von Wettbewerbern abzuheben. In Österreich hat die zu Rewe gehörende Drogeriemarktkette Bipa im vergangenen Jahr die Eigenmarke “bi Good” gestartet, Reinigungsmittel und Pflegeprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Besonderheit: Waschmittel und Weichspüler sind in stabile Formfaserflaschen aus 100 Prozent Recyclingmaterial verpackt. Der eigentliche Inhalt steckt dann in einem dünnen Plastikbeutel, der getrennt entsorgt werden kann. Bipa erklärt:

“Wir haben sehr viel positives Feedback von unseren KundInnen und MitarbeiterInnen erhalten. Ein nachhaltiger und umweltbewusster Lebensstil wird für viele Menschen immer wichtiger und damit steigt auch die Nachfrage nach ökologischen Verpackungen.”

Im Moment ist die Altpapierflasche freilich auch ein Marketringtrick, um die bi-Good-Produkte zu verkaufen. Die restlichen Bipa-Eigenmarken könnten ja genauso verpackt sein, um noch mehr Plastik zu sparen. Das sei derzeit aber “noch nicht angedacht”, erklärt Bipa.

Der Text ist eine veränderte Version des Beitrags, den ich für das “Messemagazin BioOst/BioWest” geschrieben habe.

* * *

Nach dem Crowdfunding-Erfolg von Original Unverpackt in Berlin soll übrigens auch München seinen eigenen verpackungsfreien Supermarkt bekommen: “Ohne”. Die potenziellen Gründer sammeln derzeit auf Startnext Kapital.

In London haben sich die Verpackungsfrei-Vormacher von Unpackaged (siehe Supermarktblog) mit der Bioladenkette Planet Organic zusammengetan und kürzlich in einem deren Läden wieder eröffnet, allerdings nicht mehr in Innenstadtnähe.

Das Fotoprojekt “Der verpackte Mensch” hat mehrere Leute einen Monat lang ihren kompletten Verpackungsmüll sammeln lassen und sie damit auf eine Wiese gesetzt, um sie miteinander zu fotografieren. Wer das als Ausstellung sehen will, ist hier richtig mit seiner Unterstützung.

Noch mehr zum Thema steht im Supermarktblog: Dieser Text ist (mit Absicht) ziemlich Banane

Fotos: Supermarktblog (2), Veganz, Bipa [M]


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