Kunden sind eigentlich auch nichts anderes als EC-Karten bei sich tragende Zumutungen auf zwei Beinen. Sie wollen billig einkaufen, aber schön soll’s im Laden trotzdem sein – Aldi und Lidl passen sich an. Auch am späten Abend müssen noch frische Backwaren im Brötchenknast liegen – Aldi und Lidl stellen sich drauf ein. Ständig schleppt einer Produkte zum Umtausch zurück in den Laden, hat aber den verdammten Kassenzettel längst verschlampt – Aldi und Lidl sind großzügig, alles kein Problem. Ein Problem wird’s erst, wenn die Discounter in den Grundfesten ihres Geschäftsprinzips erschüttert werden: draußen, auf dem Parkplatz.
Da hört der Spaß ganz schnell auf.
Die zweibeinigen Zumutungen, die mit ihrem Auto den ganzen Tag einen Parkplatz blockieren, obwohl sie bloß Kleinkram eingekauft haben oder gar nicht erst im Laden waren, sind den Ketten ein Dorn im Auge. Weil kaum etwas schlechter fürs Geschäft ist als ein Parkplatz, der fast vollständig belegt aussieht. Weil neu ankommende Zumutungen sich womöglich in letzter Sekunde umentscheiden und ein paar Straßen weiter zur Konkurrenz fahren könnten, wo sie sich nicht dazwischen quetschen müssen. Viele Discount-Parkplätze sind vor allem deshalb so groß geraten, damit sie nie ganz voll werden.
„Fremdparker“, wie Aldi sie nennt, stören diesen Plan empfindlich. Aus diesem Grund gehen die Ketten inzwischen rigoros gegen sie vor – und riskieren sogar, brave Einstundenparker zu vergrätzen.
In Köln (und andernorts) hat Aldi Schranken vor seine Kundenparkplätze gebaut. An manchen Lidl-Filialen versperren große Eisentore die Zufahrt außerhalb der Öffnungszeiten. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich jedoch vor allem die Straf-Parkplatzaufsicht.
Bei der kümmern sich private Firmen um die Beaufsichtigung und verteilen fleißig Knöllchen, wenn Autobesitzer gegen die Vorschriften verstoßen. Was ziemlich schnell geht, wenn man als Kunde versäumt, die über Nacht montierten Tafeln zu lesen, die ein pedantisches Parkverhalten einfordern: Parkscheibe raus, bitte nicht Trödeln beim Einkaufen, nach sechzig Minuten bis drei Stunden (je nach Laden und Lage) heißt’s hasta la vista. Oder wie es die Firma „Parkraum Service auf ihre Banner schreibt:
„Hier sorgt Parkaum Service dafür, dass Sie als Kunde bequem parken und Ihren Einkauf genießen können.“
Wer sich nicht dran hält, muss blechen. Und zwar mit 15 bis 30 Euro oft deutlich mehr als er beim Einkaufen im Discounter eigentlich sparen wollte.
Das Aufsicht-Outsourcing ist zugleich eine höchst effektive Stützmaßnahme für Zeitungsredaktionen, die jeden Tag einen Lokalteil vollkriegen müssen, und für die Kunden ein Segen sind, die teure Privatknöllchen vor der Teufelsfiliale in die Kamera halten, um empört zu berichten, wie das Unheil über sie kam. („Ein Knöllchen am Auto ist immer eine ärgerliche Sache. Doch als Dieter Pukallus nach seinem letzten Lidl-Einkauf zu seinem Wagen zurück kehrte, fühlte er sich im falschen Film“, berichtete die WAZ im vergangenen Jahr romanhaft aus dem Parkplatz-Krisengebiet Bottrop.)
Jedes Mal wird geklärt, dass Aldi und Lidl auf ihrem Privatgelände tatsächlich selbst die Regeln bestimmen dürfen. Die Bestrafzettelten sind dennoch außer sich. So sehr, dass sich bereits Anwaltskanzleien auf das Problem spezialisieren und Ratgeber zu der Problematik anbieten. Ein Berliner Verbraucherrechtsanwalt erklärt auf seiner Seite:
„Dreh- und Angelpunkt ist bei solchen Vorfällen die Sichtbarkeit des Hinweisschildes an der Einfahrt zum Parkplatz. Dieses muss so groß und deutlich gestaltet sein, dass Sie es nicht übersehen können.“
So groß und deutlich, zum Beispiel, wie vor diesem Berliner Aldi-Markt, dem Kunden kaum vorwerfen können, nicht umfassend informiert zu werden – sofern sie es hinkriegen, den vollständigen Inhalt innerhalb der erlaubten 60 Parkminuten zu erfassen. (Gut möglich, dass sie sich fürs Einkaufen anschließend anderswo einen Parkplatz suchen müssen.)
Dabei wissen die deutschen Vor-Discountern-Parker gar nicht, wie gut sie es eigentlich haben. In Großbritannien vermasselt Tesco seit einiger Zeit so genannten „Nicht-Kunden“ („non-customers“) das unbefugte Parken mittels der ANPR-Technik („Automatic Number Plate Recognition“).
Fährt ein Auto auf den Kundenparkplatz, registriert eine Kamera das Nummernschild; nach dem Einkauf, bei dem mehr als 3 Pfund ausgegeben werden müssen, scannt der Wageninhaber einen Coupon und gibt an einem Touchscreen-Automaten sein Kennzeichen ein. Dann ist das Parken kostenfrei. Wer das vergisst, kriegt ein paar Tage später Knöllchenpost. Vielen Kunden stinkt das gewaltig, wie Beschwerden auf Twitter belegen.
Dennoch ist Tesco nicht alleine mit der Strafmaßnahme: Supermarktblog-Leser Arnulf K. berichtet von ähnlichen Vorkehrungen bei Sainsbury’s, schreibt aber auch, dass sein Kennzeichen beim Einfahren schon falsch gescannt wurde. Ganz so ausgereift scheint die Technik also noch nicht zu sein.
Aber das ändert sich in den kommenden Jahren sicher. Weil das Potenzial riesig ist. Wenn Supermärkte demnächst ihre Kunden im Laden gesichtserkennen, lassen sich Unschlüssige, die zu lange vor dem Weinregal rumgammeln oder Staus an der Käsetheke verursachen, per Lautsprecher augenblicklich zur Kasse beordern, um nachfolgenden Kunden den Weg freizumachen. Spätestens dann wird sich auch der Online-Einkauf von Lebensmitteln ein für alle Mal durchsetzen.
Und wenn sich der freundliche Mitarbeiter beim Kistenschleppen in den 5. Stock wieder Zeit lässt, stecken Sie ihm oben angekommen zum Trinkgeld einfach ein Verspätungsknöllchen in die Brusttasche. Ist ja ihr Privatgelände, auf dem können Sie Regeln aufstellen, wie sie wollen. Wenn Sie vorher dran gedacht haben, an der Haustür eine große Tafel mit ihren ganz persönlichen AGB anzubringen.
Mit Dank an Supermarktblog-Leser Arnulf K. (für das Sainsbury-Foto und das Parkkamera-Ausprobieren).
Fotos: Arnulf K., Metric Group Ltd., Supermarktblog