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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Wie Supermärkte zur „Wohlfühltiefkühl“-Zone werden sollen

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Bestünde ein Supermarkt aus Monaten, wäre die Tiefkühlabteilung der Februar: kalt, ungemütlich, freiwillig will da keiner durch. Das reicht eigentlich schon, um zu verstehen, warum der Frierfrittenhersteller McCain in seiner „Shopper-Studie“ (siehe Supermarktblog) im vergangenen Jahr herausfand, dass beim Einkaufen „drei von vier Verbrauchern erst gar nicht in die TK-Abteilung“ gehen. Die meisten Permafrostflure in Discountern und Supermärkten sind nunmal keine besonders einladenden – oder innovativen – Orte.

Sagen sogar Leute, die sich damit auskennen. Zum Beispiel Sabine Eichner:

„Vor allem die Supermärkte haben sich in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich über ihre Frische-Sortimente profiliert. In der Tiefkühlabteilung gibt es unserer Auffassung noch Nachholbedarf. Es muss sich etwas ändern, damit sich die Kunden in der Abteilung wohler fühlen.“

Eichner ist Geschäftsführerin des Deutschen Tiefkühlinstituts (dti) in Berlin, einem Zusammenschluss von 159 Unternehmen aus der Tiefkühlbranche, die in regelmäßigen Abständen daran erinnern wollen, dass ihre Produkte cooler sind als die Leute glauben. Im vergangenen Jahr hat das dti zusammen mit der Fachzeitschrift „Lebensmittel Praxis“ Deutschlands schönste Tiefkühlabteilungen mit dem Branchenpreis „Tiefkühl Stars“ prämiert. Ein Arbeitskreis entwickelte einen „TK-Baukasten“, der Läden dazu anleitet, ihre frösteligste Ecke zur „Wohlfühltiefkühlabteilung“ umzubauen. (Tatsächlich!)

Dass Notwendigkeit dafür besteht, lässt sich nach einer kleinen Ladenexkursion kaum bestreiten.


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„Natürlich definiert sich die Tiefkühlabteilung erstmal über technische Möbel“,

sagt Sabine Eichner vom Tiefkühlinstitut. „Und manchmal werden die Truhen genauso in den Markt gestellt wie sie aus der Produktion kommen. Das sieht nicht immer so schick aus: klinisch weiß, technisch, kalt.“ Wenn Händler dann auch noch ein kaltes Licht einsetzten, verstärke sich der ungemütliche Eindruck. Eichner plädiert: „Es muss nicht immer ein funkelnder Eiskristall von der Decke hängen, damit die Kunden wissen, in welcher Abteilung sie sind.“

Aber das scheint bei vielen großen Supermarktketten noch nicht so recht angekommen zu sein, wenn Tiefkühlabteilungen in Neubauten zwar ohne Kristall, aber doch wieder mit kühlem Blau gekennzeichnet werden.

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Im Grunde genommen ist der „TK-Check“, den der Tiefküllobby-Zusammenschluss den Supermarktbetreibern zur Abteilungsaufmöbelung ans Herz legt, eine einfache Checkliste, auf die man mit kühlem Kopf auch als Nichtexperte gekommen wäre: Sind die Kühlgeräte sauber? Gibt’s Isoliertaschen auf Vorrat? Sind die Truhen ordentlich aufgefüllt?

Man kann sich natürlich auch ein bisschen mehr Mühe geben:

1. Wegweiser: Here to be Pommes

„Kunden, die schon in der Abteilung sind, wollen schnell das finden, was sie suchen“, sagt Sabine Eichner. „Deshalb ist es wichtig, Warenorientierungssysteme einzusetzen: zum Beispiel mit Farben, Piktogrammen, Schildern.“

In seinen neu designten Centern macht Rewe das schon ganz clever. Von der Decke hängen weiße Würfel über den Truhen, die sofort signalisieren, wo’s tiefgekühlte Pizza, Pommes und Hähnchen gibt, und das schon von weitem im Markt sichtbar machen. (Die Würfel kennzeichnen aber auch andere Sortimente im Laden.)

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75 Prozent aller Tiefkühlkunden wissen schon, was sie kaufen wollen, wenn sie in der Abteilung stehen, hat McCain herausgefunden. Und rät, mit Sonderaktionen dafür zu sorgen, dass sie, wenn sie schon mal da sind, öfter auch was mitnehmen, das nicht geplant war. Einfach neonorange-farbene Hinweisschilder über die Truhen zu hängen, wie Lidl das lange Zeit praktiziert hat, ist natürlich keine allzu galante Methode, auf Aktionen hinzuweisen.

2. Möbel: Kaufst du schon, oder frierst du noch?

Die Abteilungen können kaum schöner werden, wenn die Möbel, aus denen sie bestehen, es nicht sind. Deshalb sei auch die Kreativität der Tiefkühlmöbel-Hersteller gefragt, sagt dti-Geschäftsführerin Eichner. „Es gibt inzwischen Truhen, die auch von der Seite einsehbar sein. Der klassische Kühlbereich entwickelt sich ja auch weiter, immer mehr Kühlregale bekommen aus Gründen der Energieeffizienz Glastüren.“

Im Tiefkühldeutsch klingt Innovation dann zum Beispiel so wie beim TK-Möbelhersteller AHT, der seine Truhenmodelle nach internationalen Großstädten benannt hat:

„Modell PARIS. Ein innovatives Kühl- und Tiefkühlgerät mit gebogenen Panorama-Glasschiebedeckeln und integrierter Innenbeleuchtung, das mit dem attraktiven Kopfgerät PARIS 185 zu verkaufswirksamen Kühl- und Tiefkühlinseln ausgebaut werden kann.“

Unterschätzen Sie also nie die Attraktivität eines Kopfgeräts! Oder darf’s stattdessen eine „Sydney XL“ sein, das Modell „Palma“, „Miami“, „Salzburg“? „Athen XL Eco“ vielleicht?

Manchmal reicht es auch schon, statt der weißen Truhen und Schränke einfach graue in den Laden zu stellen, so wie’s Kaufland in umgebauten Märkten praktiziert. Wirklich gemütlicher wird die Abteilung dadurch aber auch nicht.

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3. Pizzalift: Mehr Hubraum wagen

Was nutzt die schönste Truhe, wenn sich die Kunden reinlegen müssen, um an ihre Lieblingspizza ranzukommen? Die Firma POS Tuning in Bad Salzuflen kümmert sich darum, dass das nicht passiert, und stellt „Warenvorschub-Systeme“ und „Warenlifts“ her. Der „Pizzalift“ sorgt dafür, dass Ihr tiefgefrorenes Abendessen immer im obersten Truhenstock auf Sie wartet und schiebt die nächste Pizza nach, wenn eine entnommen wurde. (Nebenbei sehen die Truhen nicht so leergeräumt aus, selbst wenn sie’s sind.)

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Foto: © 2016 – POS TUNING, Udo Voßhenrich GmbH & Co. KG

Nach demselben Prinzip funktioniert auch der TK-Erbsenvorschub in Tiefkühlschränken: In den vergangenen Jahren hat die britische Supermarktkette Tesco 125.000 Meter Glastürenschränke mit den Systemen von POS Tuning ausstatten lassen, schreibt der „tk-Report“ (PDF).

Wäre auch gar keine schlechte Idee für den Eisschrank zuhause, um nicht wieder beim verspäteten Abtauen nach fünf Jahren mumifizierte Überraschungs-Tiefkühlkost in der Schublade zu finden.

4. Regalaufsätze: Drübergucken erwünscht

Damit das Tiefkühlangebot zumindest übersichtlicher aussieht, verzichten viele Ketten inzwischen darauf, Regalaufsätze auf die Truhen zu schrauben (wo bislang z.B. Tütensuppen, Gewürze und Soßen untergebracht wurden). Selbst Aldi und Lidl probieren das in neueren Filialen aus.

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Und Penny hat den freien Luftraum über den Tiefkühltruhen bei seinem Komplettumbau zum festen Prinzip gemacht.

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5. Positionierung im Laden: Ewig lockt die Kasse

Auch sonst tiefkühlempanzipiert sich Penny von seinen Discount-Wettbewerbern  und hat die Abteilung direkt vor die Kassen geholt. Einerseits wird dadurch die Auftaugefahr während des Einkaufs reduziert, weil die Produkte nicht erst durch den halben Markt gefahren werden müssen bis sie in der Tasche landen. Andererseits hat es den Nachteil, dass Kunden, sobald sie sich der Kasse nähern, schon genug Zeit woanders vertrödelt haben und dann vielleicht der Tiefkühlbummel flachfällt.

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Die Alternative zur Positionierung vor der Kasse hat Thomas Klein, Sales & Marketing Director bei McCain, vor einiger Zeit der „Rundschau für den Lebensmittelhandel“ erklärt:

„Der Trend der letzten Jahre geht ganz klar in eine Richtung: Die Kopplung der Tiefkühlabteilung an die Frischetheken. Diese Platzierung hat den psychologischen Nebeneffekt, dass die Verbraucher Tiefkühlkost automatisch stärker als frisches Sortiment wahrnehmen.“

Das ist vor allem den Herstellern als Verkaufsargument ziemlich wichtig. Aber nicht zwangsläufig auch den Supermärkten, die dafür die komplette Struktur ihrer Märkte über den Haufen werfen müssten. Sabine Eichner vom dti sagt:

„Der Trend geht in vielen Supermärkten dahin, die Tiefkühlabteilung in den Vorkassenbereich zu nehmen.“

Anders formuliert: Es gibt keine Strategie, auf die sich alle geeinigt hätten.


Aber wie sehen Sie denn jetzt aus, die Knaller-Tiefkühlabteilungen, die (fast) alles richtig machen, und aus denen man gar nicht mehr raus will? Na, zum Beispiel so wie der Edeka-Markt Aschoff in Kassel, der Lounge-Lampen über Frostkrabben und TK-Gemüse gehängt hat. (Das Tageslicht im Markt hilft aber auch, den Gemütlichkeitsdichte zu erhöhen.)

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Foto: Bäro GmbH

Oder so wie der Siegener Rewe Dornseifer, bei dem’s aussieht, als werde die Tiefkühlkost von entferbt verwandten Truhen-Aliens aus dem All besucht:

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Foto: Bäro GmbH

Erstaunlicherweise aber auch so wie bei Real in Isernhagen, dem 2015er „Tiefkühl Star“-Gewinner in der Kategorie bis 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Das ist dem Marktteam zweifelsfrei zu gönnen. Aber auch ein bisschen rätselhaft. (Vielleicht sind auch bloß die Fliesen schuld.)

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Foto: Lebensmittel Praxis

Ebenfalls ein Gewinner ist Kaufland in Dallgow. Allerdings nicht in der Kategorie „Schönste 80er-Jahre-Tiefkühlabteilung“ (sondern in der „über 10.000 Quadratmeter“):

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Foto: Lebensmittel Praxis

Womöglich spricht all das auch für die Erkenntnis, dass eine Tiefkühlabteilung – so sehr sich ein Ladenbetreiber bemüht – eben nur begrenzt aufhübschfähig ist und am Ende immer aus Gefrierkästen besteht, in denen sich schockgefrostete Lebensmittel anders als das frische Obst und Gemüse eben nicht in hübschen Körben drapieren oder zu Türmchen aufstapeln lassen.

„Die Kunden halten sich im Schnitt 60 Sekunden in der Tiefkühlabteilung auf“,

sagt McCain-Mann Klein. Das heißt: Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, haben Sie sich schon länger über Tiefkühlabteilungen im Supermarkt Gedanken gemacht als sie im vergangenen Jahr beim Einkaufen dringestanden haben. Höchste Zeit für einen heißen Tee. Draußen ist schließlich immer noch Februar.

Mehr über Strukturen und Probleme im Tiefkühlmarkt steht Ende der Woche im Blog.


Weiterlesen:

Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet): Supermarktblog


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