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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Ladenrundgang in Leipzig: Edel sei der Penny, strukturreich und gut

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Raum ist bekanntlich in der kleinsten Hütte. Dass das ebenso auf kleine Paläste zutrifft, belegt Penny mit seiner Filiale im Leipziger „Oelßner’s Hof“, die vor einem Jahr eröffnet hat. Höchste Zeit, sich da mal umzusehen: mit einem Ladenrundgang in fünf Stationen (aber ohne weitere Goethe- oder Schiller-Zitierungen).

Alle Bilder sind über die Galerie oben abrufbar (klicken zum Vergrößern).


1. Am Aktions-Eingang

Gülden-zart ist der Name des gemauerten Bau-Ensembles an die Wand gehaucht, direkt über Adelskronen Pils und Mezzo Mix in der weit nach vorne verlagerten Getränkeabteilung. Oelßner’s Hof (ja, mit Apostroph) gehört zu den innerstädtischen Passagen und früheren Messehäusern Leipzigs, die über viele Jahrzehnte Mittelpunkt des Pelzhandels waren. In den Höfen konnten Pferdegespanne Waren gleichzeitig anliefern und abholen, ohne dafür wenden zu müssen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der (inzwischen aufwändig renovierte) Komplex nach dem Herrn Kommerzialrat Wilhelm Oelßner benannt, der mehrere Häuser zu einer Einheit zusammenführte.

Der Herr Kommerzdiscounter Penny wiederum führte Anfang des 21. Jahrhunderts sein Getränkeangebot mit der Aktionsware zusammen, die sich im üblichen Ladenlayout sonst allenfalls als entfernte Bekannte kennen, am Eingang der Leipziger Filiale aber eine friedliche Koexistenz führen.

Nach dem Einlass durch eine gläserne Trennwand mit historischen Wappen ließe sich auf der ursprünglich frei gelassenen Fläche problemlos Fußball spielen. Aus Pfandschutz- bzw. Umsatzgründen hat sich die Ladenleitung dann aber doch dazu entschlossen, dort Gittertische mit Dosenbier, Grillsoßen und EM-Fan-Devotionalien aufzubauen.

2. Zwischenstopp im Künstlerviertel

Von schiefen Wänden und schrägen Decken lässt sich Penny im Zuge seiner Nachbarschafts-Einschmeichelei in den Innenstädten nicht schrecken. Ist ein Laden auch noch so verwinkelt, Penny passt fast immer rein. Das ist in Oelßner’s Hof nicht anders.

Um von den räumlichen Unzulänglichkeiten abzulenken, hat sich die beauftragte Designagentur in Leipzig eine hervorragende Strategie ausgedacht: einheimische Wandmalereien aus dem späten 2015. Die „Street-Art-Bilder, die Geschichte und Gegenwart verbinden“ (wie es die Designer formulieren) zeigen historische Bauwerke Leipzigs, zum Beispiel die Alte Handelsbörse, den Hauptbahnhof und die Nikolaikirche.

Die einzige Gefahr ist, dass Kunden bei deren Besichtigung vergessen, Knabberzeug und Schokolade zu kaufen.

3. Frische-Connection

Oelßner’s Hof ist, wo „Tradition auf Frische“ trifft, sagt vielleicht nicht der gesunde Menschenverstand, aber Penny. Tradition hatten wir schon. Bloß wo ist die verdammte Frische versteckt? Einfache Antwort: gar nicht. Sie ist bloß eine Allianz mit der Kühlware eingegangen und hat sich ans Ende des Markts zurückgezogen. An den Seiten stehen dort die vollständig betürten Kühlregale Wache, die Truhen mit der Tiefkühlware davor, und ganz hinten, vom vollständig auf Inseln drapierten Obst und Gemüse, hat man einen fantastischen Blick über die beeindruckende Truhenlandschaft auf die verbündete Aufbacktheke gegenüber.

In jedem gewöhnlichen Penny wäre das eine schreckliche Ansammlung von Wichtigtuern, noch dazu an unmöglicher Stelle. Dass es in Leipzig hingegen hervorragend funktioniert, liegt am:

4. Tageslichtbad

Die Westfront der Filiale, wo sich die Frische-Connection gebildet hat, ist nämlich komplett verglast. Passanten können theoretisch von draußen schon sehen, ob ihre Lieblings-Pudding gerade vorrätig ist …

… und die, die schon drinnen sind, können sich bei der Gemüseauswahl mit Tageslicht befluten lassen – mehr Luxus ist im deutschen Discountwesen selten vorhanden.

5. Ornamental abkassiert

Wer sich an der Einrichtung sattgesehen hat und den Einkauf abzuschließen wünscht, wird durch verwinkelte Regalgässchen zurück zum Eingang geleitet, um dort zu zahlen.

Für den Fall, dass es an der Kasse mal etwas länger dauert, weil ein Kunde seine Kleingeldsammlung aufzulösen wünscht, hat Penny eine „Geschichte des Grundstücks“ auf Glastafeln an der Wand anbringen lassen, die von der Zugehörigkeit des Komplexes zum Barfüßerkloster über die große Zeit des Rauchwaren- und Pelzhandels bis zur denkmalgerechten Sanierung reicht. Ist echt was losgewesen hier, zwischen 1508 und 2015.

Außer in den Jahren 1933 bis 1949. In dieser Zeit scheint sich in Oelßner’s Hof nichts Wesentliches ereignet zu haben. Vermerkt sind, ähnlich wie auf der Website des neuen Hausherrn, lediglich „Einschränkungen für die Rauchwarenhändler“ (gemeint sind: Pelzhändler) Anfang der 30er Jahre, und nachher gleich die „Fortführung des Rauchwarenhandels“.

Ein paar Ereignisse sind den Modernisierern leider durchgerutscht:

  • Viele jüdische Kaufleute konnten nach der Machtergreifung der Nazis ihren Beruf nicht mehr ausüben. Theodor Thorer, damaliger Eigentümer von Oelßner’s Hof, fertigte hingegen mit seiner Firma im Zweiten Weltkrieg als offizieller Rüstungsbetrieb im Auftrag der Deutschen Wehrmacht (Hessisches Wirtschaftsarchiv).
  • Und beschäftigte Zwangsarbeiter aus Leipziger Arbeitslagern (siehe „Fremd- und Zwangsarbeit im Raum Leipzig 1939-1945“).
  • Nach Kriegsende wurde Thorer zur Gründung des volkseigenen Betriebs „VEB Stadtpelz“ in der DDR enteignet, musste auch Oelßner’s Hof abgeben und führte seine Geschäfte im Westen fort (WikipediaHWA).

Klar, dass das nicht auf die schöne Glastafel gepasst hat.

Aber vielleicht konzentriert man sich als Discounter bei der nächsten Gelegenheit ohnehin besser auf das, was man besonders gut kann: Dosenbier und Aufbackbrötchen.

Fotos: Supermarktblog


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