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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Frisch, aber teurer: Rewes Bringdienst macht die Kostenlos-Lieferung zur Ausnahme

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Seit einigen Wochen wirbt Rewe für seinen Bringdienst mit dem Spruch „Ich mag’s liefer frisch“ und will damit endlich auch Matschauberginen-Angsthaber vom Lebensmittel-Online-Einkauf überzeugen. „Sollte ein einzelnes Produkt nicht so frisch sein, wie Sie es erwarten, nimmt der Lieferfahrer es direkt wieder mit. Natürlich kostenfrei“, verspricht Rewe im Netz – „Bestellen ohne Risiko“. Mit der Aktion wolle man den Dienst „bei potenziellen Neukunden bekannter (…) machen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Dass Rewe gleichzeitig in Kauf nimmt, regelmäßige Kunden zu verärgern, steht da freilich nicht. Denn die Liefergebühren wurden zum Teil deutlich erhöht, und die Kostenlos-Lieferung ab 100 Euro gibt es in der bisherigen Form gar nicht mehr.

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Die Kunden werden erst im laufenden Bestellvorgang über die neue Kostenstruktur informiert. Der Mindestbestellwert von 40 Euro ist gleich geblieben, Bestellungen darüber kosten in der Lieferung „ab 3,90 €“; dazu kommt die neue Schwelle von 80 Euro, über der Einkäufe „ab 2,90 €“ zu haben sind; die 100-Euro-Grenze ist weggefallen und durch eine ab 120 Euro ersetzt worden, bei der die Bestellungen „ab 0,00 €“ geliefert werden.

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Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt Rewe-Digital-Sprecherin Hannah Polmans, dass man die bislang in einzelnen Städten unterschiedlichen Gebühren vereinheitlichen wollte. Zudem werde nun ab 80 Euro Warenkorbwert ein Rabatt von einem Euro auf die Liefergebühr gewährt:

„Mit dieser Anpassung wollen wir auch die Kunden erreichen, deren Warenkorbwert nicht auf die 100 Euro kommt. Weil der Mindestbestellwert bei 40 Euro liegt, haben wir uns für 40-Euro-Schritte entschieden und entsprechend die Grenze für kostenlose Lieferungen auf 120 Euro angehoben.“

Für die Kunden ist diese angebliche „Vereinfachung“ jetzt allerdings sehr viel komplizierter, weil die Höhe der Lieferkosten sich nicht mehr – wie bisher – nur nach dem Zeitfenster der Lieferung richtet, sondern zusätzlich nach dem abgestuften Warenwert. In vielen Fällen bedeutet das, dass Lieferdienst-Kunden jetzt mehr bezahlen, zum Beispiel unterhalb der 80-Euro-Schwelle.

Mein Einkauf für rund 79 Euro aus dem Herbst vergangenen Jahres kostete damals 3,90 in der Morgen-Zustellung zwischen 8 und 10 Uhr. In den kommenden beiden Wochen müsste ich für denselben Einkauf im Lieferfenster zwischen 7 und 9 Uhr morgens mindestens 4,90 Euro zahlen, an manchen Tagen sogar die (aktuelle) Höchstgebühr von 5,90 Euro.

Kostenfrei nur für Sechseinhalb-Stunden-Warter

Vollständig kostenfreie Lieferungen sind künftig die Ausnahme. Bislang war die Regelung denkbar einfach: Wer für über 100 Euro online bestellte, musste nichts mehr für die Lieferung bezahlen. Das entsprach dem Wert, den Rewe-Chef Alain Caparros vor drei Jahren in einem Interview als Durchschnittsbetrag genannt hatte, ab dem man mit dem Lieferservice profitabel arbeiten könne.

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Diese Grenze scheint sich verschoben zu haben. Rewe Digital mag sich dazu nicht äußern. Sprecherin Polmans erklärt aber, dass die meisten Kunden, die bislang für über 100 Euro beim Lieferservice eingekauft hätten, auch über die neue 120-Euro-Grenze kämen.

Aber selbst dann werden sie künftig für die Lieferung zur Kasse gebeten, wenn auch nur zwischen 90 Cent und 1,90 Euro. Soviel kosten aktuell sämtliche Zwei-Stunden-Zeitfenster in Berlin für Kunden mit einem Einkaufskorb über 120 Euro. Nur wer zustimmt, in den maximal unpraktischen Zeitfenstern zwischen 7 und 13.30 Uhr bzw. zwischen 14.30 und 22 Uhr zuhause sein zu können, zahlt aktuell nix für die Lieferung.

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Faktisch hat Rewe die Kostenlos-Lieferung für Privathaushalte damit abgeschafft, weil der ganze Vorteil des Online-Einkaufs hin ist, wenn man dafür sechseinhalb bzw. siebeneinhalb Stunden zuhause sitzen muss. Profitieren dürften allenfalls Kitas oder Büros mit Sammelbestellungen, die Rewe damit bevorzugt.

Nun sind 90 Cent oder 1,90 Euro immer noch faire Beträge dafür, den Großeinkauf nachhause an die Tür geliefert zu bekommen. Aber als Signal an die bestehenden Kunden ist die Einführung der neuen Preisstruktur fatal: Weil sie nicht offen und transparent erfolgt ist, sondern erst im Laufe des Bestellprozesses sichtbar wird und Rewe die Aufmerksamkeit stattdessen auf seine Frische-Kampagne lenkt, die auch zahlreiche Branchenmagazine artig kommuniziert haben.

Amazon Fresh steht in den Startlöchern

Anfang 2015 war – ähnlich stillschweigend – bereits das „Preise wie im Laden“-Versprechen wieder einkassiert worden. Aktionen aus den Wochenprospekten sind seitdem nicht mehr gültig. Zudem kosten manche Artikel im Online-Shop inzwischen deutlich mehr als im Markt (z.B. alkoholische Getränke).

Rewe scheint sich mit seinem Lieferservice massiv verkalkuliert zu haben, denn der Eingriff in die Gebührenstruktur kommt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Amazon in deutschen Großstädten seinen Prime-Now-Lieferdienst zu etablieren beginnt, der auch Lebensmittel schnell (und für Prime-Kunden innerhalb von zwei Stunden kostenfrei) nachhause bringt.

Dazu steht Amazons Lebensmittel-Lieferdienst Fresh kurz vor dem Deutschland-Start. Im 1. Quartal des kommenden Jahres könnte es soweit sein. Gespräche mit Lieferanten laufen. (Interessant wird freilich, welche Gebühren Amazon von den deutschen Kunden zu verlangen gedenkt. Im Ausland sind durchaus happige Jahresbeiträge fällig.)

In Großbritannien hat Lieferdienst-Marktführer Tesco derweil auf dieselbe Amazon-Initiative mit einer schnelleren Abholmöglichkeit für Online-Einkäufe in 300 seiner Läden reagiert: Wer bis 13 Uhr im Netz bestellt, kann seine Lebensmittel ab 16 Uhr im Markt um die Ecke einsammeln und zahlt für die Zeitersparnis, nicht Schlange stehen zu müssen, 2 Pfund (3 Pfund an stärker frequentierten Freitagen und Samstagen). Wenn Rewe den Kampf gegen Amazon in Deutschland gewinnen will, bräuchte es ähnliche Initiativen.

„Wenn die mit ‚Amazon fresh‘ richtig durchstarten, wird uns das sehr weh tun“,

hat Caparros gerade dem „Spiegel“ gesagt. Das gilt umso mehr, wenn Rewe treue Online-Kunden mit intransparenten Gebührenerhöhungen verärgert.


Nachtrag: Rewe erklärt: „Unsere Kunden haben die Änderungen gut angenommen und bei den wenigen Rückfragen, die uns erreicht haben, konnten wir den Kunden telefonisch, per E-Mail und über Social Media zur Seite stehen.“

Vielen Dank an Supermarktblog-Leser Stefan B. für den Hinweis!

Titelfoto: Supermarktblog, Screenshots: rewe.de


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