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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Billy mag kein Internet: Ikeas verkorkste Online-Strategie

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Was würden Sie dafür geben, am nächsten Samstag nicht den halben Tag von Ikea verschluckt zu werden, bloß um ein neues Stockholm-Sofa zu kaufen? Dafür, sich nicht mit tausend anderen Leuten durch die Ausstellung im Obergeschoss zu schieben? Nicht Schlange zu stehen für ein paar Fleischbällchen mit pappigen Pommes? Und gar nicht erst in Versuchung zu geraten, noch mehr Teelichter zu kaufen?

Wie wär’s mit: 25 Euro?

Dieses Schmerzensgeld Sümmchen verlangen die kumpeligen Schweden von Kunden, die sich dem ganzen Möbelhaushorror verweigern, der zu einem durchschnittlichen Ikea-Besuch dazu gehört: dem Endlosirrgarten in der „Markthalle“, dem obligatorischen Stopp im Restaurant, dem Regalnummernsuchen im Lager, dem SB-Kassen-Anstehen, der Keksbevorratung im Schweden-Shop.

Hinfahren müssen Sie dann zwar immer noch. Aber das Sofa wartet schon abholbereit am Click-&-Collect-Schalter auf Sie. Wie gesagt: für 25 Euro extra. Wo käme Ikea denn sonst hin, wenn dort alle einfach nur noch zum Möbeleinkaufen auftauchen würden?

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Im September hat der Möbelkonzern seine Umsatzzahlen für das vorige Geschäftsjahr bekannt gegeben (43,2 Milliarden Euro weltweit) und stolz erklärt, seine Online-Umsätze um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert zu haben (auf 1,4 Milliarden). Reuters berichtete, der Konzern habe den E-Commerce „umarmt“:

„Jahre lang hat sich Ikea darauf verlassen, dass Kunden in die Häuser am Rande der Stadt fahren und ihre Sachen selbst nachhause tragen.“

Inzwischen investiere das Unternehmen verstärkt in Online-Shopping und experimentiere mit kleineren Läden und Abholstationen. Nicht dazu geschrieben hat Reuters, wie unwohl sich Ikea dabei ganz offensichtlich fühlt. Anders lässt sich die verkorkste E-Commerce-Strategie eines der erfolgreichsten Möbelanbieter der Welt im Jahr 2016 kaum erklären.

Strafe für Mehrbesteller

Ein Jahr zuvor ließ sich der schwedische Ikea-CEO Peter Agnefjäll in einem Interview mit CNBC zu dem Eingeständnis verleiten, man hätte online „schneller sein können“ (Video ansehen). Dabei hat die Langsamkeit höchstwahrscheinlich System. Auch viele Monate später  unternimmt der Möbelkonzern immer noch alles, um seinen Kunden den Einkauf im Netz so unangenehm wie möglich zu machen.

Mit einer hoffnungslos veralteten Website, für die es längst eine modernisierte Variante gäbe (die im irischen Markt seit einer kleinen Ewigkeit getestet wird).

Und mit einer wenig nachvollziehbaren Versandkosten-Pauschale. Dass Ikea nicht kostenlos nachhause liefert ist dabei gar nicht der Punkt. Die Konkurrenz im Netz kann das ja auch nur, weil sie die Lieferkosten vorher in den Endpreis einkalkuliert hat. Bei Ikea geht das nicht. Die Kunden wissen, was die Möbel im Laden kosten. Sie erwarten diesen Preis auch im Netz. Klaus Cholewa, Country Customer Experience Manager Ikea Deutschland, erklärt auf Anfrage:

„Würden wir den Onlinekauf samt Lieferung zum selben Preis anbieten, müssten die Versandkosten in die Produktpreise eingerechnet werden. Somit würden Cash&Carry-Kunden die Belieferung der Online-Kunden mitbezahlen bzw. subventionieren.“

Das ist nachvollziehbar. Anders als die Staffelung der Versandpauschale nach dem Warenwert, die sich das Unternehmen ausgedacht hat.

Wer auf ikea.de zum Beispiel ein Kivik Dreisitzer-Sofa im Wert von 399 Euro ordert oder einen Pax-Schrank für 391 Euro kauft, zahlt für die Lieferung 49 Euro Versandkosten. Kunden, die sich lieber für das Stockholm-Sofa entscheiden und Ikea damit mehr als doppelt soviel Umsatz bescheren (999 Euro) oder für 815 Euro einen Pax mit schöner beklebtem Sperrholz, schickeren Türen und mehr Schubladen wollen, zahlen beim Versand 109 Euro. Obwohl das teurere Sofa kaum schwerer ist. Und der Schrank genauso groß.

Anders gesagt: Ikea bestraft Online-Kunden dafür, dass sie beim Einkaufen mehr Geld ausgeben, wenn sie zum Beispiel teurere Möbel kaufen, an denen das Unternehmen (mutmaßlich) wegen höherer Margen mehr verdient.

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Screenshot: ikea.com

Eine kostenlose Lieferung gibt es gar nicht. Ab 1200 Euro Einkaufswert wird auch kein Glückwunschschreiben mitgeschickt – sondern eine Rechnung über 149 Euro, der höchstmöglichen Versandgebühr.

Und wer clever ist, bestellt zum 399-Euro-Sofa besser keine Lampe für 20 Euro mehr dazu, weil sich der Versand sonst direkt nochmal um dieselbe Summe erhöht. Billiger ist’s, die Lampe danach extra zu ordern: für 6,90 Euro Paketversand.

Zu dieser mittelmäßig schönen „Customer Experience“ erklärt Country Customer Experience Manager Cholewa:

„Wir haben uns für eine Berechnung der Versandkosten auf Grundlage des Warenwertes entschieden, da dies aus Kundenperspektive die transparentestes Art und Weise ist. Außerdem verpflichtet der Gesetzgeber Online-Händler, die Gesamtkosten pro Bestellung eindeutig anzugeben, was unserer Einschätzung nach über dieses Modell am einfachsten möglich ist.“

Man überprüfe das Modell aber „in regelmäßigen Abständen“:

„Sollten wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine andere Option aus Kundenperspektive geeigneter ist, würden wir das System umstellen.“

Aber wirklich nur, wenn’s gar nicht mehr anders geht.

Offline-Kunden sind die besten

Ikea steckt in einer Zwickmühle. Einerseits gibt sich CEO Agnefjall große Mühe, gegenüber Wirtschaftsjournalisten so zu tun, als gehe er mit der Zeit. Auf die Frage, wieviel Prozent des Umsatzes Ikea in zehn Jahren über das Internet machen werde, antwortet Agnefjall aber lieber nicht so genau. Weil ihm klar ist, dass das Geschäftsmodell seines Unternehmens ganz und gar nicht für die Online-Welt gemacht ist.

Schlimmer noch: jeder Kunde, der aus den Möbelhäusern ins Netz abwandert, gefährdet es sogar massiv.

Das System Ikea funktioniert vor allem als Mischkalkulation. Und die geht nur auf, wenn die Kunden weiter in die Läden kommen. Um dort außer den Billigmöbeln auch noch Stifthalter, Servietten und Zeitschriftensammler mitzunehmen. Den ganzen Kram, den Sie eigentlich gar nicht brauchen (weil die Pflanzen daheim auch nicht langsamer vertrocknen, wenn man ihnen einen neuen Topf kauft), Ikea aber umso mehr.

„Grundsätzlich möchten wir die Frequenz möglichst in den Häusern forcieren. Wir lösen eine Menge Impulskäufe in der Markthalle aus und dieses Potenzial möchten wir nicht […] torpedieren“,

hat Michael Mette, stellvertretender Geschäftsführer von Ikea Deutschland, kürzlich in einem Interview mit dem Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) erklärt.

Das heißt im Grunde: Wenn Sie online dieselben Ikea-Möbel kaufen, die Sie auch im Laden gekauft hätten (und artig Versandkosten dafür bezahlen), sind Sie für den Konzern trotzdem ein schlechterer Kunde.

Entsprechend übersichtlich ist der Online-Anteil am Gesamtumsatz in Deutschland immer noch: 2013 waren es in Deutschland 2,2 Prozent, 2015 immerhin 4,2 Prozent. Bis 2020 soll der Anteil auf 10 Prozent steigen, prognostiziert Mette.*

Pick-up statt Lauf-durch

In der Ikea-Strategie spiele das Einrichtungshaus „nach wie vor eine zentrale Rolle“, heißt es in der deutschen Unternehmenszentrale. Letztlich kann sich aber auch Ikea nicht erlauben, die sich ändernden Konsumgewohnheiten seiner Kunden zu ignorieren. Daher kommt die Anstrengung, stärker dorthin zu rücken, wo die Kunden sind, die nicht mehr freiwillig zum Einkaufen an den Stadtrand fahren.

In Hamburg-Altona ist das mit einem Einrichtungshaus in der Fußgängerzone gegen den erbitterten Widerstand von Bürger- und Künstlerinitiativen bereits gelungen; auch in Stuttgart scheint Ikea Interesse an einer City-Filiale zu haben, stößt dabei aber auf Widerstand bei der Stadt. Im bayerischen Memmingen hält sich die Begeisterung über die Pläne für eine Neuansiedlung ebenfalls in Grenzen.

Deshalb sind die eingangs erwähnten Abholstationen so wichtig.

Bislang gibt es 22 Ikea-„Pick-up points“ – weltweit. In Deutschland, das mit einem Umsatzvolumen von 4,75 Milliarden Euro nach wie vor Ikeas größter Markt ist (knapp vor den USA), sind es gerade einmal zwei. Eine wurde im Frühjahr 2015 in Leipzig eröffnet, eine weitere Anfang 2016 in Ravensburg. Flensburg könnte der nächste Standort sein. Dort sondiere man „verschiedene Standort-Optionen, eine Entscheidung ist noch nicht gefallen“, erklärt das Unternehmen. („Sondiert“ wird aber schon seit Monaten).

Der Ravensburger Prototyp bietet auf 500 Quadratmetern eine kleine Ausstellung mit ausgewählten Möbeln (Pax, Metod, Besta, Godmorgon), aber keine Kasse: Die Kunden können nur abholen, was sie vorher im Netz bestellt und bezahlt haben. Oder direkt im „Pick-up Point“. Mitarbeiter sollen beraten und beim Planen helfen.

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Foto: Ikea Deutschland

Klaus Cholewa von Ikea äußert sich zufrieden mit der Resonanz:

„Seit der Pick-up-Point in Ravensburg eröffnet wurde, haben wir deutlich mehr Besucher aus der Bodensee-Region im Einrichtungshaus Ulm. Diese geben bei Befragungen an, erst durch den Pick-up-Point mit IKEA in Kontakt gekommen zu sein und dadurch auch Interesse an einem Besuch im Einrichtungshaus entwickelt hätten.“

Klingt nach Leuten, die man gerne mal kennenlernen würde: alleine schon, um sie zu fragen, wie sie ihre Ikea-Immunität so lange aufrecht erhalten konnten.

Was die Abholstation in Leipzig angeht, gibt man sich in der Deutschland-Zentrale deutlich zurückhaltender. Diese sei ein „reines Serviceangebot“ für Kunden, für die das Einrichtungshaus zwischen Leipzig und Halle „schwer zu erreichen“ sei:

„Der Pick-up-Point [in Leipzig] macht es vor allem für Innenstadtbewohner einfacher, ihre bei IKEA gekauften Produkte in Empfang zu nehmen.“

Zugleich gibt Ikea an, der Anteil der Kunden, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Leipziger Abholstation kommen, liege „bei unter 5 Prozent“. Da Kunden „vorwiegend großvolumigere Artikel“ bestellten, sei das „nicht weiter verwunderlich“.

Also: falls Sie überhaupt irgendwas dorthin liefern lassen.

Als ich der Station im Sommer zur üblichen Ikea-Hochfrequenzzeit an einem Samstagmittag einen Besuch abgestattet habe, hätte ich in aller Ruhe den Empfangstresen abschrauben und als Andenken mit nachhause nehmen können.

War sonst ja nix und niemand da: keine Kunden, keine Mitarbeiter, keine Möbel.

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Das ist in der Tat nicht weiter verwunderlich.

Denn der Leipziger „Pick-up Point“ passt ganz hervorragend zu Ikeas verkorkster Online-Strategie. Er liegt im Industriegebiet am Rande der Leipziger Alten Messe in einem Gewerbehof, ist nicht völlig abgeschnitten vom ÖPNV – aber eben genau soweit von der nächsten S-Bahn-Haltestelle entfernt, dass man auf dieser Distanz keinesfalls seine neue Kommode zur Bahn schleppen wollte.

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Vor allem nicht, weil das ja auch nochmal zusätzlich kostet. (Die oben erwähnten 25 Euro bei einem Warenwert über 400 Euro, genau wie beim Abholen im Einrichtungshaus. Und zwar mehr als bei der Abholung im Einrichtungshaus.)

Draußen wird die Kundschaft hübsch von Müllcontainern empfangen, und wer sich auf der Bank daneben niederlässt, kann für einen angenehmen Moment davon träumen, seinen Nachmittag nicht mit dem Zusammenschrauben der neuen Einrichtung verbringen zu müssen.

Wieviele Bestellungen Ikea bislang über die Abholstationen abgewickelt hat, verrät das Unternehmen auf Anfrage nicht, erklärt aber, zumindest in Leipzig stehe „der Service für den Kunden für uns im Vordergrund, nicht der etwaige Mehrumsatz“. Also: der Service für Kunden, die auch zum „Pick-up Point“ in der Stadt wieder mit dem Auto kommen wollen; ganz sicher nicht der für alle, die das nächste Möbelhaus „schwer zu erreichen“ finden. Was für eine verschenkte Chance!

Friedhof der Restposten

Bislang fehlt Ikea schlicht und einfach der notwendige Druck, ein wirklich schlüssiges E-Commerce-Konzept zu entwickeln, anstatt Zeit mit mittelmäßig funktionierenden Zwischenlösungen zu vertrödeln. Das hat mehrere Gründe.

Zum einen ist der klassische Möbelhandel in Deutschland stark regionalisiert, viele Händler haben andere Prioritäten, als ihr Geschäft ins Netz zu holen. (Zu, Beispiel: sich gegen die Dominanz von Ikea zu wehren.) Amazon hält bislang nicht viel vom Möbelverkauf. Und reine Online-Möbelversender sind bereits zahlreich an den enormen Kosten gescheitert, wieder eingegangen oder von Wettbewerbern übernommen worden.

Selbst der inzwischen weniger großspurig auftretende Platzhirsch Home24, der zu Rocket Internet gehört und zuletzt mit dem Konkurrenten Fashion for Home notfusionierte, tut sich schwer damit, seinen Kunden zu erklären, warum die alle paar Wochen shon wieder die Wohnzimmereinrichtung erneuern sollen bzw. braucht dafür mehr Geld.

In Berlin hat Home24 einen traurigen Möbelfriedhof eröffnet, auf dem Restposten und Retouren mit angestoßenen Ecken zu minimal niedrigeren Preisen verkauft werden. Die Ikea-Verantwortlichen haben inkognito sicher auch schon vorbeigeschaut. Und sind erleichtert wieder davon gefahren.

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Treue Ikea-Kunden wiederum haben gar keine Lust, sich umzugewöhnen und kaufen weiterhin das ein, was sie kennen. Selbst wenn es erst umständlich zusammengezimmert werden muss. Ab und an fällt jemandem auf, dass das sorgsam aufgebaute Kumpel-Image der Schweden eigentlich auch nur eine Mischung aus Presspan und zweifelhafter Hipster-Utopie ist. Aber die wenigsten trauen sich, deswegen online fremdzugehen und einen neuen Sessel zu bestellen, auf dem sie vorher nicht mehrere Wochenenden ausführlich probegesessen haben.

Für Ikea ist das ein Glücksfall.

Weil, wenn Ingvar Kamprads Nachfolger irgendwann gezwungen sein sollten, sich ernsthaft mit dem Thema E-Commerce auseinander zu setzen, ihr ganzes schönes Geschäftsmodell umzukippen droht. Wie eine Malm-Kommode, die der Besitzer vergessen hat, an der Wand festzuschrauben.


*Nachtrag, 8. November: Am Dienstagmorgen hat Ikea Deutschland die Zahlen zum abgeschlossenen Geschäftsjahr 2016 (bis 31. August 2016) veröffentlicht (pdf) und nennt 232,6 Millionen Euro Umsatz für den Bereich E-Commerce, „ein Plus von 22,7 Prozent“. Das entspricht aber lediglich 4,9 Prozent des Gesamtumsatzes in Deutschland (4,754 Mrd. €) und ist nach 4,2 Prozent im Vorjahr ein eher verhaltener Relevanzanstieg des Online-Geschäfts.

Fotos: Supermarktblog


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