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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Expressversand in die Schmuddelecke? Amazon Locker und die Tücken des Systems

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Anders als die britische Supermarktkette Asda hat sich Amazon in Deutschland nicht gleich eine Tankstellenkette zugelegt, um an den Stationen Abholboxen für die Online-Einkäufe seiner Kunden aufzustellen – aber sich dafür immerhin mit Shell verbündet. Vor ein paar Wochen bestätigte Shell-Tankstellen-Chef István Kapitány dem „Handelsblatt“ (Paywall), dass seit Juli die ersten zehn „Amazon Locker“ an Münchner Tankstellen getestet werden:

„Wenn man sich ein Paket bestellt und niemand zu Hause ist, dann landet es auf der Poststelle. Wer nach 19 Uhr aus dem Büro kommt, hat keine Chance, dieses Paket abzuholen. Da ist es doch ideal, wenn ich das abends bei der Tankstelle machen kann, wo ich mir ohnehin noch eine Pizza holen wollte.“

Auch in Berlin stehen inzwischen die ersten Stationen, vornehmlich im Westen der Stadt: unter anderem an Shell-Tankstellen in der Nähe des im Sommer eröffneten Amazon-Verteillagers in Reinickendorf, wo der Konzern seinen eigenen Paketdienst aufbaut.

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Weitere Locker gibt’s in Wilmersdorf, Westend und Kreuzberg. Sie heißen Jannik, Jasmin, Finja, Hennes, Sophie oder Isabell und funktionieren fast genauso wie die Packstationen von DHL. Nur eben exklusiv für Amazon-Kunden.

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Details dazu mag Amazon auf Anfrage (immer noch) nicht verraten. Auch nicht, warum die ursprünglich gelben Stationen mit anthrazitfarbener Folie beklebt worden sind, die an einigen Boxen schon wieder abblättert und sie ziemlich schnell ziemlich schäbig aussehen lässt.

Möglich wäre, dass DHL interveniert hat, um eine Verwechselung mit seinen ebenfalls gelben Packstationen zu verhindern. Auf die Frage, ob dazu eine Einigung erzielt wurde oder DHL eine Verfügung gegen Amazon erwirkt habe, antwortet das Bonner Unternehmen lediglich, dass man dazu keinen Kommentar abgebe. (Das heißt: auch kein Dementi.) Ist die Post-Chefetage doch nicht ganz so entspannt im Umgang mit der wachsenden Konkurrenz durch Amazon, wie sie öffentlich gerne beteuert?

In jedem Fall kriegen Prime-Kunden die Locker bei ihrem Amazon-Einkauf bereits als Zustelloption angeboten und können Versuchskaninchen spielen, um die Tücken des Systems zu testen. Nein, drängeln Sie nicht! Es gibt mehr als genug.

1. Such den Locker, such!

Durch die Kooperation mit Shell erschließt sich Amazon auf einen Schlag massig Locker-Standorte in der Innenstadt. Einige sind leicht zugänglich und die Gefahr, beim Paketabholen umgefahren zu werden, hält sich in Grenzen. Andere sind, nun ja: gewöhnungsbedürftig.

Oder um direkt zu fragen: Ist das tatsächlich dein Ernst, Amazon, dass ich mein Paket in Kreuzberg bei Locker Fabian abholen soll, den ihr in die Tankstellen-Müllecke gedonnert habt, wo aussortierte Verkaufsregale neben Rostkunstwerken abhängen? Vor den Baracken, an die sich eine riesige Kaffeebecher-Attrappe zum Sterben zurückgezogen hat, weil niemand mehr „deli2go“-Tankstellenkaffee-Werbung braucht, seitdem im Shop die schicke neue Starbucks-on-the-Go-Maschine den Koffeinkonsumenten sagt, wo’s lang geht?

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Im Dunkeln ist’s bei Fabian noch ein bisschen schöner – jedenfalls für Typen, die auf die Idee kommen, frisch aus dem Locker abgeholte Smartphones abzugreifen.

(Oder ist das Ganze eine verstecke Referenz an Erich Kästners Roman „Fabian“/“Der Gang vor die Hunde“, den man sich dort hinordern soll, um schon mal in die passende Stimmung zu kommen?)

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Schnell zur nächsten Tankstelle: Ratespiel! Auf diesem Foto habe ich Ihnen einen Amazon Locker versteckt. Finden Sie den gut getarnten Fratz?

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Ja, ganz richtig: Wenn Sie hinter der Luft/Wasser-Station in der Schmuddelecke in die Botanik steigen, empfängt Sie vor der riesigen Werbetafel mit freundlich rotem Scanner-Leuchten Locker Jannik. Der immerhin so nachsichtig war, das kleine grüne Sammelstellen-Rettungszeichen nicht restlos zu verdecken. Im Falle unvorhergesehener Menschenansammlungen durch Evakuierungsmaßnahmen müssten Sie sich eventuell kurz mit der Abholung ihres Pakets gedulden. (Hoffentlich keine Campingkocher-Gaskartusche.)

Auch die Münchner Stationen scheinen teilweise nach dem Motto platziert zu sein: Basst scho.

Dafür lässt sich am Beispiel Berlin ganz gut zeigen, dass die Kooperation auch ihre Grenzen hat: Im Ostteil der Stadt ist Shell nur vereinzelt mit Tankstellen vertreten, viele hunderttausend Kunden erreicht Amazon dort gar nicht, weil der Weg zum nächsten Locker zu weit wäre. Um das zu ändern, bräuchte es weitere Bündnisse.

Und die sind alles andere als einfach: Supermärkte, denen Amazon z.B. in Großbritannien Locker in die Läden gebaut hat, werden einen Teufel tun, sich mit einem Unternehmen zu verbünden, das ihnen demnächst mit eigenem Lebensmittel-Lieferdienst Kunden abjagen will.

2. Kommt Zeit, kommt Prime

Pakete bleiben drei Werktage im Locker zur Abholung liegen – deutlich kürzer als in der Packstation von DHL (neun Kalendertage). Offensichtlich will Amazon die Boxen zackig wieder frei kriegen. Das ist auch bitter nötig: Weil Bestellungen, die aus mehreren von Amazon einzeln verschickten Artikeln bestehen, gleich mehrere Fächer belegen. Das bedeutet: Im Zweifel ist eine kleine Station wie der schmuddelige Fabian (oben) durch die Bestellungen von nur wenigen Kunden sehr schnell voll.

Und dann?

Amazon äußert sich wie gesagt aktuell nicht dazu, was dann passiert. Eine gute Lösung wäre, die volle Station bei der Bestellung gar nicht erst anzuzeigen. (Was regelmäßige Dorthin-Besteller irritieren könnte.) Die weniger gute wäre, dass der Kunde, der seine Lieferung an den vollen Locker bestellt, einfach Pech hat.

Meine Prime-Bestellung vom vergangenen Donnerstag drehte ein paar schöne Extrarunden, bevor sie endlich in der Abholbox eintrudelte. Am Abend der angekündigten Zustellung (Freitag) meldete Amazon zunächst: „Mögliche Lieferverzögerung aufgrund zusätzlicher Verarbeitung durch Transportdienstleister.“ (Häh?) Und einen Tag später, nachdem erneut die Zustellung angekündigt worden war, wieder: „Mögliche Lieferverzögerung aufgrund zusätzlicher Verarbeitung durch Transportdienstleister.“ (Immer noch: Häh?)

Und schließlich: „Der Transportdienstleister hat uns darüber informiert, dass sich die Zustellung Ihres Pakets um 1-2 Werktage verzögern wird.“ (Mäh.)

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Am Montag hab ich mich beim Amazon-Kundenservice erkundigt, was da los ist – und die freundliche Mitarbeiterin in der Hotline musste passen: Sie erreiche „den Transportdienstleister“ leider nicht, könne mir aber anbieten, 1. meine Prime-Mitgliedschaft einen Monat kostenlos zu verlängern, 2. mir die Bestellung nochmal woanders hin zu senden und 3. Beschwerde einzulegen. Wollte ich aber alles gar nicht. Ich wollte bloß: Wissen, wann das Paket in den Locker kommt. Und warum das so lange dauert.

Die Antwort darauf ist mir Amazon bis heute schuldig geblieben. Die Bestellung wurde am späten Nachmittag schließlich kommentarlos eingelockert. Fall erledigt.

Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil die Amazon-Verantwortlichen öffentlich stets erklären, sie würden den Transport zum Kunden nun selbst in die Hände nehmen, um besseren Service für Sofortzustellungen gewährleisten zu können. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. Denn „der Transportdienstleister“, von dem oben mehrfach die Rede war, ist Amazon Logistics in Berlin: der Amazon-eigene Paketdienst, bei dem Prime-Bestellungen mit kryptischen Erklärungen mehrere Tage verzögert werden und der nicht mal dem eigenen Kundenservice für Erklärungen zur Verfügung steht.

Dass der Versand mal hakt: geschenkt. Aber dass es dafür keine zufriedenstellende Kommunikation mit den Kunden gibt, ist erstaunlich kurzsichtig von einem Unternehmen, dass sich als Ziel in seine Mail-Signatur schreibt, „das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt zu sein“.

Ein Alptraum für Läden

Wenn Amazon diese Probleme allerdings in den Griff kriegt, könnte sich das Locker-Netzwerk als großer Vorteil gegenüber der Konkurrenz entpuppen.

  • Zum Beispiel für Expresszustellungen: Wenn Sie Ihr neues Smartphone am liebsten sofort in Betrieb nehmen wollen, könnte Amazon das Gerät einfach in den Locker legen, an dem Sie auf dem Heimweg eh vorbeikommen. Sie alter Tiefkühlpizzen-Junkie!
  • Zum Beispiel für Geschenke: Der Beschenkte bekäme den Abholcode per Mail oder SMS zugeschickt und bräuchte für die Abholung – anders als bei der Packstation – keine Kundenkarte. (Aber halt auch keine Benzinschnüffelallergie.)

amlocker18Beide Einsatzvarianten sind wahrscheinlich, weil sie in einer Kundenumfrage auftauchen, in der Amazon nach den Gründen für die Nutzung der Abholstation fragt („Ich wollte nicht warten bis ich zu Hause bin, um meine Bestellung in Empfang zu nehmen“, „Es war die schnellste Lieferoption, die angeboten wurde“, „Meine Bestellung war ein Geschenk“). Für klassische Läden in der Stadt ist das freilich ein Albtraum. Bisher hatten die wenigstens noch den Vorteil, dass Kunden das Produkt ihrer Wahl dort sofort in den Händen halten konnten.

Künftig geht das halt auch in der Sperrmüllsammelecke an der Tankstelle um die Ecke.

Haben Sie auch einen Locker? Also: an der Tankstelle? (Und ist der, falls in München, auch grau?) Dann twittern Sie doch ein Foto mit Adresse an @imsupermarkt oder schicken’s per Mail. Danke!


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Fotos: Supermarktblog


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