Ein Brot sagt mehr als tausend Worte. Das gilt erst recht, wenn es ein belegtes ist. Anfang November räumte Lidl vorübergehend eine Zelle in seinem Brötchenknast frei, um ein neuartiges Angebot der Konsumentenkontamination zuzuführen: den „Bayern Burger“. Oder wie’s untendrunter in dünnen schwarzen Buchstaben auf Aktionspreisschildneonrot stand:
„Nürnberger Rostbratwürstchen im Laugenbrötchen mit Senfsauce und Weißkrautsalat“.
Besagter „Bayern Burger“ im roten Papiermäntelchen ist der vorläufig interessanteste Repräsentant einer Reihe belegter oder gefüllter Backwaren, mit denen Lidl seine immer riesiger werdenden Backtheken befüllt – eine Art „Snack der Woche“, der offiziell nicht so heißt (sondern „Aktion!“ oder „nur für kurze Zeit“ oder „kann Spuren von Ei, Schalenfrüchten, Soja, Sellerie und Sesamsamen enthalten“).
Vor der Laugenschöpfung konnten sich Kunden im Oktober bereits für Flammkuchen mit Speck und Zwiebeln bzw. Windbeutel mit Cremefüllung entscheiden. Im September gab’s Mini-Quiches mit Gemüsefüllung. Und im August, passend zur damaligen Griechenland-Aktionswoche, belegte Brötchen mit Hähnchen-Gyros im praktischen Soßenfang.
Offensichtlich handelt es sich dabei um die nächste Stufe Aufbackrevolution des Neckarsulmer Discount-Supermarkts.
Zur Erinnerung: Der Brötchenknast war vor einigen Jahren der Auftakt eines Strategiewechsels in Richtung Supermarkt (mit einem vielfältigeren Angebot in höherwertigeren Läden). Und gleichzeitig ein ziemliches Risiko: Weil die riesigen Stationen bereits in der ursprünglichen Variante massig Platz im Laden belegten, der nicht mehr für andere Produkte zur Verfügung stand, an denen Lidl mehr verdienen kann (siehe Supermarktblog von 2011).
Tatsächlich entpuppte sich die Initiative aber als Erfolg. Und trug dazu bei, Kunden, die der Kombination aus Niedrigpreisen und frischen Brötchenduft nicht widerstehen konnten, von der Konkurrenz weg- und zu Lidl hinzulocken.
Wie wichtig der stetig fortentwickelte Brötchenknast für Lidl ist, lässt sich sogar an den Informationssäulen ablesen, die modernisierte Filialen an den Parkplatzrand gestellt bekommen. Die Kundeninformation „Wir backen mehrmals täglich frisch für Sie“ steht dort noch über den Öffnungszeiten der Filiale.
Abgesehen davon hat der Ex-Discounter nicht nur Aldi gezeigt, wo das goldgelbe Buttercroissant hängt – nämlich nicht in den klobigen Aufbackschränken, aus denen der Erzrivale sein Backangebot im Süden der Republik herausklonken lässt. (Auch wenn deren Aussterben bereits beschlossen ist.) Insbesondere Ketten wie BackWerk und Back Factory sahen sich plötzlich dazu gezwungen, ihr Konzept neu auszurichten. Weil Kunden, wenn sie ihre Brötchen beim Discounter mitnehmen können, nicht mehr extra zum Back-Discounter gehen.
Viele kleine Anbieter haben ihre Öfen dichtgemacht; die großen betreiben heute quasi Fast-Food-Restaurants auf Backbasis, in denen man in der Fußgängerzonen einen günstigen Kaffee trinkt und ein belegtes Brötchen oder eine Käsestange verschlingt.
Das wird mittelfristig wohl auch so bleiben. Weil sicher niemand zu befürchten braucht, dass Lidl die Besuchszeit an seinen Brötchenknasts in nächster Zeit durch die Einführung gemütlicher Sitzugruppen verlängert. Mit dem regelmäßigen Snack-Angebot signalisiert der Discount-Supermarkt der Konkurrenz allerdings ein weiteres Mal, dass er sich gerne noch weiteres Stück vom Markt abzubeißen gedenkt.
Vom Discounter zum Vollbackversorger
Belegtes belegt bislang zwar nur eines der vielen Fächer in den „Kassettenregalen“ (wie die modernen Brötchenknasts offiziell heißen). Das ließe sich aber schnell ändern – bei Bedarf sogar abhängig von der Tageszeit. Zum Beispiel, um mit einem regelmäßig angebotenen „Bayern Burger“ oder der Gemüse-Quiche mehr Kunden in der Mittagspause in die Filialen zu holen, die vielleicht auch noch einen Salat oder ein Getränk mitnehmen. Und gleich die paar Sachen einkaufen, die sowieso auf dem Einkaufszettel stehen.
Außerdem dürfte Lidl – trotz Kampfpreisen zwischen 99 Cent und 1,99 Euro – an den Snacks etwas mehr verdienen als an einfachen Brötchen.
In jedem Fall entwickelt sich der Fast-Supermarkt immer stärker zum Vollbackversorger. Und arbeitet fleißig daran, das Konzept für seine europäischen Märkte den Gewohnheiten des jeweiligen Landes anzupassen.
Blog-Kollege Marcel Pohlig vom Snackblog hat sich im Sommer mal im Nordosten Spaniens, genauer: in Empuriabrava (Katalonien), in einer modernisierten Filiale umgesehen. Und entdeckt, dass Lidl dort aufwändig umgerüstet hat.
Das Ergebnis ist eigentlich kein Brötchenknast mehr, sondern eine kleine Backburg mit unterschiedlichen Regalelementen, Fächern, Brotgräben und einer integrierten „Lidl to Go“-Ecke, die aus zwei Snack-Vitrinen mit Glastür besteht und sich durch eine Einrahmung in sanftem Rot vom angrenzenden Backpöbel abhebt:
„Dort gibt es einzeln verpackte Kuchenstücke, Muffins , Berliner Ballen und Donuts und hinter der Glastür auch heiße Produkte wie fertiges Hähnchen, warmes Apple Crumble, Blätterteig-Spinattaschen, überbackenes Sandwich. Pizza-Baguettes sind skurrilerweise kalte Produkte und im regulären Brötchenknast.“
Wer will, kann sich im spanischen Lidl also für den ganzen Tag vollversorgen, ohne der Belastung ausgesetzt zu sein, seine Backwaren selbst beschmieren zu müssen.
In Großbritannien gibt’s zwar keine Informationssäulen, auf denen Lidl seine Anstrengungen der Gebäck-interessierten Allgemeinheit mitteilen könnte. Im Zweifel reicht ja auch eine kecke Plakatwand wie hier in London:
„It’s bake up your mind time.“
Die harte Realität im Laden daneben ist freilich ernüchternd: ein düsterer Verschlag mit den in Britannien nicht ganz unüblichen Frischluftkörben, aus denen sich jeder rausgrabbeln kann, was er mag. (Passt aber wunderbar zur noch völlig unrenovierten Filiale im Osten der Stadt, die ich angeschaut habe.)
Eine Zwischenstufe testet Lidl in Kroatien, dem früheren Zuständigkeitsgebiet des heutigen Lidl-Deutschland-Chefs Marin Dokozic. Im kroatischen Brötchenknast wohnen die Aufbackwaren zwar ebenfalls in Körben, sind aber durch Glastüren niesgeschützt.
Dazu werden Kunden sehr auffällig zur Benutzung der bereitgehängten Einmalhandschuhe animiert (was natürlich niemand macht; obwohl die Handschuhe in der Zweitverwertung sicher der Knaller sind, wenn man zuhause damit das gekaufte Baguette notoperiert, um ein Päckchen Kräuterbutter hinein zu transplantieren).
Die Korbvariante hat freilich den Vorteil, nicht so viel Platz zu benötigen wie die Backstationen in deutschen Filialen mit ihren Eisenrüttlern und Krümelrutschen, die vorerst ausentwickelt zu sein scheinen.
Dafür bleibt jetzt ja mehr Zeit, sich mit der Burgerisierung des Inhalts zu beschäftigen.
Und was wartet bei Ihrem Lidl Appetitliches in der Auslage auf die Kundenkontamination? Verraten Sie’s mir in den Kommentaren!
Großen Dank an Marcel für Bilder und Eindrücke. Lest Snackblog!
Fotos (wenn nicht anders gekennz.): Supermarktblog