Wenn Amazon seinen Lebensmittel-Lieferdienst Fresh im kommenden Jahr tatsächlich in Deutschland startet, wird das nicht nur ein Kampf darum, welcher Anbieter das beste Sortiment und den längsten Atem hat. Sondern auch eine Auseinandersetzung um das schlauste Lieferkostenmodell.
1. Amazon und die Liefer-Flatrate
Im Gegensatz zu deutschen Bringdiensten (z.B. von Rewe, Kaufland oder Kaiser’s Tengelmann), die Lieferkosten in der Regel pro Bestellung berechnen, nutzt Amazon für Fresh in den USA und Großbritannien ein Flatrate-Modell: Kunden zahlen einen festen Betrag und können anschließend so oft bestellen wie sie wollen. So funktioniert auch Amazons Aboprogramm Prime.
Für Fresh verlangt der Konzern allerdings einen beachtlichen Aufschlag. Kunden, die frische Lebensmittel nachhause gebracht bekommen wollten, mussten in den USA bislang nicht nur Prime-Mitglied sein (für 99 Dollar pro Jahr), sondern zahlten noch einmal das Doppelte obendrauf. Anders formuliert: Eines der angeblich kundenfreundlichsten Unternehmen der Welt hielt es für eine gute Idee, Nutzern seines Fresh-Angebots auf einen Schlag 300 Dollar (280 Euro) vom Konto abzubuchen, dafür dass sie sich in elf Monaten vielleicht immer noch frische Milch nachhause bestellen wollen.
Was für eine sensationell dumme Idee.
(Es gibt die Vermutung, Amazon habe sich absichtlich dumm gestellt und die Hürde für neue Kunden besonders hoch angesetzt, um Fresh erst einmal in Ruhe testen zu können. Das klingt plausibel, wird vom Unternehmen aber dementiert).
Amazon Fresh truck on Capitol Hill (USA): SounderBruce, CC BY-SA 2.0 via Flickr
Anfang Oktober hat Amazon eingelenkt und verlangt in den USA nun eine monatliche Fresh-Gebühr von 14,99 Dollar (14 Euro). Die klassische Prime-Mitgliedschaft ist immer noch Voraussetzung. Und wer nachrechnet, merkt schnell, dass der neue Preis aufs Jahr bezogen gerade einmal 20 Dollar unter dem bisherigen liegt (14,99 mal 12 + 99 = 278,88 Dollar). Aber schon aus psychologischer Sicht ist das neue Angebot besser: Weil es Kunden den Betrag nicht für zwölf Monate im Voraus abknöpft und monatlich gekündigt werden kann.
In Großbritannien, wo Fresh im Frühjahr gestartet ist, verlangt Amazon 6,99 Pfund pro Monat für die Lebensmittel-Option (Mindestbestellwert: 40 Pfund) plus einmalig 79 Pfund für die Prime-Pflicht, insgesamt also 162,88 Pfund (rund 190 Euro). Dass sich das Unternehmen für Deutschland etwas grundlegend anderes ausdenkt, ist natürlich möglich – aber unwahrscheinlich. (Vor zwei Wochen ist jedenfalls schon mal die bislang sehr niedrige deutsche Prime-Jahresgebühr von 49 auf 69 Euro erhöht worden.)
2. Billa und die bessere Liefer-Flatrate
Dabei geht das alles auch schlauer. Zumindest in Österreich, wo die zur Rewe Group gehörende Supermarktkette Billa seit diesem Sommer ein ganz eigenes Flatrate-Modell testet: den „Billa Lieferpass“. Der ist aus Kundensicht eine bessere Lösung als das, was Amazon anbietet. Wer sich seine Einkäufe von Billa nachhause liefern lässt, legt einfach den virtuellen „Lieferpass“ für 9,99 Euro mit in den Online-Einkaufswagen und zahlt anschließend einen ganzen Monat keine Liefergebühr mehr für weitere Einkäufe (Mindestbestellwert jedes Mal: 30 Euro). Danach läuft der Pass automatisch ab.
Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt Ines Schurin, Konzernpressesprecherin der Rewe Group in Österreich:
„Der Lieferpass wird von unseren Kunden sehr gut angenommen. Auch die Wiederkaufsrate ist sehr hoch. Nach dem Launch des 1 Monats-Lieferpass im Juni diesen Jahres war die Nachfrage und die Zufriedenheit mit dem Produkt so hoch, dass wir das Angebot nach kurzer Zeit auch auf 3 und 6 Monate erweitert haben.“
Screenshot: billa.at
Das heißt: Wer schon weiß, dass er seine Lebensmittel regelmäßig online bestellt, mit Billa zufrieden ist und demnächst nicht zu einer mehrmonatigen Arktisexpedition aufbricht, kauft nächstes Mal eine längere Flatrate dazu. Drei Monate kosten derzeit 26,99 Euro, sechs Monate 44,99 Euro. Wer Billa treu bleibt, spart demnach Geld – und kommt pro Jahr auf 90 Euro Lieferkosten für sämtliche Lebensmittel-Einkäufe. Was ziemlich deutlich unter der Gesamtgebühr liegt, die Amazon für Fresh inklusive Prime im Ausland verlangt.
Dafür gibt’s bei Billa freilich kein Video-on-Demand und keine 1-Stunden-Lieferung obendrauf. Aber das will vielleicht auch gar nicht jeder Windeln- und Konserven-Vorratsbesteller haben.
Die einzige Einschränkung ist: Der Lieferpass steht nur Mitgliedern des „Billa Vorteilsclubs“ zur Verfügung, bei dem man sich separat anmelden muss, ohne dafür jedoch eine Jahresgebühr zu zahlen. (Dafür müssen diverse Daten angegeben werden.) Wieviele Lieferpässe Billa bislang an seine aktuell 4,2 Millionen-Vorteilsclub-Mitglieder verkauft hat, verrät das Unternehmen nicht, erklärt jedoch:
„Wir sehen bei unseren Lieferpasskunden sowohl eine höhere Frequenz bei Einkäufen im BILLA Online Shop, als auch eine höhere Bedarfsdeckung – es werden die Monats- und Wocheneinkäufe regelmäßig online bestellt.“
Billa scheint also genau das zu erreichen, was auch Amazon bezweckt: die Kunden dazu zu bringen, möglichst viel bei einem Anbieter zu kaufen. Die Österreicher bieten durch die unterschiedlichen Optionen jedoch eine sehr viel größere Flexibilität. Und senken mit dem Ein-Monats-Lieferpass offensichtlich die Einstiegshürde für Erstbesteller. Sprecherin Schurin sagt:
„Neukunden tendieren (…) zu Beginn stärker zur 1-Monats-Variante – wir sehen aber, dass in Folge dann sehr oft die Lieferpässe mit einer Gültigkeit von 3 und 6 Monaten wiedergekauft werden.“
Auch bei Amazon gibt’s eine Fresh-Variante für einen Monat; aber die muss ebenfalls mit Prime kombiniert werden und ist noch mal teurer. Einfach zu verstehen ist das alles sowieso nicht.
Billa erklärt derweil, der Lieferpass sei „fest in unserem Online-Geschäftsmodell verankert“ und werde „sicherlich auch in Zukunft weiter angeboten“. Sofern sich die Bestellexzesse der Kunden in Grenzen halten, müsste man vielleicht hinzufügen.
3. Rewe, Kaufland und die Einmal-Gebühr
Deutsche Lebensmittel-Bringdienste haben sich mit der Flatrate-Option bislang noch nicht anfreunden können. Dabei wäre das doch eine ideale Vorbereitung auf die bevorstehende Konkurrenz durch den gefürchteten Wettbewerber aus Seattle – dessen Lieferkostenmodell dann schon bei den eigenen Kunden getestet wäre und so hätte optimiert werden können, dass Kunden sich zweimal überlegen, ob es sich wirklich zu wechseln lohnt.
Bringdienst-Pionier Rewe ist kürzlich unglücklicherweise in die entgegengesetzte Richtung gestürmt: Anstatt die Lieferkosten übersichtlicher zu gestalten und weiter zu vereinfachen, sind sie verteuert und verkompliziert worden (und nun abhängig vom gewählten Zeitfenster und der Bestellsumme).
Dafür hat Kaufland für seinen neuen Lieferservice in Berlin (für den inzwischen massiv in der Stadt geworben wird) quasi das bisherige Rewe-Modell übernommen und bietet Einkäufe ab 100 Euro Warenwert lieferkostenfrei an.
Es kommt also sehr darauf an, wie Amazon den Monatspreis für Fresh in Deutschland ansetzt, um die Attraktivität des Angebots beurteilen zu können. Vorausgesetzt, Amazon orientiert sich am britischen Gesamtpreis, wären 9,99 Euro Monat – zusätzlich zum Jahrespreis für Prime – eine realistische Größenordnung (insgesamt 15,83 Euro im Monat).
Das müsste Anbietern wie Rewe und Kaufland noch keine Kopfschmerzen bereiten. Rewe liefert in annehmbaren Zeitfenstern ab 3,90 Euro nachhause; das teuerste Zeitfenster bei Kaufland kostet aktuell 4,75 Euro, ab 100 Euro wie erwähnt gar nichts mehr (allerdings gibt’s bei beiden Zuschläge für Getränkekisten). Lebensmittel-Besteller mit großem Warenkorb kämen z.B. bei Kaufland aktuell also günstiger weg als bei Amazon, das ohnehin erst noch beweisen muss, ob es auch im Discount-Sortiment mit den etablierten Supermarktketten mithalten kann.
Und falls Ihnen jetzt vor lauter Rechnerei schwindelig ist: Ein bekannter Versandapotheken-Discounter liefert sicher gerne ein Päckchen Kopfschmerztabletten für 0 Euro Gebühren nachhause. Wenn Sie’s vorher schaffen, den Mindestbestellwert von 19 Euro zu knacken.
Kauflandfoto: Supermarktblog; Aufmacherfoto [M]: Supermarktblog/Billa