Kein Frikadellenbüdchen am Eingang. Kein Schlüpferparcours zur Begrüßung. Kein rumpeliges Kühltruhenmuseum vor der Gemüsegrotte. Stattdessen: Boden in Betonoptik, aufwändiges Obstgestapel in Holzkisten und eine Laterne, die den Weg weist: geradeaus zum Einkaufen bitte, rechts abbiegen für den gastronomischen Exkurs. Real, altes SB-Warenhaus, du hast dich so verändert!
Eine Woche nach der offiziellen Eröffnung ist die „Markthalle Krefeld“, wie Metro ihren (vermutlich) letzten Real-Rettungsversuch getauft hat, zur Mittagszeit in der vergangenen Woche immer noch rappelvoll. Was nicht nur an den neugierigen Kunden liegt, die den (nicht gerade bescheidenen) Werbetafeln ins Industriegebiet gefolgt sind und sich nicht von der Konkurrenz haben ablenken lassen.
Sondern auch an den Kleinbusladungen mit Metro-Managern, Herstellern und Branchen-Partnern, die zur Inspektion in Kleingruppen durch den Laden geführt werden.
Die „Markthalle“ ist für Real ein absolutes Vorzeigeprojekt – und genau das könnte auch ihr Problem sein (mehr dazu im Kommentar). Vor allem aber ist sie ein gewaltiger Schritt nach vorn, nachdem Real sich in den vergangenen Jahren gleich mehrfach von der Einkaufsrealität links überholen hat lassen (siehe Supermarktblog vom September).
Auf über 11.500 Quadratmetern ist nun ein rundum neues Konzept umgesetzt worden, das an vielen Stellen ziemlich offensichtlich von der Konkurrenz im In- und Ausland inspiriert wurde. Aber das ist ja keine Schande, wenn das Ergebnis stimmt. Von Real in seiner bisherigen Form ist zumindest nicht mehr viel übrig geblieben. Kommen Sie mit auf einen Rundgang?
Sattessen im Gastrokreisel
Rumpelpiste war gestern, das moderne SB-Warenhaus trägt heute: Steinofen. Aus dem mosaikbesetzten Exemplar in Krefeld-Fischeln kommt die frisch vor den Augen der Kunden belegte Pizza mit Wildschweinsalami, die nur eines der Angebote ist, das der Gastrokreisel im rechten Marktflügel bereithält (Marktplan als pdf ansehen).
Das gastronomische Angebot ist zweifellos das Aushängeschild der „Markthalle“. Kunden, die den Weg ins Industriegebiet auf sich nehmen, sollen sich dort gleich sattessen können. An verschiedenen Theken können Fleischgerichte, Pizza, Burger und Salat bestellt werden. In der Kreiselmitte wartet man anschließend unterm Glühbirnenhimmel im Vintage-Style darauf, dass der mitgereichte Pager loslärmt und den hungrigen Mittagspäusler für das fertig zubereitete Essen an die Ausgabe lotst.
„Liebe Kunden! Wir entschuldigen uns im Vorfeld für die lange Wartezeit. Wir sind noch in der Übungsphase“, steht auf einem Schild an der Markttheke, Pardon: der „Manufaktur des guten Geschmacks“. Und tatsächlich: Zur Mittagszeit herrscht Ausnahmezustand in der Küche. Zig Mitarbeiter wuseln auf viel zu wenig Platz um Bratflächen, Woks und Zutatenschüsseln herum. Überall stapelt sich Kochgeschirr, weil keine Zeit zum Wegräumen ist, es dampft und brutzelt und lärmt. Aber das ist eigentlich eine gute Nachricht: weil da wirklich gekocht wird. Und nicht bloß Microwellen-aufgewärmt.
In ein paar Wochen, wenn der Normalzustand hergestellt sein dürfte, könnte die Gastronomie tatsächlich zum Rückgrat der Markthalle werden. Schließlich kriegt fast jeder, was er will.
An der Pizza/Pasta-Station gegenüber der Bäckerei gibt’s selbstgewalzte Nudeln mit Pesto oder Soße; auf die Schnelle einmal Vollkornpapardelle – falls es geschmeckt hat, auch zum Mitnehmen für zuhause, .
Fotos: Supermarktblog/Alexander P.
Auf der anderen Kreiselseite warten an der metallen schimmernden Theke Schnitzel, Lachsburger und Rumpsteak mit Dry Aged-Beef darauf, in die Pfanne bzw. auf den Grill geworfen zu werden; ein Menü für zwei Personen mit Chateau Briand, Kräuterbutter, Gemüse und Pommes steht für stolze 35 Euro zur Wahl.
Wer lieber einen Ausflug ans Meer machen möchte, setzt sich an die Austernbar und sieht beim Schlürfen dabei zu, wie gegenüber das Eis aus der Decke in die Fischabteilung regnet.
Die Sushi-Box, in der frische Maki-Rollen und Hähnchenspieße produziert werden, hat Real an die Franchise-Spezialisten von „Sushi Daily“ ausgelagert (was ein bisschen doof ist, weil man deren Sofortessen an der Ladenkasse bezahlen soll, während das Essen an den anderen Theken direkt bezahlt wird).
Das sieht alles ziemlich gut aus, schwankt preislich zwischen annehmbar und WTF? und schmeckt längst nicht so ausgefeilt, wie es die tolle Thekenoptik suggeriert. Dafür lässt sich hinterm Antipasti-Pesto-Burger mit hohl frittierten Pommes frites (6,50 Euro) am Bartisch mit Steckdose gleich das Handy aufladen.
Fusionierte Bedientheken
Ähnlich wie die niederländischen Kollegen von Jumbo in ihrem Foodmarkt hat Real die Bedientheken für Fleisch, Fisch und Käse in Krefeld unmittelbar mit der Gastronomie verschmolzen. Von der Deecke der ganz in schwarz gehaltenen und elegant geschwungenen Metzgertheke hängen ritzerote Leuchten, die hervorragend mit dem Fleisch in der Auslage harmonieren. Obendrüber verspricht Real „Gutes von unserem Meistermetzger“.
Die Käseabteilung um die Ecke greift die im Laden-Logo angedeutete Marktstand-Markise auf und hängt sie sich gleich mehrfach als Schmuck über Pecorino, Emmentaler und Gouda.
Begrüßt wird die Kundschaft aber mit zwanzig laufenden Metern Bäckerei im Industriedesign: Direkt am Ladeneingang lässt sich auf Teigmaschinen, Öfen und Schieberegale mit vorbereiteten Backwaren schielen. Was fertig ist, kommt vorne auf die Tante-Emma-haften Holzkommoden oder wird gleich belegt, dekoriert und verpackt. Im Café nebendran sorgt ein flotter Espresso für den nötigen Koffeinschub. Mit dieser Kombination ist die Markthalle Lichtjahre vom bisherigen Real-Sperrholzambiente entfernt.
Die Obstmosphäre
Obst und Gemüse! Am Ladeneingang! Bei Real! Dass wir das noch erleben dürfen. Anstatt Ananas, Bananen, Tomaten, Gurken und Mango weiter am anderen Ende des Markts zu verstecken, liefert die Markthalle den Vitaminschub endlich direkt an die Startlinie.
Bei der Erdäpfelanlieferung scheint es allerdings zu einem fiesen Auffahrunfall mit der Kartoffeldroschke gekommen zu sein, die da jetzt – ganz im Sinne des auch bei der Konkurrenz veranstalteten Bauerntheaters – jetzt etwas nutzlos darauf wartet, abgeschleppt zu werden.
Im Vergleich mit jedem anderen Real-Markt in Deutschland ist das eine Revolution. Gemessen an der Obst-und-Gemüse-Inszenierung, wie sie bei zahlreichen Edeka-Kaufleuten und in Rewes neuem Center-Konzept üblich ist, erfüllt Metro damit allerdings eher längst überfällige Standards im Nicht-Discount.
(Die böhmische potemkinsche Holzkisten-Deko scheint allerdings nur für die erste Reihe gereicht zu haben, dahinter wird dann wieder in Plastik gestapelt.)
Bio hat Regalvorfahrt
Den eigentlichen Markt haben wir bislang links (und hinten) liegen gelassen; genau dort sortiert die Markthalle aber all jene Artikel ein, die für den regulären Wocheneinkauf noch von zentraler Bedeutung sind. Und zwar fast ausschließlich in Querreihen, durch die zwei breite Schlender-Boulevards geschlagen sind, auf denen man zum Marktende und wieder zurück gelotst wird. Ohne dabei um Aktionspaletten und Gittertische mit Restposten herumnavigieren zu müssen oder von schrillen Angebotsschildern abgelenkt zu werden.
(Verkehrsschilder mit Einkaufswagen-Überholverboten sind keine aufgestellt; aber ich tippe mal, es gilt dort die StVO.)
Gesäumt werden die Boulevards von den Lock-Angebote aus dem Wochenprospekt, die konsequent an den Regalenden platziert sind, um davon abzulenken, dass der Laden nicht ganz so günstig ist, wie im Wochenprospekt behauptet wird („Immer die besten Preise!“).
Im Gegenzug hat sich Metro getraut, Bio-Artikeln in fast allen Sortimenten Vorfahrt einzuräumen und ihnen dafür eigene Produkt-Vogelhäuschen zu zimmern.
Das heißt: Der erste Regalmeter ist für ökologisch erzeugte oder umweltschonende Produkte reserviert, darüber steht auf hölzernem Rahmen das Versprechen: „Wir handeln aus Verantwortung.“ Erst dahinter folgen reguläre Markenartikel und Real-Eigenmarken. Wer Artikel zum Discount-Preis kaufen möchte, muss am weitesten die Querreihen reinlaufen. Die Markthalle suggeriert damit zwar nicht, Bio-Laden zu sein – stellt aber heraus, was ihr wichtig ist. Ziemlich clever.
Reals Billig-Billigmarke „Ohne Teuer“ passt in dieses Ambiente freilich nur noch sehr eingeschränkt rein. Und kriegt deshalb auch nicht viel Raum.
Welcome to Veggie Street!
Gleich eine ganze Vogelhäuschen-Straße für Bio-Produkte, Glutenfreies, vegetarische und vegane Lebensmittel sowie, ähm, „Sportlernahrung“ öffnet sich hinter der Kühlabteilung. Dort sammelt sich alles, was sonst schwer einzusortieren ist. Auf dem Ladenplan heißt die Abteilung etwas dämlich „für die besondere Ernährung“. Aber darüber dürfte der geübte Pflanzenvertilger mühelos hinwegsehen, während er seine erste, ausschließlich ihm gewidmete Kühlregalreihe in der Veggie Street begeht und seine Fleischersatzprodukte nicht mehr aus der Industriewurstdominanz im klassischen Kühlregal zusammensuchen muss.
In der ramschfreien Zone
1-Euro-Aufsteller-Slalomfreunde müssen jetzt ganz stark sein: Der Ramsch ist weg! Beziehungsweise: gar nicht erst aufgestellt worden. Trotzdem wollte Real in Krefeld nicht auf einen zentralen Bestandteil seines bisherigen Konzepts verzichten. Den Vorzugsplatz am Eingang mussten Kochtöpfe, Herren-Pyjamas und Flachbildfernseher allerdings räumen. Was nicht weiter tragisch ist, weil das Nichtessen sowieso viel besser in die hintere Markthälfte passen.
Einige Sortimente sind in Themenwelten mit separaten Designs zusammengefasst. So wie die Bücherabteilung „My Books“, wo man im gelblich-grünen Ohrensessel schon mal ein bisschen anlesen darf.
Oder die „Innovation Lounge“ für Unterhaltungselektronik, die allerdings in diesem Sinne keine Lounge ist, sondern eine Wand, was natürlich blöd geklungen hätte („Innovation Wall“).
Andere Artikel wie Küchenutensilien und Kleinelektronik sind in U-förmigen Mini-Abteilungen untergebracht. Dort ist auch Platz für Markenhersteller, die ihre Produkte bewerben wollen. Zum Beispiel mit einer, nun ja: überlebensgroßen Tupperdose.
Zusammen mit den Spielwaren sind die Klamotten ans hinterste Ende der Markthalle gerutscht und suggerieren dort nun mit stylischer Deko und Anti-Grabbel-Sortierung eine ganz neue Coolness. Wer genauer hinsieht, merkt aber schnell, dass da einfach nur dieselben Billigtextilien hängen wie bisher.
Erst aufessen, dann abholen
In riesigen weißen Lettern ruft die Markthalle Kunden bereits auf dem Parkplatz zu: ABHOLPUNKT! An dem sammeln Kunden ihre zuvor bei Real Drive im Netz bestellen Einkäufe ein. In der Kombination mit dem Gastrokreisel-Besuch ist das Konzept deutlich einleuchtender als bei den attraktivitätsarmen regulären Real-Märkten.
Damit Nicht-Autofahrer den Markt genauso gut erreichen können, hat Real offensichtlich die Stadtwerke Krefeld dazu überredet, die Bushaltestelle direkt vor den Markteingang hinter den Parkplatz zu verlegen. (Danke für das Foto an Alexander P.)
Die Schwächen des Konzepts
Bevor Sie jetzt ihren restlichen Jahresurlaub einreichen, um mit der Familie nach Krefeld aufzubrechen, hab ich leider noch eine schlechte Nachricht: Für den gewöhnlichen Einkauf ist der Gastronomie-Erlebnissupermarkt nur so mittelgut geeignet. Außer, Sie trainieren gerade für einen Halbmarathon. Kurze Wege hatten beim Design des Ladens nämlich keine Priorität.
Der Getränkemarkt verfügt zwar über einen praktischen eigenen Zugang vom Parkplatz, ist jedoch abgekoppelt vom übrigen Markt rechts an die Gastronomie angedockt, durch die man erst durch muss, um weiter einzukaufen.
Abgepacktes Fleisch gibt es neben dem Thekenmetzger, auf dem Weg zur Getränkeabteilung; abgepackten Käse auf dem Weg zur Abteilung mit dem abgepackten Fleisch; abgepacktes Brot aber nicht dort, wo das frische Brot gebacken wird, sondern vor den Kassen.
Die sind auch als SB-Varianten im Einsatz, mit ihren Wannenaufsätzen allerdings eher nicht der neuste Schrei.
Die Drogerie wiederum ist ans hinterste Marktende zwischen Textilien, Saison-Sonderfläche und Elektronik in die Ecke geklatscht. Dort täuschen ein paar geschwungene Regale Design vor, vorne stehen Zahnpasta und Deo auf Standardpaletten rum. Priorität scheint die Abteilung im neuen Konzept keine zu haben. Trotzdem (oder deswegen) glaubt Real, dort Preise verlangen zu können, bei denen Einkäufer von dm und Rossmann in Tränen ausbrächen.
Außerdem dürfen sich Haustierbesitzer nach dem Bezahlen gleich nochmal anstellen, um Futter, Streu und einen neuen Kratzbaum („Das Gute fürs Tier“) zu kaufen: Die sind nämlich – so wie Schuhe, Blumen und die Apotheke – in separate Läden hinter den Kassen verlagert worden.
Anders gesagt: Wer bloß Wasser, Käse, Nudeln, Toastbrot und Shampoo einkaufen will, wird in der Markthalle einmal über die kompletten 11.500 Quadratmeter geschickt. Und wieder zurück. Das mag Absicht sein, um Kunden möglichst lange im Laden zu halten. Wenn man nur eingeschränkt Schlenderzeit mitbringt und im Gastrokreisel 20 Minuten auf seinen Burger gewartet hat, ist das aber maximal ätzend.
In jedem Fall ist es ein fast schon unverantwortliches Risiko, Produkte des täglichen Bedarfs (rot markiert) derart großzügig über anderthalb Fußballfelder zu verteilen …
Illustration [M]: Real/Supermarktblog; der Orignal-Plan lässt sich hier ansehen (pdf)
… weil Kunden, die von langen Laufwegen genervt sind, es sich beim nächsten Mal gut überlegen werden, ob sie für ein leckeres Mittagessen bereit sind, doppelt soviel Einkaufszeit einzuplanen wie anderswo. Das ist ein riesiger Nachteil des Konzepts, von dem noch dazu bezweifelt werden muss, ob es sich überhaupt für andere Standorte eignet. Die Markthalle Krefeld ist ein toller Laden mit vielen guten Ideen, vielleicht sogar der modernste und beste Lebensmittelmarkt, den Metro jemals gebaut hat.
Ob er auch die Zukunft von Real ist, steht in diesem Kommentar.
Vielen Dank an Alex Reach für Informationen und erste Eindrücke sowie an Alexander P. für zusätzliche Fotos!
Fotos: Supermarktblog