Seit Ende vergangener Woche kann Amazon Fresh komplett Berlin versorgen: Nachdem der Dienst Anfang April zunächst „in Teilen von Berlin und Potsdam“ gestartet war, sind innerhalb von nur fünf Wochen alle der noch fehlenden 190 Postleitzahlen-Gebiete in der Hauptstadt – plus sieben in Potsdam, weitere im Umland – aufgeschaltet worden. (Lediglich 10589 Charlottenburg fehlt in der offiziellen Übersicht, da funktioniert’s aber auch.) Als nächstes dürften weitere Städte folgen, München gilt in der Branche als gesetzt (siehe Supermarktblog).
Johannes Steegmann, Geschäftsführer beim Wettbewerber Rewe Digital, macht sich dennoch keine Sorgen um sein Geschäft. Im Interview mit t3n.de gibt er sich vielmehr optimistisch, dass mehr Wettbewerb den Online-Lebensmittelhandel insgesamt voranbringen:
„Wenn die Mitbewerber ihr Angebot ebenfalls ausweiten, wird der gesamte Markt davon profitieren.“
Ja, einerseits. Andererseits wird mittelfristig aber relevant sein, welcher Anteil der klassischen Handelsumsätze durch die Bestellung im Internet ersetzt werden – die Kunden kaufen ja nicht doppelt so viel ein, bloß weil es mehr bzw. bequemere Möglichkeiten gibt.
Schon jetzt zielt Amazon Fresh ziemlich deutlich darauf, nicht nur den Lieferdiensten der großen Ketten Konkurrenz zu machen, sondern Edeka, Rewe, Kaufland & Co. auch dort anzugreifen, wo die Unternehmen sich bislang besonders sicher fühlten: bei ihrem Frische-Angebot in den Läden. Unter anderem, indem Fresh das Bedientheken-Prinzip ins Netz überträgt.
Frischetheken-Service online
Anstatt ausschließlich abgepackte Ware zu liefern, bringt Amazon auch frische Produkte vom lokalen Bäcker – z.B. von „Lieblingsläden“ wie Lindner und „Zeit für Brot“, wahlweise aber auch eine Auswahl an Broten und Brötchen, die direkt aus dem Fresh-Lager vom Backwarenhersteller Lieken kommen. Amazon verspricht:
„Dieses Brot backen wir vor dem Versand frisch für Sie auf.“
Und ersetzt damit problemlos den Brötchenknast im Supermarkt.
Riechen, schmecken, anfassen und probieren können die Kunden die Produkte freilich vor dem Kauf nicht. Amazon strengt sich aber an, das durch zunehmende Individualisierung auszugleichen.
Seit kurzem gibt’s nach demselben Prinzip auch Käse aus der „Frischetheke“, eingewickelt in Wachspapier auf Pappteller:
„Diesen Käse schneiden wir vor dem Versand frisch für Sie vom Laib aus unserer Käsetheke zu.“
Und zwar je nach Kundenwunsch in drei verschiedenen Größen: „hauchdünn“, „dünn“ oder „etwas dicker“. Wie dick die Salamischeiben sein sollen, lässt Fresh seine Kunden auch entscheiden. Ganz so wie sie das von der Theke im Supermarkt gewöhnt sind.
Screenshot: Amazon.de/Smb
Dazu kommt die sehr schnelle Lieferung, die den Partner DHL ganz schön auf Trab halten dürfte: Wer abends nach dem Essen in den gähnend leeren Kühlschrank guckt, kriegt ihn am nächsten Morgen ab 7 bzw. 8 Uhr wieder aufgefüllt – während die Lieferzeitfenster bei der Konkurrenz dann oft schon vergeben sind. (Was freilich für deren Auslastung spricht.) 10 Minuten vor der Lieferung wird der Kunde nochmal benachrichtigt.
„Bitte seien Sie möglichst spezifisch“
Die lange Testphase für Fresh scheint sich gelohnt zu haben: Der Dienst funktioniert nach meiner – ganz subjektiven – Bewertung derzeit ziemlich reibungslos und Amazon kann stetig Angebotsverfeinerungen aufschalten. Außerdem werden Kunden sehr explizit danach gefragt, welche Produkte sie noch vermissen („Bitte seien Sie möglichst spezifisch, z.B. ‚Rittersport Nougat Schokolade‘“).
Mittelfristig wird es also wohl nicht nur darum gehen, wer den Bestellern die Einkäufe am günstigsten fehlerfrei nachhause bringt. Sondern auch darum, in wieweit die Anbieter es schaffen, mit innovativen Angeboten zur Individualisierung den Einkauf im Supermarkt tatsächlich zu substituieren.
Zumindest in dieser Hinsicht setzt Amazon Fresh derzeit in Berlin und Potsdam durchaus neue Maßstäbe (siehe Supermarktblog).
Fotos: Supermarktblog
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