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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Sind Stehkassen die besseren SB-Kassen?

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Langsam, gaaanz langsam gewöhnen sich deutsche Handelsketten an den Gedanken, ihre Kundinnen und Kunden an der Kasse Artikel selbst einscannen und bezahlen zu lassen. Doch obwohl die Zahl der SB-Kassen im Handel stetig steigt, fremdeln nicht nur zahlreiche Kundinnen und Kunden weiterhin mit der Technik.

Zu Beginn des vergangenen Jahres hat Netto (ohne Hund) bargeldlose Kassen zur Selbstbedienung in die ersten Läden eingebaut (siehe Supermarktblog). Zumindest in Innenstadtfilialen, die nach der Modernisierung wiedereröffnen, scheinen die inzwischen zum Standard-Repertoire zu gehören. Es ist nur nicht ganz klar, ob zur Einkaufserleichterung – oder als Maßnahme zur Abschreckung.

Wer dem Selbstscannen bislang kritisch gegenüberstand, wird sich nach einem Ausflug an die SB-Kassen von Netto (ohne Hund) in der bisherigen Skepsis vermutlich bestätigt sehen. Denn so praktisch die zusätzlichen Bezahlmöglichkeiten vor allem in City-Märkten auf den ersten Blick sein mögen: Die Discountkette gibt sich weiterhin große Mühe, die Technologie möglichst kunden:innenunfreundlich einzusetzen.

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Dass nicht der Servicegedanke im Vordergrund steht, sondern die Förderung des Impulskaufes, ist unübersehbar. Bei neuen Kassen-Installationen ist der Touchscreen, auf dem man sich bis zur Bezahlung tippt, in eine Wand aus Süßwaren eingelassen, die darum betteln, ebenfalls über den Scanner gezogen zu werden.

Noch ein paar zusätzliche Cent mit Mentos, Manner und Knoppers zu verdienen, war Netto (ohne Hund) offensichtlich wichtiger als ein ablenkungsfreier Kassierprozess.

Nun lässt sich Handelsketten schwer vorwerfen, dass sie Kunden dazu bringen wollen, (mehr) Geld bei ihnen auszugeben. Aber gerade für Familien, bei denen der Nachwuchs tippen und scannen helfen darf, ist die Quengel-SB-Kasse bei Netto (ohne Hund) ein ziemlicher Alptraum. (Erinnern Sie sich noch, was der Handel noch anno 2013 für einen Wind um seine explizit quengelfreien Kassen gemacht hat? Vorbei.)

Mitarbeiter:in auf Knopfdruck

Das eigentliche Problem ist aber ein anderes: Im Gegensatz zu z.B. Rewe scheint sich Netto (ohne Hund) im Regelbetrieb keine eigene Aufsicht (mehr) für die SB-Kassen leisten zu wollen. Wenn beim Scannen ein Problem auftritt, sollen Kund:innen den über dem Kartenterminal angebrachten Knopf „Mitarbeiter rufen“ drücken. („… und die Konsequenzen tragen“, müsste da eigentlich auch noch stehen.) Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat besagte:r Mitarbeiter:in in diesem Moment anderes im Laden zu tun, im Zweifel nämlich: an der einzigen anderen geöffneten regulären Kasse zu sitzen und dort Kundinnen bzw. Kunden zu bedienen.

Das führt zu der kuriosen Situation, dass sich – weil im Problemfall immer erst jemand gerufen werden muss – Wartezeiten wegen der SB-Kassen sogar verlängern. Am Ende sind Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen genervt.

Netto (ohne Hund) ist nicht alleine mit dem Problem. Im vergangenen Jahr installierte Wettbewerber Penny in einer Berliner Filiale eine SB-Kasse und forderte Kunden auf:

„Selber scannen, zahlen, fertig: Ab zur SB-Kasse.“

Lange hat der Praxistest nicht lange gedauert, wie Supermarktblog-Leser Ulf beobachtete – und zwar obwohl die Zusatzkasse

„(…) von einer normalen Kasse aus mitbetreut wurde. Bei einer erforderlichen Jugendschutzfreigabe (z.B. Alkohol) konnte eine Kassenkraft das ganze auf ihrem Kassenbildschirm freigeben, ohne aufzustehen. Häufig waren die Probleme aber so nicht lösbar, die Kassenkraft mußte aufstehen und die Warteschlange wurde länger. Beim Personal waren diese Kassen äußerst unbeliebt.“

Discount-inkompatible Innovation?

Kurz gesagt: Für den schnellen, unkomplizierten Einkauf wären SB-Kassen im Discounter prinzipiell gut geeignet – die knappe Personalplanung der Ketten (die im Standardbetrieb immer nur eine:n Mitarbeiter:in an die Kasse setzen) macht dem aber im Zweifel einen Strich durch die Rechnung. Dennoch hat Lidl gerade angekündigt, im Laufe des Jahres „einen Test von Self-Checkout-Kassen“ in Schweizer Filialen starten zu wollen:

„Vor allem in Stadtzentren und Ballungsräumen wurde ein Kundenbedürfnis nach kleineren und schnelleren Einkäufen festgestellt.“

In Belgien und Polen wird auch bereits fleißig getestet, und in Paris dürfen Lidl-Kunden ihre Einkäufe vorher sogar selbst per App scannen. IGD Retail Analysis hat einen knappen Überblick dazu.

In Deutschland verzichtet Lidl (noch) darauf. In der kürzlich eröffneten Münchner Stadtfiliale (siehe Supermarktblog) stehen aus Platzgründen trotzdem keine klassischen Kassen mit Band.

Stattdessen werden Kundinnen und Kunden von Mitarbeitern an kompakten Stehkassen bedient (siehe Titelfoto).

Auch Super- und Drogeriemärkten experimentieren zunehmend mit den Kompaktvarianten. Budni baut zum Beispiel in Filialen seines aufgebohrten „Dein Drogeriemarkt“-Ladenformats Kassentresen mit Kurzförderbändern ein:

Mitbewerber Rossmann setzt, ähm, ebenfalls Stehkassen in modernisierten Märkten ein (die aber eher nach Service-Tresen als nach Kasse aussehen).

Und Rewe lockt in Stadtfilialen schon länger an die „Express-Kasse“, die „für den kleinen und schnellen Einkauf – max. 10 Artikel“ gedacht ist – aber meistens erst besetzt wird, wenn an den regulären Kassen schon Kund:innenstau angesagt ist.

Zack, zack, eingepackt

Sind die Stehkassen – zumindest im deutschen Handel – also womöglich die besseren SB-Kassen? Die Supermärkte scheinen sich auch noch nicht so ganz sicher zu sein.

In ihren Amsterdamer City-Märkten probiert die niederländische Handelskette Jumbo beides aus: In der einen Filiale die SB-Kompaktvariante; in einer anderen die Tresen samt Mitarbeiterbedienung – inklusive Probiertellerchen! (Mehr zum Ladenkonzept steht bald hier im Blog.)

Schneller dürfte der Einkauf für die meisten Kunden an den Stehkassen nicht werden, vor allem, wenn die Tresen lediglich zeitweise als Ergänzung dienen. Aus Unternehmenssicht haben sie jedoch ein paar klare Vorzüge:

  • Tabak und Alkohol können mit Alterskontrolle ausgegeben werden; siehe z.B. Lidl in München:

  • Artikel, die sonst ohnehin erst auf Nachfrage ausgegeben werden (z.B. Rasierklingen) oder ansonsten eine Diebstahlsicherung bräuchten, lassen sich gut sichtbar in einem Regal hinter der Tresenkasse präsentieren.
  • Gleichzeitig kann dort das reguläre Kassensystem zum Einsatz kommen, das weniger wartungsanfällig sein dürfte als die SB-Variante (die allen Weiterentwicklungen zum Trotz regelmäßig zum Software-Absturz gebracht wird – ich hab’s schon mal bis in den DOS-Modus geschafft, falls das noch so heißt).

Die verflixte zweite Kasse

Umgekehrt könnten sich Kunden an der Stehkasse auch stärker gehetzt fühlen, weil fast gar kein Platz mehr zum Einpacken der Ware bleibt. Und der bargeldlose Betrieb ließe sich dort vermutlich auch weniger elegant etablieren. Konsequent wäre es, gleichzeitig die Eine-für-alle-Kassenschlange durchzusetzen, wie sie im europäischen Ausland längst erprobt ist (selbst im Discount). Das dafür benötigte Leitsystem ließe sich ganz nach dem Geschmack von Netto (ohne Hund) bekanntlich ebenfalls mit dem erwünschten Zusatzerwerb von Zuckerhaltigem aufrüsten.

Wobei das alles freilich nur Sinn ergäbe, wenn durchgängig mehr als eine Kasse geöffnet bliebe.

Und damit schließt sich der Problemkreis. Womöglich müssen wir uns einfach daran gewöhnen, dass die Kassentechnikzukunft – in welcher Form auch immer – hierzulande weiter im Stau stehen bleibt. So lange, bis sie vielleicht keiner mehr braucht.

Vielen Dank an Juliane, Maximilian, Sven und Ulf für Hinweise und Fotos!

Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Sind Stehkassen die besseren SB-Kassen? erschien zuerst auf Supermarktblog.


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