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Der Berg ruft: Warum Aldi Schneekoppe retten muss, um sich endlich ein schärferes Bio-Profil zuzulegen

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Discounttechnisch ist Deutschland seit fast sechs Jahrzehnten A Tale of Two Aldis und der „Aldi-Äquator“ den allermeisten Leuten ein Begriff: als Grenze, an der das Wirkungsreich von Aldi Süd in das von Aldi Nord übergeht (bzw. umgekehrt).

Der historisch gewachsenen Aufteilung zum Trotz mehren sich die Zeichen, dass die beiden Discount-Geschwister künftig enger zusammenrücken. Vieles passiert plötzlich gemeinsam: die Werbung im Fernsehen, die Initiative zur Reduktion von Plastikverpackungen, die dämliche neue Kampagne zum „Aldi-Preis“.

Nach und nach wird die verstärkte Zusammenarbeit auch in den Märkten sichtbar, wo Nord und Süd einheitliche Eigenmarken in den Regalen platzieren wollen. Etablierte Marken werden modernisiert, neue kommen hinzu: Flirt, Cachet, Knusperone, Roi de Trefle, Goldland, enjoy free!, Choceur, Landfreude, meine Kuchen Welt, Pizz’ah, Karlskrone, Almare, King’s Crown, Tandil, Alio, Opti Wisch, Rio D’Oro, La Finesse, Ombia und Lacura von Aldi Süd; Nusskati, Schovit, Goldähren, Trader Joe’s, Schultenbräu, River und Kür von Aldi Nord.

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Zu den auffälligsten Änderungen gehört jedoch die Erweiterung des Bio-Sortiments. Im Mai kündigten Aldi Nord und Aldi Süd an, ab sofort Produkte der (von Philipp Lahm erworbenen) Traditionsmarke Schneekoppe in den Läden zu verkaufen: Kokosöl, Apfelessig, Soja-Reis-Drink, Rote-Bete-Saft, Sauerkrautsaft, Quinoa-Mix, Basis-Müsli, Getreidemix, Agavendicksaft, Obstriegel, Chia-Samen, Dinkelmehle, Leinöl und Softfrüchte – alles in Bio-Qualität.

Aldi Süd empfängt Kund:innen mit der Auswahl sogar direkt am Eingang:

Die Kooperation geht auch deutlich weiter als beim Verkauf klassischer Markenartikel. Denn der Discounter behandelt Schneekoppe fast wie eine Eigenmarke.

Die Softfrüchte z.B. tauchten bei Aldi Nord in den vergangenen Wochen in doppelter Ausführung in den Läden auf: einmal unter „Gut Bio“, einmal unter „Schneekoppe“.

Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt ein Aldi-Nord-Sprecher, dass von 15 deutschlandweit verkauften Schneekoppe-Artikeln 13 zuvor unter „unseren hauseigenen Biomarken gehandelt“ worden seien; sechs davon „allerdings nur zeitweilig als Aktionsartikel“. Das hat sich durch den Übergang auf Schneekoppe geändert. Und es spricht dafür, dass Aldi mit Schneekoppe größere Pläne haben könnte.

Schneekoppe drauf, aber Aldi drin

Die Frage, ob es Aldi durch die Vereinbarung generell möglich ist, Schneekoppe-Produkte im eigenen Auftrag herstellen zu lassen, lässt das Unternehmen zwar unbeantwortet. Aber bereits im März hatte Schneekoppe in einer Mitteilung (PDF) genau das erklärt:

„Die Schneekoppe GmbH gewährt (…) ALDI Nord und ALDI SÜD eine Lizenz zur Nutzung der ‚Schneekoppe‘-Marke.“

Auf seiner Website fragt das Unternehmen Kund:innen vor der Kontaktaufnahme inzwischen:

„Schneekoppe bei ALDI Nord oder ALDI SÜD gekauft?
Dann klicke hier auf das entsprechende Logo. Du wirst direkt zu ALDI weitergeleitet.“

Schneekoppe hat ein paar turbulente Jahre hinter sich und stand schon öfter kurz vor der endgültigen Pleite. Bereits 2014 berichtete die „Süddeutsche“ über den „Niedergang“ der einstigen „Kultmarke“, die ständig den Besitzer wechselte.

Dazu kommen diverse Pechsträhnen, die sich z.B. im „Lagebericht für das Geschäftsjahr 2018“ (PDF) nachlesen lassen. Das China-Geschäft wurde eingestellt, ausstehende Forderungen aus einem Leinöl-Rückruf an eine inzwischen insolvente Ölmühle belasten das Ergebnis, Produktionsprobleme sabotierten Produktneuerungen, und viel zu spät hat man im Unternehmen gemerkt, dass die Marke eine grundlegende Neupositionierung benötig, um zu überleben. Die erst 2016 beschlossene „Fokussierung auf Bio- und Naturkost-Produkte“ hatte zur Konsequenz, dass das Reformhaus-ausgerichtete Sortiment radikal zusammengestrichen wurde: insgesamt „47 Produkte aus nicht strategischen Warengruppen“ („zuckerbewusst“, „laktosefrei“, „glutenfrei“) fielen weg, nur drei (drei!) wurden neu ins Sortiment aufgenommen. Die angestrebte „klare Positionierung“ von Schneekoppe ist nie richtig erfolgt. Alles in allem: ein ziemliches Desaster.

Alles nur noch in Lizenz

Auch deshalb ist die Kooperation mit Aldi wohl ein letzter Anker, um zu retten, was noch zu retten ist. (Bei Schneekoppe heißt es, sie werde „einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten“.) Vor allem aber hat der Deal die bisherige Strategie ein weiteres Mal komplett über den Haufen geworfen.

Die Schneekoppe-Geschäftsführung habe im März entschieden,

„sich vorerst von allen Altprodukten bis Ende Juni 2019 zu trennen und die Marke neu zu entwicklen und zu positionieren“.

Künftig will Schneekoppe „Bio-Naturkost [sein], die sich jeder leisten kann“; die „genaue Positionierung“ werde noch „zusammen mit Experten“ erarbeitet. Das Hauptgeschäft soll aber künftig wohl daraus bestehen, Lizenzen an Unternehmen zu verkaufen, „die sich mit der Strahlkraft der Marke Schneekoppe einen Zugang zu den Wachstumsmärkten gesunde oder funktionale Ernährung, bio und vegan verschaffen wollen“. (Oder besser: das, was von der Strahlkraft noch übrig ist.) Unternehmen – wie Aldi. Die Priorität ist deshalb klar:

„2019 wird das Sortiment konsequent auf Aldi ausgerichtet und in den Vordergrund aller Initiativen gesetzt.“

Das passt insofern, als dass sowohl Aldi als auch Schneekoppe massiven Nachholbedarf haben, im Bio-Geschäft noch Anschluss an die davon gezogene Konkurrenz zu finden, die gerade ziemlich Gas gibt.

Dafür müsste in Mülheim und Essen aber noch jemand eine Strategie entwickeln, z.B. um Schneekoppe bundesweit als zentrale Bio-Marke im Sortiment zu etablieren. Bislang ist davon wenig erkennbar.

Bio braucht Glaubwürdigkeit

Wieviele Bio-Artikel im Aldi-Sortiment künftig unter Schneekoope gehandelt werden sollen, verrät Aldi Nord derzeit auf Anfrage zwar nicht. Medienberichten zufolge haben sich die beiden Discounter aber vorgenommen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Bio-Marktführer zu werden. Das ist ein – sagen wir: ehrgeiziges Ziel.

Alleine durch die Masse der verkauften Bio-Ware mag man diesem zwar nahekommen; ein solcher Anspruch muss aber auch in der Wahrnehmung der Kunden verankert werden.

Um die Sichtbarkeit im Laden zu steigern, experimentiert Aldi mancherorts schon jetzt mit Bio-Blockplatzierungen. Aldi Nord bezeichnet sie als „regionale Teststellungen – zum Beispiel in Märkten mit großer Verkaufsfläche“ bzw. „wenn uns wiederholt entsprechende Kundenwünsche erreichen“.

Auf Dauer dürften zwei wenig profilierte, eher beliebig wirkende Bio-Eigenmarken wie „Gut Bio“ (Nord) und „bio“ (Süd) aber kaum ausreichen, um umfassende Naturkost-Kompetenz zu signalisieren. Insbesondere, nachdem Wettbewerber Lidl seine Marke „Bio Organic“ mit dem Siegel des Anbauverbands Bioland aufgewertet hat, das höhere Standards in der Herstellung festschreibt – womit Lidl seit Monaten massiv wirbt (siehe Supermarktblog).

Bio-Produkte mit neuem Namen in dunklerem Grün in die Regale zu schieben, wird deswegen kaum ausreichen. Qualitativ reicht Aldi damit nämlich immer (noch) nicht an die steigenden Bio-Standards heran, die derzeit überall im deutschen Lebensmitteleinzelhandel umgesetzt werden.

Und die „Bio-Kompetenz“ von Schneekoppe, mit der man sich bereits zu schmücken versucht, ist derzeit auch eine tendenziell  schwer belegbare Behauptung – weil sich die Marke ja ganz besonders in ihrer Kompetenzentwicklung zuletzt eher schwer getan hat.

Um sich einen echten Vorsprung zu verschaffen, müsste Aldi etwas wagen, das im deutschen Discount so bislang noch niemand versucht hat.

Klar kommunizierte „Grundwerte“

Aber praktischerweise der österreichische Aldi-Süd-Ableger Hofer.

Der beweist nicht nur hinsichtlich seiner Ladendesigns eine erstaunliche Flexibilität (siehe Supermarktblog), sondern auch bei der Ausrichtung seines Markenportfolios. Bereits 2006 hat der österreichische Bio-Pionier Werner Lambert für die Handelskette die Bio-Eigenmarke „Zurück zum Ursprung“ erfunden.

Die beansprucht für sich, unter ihrem Namen nicht nur hochwertige ökologische Produkte zu verkaufen (siehe dazu auch Supermarktblog), sondern eine „ganzheitliche Nachhaltigkeit“. Dafür wurden „Grundwerte“ festgelegt, die den Kund:innen klar kommuniziert werden.

Dazu gehört u.a., dass Bauern sich verpflichten, ausschließlich österreichische Futtermittel einzusetzen, Kühe mindestens 120 Tage auf der Weide grasen zu lassen; ebenso: die achtsame Bewirtschaftung von Ackerflächen, der Erhalt nährstoffreicher Böden, ein vollständiger Pestizidverzicht, die konsequente artgerechte Aufzucht männlicher Küken und Lämmer, langfristige Kooperationsvereinbarungen mit Landwirten, die Unterstützung kleinstrukturierter Landwirtschaft, das Verbot der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Ausland u.a.

Die Eigenmarke als Siegel

Anders gesagt: „Zurück zum Ursprung“ hat die höheren Bio-Standards fest eingebaut. Die Marke ist quasi ihr eigenes Siegel.

Diese Besonderheit stellt Hofer auf den Verpackungen auch deutlich heraus – und widerlegt damit das Branchenvorurteil, im Laden sei es schwierig bis unmöglich, der eiligen Kundschaft die Herstellungsdetails einzelner Produkte näher zu bringen (siehe Supermarktblog).

Ja, außer man traut sich, Anrichtempfehlungen und Weidenidyll-Illustrationen auf ein Minimum zu beschränken und stattdessen Zutaten, Herkunft und Herstellung auf der Vorderseite der Packung zu erklären. In ganzen Sätzen. Zum Lesen.

Verrückt, oder?

„Zurück zum Ursprung“ hilft Hofer gleich in mehrfacher Hinsicht – in erster Linie natürlich, um Kund:innen zu gewinnen (bzw. zu halten), die sonst vielleicht nicht oder seltener im klassischen Diskont einkaufen würden.

Vor allem aber ermöglicht es einen Spagat, der auch für Aldi in Deutschland interessant sein muss, weil ihm eine für das Handelsformat zentrale Frage zu Grunde liegt: Wie kann sich der Discount in Zukunft so positionieren, dass er junge, anspruchsvollere Kund:innen anspricht, ohne gleichzeitig seine bisherige Kernkompetenz – Preisführerschaft – zu vernachlässigen und sich die kostspielige Komplexität der Supermärkte aufzulasten?

Hofer scheint (für sich) eine Antwort darauf gefunden zu haben: Nicht, indem die Handelskette die Supermärkte kopiert. Sondern indem man die mittlere Preisschiene weglässt – und Kund:innen bei jedem Einkauf stattdessen die Wahl, ob sie Produkte preiswert oder hochwertig einkaufen wollen.

Besonders billig oder besonders Bio – an ein und demselben Ort.

Für viele Naturkost-Förderer der ersten Stunde mag ein Händler, der für sich beansprucht, gleichzeitig günstig und werteorientiert zu sein, wie ein Widerspruch wirken; für die Kund:innen aber, und das ist der zentrale Punkt, ganz offensichtlich nicht. Die klar kommunizierten Grundsätze von „Zurück zum Ursprung“ – Regionalität, Ökologie, Fairness – sind Basis dieses Vertrauens.

Hofer setzt das Prinzip fast überall im Laden um, selbst in der „Backbox“ (dem österreichischen Brötchenknast), wo es ganz selbstverständlich Weißmehlsemmeln zum Discountpreis zu kaufen gibt; und zwei Fächer daneben Bio-Brot von regionalen Lieferanten:

„Wir garantieren:
ohne Zusatzstoffe
ohne Zusatz von Enzymen
ohne chemische Backhilfsmittel
mit feinen Vorteigen
mit österreichischem Bio-Getreide“

In Deutschland ist Aldi von einer vergleichbaren Strategie noch meilenweit entfernt; daran wird auch die schrittweise Ausweitung des Sortiments mit Bio-Standardprodukten wenig ändern – nicht mal, wenn Schneekoppe vorne drauf steht. Weil kaum jemand weiß, für was die Marke heute steht. Und dass eigentlich bloß gewöhnliches Aldi-Bio in der Verpackung drin ist.

Dringend benötigt: ein Wertefundament

Darin liegt auch eine Chance: Aldi Schneekoppe müsste Schneekoppe komplett übernehmen, um der Marke endlich Stabilität zu geben, weitere Positionierungs-Unfälle zu vermeiden und eine Bio-Kompetenz aufzubauen, die ähnlich wie „Zurück zum Ursprung“ über ein transparent nachvollziehbares Wertefundament verfügt. Dann wäre es nicht einmal ein Widerspruch, nebenbei weiter klassische Bio-Ware nach EU-Norm unter den bisherigen Eigenmarken weiter zu verkaufen. (Bei Hofer gibt es dafür zusätzlich „Natur aktiv“).

Es sieht derzeit (noch) nicht so aus, als habe man das in den Chefetagen der beiden Handelsketten schon begriffen. Anstatt eine auf Werten basierende Markenstrategie zu entwickeln, scheint man sich der Einfachheit halber lieber auf Philipp Lahm als Bio-Maskottchen verlassen zu wollen, das es günstig dazu gab. Lahm grinst von den Regalen als

„Ihr Partner für eine bewusste Ernährung.“

Und Aldi macht sich nicht mal die Mühe, zu erklären, wie dieser Partner seine vermeintlcihe Kompetenz erworben haben soll. Sein Investment in eine Marke, die sich fast selbst vom Markt gefegt hätte, dient eher als negativer Kompetenzausweis. Und Schürzeanziehen für schöne Pressefotos hilft auch nur bedingt.

Es ist gut möglich, dass Aldi die sich derzeit bietende ziemlich einmalige Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt und Schneekoppe als reinen Marketing-Anschub betrachtet.

Darüber kann sich vor allem Neckarsulm freuen, weil das den Vorsprung der Konkurrenz größer werden lässt. Lidl scheint sich das, was Hofer in Österreich macht, jedenfalls sehr genau angesehen zu haben, verfolgt durch die Partnerschaft mit Bioland hierzulande zwar eine etwas andere Strategie – aber mit demselben Ziel: für breite Teile der Gesellschaft zu einem Einkaufsort zu werden, an dem Billig und Besser-Bio von Kund:innen ganz selbstverständlich nebeneinander im Regal stehen.

Es liegt auf der Hand, diesen Beispielen zu folgen – und Schneekoppe als zentrale Bio-Marke dafür einzuspannen. Der Berg ruft. Die Frage ist: Ruft Aldi zurück?

Fotos: Supermarktblog


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