Nun ist sie bald vorbei, die Zeit der meterlangen Maggitütenregaldominanz, der ungewohnten Auswahl regionaler Kochbeutelkloßalternativen und Duschgels mit kuriosen Jeansnamen („Denim“?), die auch nach Monaten noch als „Neu“ gekennzeichnet werden müssen, um nicht übersehen zu werden: Nach einjähriger Pause hat sich Kaufland mit Unilever darauf geeinigt, die Marken des Konzerns künftig doch wieder zu verkaufen.
„[B]ereits ab Ende November“ würden die ersten Produkte wieder eingelistet, hat sich die „Heilbronner Stimme“ bei Kaufland bestätigen lassen und erfahren, dass „[n]och vor Weihnachten (…) die ersten Knorr-Produkte wieder in den Regalen stehen“. (Dann ist das Fest ja gerettet dank „Creamy Pesto“-Pasta-Snack, „Hüttenschamus Käsespätzle“ und Asia Noodles „Geschmack: Huhn“!) „[B]is Ende Januar“ soll dann das komplette Sortiment wieder erhältlich sein. Einen Unilever-Sprecher zitiert stimme.de mit den Worten: „Unsere Produkte und Marken [werden] zukünftig wieder umfangreicher bei Kaufland verfügbar sein.“
Zuvor hatte die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) zuerst über die Einigung berichtet und aus einer Stellungnahme der Unternehmen zitiert, in der es heißt:
„Wir freuen uns, dass eine Vereinbarung getroffen wurde, mit der beide Seiten den Konsumenten wieder in den Mittelpunkt der Geschäftsbeziehung stellen können.“
Im Herbst vergangenen Jahres hatte Kaufland damit begonnen, Unilever-Produkte aus den Regalen zu verbannen, weil man „drastische Preiserhöhungen“ seitens des Herstellers nicht akzeptieren wollte. Zu Beginn dieses Jahres verschwanden Marken wie Axe, Ben & Jerry’s, Bertolli, Dove, Duschdas, Pfanni, Rexona, Signal und Viss endgültig aus dem Kaufland-Angebot und wurden durch Konkurrenzprodukte ersetzt (siehe Supermarktblog).
An der jetzigen Kehrtwende haben beide Seiten gleichermaßen Interesse: Unilever, um die Umsatzrückgänge der vergangenen Monate auszugleichen; und Kaufland, um Kund:innen zurückzuholen, die für den Kauf ihrer Lieblingsmarken womöglich zur Konkurrenz gewechselt sind.
Der nächste Streit kommt bestimmt
Vor allem der Großflächendiscounter habe unter dem selbst auferlegten Verzicht gelitten, zitiert die LZ aus „Unternehmenskreisen“; das dürfte auch die Lesart sein, die Unilever bevorzugt.
Die „Stimme“ wiederum zitiert einen Kaufland-Sprecher damit, man habe die Auslistung der Marken „sehr gut kompensieren“ können. Suchen Sie sich raus, was Sie lieber glauben wollen. Welche Seite für den Friedensschluss stärker nachgeben musste, dürfte ohnehin das Geheimnis der Verhandlungspartner bleiben.
Mit der Wiederannäherung von Kaufland und Unilever geht in jedem Fall ein Jahr zu Ende, das wie kaum ein anderes von Konditionenstreits zwischen Handelsketten und Markenherstellern geprägt war. Streits dieser Art haben im Lebensmitteleinzelhandel zwar eine lange Tradition. Aber selten wurden sie so öffentlichkeitswirksam ausgefochten we in den zurückliegenden Monaten. (Und der nächste kommt bestimmt.)
„Leider müssen wir Sie darüber informieren, dass wir Ihnen derzeit nicht alle Produkte des Lieferanten Heinz anbieten können“, hatte Edeka im Frühjahr enttäuschten Ketchup-Käufer an halbleeren Regalen offenbart. Weil man einer Preiserhöhung nicht zustimmen wollte, hatte Kraft Heinz die Lieferung seines Marken-Ketchups ausgesetzt. Es sei „trotz harter Verhandlungen nicht gelungen, eine Einigung […] zu erzielen“, erklärte der Händler seinen Kund:innen daraufhin (siehe Supermarktblog).
Sind Einkaufsallianzen rechtens?
Die Ausgangssituation der Konflikte ist immer dieselbe: Wenige multinational operierende Hersteller von Gütern des täglichen Bedarfs (Fast Moving Consumer Goods) stehen in Deutschland wenigen Handelsketten gegenüber, die immer größere Teile des Geschäfts mit den Endkund:innen kontrollieren. Beide Seiten bestehen auf die jeweils besten Konditionen zu ihren Gunsten. Dabei verschärft sich der Tonfall zunehmend.
Hersteller geben an, Kostensteigerungen für Rohstoffe und Produktentwicklung weitergeben zu müssen; gleichzeitig ärgern sie sich über die Einkaufsallianzen, mit denen Handelsketten aus unterschiedlichen europäischen Ländern gemeinsam bessere Konditionen durchsetzen wollen, etwa für das Aktionsgeschäft.
Edeka verhandelt im Bündnis AgeCore zusammen mit Coop (Schweiz), Intermarché (Frankreich), Colruyt (Belgien), Conad (Italien) und Eroski (Spanien). Rewe hat sich bei Coopernic mit E. Leclerc (Frankreich), Ahold Delhaize (Belgien, Niederlande) und Coop Italia zusammengetan. Der Markenverband wittert darin einen „Machtmissbrauch“. Die Händler entgegnen, über die Bündnisse lediglich gleiche Verhältnisse mit Handelskonzern wie der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) herstellen zu wollen, die länderübergreifend aktiv sind und international einkaufen.
Gleichwohl geraten solche Allianzen zunehmend in den Fokus von Gesetzgebern und Kartellwächtern. Die Europäische Kommission will u.a. prüfen (Abo), ob die beiden französischen Einzelhändler Casino und Intermarché innerhalb ihrer Einkaufsallianz unzulässige Absprachen getroffen und damit gegen das europäische Kartellrecht verstoßen haben.
Discounter lassen Margen schrumpfen
Preiserhöhungen der Hersteller werden von Händlerseite wiederum oft als überhöht eingestuft. Während man wesentlich dazu beitrage, Marken aufzubauen und am Markt zu etablieren, würden Nahrungsmittelkonzerne hohe Umsatzrenditen einstreichen, aber wenig in Produktinnovationen investieren. Gleichzeitig liefere die Industrie ihre Produkte zunehmend an Discounter, die mit Niedrigpreisen dafür sorgen, dass die Margen schrumpfen.
Den Herstellern wiederum geht es gegen den Strich, dass sie den Allianzen zusätzliche Rabatte einräumen sollen – ohne konkrete Gegenleistung zu erhalten.
Wird man sich nicht einig, lautet die Konsequenz in vielen Fällen: Auslistung oder Lieferstopp – zumindest vorübergehend. Rewe stritt mit Danone über vermeintlich ungerechtfertigte Preiserhöhungen. Edeka war sich uneins mit Mars und Red Bull. All diese Konflikte wurden letztlich wieder beigelegt.
Gleichwohl testen vor allem die Händler zunehmend aus, wie weit sie gehen können. Im vergangenen Jahr hatte Edeka sich bereits mit dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé angelegt und war bereit, über mehrere Wochen auf Thommy, Maggi, Nescafé und Wagner zu verzichten, um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Wem diese Strafmechanismen mehr schaden? Lässt sich im Voraus oft gar nicht so genau sagen.
Nicht auf sichere Umsätze verzichten
Wenn Kund:innen ihr komplettes Einkaufsbudget zur Konkurrenz tragen, weil sie dort das gewohnte Angebot finden, trifft das Händler massiv. Umgekehrt gehen Hersteller das Risiko ein, dass Konsumenten nach Lieferstopps zum Produkt eines anderen Herstellers oder der Eigenmarke des Händlers greifen, sich umgewöhnen und gar nicht mehr zum „Original“ zurückkehren.
Ohnehin wird sich der Handel zunehmend der Macht bewusst, die er mit seinen Eigenmarken ausüben kann. Dank innovativer Rezepte und moderner Verpackungen nehmen viele Kund:innen die Produkte inzwischen als (gleich)wertige Alternative zu klassischen Marken wahr. Um Heinz zu ersetzen, ließ Edeka dieses Jahr seinen eigenen „Marken“-Ketchup unter dem Namen „Papa Joe’s“ entwickeln, der dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sah.
Mit solchen Aktionen signalisieren Händler den großen Herstellern zunehmendes Selbstbewusstsein. Gleichwohl wissen die Nahrungsmittelkonzerne, dass Edeka, Rewe & Co. nur ungern auf Umsätze verzichten, die ihnen hochpreisige Markenartikel sichern – selbst wenn sich mit günstigeren Eigenmarken bessere Margen erzielen lassen.
Heute Gegner, morgen Partner
Dennoch scheint sich in den Führungsetagen der Konzerne langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass sie sich auch selbst bewegen müssen. So steigt die Bereitschaft, Exklusivmarken für Handelspartner herzustellen (wie Maggi, das „Koch Doch“-Fixgerichte für Edeka produziert) oder Produktlinienerweiterungen zunächst exklusiv bei ausgesuchten Partnern zu verkaufen (wie Kit Kat Ruby Cocao bei Rewe).
Darüber hinaus werden neue Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet. Die Nestlé-Tochter Wagner, die im vergangenen Jahr rückläufige Umsätze im Endkundengeschäft verzeichnete (vermutlich auch wegen des mehrwöchigen Verkaufsstopps bei Edeka), testete eine Kooperation mit dem Essens-Lieferdienst Lieferando. Der ließ die „Ernst Wagner Original“-Pizza, die es regulär im Handel zu kaufen gibt, bei Restaurantpartnern in Großstädten aufbacken und lieferte sie Kundinnen bzw. Kunden fertig verzehrbar nachhause.
Bedeutende Umsätze dürften sich darüber derzeit kaum generieren lassen. Dennoch gewinnen alternativen Vertriebswege an Bedeutung, um unabhängiger von traditionellen Partnern zu werden.
Kleinere Hersteller als Lückenbüßer
Kleinere Hersteller beobachten die Streits der Großen mit gemischten Gefühlen. Einerseits besteht die Chance, mit den eigenen Produkten auf frei werdende Plätze im Regal zu rücken, die nach der Auslistung großer Marken gefüllt werden müssen. Im Zweifel bleibt ihnen aber nur die Rolle als vorübergehender Lückenbüßer.
Wenn Kaufland in den Regalen jetzt wieder Platz für Unilever-Marken braucht, müssen die eingesprungenen Mittelständler mit ihren Produkten wieder weichen. Es würden bloß „einige wenige Alternativprodukte“ aus dem Sortiment genommen, erklärt der Händler gegenüber der „Stimme“. Aber angesichts des schieren Umfangs der Markenrückkehrer dürfte das unrealistisch sein.
Dazu kommt, dass mittelständische Hersteller angesichts der zunehmenden Marktkonzentration kaum noch Möglichkeiten haben, auf andere Händler auszuweichen, wenn die Konditionenwünsche beim bisherigen Partner nicht mehr erfüllt werden können. Weil sie eine Auflistung nicht so einfach aussitzen können wie Großkonzerne.
Wenn ein Großteil der bisherigen Standorte von Real an Konkurrenten wie Edeka oder Kaufland übergeht, dürfte das die Situation noch verschärfen.
So bleibt das Risiko, zwischen den Fronten aufgerieben zu werden – zumal die Handelsunternehmen zunehmend selbst als Produzenten tätig werden, so wie Edeka (mit Albi in der Saftherstellung) oder Lidl (mit eigenem Produktionswerk für Eiscreme).
Profitieren Kundinnen und Kunden von den Auseinandersetzungen? Ja, wenn Preise für Nahrungsmittel dadurch stabil bleiben. Und weil sich den öffentlich ausgetragenen Streits zwischen Handelsketten und Markenherstellern ein gewisser Unterhaltungswert nicht absprechen lässt.
Am Ende aber kehren die allermeisten Produkte ja doch wieder in die Regale zurück. Und nur einige wenige Akteure entscheiden, was es wo zu kaufen gibt. Daran kann eigentlich niemand ein Interesse haben – außer denen, die vorher noch lautstark miteinander gestritten haben.
- Wie waren Ihre Einkaufserfahrungen während des Unilever-Verzichts bei Kaufland? Sind Sie auf andere Marken ausgewichen und haben gleichwertige Ersatzprodukte für sich entdeckt? Oder haben Sie den Laden gewechselt?
- Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns in den Kommentaren!
Die ursprüngliche Version dieses Texts erschien im Oktober im „Börsenblatt – Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel“; für die Veröffentlichung im Blog wurde der Text überarbeitet und aktualisiert.
Fotos: Supermarktblog
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Der Beitrag Hersteller gegen Händler: Wer hat den längsten Atem im Kampf um die Preishoheit? erschien zuerst auf Supermarktblog.