Viele Kund:Innen gehen nicht mit dem Einkaufszettel in den Supermarkt, sondern mit der Frage: Was gibt’s heute Abend zu essen? Schlimmer noch: Sie erwarten von den Lebensmittelhändlern ihres Vertrauens auch noch zunehmend Antwort darauf!
Die tun sich nach wie vor schwer damit, dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden. Auch wenn es immer wieder einzelne Bemühungen von Handelsketten gibt, sich stärker als Mahlzeitenanbieter zu positionieren. (So wie einst bei der inzwischen vom Markt verschluckten Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann mit ihrem „Ideen-Regal“; siehe Supermarktblog von, uff, 2013.) Dabei wird das zunehmend wichtiger – vor allem, weil sich neue Konkurrenten darum bemühen, Kund:innen für ihre eigenen Dienste zu gewinnen.
Allen voran natürlich: Essenslieferdienste, deren Apps dafür sorgen, dass Nutzer:innen ihr Abendessen fertig gekocht nachhause gebracht kriegen – und deswegen seltener in den Laden gehen müssen.
Oder Kochboxen-Anbieter wie Hello Fresh. Dort baut man nicht nur eine eigene Lieferlogistik auf, um Abonnent:innen die Rezeptsets mit Zutaten zum Selberkochen direkt zustellen zu können. Sondern kann nach der gelungenen Börseneingewöhnung vor lauter Selbstbewusstsein kaum noch stehen.
Weil die Geschäfte gerade ganz gut laufen, hat das Unternehmen Umsatz- und Gewinnerwartungen angehoben und präsentiert sich zunehmend als Alternative zu den klassischen Marktteilnehmern – z.B. in den Unterlagen zum Kapitalmarkttag (PDF), die Exciting Commerce als „Kampfansage an die Foodbranche“ wertet.
Alles auf Angriff
Mangelnde Angriffslust lässt sich Hello Fresh schon mal nicht unterstellen. Günstiger, gesünder und nachhaltiger als der Wettbewerb glaubt man zu sein – wobei dieses argumentative Kunststück nur deshalb gelingt, weil sich Hello Fresh bei jedem Punkt neu raussucht, mit welchem Marktteilnehmer man sich vergleichen möchte. (Während die anderen einfach ignoriert werden.)
- Hello-Fresh-Gerichte sind günstiger als Lieferessen vom Restaurant-Lieferdienst? Mag sein, aber der Preisunterschied zum Supermarkteinkauf ist weiterhin gewaltig.
- Und weil Hello Fresh immer im Voraus weiß, in welchen Mengen Lebensmittel für die kommende Woche benötigt werden, wird weniger weggeschmissen. Super – aber wollen wir noch mal über das Thema Verpackungen reden?
All das ändert nichts daran, dass der einst in Deutschland gestartete Dienst große Ambitionen hat, sich einen wesentlichen Teil der stetig wachsenden Online-Umsätze mit Lebensmitteln zu sichern.
„Super ohne Markt“
(Die Hello-Fresh-Rechnung geht in etwa so: Die meisten Mahlzeiten werden zuhause zubereitet und gegessen; bislang werden Lebensmittel dafür nur zu einem geringen Anteil online eingekauft; wenn sich das ändert, profitieren Meal-Kit-Dienste automatisch – was aber völlig offen ist.)
In Berlin warb Hello Fresh gerade auf Bussen und Plakaten mit der Kampfansage an den stationären Lebensmitteleinzelhandel , „Super ohne Markt“ zu sein (außerdem mit „Döner war gestern“ bzw. „Frischer als Berliner Luft“).
Grundlegendes Problem des Kochboxen-Modells ist jedoch nach wie vor, dass es als Abonnement für den Anbieter zwar gut kalkulierbar, für große Teile der potenziellen Kundschaft in dieser Form aber nur bedingt oder gar nicht interessant ist. Weil selbst regelmäßige Zuhauseköch:innen ab und an gerne mal essen gehen wollen oder sich einfach ein Brot schmieren, ohne dass im Hintergrund weiter Hello-Fresh-Wochenmahlzeiten eintrudeln.
Macht nix: Jochen Krisch und Marcel Weiß analysieren in ihrem jüngsten Exchanges-Podcast, wie sich Hello Fresh in den kommenden Jahren dank seines direkten Kund:innenzugangs mit zusätzlichen Diensten deutlich breiter aufstellen könnte als bisher (hier zum Nachhören).
Geht da nicht mehr auch stationär?
Vereinzelt haben die etablierten Handelsketten versucht, die Rezeptbox-Strategie der Newcomer zu adaptieren – in Deutschland allerdings bislang ohne Erfolg.
Bald ein Jahr ist es her, dass Lidl einen Schlussstrich unter sein Kochboxen-Experiment mit „Kochzauber“ zog und das damit begründete, der Markt für Kochboxen habe sich „nicht so dynamisch entwickelt, wie es nötig gewesen wäre“ (siehe Supermarktblog).
Andere Ketten, andere Sitten: In den Niederlanden sind die Gerichte mit vorportionierten Zutaten fester Bestandteil des Supermarkt-Standardsortiments, und zwar zum Teil in einer beachtlichen Vielfalt. Von der Suppe über das Curry bis zum Burrito versorgt z.B. Jumbo Foodmarkt Selberkocher:innen mit allerlei bunten Sets, die man bloß aus dem Regal ziehen muss – Zutatensuche erledigt:
Mit seiner „Allerhande Box“ und eigener Rezeptwelt steht Mitbewerber Albert Heijn dem in nichts nach:
In den USA wiederum bietet Amazon seine anfangs ausschließlich online versendeten „Meal Kits“ seit einiger Zeit bekanntlich auch in den Filialen seiner Schnelleinkaufskette Amazon Go an (siehe Supermarktblog).
Kauft! Diese! Kochboxen!
Bei Whole Foods Market sind die Boxen mit den – nicht ganz günstigen Mahlzeiten – seit vergangenem Jahr in einer wachsenden Zahl an Filialen zu kaufen (siehe Supermarktblog). Die schwarzen Kühltruhen sind prominent platziert in der Obst- und Gemüseabteilung oder direkt vor den Kassen:
Das Hauptversprechen lautet:
„Box to table in about 30 minutes.“
(Also ungefähr so wie bei Hello Fresh, dass in der Londoner U-Bahn sogar verspricht: „From box to plate in 20 minutes“ – und, vielleicht noch wichtiger: „Dinner is solved.“)
Der Nachteil der Boxen ist, dass sie im Laden ziemlich viel Platz wegnehmen (Lidl kann ein Liedl davon singen) und, wenn sie nicht verkauft werden, auch noch unschöne Abschriften produzieren.
Deshalb versuchen die Handelskette zunehmend, mit alternativen Lösungen zum selben Ziel zu kommen.
„Wochenplan“ mit „Blitz-Lasagne“
Unter lidl-kochen.de bietet der „Alles frisch, nix teuer“-Discounter zum Beispiel einen ganzen Schwung an Rezepten, mit denen sich auch gleich ein „Wochenplan“ erstellen lässt, entweder um abzunehmen oder um gezielt für mehrere Mahlzeiten einzukaufen. Die benötigten Zutaten lassen sich per Klick auf eine Einkaufsliste transferieren – mit der man dann aber doch wieder in den Laden muss.
Rewe macht’s ganz ähnlich. Die Kölner haben sich für ihre Plattform „Deine Küche“ nicht nur ein eigenes Küchenstudio gebaut, in dem Rezeptvideos gedreht werden. (Aktuell empfohlen: Asiatische One-Pot-Pasta, Griechische Bauernpfanne, Low-Carb-Blumenkohlreis und „Blitz-Lasagne“; eine prima Anzeigenfläche für kooperierende Markenherstellers ist das auch.)
Online-Nutzer:innen können die Zutaten direkt in den Einkaufswagen des Rewe Lieferservice beamen, um sie sich zustellen zu lassen.
In der Praxis dürfte das aber in den allermeisten Fällen doch wieder an den bekannten Unflexibilitäten scheitern: weil der Mindestbestellwert von 50 Euro nicht erreicht wird, zeitnah kein Lieferzeitfenster mehr verfügbar ist – und die Rezeptausprobierlaune natürlich schnell auf unter Null sinkt, wenn man immer erst noch die komplette Wocheneinkaufsplanung dazu erledigen muss.
Raten Sie mal, wer versucht, das zu ändern. Ja, natürlich.
Erst klicken, gleich kochen
Amazon schickt Abonnent:innen des Newsletters seiner Supermarktkette Whole Foods ebenfalls Kochinspirationen ins Postfach. Allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Zutaten z.B. für die „Turkey, Chard and Sweet Potatoe Bowl“ über einen Klick auf „Shop with Prime“ direkt in den Amazon-Einkaufswagen übertragen lassen – und dann innerhalb eines Zwei-Stunden-Zeitfensters sofort geliefert werden.
(Wie Amazon es gerade im amerikanischen Markt zum generellen Standard für Liefer-Lebensmittel macht; siehe Supermarktblog.)
Screenshot: wholefoodsmarket.com
Anders gesagt: Über die Schnelllieferung mit Prime kann Whole Foods aus jedem auf seiner Seite vorgeschlagenen Gericht per Mausklick eine Rezeptkit machen, das sich noch am selben Abend zubereiten lässt.
Und zwar ohne dass man als Kund:in dafür nochmal extra in den Markt bzw. tagelang im Voraus planen muss wie bei Rewe, Lidl & Co.; und auch ohne Abo-Verwaltung wie bei Hello Fresh.
Wer liefert den besten Service?
Genau das dürfte den etablierten Lebensmitteleinzelhändlern bald gefährlich werden: Eine eigene Lieferlogsitik mit direktem Kund:innenzugang wird zunehmend zur Basis dafür, neue Services zu etablieren bzw. denen der stationären Supermärkte ein ganzes Stück voraus zu sein.
Längst geht es nicht mehr nur darum, ob Kund:innen künftig ihren Wocheneinkauf vielleicht stückweise ins Netz verlagern – sondern darum, welcher Anbieter die beste Symbiose aus einem ganzen Spektrum an Diensten bietet, die uns in Zukunft mit frischen Lebensmitteln (idealerweise auch noch in Bio-Qualität) versorgen.
Ein paar hübsch fotografierte Rezepttips auf Websites und in Kund:innenmagazinen werden da auf Dauer kaum ausreichen, um mithalten zu können.
Fotos: Supermarktblog
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Der Beitrag Next Generation Kochbox: Wie Amazon, Hello Fresh & Co. klassische Supermärkte als Mahlzeitenanbieter ausstechen wollen erschien zuerst auf Supermarktblog.