Zu den Lieblingsbeschäftigungen mancher Medien gehört die Berichterstattung über kuriose Amazon-Patente, die vielleicht niemals umgesetzt werden, sich aber so schön futuristisch lesen, vom fliegenden Warenzeppelin bis zum Dronen-Bienenstock.
Vermutlich waren deshalb alle ein bisschen enttäuscht, als Bloomberg in der vergangenen Woche heimlich geschossene Fotos des noch nicht eröffneten neuen Amazon-Supermarkts in Woodland Hills, einem Stadtteil von Los Angeles, publizierte – und alles, was darauf zu sehen war, nun ja: sehr nach ganz gewöhnlichem Supermarkt aussah. Lange Regalreihen, Bedientheken für Fleisch und Fisch, Warmhaltetresen für zubereitetes Essen.
Amazon's forthcoming Los Angeles supermarket looks a lot like… a conventional grocery store (based on these never-before-seen photographs obtained by @Business) https://t.co/Yp8jU13nbi pic.twitter.com/ToMKKpguGj
— QuickTake by Bloomberg (@QuickTake) February 18, 2020
Mal abwarten, wie groß die Enttäuschung sein wird, wenn der Laden tatsächlich eröffnet – und am Ende einfach so heißt, wie es naheliegend wäre (und hier schon im vergangenen November spekuliert wurde): Amazon Fresh?
(Dafür spricht inzwischen auch die Bloomberg-Beobachtung, der Konzern habe für einen anderen Standort eine Lizenz zum Alkoholverkauf unter dem Namen „Amazon Fresh“ beantragt sowie das Fresh-Grün, das auf Fotos an der Außenfassade des Ladens zu erkennen ist.)
Confirmed: Amazon’s new grocery concept opening in Woodland Hills will contain a robotic microfulfillment center for breakneck pickup/delivery speeds. #grocerywars pic.twitter.com/PqUZBmpIgX
— matt newberg (@thenewb) February 4, 2020
Amazons erste klassische Supermarktkette wird vermutlich keine konzeptionelle Revolution werden – eher im Gegenteil. Der Konzern dürfte sich damit deutlich stärker an bestehenden Marktstandards orientieren als man das bisher von den Innovator:innen aus Seattle gewohnt war.
Amazon geht es in erster Linie darum, neben Whole Foods Market ein zweites Standbein im stationären Lebensmitteleinzelhandel zu etablieren. Um damit weitere Zielgruppen anzusprechen. Und die Läden als Basis für Lebensmittel-Lieferungen zu nutzen, die Amazon Prime-Kund:innen bald flächendeckend anbieten will. Allein mit großen Warenlagern am Stadtrand wird das nicht funktionieren (siehe Supermarktblog).
Abholtresen am Ladeneingang
Der auffälligste Unterschied zu anderen Supermärkten dürfte bei einem stationären Amazon-Fresh-Konzept darin bestehen, dass Abholoptionen dort von vornherein sehr viel mehr Platz eingeräumt wird.
Auf einem der heimlich geschossenen Fotos, die Bloomberg zeigt, ist am Ladeneingang ein großer Tresen für „Returns and Pick-up“ im typischen Amazon-Orange installiert. Dort ließen sich nicht nur reguläre Amazon-Bestellungen abholen bzw. zurücksenden, sondern aller Voraussicht auch: Obst und Gemüse, Käse, Fleisch, Backwaren usw., die vorher online bestellt wurden.
A first look inside Amazon's new grocery story concept in Los Angeles reveals what looks like… a traditional supermarket https://t.co/lXWHeLoOvF
— Bloomberg (@business) February 13, 2020
Wie sehr Amazon darauf setzt, Lebensmittel für die Schnell-Lieferung in seinen Läden kommissionieren zu lassen, wird derzeit auch bei Whole Foods Market sichtbar.
Wie der „Philadelphia Inquirier“ berichtet, hat Amazon das bislang im Erdgeschoss eines örtlichen Whole-Foods-Markts integrierte Allegro Café geschlossen – und durch eine lange Reihe an Regalen und Kühlmöbeln ersetzt, in denen Lebensmittel-Bestellungen für Abholung oder Versand zwischengelagert werden.
Sitzgelegenheiten gibt es im regulären Laden, der einen Stock höher liegt, zwar immer noch. Von dort blicken Lunch-Verzehrer:innen nun aber unmittelbar auf das Zwischenlager, über dem noch die alten Café-Leuchten hängen.
Remember those nice those cafes in Whole Foods? They're the latest victim of the delivery economy. My column: https://t.co/37AMbCrzsH
— Inga Saffron (@IngaSaffron) February 11, 2020
Und anstatt Kund:innen wie bisher von draußen mit frischem Kaffee hereinzubitten, stehen im Schaufenster nun halbleere Regale.
Dabei handelt es sich vermutlich nicht um einen Einzelfall. In anderen Städten verfügt Whole Foods ebenfalls über Cafés, deren Eingänge in der Regel vom eigentlichen Markt getrennt sind, z.B. in New York City:
In absehbarer Zeit dürften wohl auch die in Lager umgewandelt werden. In der vergangenen Woche beschwerte sich ein Barista auf Twitter, er sei gerade erst für ein New Yorker Allegro-Café eingestellt worden, um nach wenigen Tagen zu erfahren, dass er schon im nächsten Monat nicht mehr gebraucht werde. (Der Tweet ist inzwischen gelöscht worden.)
Lagerplatz geht vor Aufenthaltsqualität
Aus Sicht von Amazon mag das eine nachvollziehbare Strategie sein: Hohe Gewinne dürften die Cafés kaum eingefahren haben. Und wenn Amazon sein Zwei-Stunden-Lieferversprechen für online bestellte Lebensmittel einhalten möchte, braucht es dafür Platz in den Läden.
Viel mehr Platz als externe Dienstleister wie Instacart bislang in den Filialen hatten (Archivfoto):
Wenn Amazon nicht die – umsatzbringende – Verkaufsfläche verkleinern möchte, muss der benötigte Raum anderswo herkommen. Dafür wurden zuletzt bereits gastronomische Flächen, die in die Läden direkt integriert waren, umfunktioniert (siehe Supermarktblog).
Klingt logisch. Zugleich riskiert Amazon durch die kurzfristigen Umwandlungen jedoch, langfristig der Marke Whole Foods zu schaden. Dort hat man nämlich frühzeitig erkannt, dass auch Supermärkte immer stärker zu so genannten „Dritten Orten“ werden – Orten, an denen sich Menschen treffen und aufhalten, wenn sie nicht zuhause oder auf der Arbeit sind. Dafür braucht es entsprechende Angebote. Und ein gewisses Maß an Aufenthaltsqualität.
Also holt Whole Foods regionale Bäcker und Gastronomen in seine Läden und integriert großflächig Sitzgelegenheiten (siehe Supermarktblog und gleich nochmal: Supermarktblog). Wenn das nun in Teilen rückgängig gemacht wird (während Filialen des Convenience-Markt-Schwesterkonzepts Amazon Go gleichzeitig mit neuen Sitzplätzen ausgestattet werden), ist das der Glaubwürdigkeit nicht unbedingt zuträglich.
Bisschen eng geworden hier
Einen solchen Eingriff in die Markenwahrnehmung auf die leichte Schulter zu nehmen, wäre fahrlässig – nicht nur, weil die Umsatzentwicklung bei Whole Foods zuletzt eher enttäuschend ausfiel, während andere amerikanische Lebensmitteleinzelhändler deutlich stärker gewachsen sind.
Ein Teil der Whole-Foods-Stammkundschaft sieht die Übernahme des Bio-Spezialisten ausgerechnet durch Amazon ohnehin skeptisch. In den vergangenen Monaten gab es zudem Meldungen, dass Lieferanten stärker unter Druck gerieten und Teilzeitmitarbeiter neuerdings keinen Anspruch mehr auf die ihnen bisher zugestandene Krankenversicherung haben.
Und in den sozialen Medien häufen sich Beschwerden darüber, dass es beim Einkauf in den stationären Läden wegen der Prime-Picker, die für Online-Besteller:innen durch die Regelreihen gehen, ziemlich eng geworden ist.
Mag sein, dass es Amazon gelingt, die Sofortlieferung frischer Lebensmittel mittels Prime ebenso zum Standard zu machen wie das in zahlreichen anderen Kategorien gelungen ist; wenn das zu Lasten des eigenen stationären Geschäfts ginge, wäre dadurch aber wenig gewonnen.
Nicht mehr willkommen?
Dann nämlich, wenn Kund:innen zunehmend das Gefühl vermittelt bekämen, nicht mehr willkommen oder sogar im Weg zu sein. Cafés, die zu Lagerflächen umdeklariert werden, verstärken diesen Eindruck noch.
Die Filialen seiner neuen Supermarktkette kann Amazon so bauen, dass sie beiden Einkaufsformen gerecht werden, ohne dass sich reguläre Einkäufer:innen vom Online-Geschäft gestört fühlen; in über 480 Whole-Foods-Filialen wird es sehr viel schwerer sein, eine angemessene Balance zu finden.
Fotos: Supermarktblog
Den regelmäßigen Blog-Newsletter abonnieren.
Dieser Text hat Ihnen gefallen?
Dann helfen Sie doch mit, dass mehr davon erscheinen können!
Im Supermarktblog stehen seit 2011 selbst recherchierte Texte und Hintergrund-Analysen zu den Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel. Das macht großen Spaß – und ziemlich viel Arbeit. Ihre Unterstützung hilft mir dabei, diese Arbeit zu finanzieren und weiter unabhängig berichten zu können.
Sind Sie dabei? Geht schon ab 2,50 Euro im Monat und dauert nur eine Minute. Herzlichen Dank!
Der Beitrag Wie Amazons neue Supermarktkette in Los Angeles aussieht und warum Whole-Foods-Cafés zu Lagerflächen werden erschien zuerst auf Supermarktblog.