In deutschen Vorratsschränken wird Platz gemacht: für Konserven, Mehl und Toilettenpapier, mit denen sich zahlreiche Kund:innen in nie dagewesenen Mengen eingedeckt haben. Die Marktforscher der GfK melden für die drei Wochen von Ende Februar bis Mitte März (KW 9 bis 11), als die Corona-Krise auch Deutschland endgültig erfasst hat, ein Umsatzplus von 17 Prozent für Konsumgüter des täglichen Bedarfs (Fast Moving Consumer Goods, FMCG).
Am gefragtesten waren Produkte aus der Kategorie Hautdesinfektion (+569 %, laut GfK aber bei sehr geringer Ausgangsbasis), Hygiene-/Sanitärreiniger (+189 %), Feuchtreinigungstücher (+154 %), Getreidemehl (+126 %), Reis (+112 %), Seife fest/flüssig (+111 %), Haushaltshandschuhe (+108 %), Fertiggerichte in Dosen (+106 %) sowie Suppen/Eintöpfe flüssig (+89%), Teigwaren (+72 %) und Toilettenpapier trocken (+71 %). (Die Umsätze des Panikkauf-Wochenendes von vor zwei Wochen sind darin noch nicht eingerechnet.)
In den „Hortungskategorien“ hat die GfK einen V-förmigen Verlauf registriert: Ende Februar seien die Umsätze in die Höhe geschnellt, anschließend gab es eine kurze Abschwächung, bevor die Umsätze – wie berichtet – wieder stark anstiegen.
Mit der zunehmenden Verlagerung des Lebens in die eigenen vier Wände haben sich schließlich auch bei Cola, Röstkaffee und Bier Umsatzsteigerungen bemerkbar gemacht. Vor allem Kosmetikprodukte bleiben derweil wie Blei in den Regalen liegen.
„Komplett leergesaugte“ Lieferketten
Gleichwohl entspannt sich die Lage zunehmend. Das Verhalten der Kund:innen bewege sich wieder in Richtung Normalzustand, heißt es unisono aus den Handelsketten. Die Auswirkungen des stark veränderten Einkaufsverhaltens werden allerdings noch länger zu spüren sein: „Bei einzelnen Artikeln dürfte es noch Monate dauern, bis alle Lager wieder ausreichend Ware haben und sich auch der Hersteller einen Bestand hat aufbauen können“, sagt ein Mitarbeiter einer großen Handelskette.
Bei manchen Artikeln wie Toilettenpapier und Mehl seien die Lieferketten „komplett leergesaugt“ worden. Vorräte, die üblicherweise reichen, um Schwankungen im Abverkauf abzufedern, sind ebenfalls weg. „Was jetzt neu produziert wird, wird direkt wieder weggekauft“ – auch wenn das kaum noch etwas mit dem tatsächlichen Bedarf zu tun habe.
Weil es schwer geworden ist, noch realistische Prognosen zu machen, beschäftigten sich Handel und Industrie derzeit mit unterschiedlichen Szenarien. „Planbarkeit ist nicht mehr wirklich da“, heißt es aus der Branche. Vor allem geht es darum, abzuschätzen, wann die Nachfrage sich wieder abschwächt, damit es bei Herstellern nicht irgendwann zum Stillstand der Produktion kommt, weil Lager und Märkte übervoll sind.
Chaos bei der Warenanlieferung
Die Lieferketten funktionieren zwar weiterhin. Hinter den Kulissen herrscht aber immer noch ziemliches Chaos. Zum Beispiel im Wareneingang der Zentrallager: Bei vielen Händlern können Lieferanten Zeitfenster buchen, in denen sie ihre LKW dort garantiert entladen bekommen. Weil es an den Grenzen aber immer noch Verzögerungen gibt, schaffen es viele nicht, die Zeiten einzuhalten. Dann muss umdisponiert werden – vor allem, wenn LKW verspätet ankommen, die Nachschub aus den kritischen Warengruppen bringen.
Im Frachtmarkt stehen zwar zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung, vor allem aus dem Automotive-Bereich, der sonst die großen Autohersteller beliefert, deren Produktionen nun stillstehen. Für Sortimente wie Frische und Tiefkühlung braucht es aber weiterhin spezielle Kühlfahrzeuge – von einer Entspannung kann dort deshalb noch nicht die Rede sein.
Viele Hersteller haben sich an die ungewohnte Situation angepasst: Einige bitten ihre Handelspartner, Ware nicht mehr wie sonst mit wenigen Tagen Vorlaufzeit zu bestellen, sondern im Idealfall mit ein bis zwei Wochen. Das schafft Planbarkeit und hilft, Transportkapazitäten zu organisieren.
Hersteller beschränken sich auf „Schnelldreher“
Manche haben sich dazu entschieden, Ihre Produktion auf bestimmte Artikel zu beschränken. „In einigen Fällen werden Teile des regulären Sortiments gestrichen und nur noch die ‚Schnelldreher‘ produziert, die am häufigsten gekauft werden“, erklärt ein Branchenkenner. „Das hilft dabei, die Produktion zu steigern und Komplexität zu reduzieren, weil im Werk nicht ständig umgerüstet werden muss.“
Für Kund:innen heißt das, dass sie in den kommenden Wochen womöglich auf die bislang gewohnte Produktvielfalt verzichten müssen, weil zum Beispiel vorrangig Standard-Tiefkühlpizzen in den Regalen stehen.
Einzelne Produkte dürften vorübergehend auch nicht mehr in mehreren Varianten zu kaufen sein, sondern lediglich in Standardgrößen.
Noch unklar ist, wie sich das Einreiseverbot für Saisonarbeiter:innen auf die Ernte von Obst und Gemüse auswirkt. Auch andere Branchen werden die Einschränkungen aber zu spüren bekommen: Zahlreiche Fleischwerke sind ebenfalls stark durch Leiharbeit geprägt.
Die Handelsketten versuchen ebenfalls, Prozesse zu entzerren, indem sie Märkte in bestimmten Warengruppen nur noch vorgegebene Mengen nachbestellen lassen, also: Mehl nicht mehr in 16er-Kartons, die ständig neu in die Regale eingeräumt werden müssen, sondern auf Paletten, von denen die Ware direkt im Laden verkauft wird – wie im klassischen Discount.
Weniger Regalplatz für Hamsterartikel
Einige Märkte haben zudem den regulären Regalplatz für Hamsterwarengruppen verkleinert und anderen Sortimenten zugeschlagen, weil sie ohnehin nicht so schnell an ausreichend Nachschub kommen.
„Es gibt das Gedankenkonstrukt, den Verkauf einzelner Waren vorübergehend zu reglementieren, um die Bestände wieder auffüllen zu können“, heißt es in der Branche. Damit könnte ein „irrationaler Bedarf“ wie bei Toilettenpapier womöglich unterbrochen werden – und die nachgelieferte Ware würde nicht immer sofort wieder verkauft. „Aber das müsste handelsübergreifend geschehen. Wenn nur eine Handelskette ausschert, würden die Kund:innen dort die Läden stürmen.“
Dass Stadtmärkte vielerorts stärker von reduzierter Warenverfügbarkeit betroffen sind als solche auf dem Land, dürfte daran liegen, dass Läden in den Städten sehr viel mehr Kund:innen auf einmal versorgen als in ländlichen Regionen.
Die große Frage für die allermeisten Händler ist nun aber: Wie geht es weiter?
Unberechenbares Ostergeschäft
Dass nach dem Ansturm im März wieder eine Rückkehr zum Normalbedarf in Aussicht steht, scheint zunehmend klarer. So lange der Shutdown im Land aber dafür sorgt, dass Restaurants, Kantinen und Kitas weiter geschlossen bleiben, werden die Umsätze weiter über dem üblichen Niveau liegen. Experten halten ein kontinuierliches Plus von 10 Prozent in den kommenden Wochen für realistisch.
Völlig unklar ist derweil, wie sich die Kund:innen vor Ostern verhalten werden. Das Ostergeschäft gehört nach Weihnachten zu den wichtigsten Umsatztreibern im Lebensmitteleinzelhandel. Selbst wenn es in diesem Jahr keine großen Familienfeste geben wird: Zuhause dürfte weiterhin konsumiert werden, vor allem frische Ware, die sich schwer länger bevorraten lässt.
Wie sich die Corona-Krise auf das klassische Zusatzgeschäft auswirkt, weiß gerade aber kaum jemand einzuschätzen. Die Handzettel der Discounter sind erneut vollgestopft mit vermeintlichen „Deluxe“- und „Gourmet“-Artikeln, die auch sonst kaum jemand braucht (siehe Supermarktblog). Und ob den Kund:innen trotz Krise die Lust nach Schokoladen-Osterhasen steht, wird sich in den Märkten schon bald herausstellen.
- Lebensmittel-Logistik in der Corona-Krise: Warum es manchmal etwas dauert, bis die Regale im Supermarkt wieder aufgefüllt sind
- Diskussion über verlängerte Öffnungszeiten und überlastete Mitarbeiter im Lebensmittelhandel: Fehler im System
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Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Lebensmittel-Logistik in der Corona-Krise (2): Was passiert nach dem großen Ansturm? erschien zuerst auf Supermarktblog.