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„Super-Knüller“ trotz Pandemie: Wie der Handel mit dem Aktionsgeschäft die eigenen Corona-Vorsichtsmaßnahmen sabotiert

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Es geht gerade viel um Zusammenhalt, Gemeinsinn und gegenseitige Rücksichtnahme in den Dankes-Anzeigen, die große Handelsketten in Zeitungen publizieren, um das Engagement ihrer Mitarbeiter:innen zu loben und Kund:innen zur Achtsamkeit beim Einkauf aufzurufen. Das Versprechen der Unternehmen ist: Wir sind für euch da, um die Grundversorgung auch in der Krise aufrecht zu erhalten!

Nicht nur die mit Lebensmitteln. Sondern auch die mit Aktionsangeboten und Nonfood-Trödel.

Denn das sind doch die eigentlich wichtigen Fragen der Zeit, so kurz vorm Angrillen: Diese Woche flott bei Lidl den Tepro Gasgrill (dreiflammig, vier Garzonen, Edelstahlhaube, Thermometer und LED-Kontrolllicht) für 179,99 Euro (minus 48 Prozent!) in der Filiale sichern? Oder doch besser darauf warten, dass Aldi Süd nächste Woche den „Enders Gasgrill San Diego 3 Next“ mit Grillrost aus Edelstahl (dreigeteilt) „für eine gleichmäßige Hitzeverteilung und eine einfache Reinigung“ zu schlappen 99,99 Euro auf die Sonderangebotsflächen hebt?


Mehr noch: Ist es notwendig, sich mit Holzkohle-Briketts zu bevorraten, bevor die auch weggehamstert werden? Und, ganz generell: Wäre es nicht leichtsinnig, all die schönen Aktionen, für die weiterhin in den Werbeprospekten der Handelsketten geworben wird, ungenutzt verfallen zu lassen?

Noch vor anderthalb Wochen sah es so aus, als würde sich der Lebensmitteleinzelhandel in der aktuellen Lage darauf besinnen, alles, was nicht zu einer grundlegenden Versorgung notwendig ist, für eine Weile sein zu lassen.

Ein bisschen Aktionsverzicht

Aber wer in die Aktionsprospekte und Sonderpostengittertische der Märkte schaut, dem scheint alles wie immer. Naja, fast: Globus hat angekündigt, Lebensmittelhändlern komme „in der aktuellen, nie vorher da gewesenen Situation ein besonderer Versorgungsauftrag“ zu, den man „verantwortlich wahrnehmen“ wolle:

„Deshalb haben wir uns bewusst dazu entschieden auf unbestimmte Zeit auf die Verteilung unseres Faltblattes zu verzichten, um zusätzliche Menschenmengen und Schlangen an den Kassen zu vermeiden.“

(Produkte zu Aktionspreisen sind in den Läden aber weiter erhältlich.)


Abb. [M]: Edeka Hessenring

Auch bei Rossmann regte sich der Impuls, das Aktionsgeschäft vorübergehend auszusetzen. Die Edeka-Regionalgesellschaft Hessenring hat für diese Woche kein Faltblatt mit Rabattartikeln veröffentlicht, sondern bloß eine Art Durchhalte-Flugblatt („Augen auf und durch – gemeinsam packen wir das“). Und Bio Company teilt Kund:innen mit, auf „Preisaktionen und Promotionen zunächst bis Ende April“ zu verzichten:

„Bitte seien Sie uns also nicht böse, wenn Sie bis auf weiteres keine Sonderangebote in unseren Märkten finden.“

Bei der Mehrzahl der Unternehmen, vor allem: bei den großen Discountern, läuft das Aktions- und Sonderposten-Geschäft aber weiter, als sei nichts gewesen.

Handzettel als „ wichtiges Zeichen“

Das hat einerseits damit zu tun, dass die so genannte Nonfood-Ware schon vor Monaten bei Herstellern geordert wurde und nun nicht einfach in den Lagern stehen bleiben kann – weil das schlicht nicht eingeplant ist. Und andererseits damit, dass es bislang halt noch niemand verbieten wollte.

Zumindest nicht bundesweit: In den Ländern, zum Teil auch auf regionaler Ebene gibt es unterschiedliche Vorgaben; das sorge bei Händlern für Verwirrung, berichtet die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo). Die einen müssen absperren, die anderen nicht.

Die „Welt“ hat sich derweil bei den großen Handelsketten umgehört, wie die mit Aktionspreisen verfahren. Fast alle bestätigen, damit nicht grundsätzlich pausieren zu wollen.

  • Aldi Nord lässt sich mit den Worten zitieren, man möchte, „dass unsere Kundinnen und Kunden sich in diesen Zeiten auf uns verlassen können“.
  • Edeka erklärt, es könne auf regionaler Ebene zu „individuellen Lösungen“ kommen.
  • Rewe verspricht, Angebote in „verringertem Umfang und der Situation angemessen“ zu bieten (derzeit sind z.B. die App-Coupons pausiert).
  • Bei Lidl und Kaufland wird argumentiert, man wolle mit der „Aufrechterhaltung der Handzettelverteilung (…) ein wichtiges Zeichen für Druckereien sowie für unsere Dienstleister, welche die Prospekte verteilen“, setzen. Damit sichere man Arbeitsplätze. (Wenn die regionale Handzettelverteilung sonst aus Kostengründen eingestellt wird, passiert das laut Kaufland allerdings zum Schutze der Umwelt.)

Zugleich haben die Händler Sorge, ein Aussetzen der Aktionspreise könne in den Medien als Versuch dargestellt werden, sich in der aktuellen Situation an den Kund:innen zu bereichern – und das sorgsam aufgebaute Preis-Image der Ketten beschädigen.

Schlangestehen für die Tischkreissäge

Tatsächlich gibt es diese Vorwürfe bereits: Ein App-Anbieter verschickt derzeit Meldungen mit dem Argument, Verbraucher:innen würden massiv benachteiligt, wenn ihnen gewohnte Rabatte vorenthalten blieben. Einige Medien greifen dies auf und versuchen es zu skandalisieren. Der Verdacht liegt nahe, dass Händler mit dem Verzicht auf Preisaktionen versuchen könnten, Gewinne weiter zu steigern.

Man kann das aber auch anders sehen:

Die Handelszentralen bedanken sich derzeit überschwänglich bei ihren Mitarbeiter:innen für deren Einsatz in der Ausnahmesituation, die viele weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus geführt hat (siehe Supermarktblog).

Gleichzeitig lassen die Händler ihre Mitarbeiter:innen weiter Quatschartikel für die Überflussgesellschaft auf Sonderpostenflächen räumen, damit dort Kram verkauft werden kann, den derzeit zwangsweise geschlossene Geschäfte nicht anbieten können.

Um die Zahl der Kund:innen in den geöffneten Läden zu begrenzen (siehe Supermarktblog), Abstände einzuhalten und die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten, reglementieren Supermärkte und Discounter den Einlass, der oft nur noch mit Einkaufswagen möglich ist.

Gleichzeitig nehmen sie hin, dass in den Schlangen Leute warten, die keine Lebensmittel einkaufen können, weil Schnäppchenjäger:innen drinnen erst noch Aktionspreise ergattern oder dringend das Hunde-Zahnpflegespielzeug, den Impulsregner für den Garten oder die Tischkreissäge aus dem Aktionsprospekt anschaffen müssen.

Erste Allgemeine Kundenverunsicherung?

In Belgien hatte der Nationale Sicherheitsrat frühzeitig ein vorübergehendes Verbot von Rabattaktionen beschlossen; Aldi (Nord) stellt deshalb die Verteilung seines Aktionsprospekts für zwei Wochen ein:

„Dies wird es unseren Mitarbeitern auch ermöglichen, alles zu tun, um unsere Filialen mit neuen Vorräten zu beliefern.“

In Österreich wird derweil über den Weiterverkauf von Nonfood-Artikeln gestritten, die nicht zur Grundversorgung gehören. Man „appelliere an die Solidarität aller, in den kommenden Wochen nur jene Produkte zu kaufen, die für den täglichen Gebrauch unbedingt benötigt werden“, hat sich die Nachrichtenagentur APA aus dem Wirtschaftsministerium sagen lassen (via „Die Presse“). Einige Händler haben ihre Nonfood-Sortimente deswegen abgetrennt und geschlossen. Beim Aldi-Ableger Hofer heißt es, man verkaufe „seit jeher“ neben Lebensmitteln auch Nonfood-Produkte:

„Am aktuellen Sortiment kurzfristig etwas zu verändern, würde zum einen Kunden verunsichern und zum anderen einen logistischen Mehraufwand bedeuten, der derzeit nicht zu bewältigen ist.“

Frequenzsteigerung, die gerade keiner braucht

Anders gesagt: Restaurants, Theater und Geschäfte können schließen, das komplette öffentliche Leben mag still stehen – aber wenn Heckenscheren, Grillkohle und Akku-Lötkolben aus den Discountern verschwänden, würde das eine Massenpanik auslösen? Was für ein zynischer PR-Unfug. (Gleichzeitig hofft Hofer auf Verständnis, dass die Läden zwei Stunden früher schließen – irgendwann muss der ganze Krempel ja auch eingeräumt werden.)


Fakt ist: Preisaktionen und Nonfood-Sortimente sind keine Grundversorgung. Sondern Lockangebote, die von den Händlern zur Steigerung der Frequenz in ihren Märkten eingesetzt werden.

Genau der Frequenz, die gerade mit Maßnahmen künstlich begrenzt wird, um die Ausbreitung des Coronavrus zu verlangsamen.

Ein vorübergehender Wegfall dieser Aktionen und Angebote wäre – egal wie sehr man sich dafür gedanklich verbiegt – auch keine Verletzung des Verbraucherschutzes. Sondern (womöglich) sinnvoll, um Leute aus den Läden fernzuhalten, die schon jetzt unnötig oft einkaufen gehen, anstatt zuhause zu bleiben.

„Nur diese Woche!“

„Mega Deals“, „Super Knüller“ und „Knüller Brüller“ helfen dabei genauso wenig, wie all die anderen Lockmaßnahmen: weder Verknappungstaktiken wie bei Lidl („Nur diese Woche!“), noch „Playmo Points“ für vergünstigte Playmobil-Spielsets bei Edeka oder dass Netto (ohne Hund) sein „Super Wochenende“ bereits mittwochs startet. Und erst recht nicht die Idee von Rossmann, auf reguläre Angebote zu verzichten, aber stattdessen seitenweise günstige Spielwaren zu bewerben (um für „ein bisschen mehr Freude“ zu Ostern zu sorgen).

Natürlich lässt sich darüber diskutieren, ob ein Komplettverzicht auf Aktionen und Sonderposten sinnvoll wäre – oder nicht. Diese Debatte scheinen die Handelsketten hierzulande aber gar nicht erst führen zu wollen.

„Gemeinsam meistern wir diese Ausnahmesituation mit Vernunft und Besonnenheit!“, steht in den großformatigen Anzeigen der Ketten. Einigen wir uns vielleicht auf: Vernunft, Besonnenheit – und „Hammerpreise“.


Nachtrag: Hofer in Österreich meldet in Bezug auf Nonfood-Artikel:

„Wir definieren und kaufen diese jeweils neun bis zwölf Monate im Voraus und planen und organisieren auch unsere Flugblätter lange Zeit im Vorhinein. Daher wird das Flugblatt, das diese Woche zugestellt wird, noch Informationen zu Non-Food Artikel beinhalten. Ab nächster Woche wird es bis auf Weiteres keine Bewerbung von diesen Produkten in unserem Flugblatt mehr geben. Zudem wurden sämtliche Abbildungen von Non-Food-Artikeln in Zeitungsinseraten bereits vor 2 Wochen gestoppt.“

Titelfoto [M], Fotos: Supermarktblog"

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Der Beitrag „Super-Knüller“ trotz Pandemie: Wie der Handel mit dem Aktionsgeschäft die eigenen Corona-Vorsichtsmaßnahmen sabotiert erschien zuerst auf Supermarktblog.


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