Die Intensität, mit der sich das Jahr 2020 in der öffentlichen Wahrnehmung in den Vordergrund drängelt, lässt eine gewisse Tendenz zur Wichtigtuerei nicht leugnen; dabei war zumindest für das Lebensmittel-Liefer-Start-up Getnow auch 2019 schon voller Turbulenzen.
Mit neuer Führungsmannschaft wollte das von Berlin nach München verpflanzte Unternehmen im Frühjahr mit einer großen Werbekampagne seine Bekanntheit steigern – was angesichts deren Rätselhaftigkeit aber eher suboptimal lief (siehe Supermarktblog). Im Spätsommer wurde Getnow von der Entscheidung des Partners DHL, die Zustellung frischer Lebensmittel generell zu beenden (siehe Supermarktblog), kalt erwischt und musste sich einen neuen Lieferpartner suchen.
Dann wurde auch noch das selbst kommunizierte Ziel von 100 Städten, in denen Lebensmittel geliefert werden sollten, vorübergehend wieder einkassiert, um „Prozesse“ zu „optimieren“. Zum Jahreswechsel war Getnow in 25 Städten aktiv. Als „Kernbereiche“ werden derzeit München, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Essen, Dortmund, Hannover und Berlin angegeben.
Gegenüber der „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) erklärte CTO Sebastian Wiese, der inzwischen als Managing Director agiert:
„Bis Ende des Jahres [2020] wollen wir zwischen zwölf und fünfzehn operative Standorte oder Hubs haben, von denen aus wir zirka 40 bis 60 Städte beliefern können.“
Zuvor war Torsten Schero, der im Frühjahr 2019 als CEO geholt worden war, wieder von Bord gegangen (offiziell wohl zum April/Mai).
„Jetzt kommt dein Supermarkt zu dir“
Ein ziemliches Durcheinander? Und wie! Im Zuge der Selbstfindung gelingt es Getnow immerhin zunehmend besser, potenziellen Neukund:innen den Nutzen des Angebots zu erklären: online bestellte Lebensmittel schnell nachhause zu bringen. Bereits im Vorjahr positionierte man sich dafür als „Dein Zuhause-Bleib-Supermarkt“.
Und konkretisierte in einer Kampagne zu Beginn dieses Jahres:
„Jetzt kommt dein Supermarkt zu dir. Wir liefern deine Lebensmittel. Super frisch. Super flexibel. Super Preise.“
Geht doch!
Foto [M]: Exciting Commerce/Smb
In den vergangenen Wochen dürfte die Corona-Krise auch bei Getnow für einen Umsatzanschub gesorgt haben. (Der E-Commerce-Verband bevh meldet für April 2020 ein Umsatzplus von 101 Prozent bei online gekauften Lebensmitteln und ein Plus von 55 Prozent für im Netz bestellte Drogeriewaren.)
Gleichzeitig hatte das Start-up, das Bestellungen in Filialen des Partners Metro kommissioniert und über keine eigenen Läger verfügt (siehe Supermarktblog), beim Angebot von Zeitfenstern mit ähnlichen Engpässen wie alle Lebensmittel-Lieferdienste zu kämpfen. (Gründerszene hatte Mitte April noch mal nachgesehen und immer noch Wartezeiten von bis zu drei Tagen entdeckt.)
Angesichts der steigenden Nachfrage ist es bloß konsequent, sich neue Modelle zu überlegen, um Kund:innen hinzu zu gewinnen – insbesondere an Standorten, die Getnow mit seinem bisherigen Direktservice noch nicht erreichen kann.
Haltbares auch per Paket
Seit Ende April testet das Unternehmen deshalb den bundesweiten Versand von Lebensmitteln ganz klassisch per Paket, wieder mit DHL. Auf der Website ist von einem „Pilot-Projekt“ im Bereich „Food Parcel Shipping“ die Rede.
Das funktioniert so: Vor der Bestellung gibt man als Kund:in die Postleitzahl des Orts ein, an den der Einkauf geliefert werden soll. Liegt dieser nicht in den per Kurier versorgten „Kernbereichen“, lenkt Getnow automatisch in eine abgespeckte Version des Webshops um, wo ausschließlich Produkte bestellt werden können, die per Paket versendet werden. Verfügbar sind u.a. die Kategorien „Speisekammer“, „Kaffee & Tee“, „Getränke“, „Drogerie & Haushalt“ – sowie „Frische & Kühlung“ (wobei die darin gelisteten Artikel weder frisch noch gekühlt sind).
Das Versprechen an die Kund:innen lautet:
„Deine Lebensmittel, Drogerie- und Haushaltsartikel werden von uns in einem METRO Markt persönlich für dich ausgesucht, sorgfältig in Pakete verpackt und mit Hilfe unseres Partners DHL direkt zu dir gebracht.“
Paket-Picking am Dienstag und Donnerstag
Das funktioniert erstaunlich gut. Zumindest, wenn man schlau bestellt und ein bisschen Glück mit DHL hat.
Derzeit werden Einkäufe für den Paketversand jeweils dienstags und donnerstags kommissioniert, wie Getnow transparent kommuniziert. Offiziell wird die Versandzeit mit zwei bis vier Tagen angegeben. Meine Testbestellung (Mindestbestellwert: 30 Euro) vom Donnerstagmittag der vergangenen Woche war jedoch bereits wenige Stunden nach Eingang versandbereit und wurde von DHL am Mittag des kommenden Tages imm Rhein-Main-Gebiet zugestellt. Das mag Zufall gewesen sein – zumal viele andere Sendungen, die derzeit mit dem Logsitik-Marktführer unterwegs sind, sehr viel länger brauchen, bis sie ihren Empfänger finden.
Fakt ist aber: Die Paketversand-Bestellung war schneller an ihrem Zielort als Getnow eine Kurier-Lieferung hier in Berlin anbieten konnte. Die wäre nämlich erst einen Tag später, am Samstag, möglich gewesen. (Aktuell ist in Berlin aber auch wieder die taggleiche Lieferung auswählbar.)
Freilich müssen Paketversand-Besteller:innen Abstriche beim Sortiment machen: Artikel, die gekühlt werden müssten, werden nicht verschickt; Obst und Gemüse nur in sehr eingeschränkter Auswahl: Äpfel, Möhren, Kartoffeln, Zwiebeln – alles, was sich problemlos packen lässt. Zudem gibt es bei bestimmten Artikeln Mengenbeschränkungen.
Lieferung im Weinflaschen-Karton
Noch wirkt der Service ein bisschen improvisiert. Der Einkauf kommt in einem Karton ohne Getnow-Branding an, der eigentlich für den Versand von (Wein-)Flaschen konzipiert wurde.
Bloß dass in die eingesteckten Trennfächer stattdessen Reis, Mehl, Zucker, Süßwaren, Duschgel, Äpfel, Kartoffeln usw. kommen. Das ist allerdings schlau gepackt und macht einen ziemlich stabilen Eindruck. Kaputt gegangen ist auch nix. Unnötige Plastikpolsterungen spart sich Getnow von vornherein, lediglich die Konfitüre im Glas war mit Packpapier abgefedert.
Die Bestätigungs-Mail könnte Paketservice-Neukund:innen erstmal irritieren, weil es darin gleich im ersten Absatz heißt:
„Frische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse kommen bei uns nur in bester Qualität in die Tüte. (…)“
Weiter unten klärt dann aber ein eigener Absatz über die gesonderten Modalitäten des „Pilot-Projekts ‚Paketversand‘“ auf.
Für die erste Lieferung werden aktuell keine Versandkosten berechnet. Jede weitere Lieferung schlägt regulär mit 4,90 Euro zu Buche. (Etwas mehr als das, was Getnow sonst von seinen per Kurier belieferten Kund:innen verlangt, die je nach Zeitfenster 2,90 oder 3,90 Euro zahlen; ab 90 Euro ist die Kurier-Lieferung versandkostenfrei.)
Zunächst war der Test auf Hamburg beschränkt, inzwischen müssten nach Getnow-Angaben die Mehrheit der deutschen PLZ-Gebiete belieferbar sein. Die Paketversand-Bestellungen werden aktuell am Getnow- bzw. Metro-Standort in Berlin-Marienfelde gepackt. Der Test ist vorerst auf sechs Wochen angelegt. Bislang falle das Fazit positiv aus, heißt es auf Supermarktblog-Anfrage bei Getnow.
In jedem Fall ist das Projekt ein guter Ansatz für das Start-up, seine Kund:innen-Basis zügig an Standorte auszuweiten, die bislang nicht versorgt werden (konnten), wo aber im Zuge der Corona-Krise verstärkt nach Angeboten zur Lieferung – zumindest haltbarer – Lebensmittel gesucht wird.
Corona pusht Lebensmittel-Paketversender
Getnow könnte damit ein Stück weit die Lücke schließen, die Anbieter wie Allyouneed Fresh mit ihrem Verschwinden hinterlassen haben. Der Spezialitäten-Versender Gourmondo, der sich eigentlich Anfang des Jahres aus Rentabilitätsgründen vom Markt zurückgezogen hatte (siehe Supermarktblog), kündigt bereits seine Rückkehr an. (Jochen Krisch hat’s zuerst entdeckt.)
Weitere Anbieter, die Lebensmittel per Paket versenden, sind u.a. Amazon mit seinem Pantry-Service, das zu Bünting gehörende myTime.de und der Spezialitäten-Versender BOS FOOD. (Offenlegung: BOS FOOD wirbt derzeit im Supermarktblog.)
In der Schweiz verfolgt Coop@Home schon seit einigen Wochen eine ähnliche Strategie wie Getnow und stellt Lebensmittel nicht mehr nur über die eigene Lieferflotte zu, sondern verschickt auch ein Top-100-Sortiment der meistgekauften Produkte per Paket über die Schweizer Post.
Getnow wiederum hat mit Globus einen weitern Partner gefunden, dem man bislang aber nur die Online-Shop-Technologie für ein Abholservice-Projekt zur Verfügung stellt, das derzeit in Halle an der Saale und an anderen Standorten getestet wird.
Wer mehr zum Stand des Markts für E-Food (in Deutschland und international) erfahren möchte, dem sei die aktuelle Ausgabe des Exchanges-Podcast von Jochen Krisch und Marcel Weiß empfohlen. (Hier anhören.)
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Pilotprojekt: Getnow testet bundesweiten Lebensmittel-Versand per DHL-Paket erschien zuerst auf Supermarktblog.