Permanente Innovationsfähigkeit gehört nicht unbedingt zu den Stärken des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. (Auch wenn sich das Schritt für Schritt zu bessern scheint.) Die Berliner Spezialisten für vegane Lebensmittel, Veganz, gehören da zu den unbedingten Ausnahmen.
Gründer Jan Bredack hat nicht nur frühzeitig den stark wachsenden Bedarf für Produkte pflanzlichen Ursprungs im Ernährungs-Mainstream erkannt, sondern auch eine zeitgemäße Marke daraus entwickelt und sich früh um Kooperationen mit etablierten Handelsketten bemüht, um Produkte einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen.
Gleichzeitig haben die Berliner:innen akzeptiert, dass die unter dem eigenen Namen verkaufte Produktauswahl sich ständig wandeln muss, um sich gegen die Eigenmarkenkopien der Händler zu behaupten.
Und während zahlreiche Herstellermarken noch mit der Einführung des Nutriscore-Labels auf ihren Produktverpackungen zaudern, ist Veganz mit einem eigenen Label vorgeprescht, das Käufer:innen auf einen Blick signalisieren soll, wie nachhaltig ein Produkt hergestellt wurde.
Soviel Wandlungsfähigkeit ist praktisch, vor allem in der aktuellen Zeit. Ab einem gewissen Punkt wirft sie aber auch Fragen auf.
Produkte erneut in Aktion bei Lidl
Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr wirbt Lidl aktuell mit einer Auswahl an Veganz-Produkten in Aktion. (Der erste Aktionszeitraum im März dürfte weitgehend im Corona-Chaos untergegangen sein.) Dafür räumt der Discounter zwei ganze Seiten in seinem Wochenprospekt frei. Vorausgegangen war eine Testphase im vergangenen Jahr. Mit der leitete Veganz einen überraschenden Wandel ein. Denn Gründer Bredack hatte sich zuvor eher nicht als Freund des Discount-Modells hervorgetan. Ganz im Gegenteil (siehe Supermarktblog).
In einer Unternehmensdarstellung aus dem Jahr 2014 erklärte Veganz:„Discounter werden bezichtigt, mit ihrem Preiskampf Zulieferer und Hersteller innen Ruin zu treiben.“ Und weiter: „Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht.“
Noch im Spätsommer 2018, als Veganz erstmals per Crowdinvestment von Unterstützer:innen Geld einsammelte, um die weitere Entwicklung des Unternehmens zu finanzieren (siehe Supermarktblog), hieß es in der dazugehörigen Projektbeschreibung:
„Discounter werden aus strategischen Gründen nicht von Veganz beliefert.“
Vom schlechten Vorbild zum Partner
Diese Einstellung hat sich danach geradezu blitzartig geändert – zunächst mit den Tests bei Aldi und Lidl, spätestens aber mit der Umwandlung des Unternehmens in die Veganz Group AG im vergangenen Dezember, die das Unternehmen „strukturell auf weiteres Wachstum vor[bereiten]“ sollte, und wofür Bredack als neuer Vorstandsvorsitzender u.a. den ehemaligen Lidl-Großbritannien-Chef und ausgewiesenen Discount-Experten Ronny Gottschlich in den Aufsichtsrat holte.
Als nächstes soll(te) Veganz womöglich an die Börse. Anfang des Jahres ließ man Anleger:innen testweise Anleihen des Unternehmens zeichnen (mit einem Maximalvolumen von 10 Millionen Euro). Plötzlich hieß es zur weiteren Geschäftsentwicklung vom Gründer:
„Für unsere Wachstumspläne ist es von großer Bedeutung, unsere Reichweite im Handel zu erhöhen. Deshalb gehören auch Discounter zu unserer Zielgruppe.“
Okay.
Nun ist es nicht per se etwas Schlechtes, regelmäßig die eigenen Überzeugungen auf ihre Gültigkeit zu prüfen. Und Kooperationen mit Discountern sind nicht per se zu verteufeln sein, wenn sich die Handelsketten ebenfalls für einen Wandel bereit zeigen. Immerhin kooperiert auch Bioland inzwischen mit Lidl, um eine breitere Zielgruppe zu erreichen.
Veganz ist allerdings ein spezieller Fall – und zwar weil die Diskrepanz zwischen langjähriger Argumentation und aktuellem Handeln so auffällig ist.
„1 € gespart“, „-27%“
Bredack hat stets überzeugt (und überzeugend) erklärt, den Wert seiner Marke nicht durch Niedrig- und Aktionspreise schmälern lassen zu wollen, um einem ruinösen Preiswettbewerb aus dem Weg zu gehen. („Wir sehen uns eher als Premiummarke“, erklärte er z.B. 2017 gegenüber Zeit Online.) Und nun sind im Lidl-Wochenprospekt nicht nur fast alle angebotenen Veganz-Artikel mit Aktionsrabatten versehen, sondern Veganz wirbt bei der eigenen Kernzielgruppe im Newsletter auch mit den Worten:
„Lidl Deutschland lohnt sich! Vor allem ab heute! Wir von Veganz freuen uns sehr darüber, dass wir unsere Produkte ab dieser Woche im Rahmen einer großen Rabatt-Aktion in allen rund 3.200 Lidl Filialen vorstellen können.“
Vom skeptischen Discount-Verweigerer zur Berliner Außenstelle der Lidl-Marketingabteilung in nicht mal zwei Jahren – das ist doch ein irgendwie erstaunlicher Wandel.
Mag ja sein, dass man bei Veganz zu dem Schluss gekommen ist, sich breiter als bisher aufstellen zu müssen, um sich nachhaltig im Markt etablieren zu können. Weil das Ergebnis aber so sehr den Positionen entgegen steht, die man noch vor zwei Jahren gegenüber Unterstützer:innen kommuniziert hat, von denen man Geld eingeworben hat, wäre es umso wichtiger gewesen, diesen Schritt sehr genau zu erklären. Und nicht einfach so zu tun als habe es das Davor nie gegeben.
In der eingangs zitierten Veganz-Unternehmensdarstellung von 2014 hieß es u.a. auch:
„Nur wenn alle zufrieden sind (…), wird sich ein Unternehmen dauerhaft Vertrauen erwerben.“
Ja. Genau.
Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Reichweite gegen Glaubwürdigkeit? Was der Lidl-Aktionsdeal für Veganz bedeutet erschien zuerst auf Supermarktblog.