Quantcast
Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 1001

Rewes Ikea-Strategie: He Kunde, komm bummeln!

$
0
0

Toom heißt jetzt Rewe Center - bulliger Eingang inklusive

Es gehört zu den Eigenarten der deutschen Sprache, dass Menschen, wenn sie einmal lange genug miteinander zu tun hatten, sich irgendwann das Du anzubieten, um die erarbeitete Vertrautheit zu besiegeln.

Und es gehört zu den Marketing-Tricks schwedischer Möbelhauskonzerne, diesen Prozess zu überspringen, um sich durch Sofortduzung an die Kundschaft ranzuwanzen. Im Rhein-Main-Gebiet probiert Rewe seit kurzem, ob das auch beim Lebensmitteleinkauf funktioniert.

“Greif zu!”, steht am Obsttresen im neuen Rewe Center in Egelsbach bei Frankfurt. “Stell Dir den Salat Deiner Wahl zusammen”, heißt es nebenan an der Salatbar. Im Wochenprospekt werden Kochtipps geliefert: “Das zauberst Du mit unseren frischen Zutaten.” Der ganze Laden ist eine, nein: “Deine Reise zum neuen Genuss”. Und an den Kassen verabschiedet sich der Kumpelladen mit einem freundlichen “Tschüß, bis bald in Deinem Rewe Center”.

Rewe hat tief in die Ikea-Trickkiste gegriffen, um den südhessischen Markt, an dem bis vor wenigen Monaten noch das Toom-Logo prangte, neu herzurichten. Nicht nur, was die Ansprache der Kunden angeht. Der ganze Laden ist nach dem Ikea-Prinzip gestaltet. Bloß dass die Leute nicht Billy, Lack und Pax zur Kasse tragen, sondern Illy, Lätta und Twix.

Seit der Neueröffnung Ende November läuft damit einer der interessantesten Versuche im deutschen Lebensmittelhandel. Einerseits soll das SB-Warenhaus – in dem wirklich gar nichts mehr an das Verkaufshallenkonzept von früher erinnert – die Lösung bringen, was sich mit den verbliebenen Tooms anstellen lässt, die jetzt erstmal umbenannt werden (siehe Supermarktblog). Andererseits testet Rewe in Egelsbach, ob die Deutschen sich vorstellen können, nicht bloß in den Supermarkt zu fahren, um dort Lebensmittel einzukaufen. Sondern quasi auch zur Freizeitbeschäftigung.

So weit wie der britische Marktführer Tesco, der seinen Extra-Store in Watford zu einer Art Vergnügungs-Treffpunkt inklusive Restaurant und Yoga-Fläche umgebaut hat, gehen die Kölner nicht. Aber sie sind schon ziemlich nah dran.

Die Inspiration könnte tatsächlich von Ikea stammen. Ähnlich wie die Möbelhäuser mit ihren Caféterien und dem Rundweg durch die Ausstellungim ersten Stock ist das Rewe Center nämlich für unterschiedliche Kundengruppen und deren Bedürfnisse angelegt.

1. Für Ästheten

Kunden erwarten beim Einkaufen nicht mehr nur günstige Preise, sondern auch ein Ambiente, das sie scheuklappenfrei zur Kasse bringt. Deshalb haben die Discounter ihre Läden nachgerüstet (Aldi und Penny zum Beispiel). Jetzt sind wieder die Supermärkte am Zug. Es reicht nicht mehr, bloß schönere Läden zu bauen. Die Läden müssen sich noch grundlegender von der Billigkonkurrenz unterscheiden. So wie in Egelsbach.

Der offene Eingangsbereich, fast müsste man sagen: das Foyer, sieht nicht mal mehr nach Supermarkt aus. Die Besucher werden wie auf einer unsichtbaren Straße an hölzerne Marktstände mit Blumen, Obst und Gemüse herangeführt – von neonbeschienenen Gemüsekistenreihen keine Spur.

Die Bedientheken sind wie in einer Kurve angeordnet

Die Bedientheken für Käse und Fleisch sind links wie auf einem riesigen Tortenstück angeordnet, das über die Backstation zum Wein überleitet. Und ehe man sich versieht, steht man durch den kurvenartigen Aufbau schon tief im Laden drin.

Außer der Standard-Frischeware gibt’s einen “Landmarkt”, der verspricht, dass die Ernten “direkt vom Bauern” aus der Region kommen. Zum Beweis hängen obendrüber Tafeln, auf denen glücklich in die Kamera lächelnde Lokal-Erzeuger mit ihrem Nachwuchs im eigenen Kohlfeld sitzen. (Ähnlich wie es auch Whole Foods in den USA und Großbritannien macht.) Am Eingang liefert das Center bereits eine Komplettübersicht der Regionalerzeuger.

Am Center-Eingang stellt Rewe seine regionalen Lieferanten vor

Nach der Frische, die konsequent als “Dein Marktplatz” benannt ist, wird die Kundschaft einmal durch den kompletten Laden geführt. Es gibt einen klaren Hauptweg (wie bei Ikea) und in der Mitte eine Abkürzungsmöglichkeit für Eilige (wie bei Ikea). Abzweigungen und Quergänge fehlen.

Für Orientierung sorgen zwei verschiedene Hinweissysteme. Das erste ist die klassische Sortimentskennzeichnung, die in goldenen Großbuchstaben auf die dunklen Wände geschrieben ist – und zwar so unbeirrt auf die Verwendung bezogen, wie Real es in seinem Essener Modell-Laden verpennt hat: Molkereiprodukte gibt es unter der Bezeichnung “Löffeln”, Wurst und Käse unter “Belegen”, Müsli und Kaffee sind mit “Frühstücken” benannt, es folgen “Kochen”, “Backen”, “Verfeinern” (Gewürze und Maggi), “Pflegen” (Drogerie), “Reinigen” (Putzmittel), “Füttern” (Haustierzeugs) und “Trinken”. Nur die Abteilung “Tiefkühlen” vor den Kassen passt so mittelgut als Verwendungszweck ins Konzept.

Wozu sind Süßwaren da? Im Rewe Center steht's zur Erinnerung an der Wand

In manchen Abteilungen wachsen außerdem weiße Signalwürfel von der Decke, auf denen zwecks Feinjustierung des Einkaufswegs Symbolprodukte abgebildet sind: Pommes frites, Fleisch, Brokkoli, Pizza, Hähnchenschenkel.

Wo geht's hier zur TK-Pizza? Die Signalwürfel mit Symbolbildern sollen bei der Orientierung helfen

Das Design spiegelt sich auch im Wochenprospekt, der mit großen Fotos, modernen Schriften und direkter Kundenansprache arbeitet. Kein Vergleich zu den Vierfarblappen, die Rewe sonst wöchentlich unters Volk bringt. (Und sicher nicht ganz günstig, wenn das Standard bleiben soll.)

Von wegen "Schweinebauch"-Anzeigen: Die Center-Handzettel sind untypisch modern

2. Für Snacker

Wer sich vorm Einkaufen erstmal stärken muss, wird aus dem “Marktplatz” direkt an die Bistrotheke geführt, wo sich ein eigenes “Menü” zusammenstellen lässt, indem ähnlich wie bei Subway “in 4 Schritten” die Kühltruhenanleitung für frisches Essen befolgt wird. (1. Brot, Pasta oder Salat? 2. Belag, Sauce, Dressing? 3. Getränk oder Nachtisch? 4. Mitnehmen oder gleich essen?) Richtig kochen lässt Rewe an der Bistrotheke auch.

Sofortesser können im kleinen Restaurant Platz nehmen. Wer bloß was für die Mittagspause mitnehmen will, bedient sich in der “Schnippelküche”, die mit “Eigener Herstellung” wirbt. (Was in den meisten Fällen, wenn ich das richtig gesehen habe, aber nichts anderes heißt als: im Markt vorportioniert und in Plastik verpackt.)

An der Bistrotheke: Einmal "Pasta Kind (bis 10 Jahre)" bitte, das Kind bitte ohne Speck...

Ob der Bedarf für das Schnippel-Take-Away in Egelsbach wirklich groß ist, ist zweifelhaft: Das Rewe Center liegt in einem klassischen Industriegebiet, das ohne Auto eher unbequem zu erreichen wäre.

3. Für Bummler

Eine Besonderheit ist, dass das Rewe Center nicht bloß auf klassische Einkäufer und Hungrige zielt, sondern auch auf Zeitvertreibs-Shopper. Im Idealfall könnten die das in die Jahre gekommene SB-Warenhaus-Konzept retten. Dazu hat sich Rewe einen simplen, aber ziemlich effektiven Trick überlegt und dem ganzen Kram, der einem sonst beim Einkauf in den Riesenläden im Weg herumsteht oder sich vor den Kassen auftürmt, einen neuen Platz gegeben: in der Marktmitte!

Die Minishops in der Ladenmitte sind anders gestaltet als der übrioge Markt

Während die Kunden auf den festgelegten Rundgang durch den Markt geschickt werden und jeweils auf ihrer rechten Seite Lebensmittel aussuchen, sind die übrigen Sortimente in klar abgetrennten Bereichen mit dunklem Boden und abgehängter Decke auf der linken angeordnet. Sozusagen in Minishops. Auf der Marktübersicht ist das gut zu erkennen.

Für einen (von insgesamt sieben) hat sich Rewe Unterstützung von der Kramladenkette Butlers geholt, die ihre Produkte auf gedeckten Tischen und kleinen Produktinseln inszeniert. Mehr Möbelhausambiente im Supermarkt geht nicht. Davor hat Rewe seine eigenen Haushaltswaren platziert, im Weiteren folgen Spielsachen, Schreibwaren, Klamotten, Kleinelektronik und eine T-Punkt-Ecke – passend betitelt als “Auftischen”, “Spielen”, “Schreiben” und – ähm: “Elektrisieren”.

Wer Käse braucht, braucht auch Teller: Butlers-Shop im Rewe Center

Das funktioniert in der Tat ganz gut – auch wenn es auf den ersten Blick ungewöhnlich sein mag, von der “Rustic Kerze, rubinrot” rüber zum Emmentaler schielen zu können. Die Zusatzsortimente drängen sich aber nicht auf, blockieren gefühlt viel weniger Platz (obwohl die Fläche keine kleine ist), wirken nicht so dazu gekippt wie in anderen SB-Warenhäusern und können im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen werden können.

Mit der Apotheke, einer Poststelle, einem Friseur, einem EC-Automaten und der Lotto-Annahmestelle im Marktfoyer komplettiert Rewe sein Center in Egelsbach, ganz ähnlich wie Kaufland das schon erfolgreich praktiziert – nur viel schicker.

Post, Lotto, Apotheke: Im Foyer übt sich Rewe als Gesamtversorger

Schwachpunkte hat der Laden aber auch:

Die Drogerie ist nicht nur ziemlich ideenfrei zwischen Windeln und Tierfutter geklotzt, sondern wirkt wegen der knallpinken Farbgebung auch wie ein riesiger Barbie-Designunfall.

Wer zu lange hinsieht, wird blind: Verunfalltes Drogerie-Design in Knallpink

Um wegen der modernen Ladengestaltung nicht zu feinkostig zu wirken, sind überall Angebotsartikel mit knallroten Riesenpreisen in Schraffurschrift herausgestellt. Sobald es aber ans Regal und die regulären Preise geht, ist der schöne Schein dahin.

Und wie die Mitarbeiter den neuen Kurs umsetzen, nachdem Rewe ihnen vorher bei Toom jahrelang die kalte Schulter gezeigt hat, ist wohl erst in ein paar Monaten absehbar.

Sollte das Konzept aber erfolgreich sein und auf andere Ex-Toom-Standorte ausgedehnt werden, könnte so mancher Konkurrent dadurch in arge Bedrängnis kommen. Weil viele durchschnittliche Supermärkte, auch solche von Rewe, dagegen ziemlich blass aussehen. Vermutlich ist die Sorge der Mitbewerber deswegen aber noch nicht allzu groß: Laut “Lebensmittelzeitung” hat Rewe für den Umbau in Egelsbach üppige 15 Millionen Euro investiert. Mal 55 genommen – so viele große Tooms gibt es laut “LZ” noch – wäre das eine gewaltige Investitionssumme, die selbst Rewe nicht so einfach stemmen könnte.

Noch ist ja nicht einmal erwiesen, dass die Kunden bereit sind, den Lebensmitteleinkauf von ihrer Liste mit den lästigen Notwendigkeiten auf die mit den unterhaltsamen Zeitvertreiben zu übertragen. Und vor allem nicht, ob sie sich dabei tatsächlich ankumpeln lassen wollen.

Jetzt schreib schnell in die Kommentare, ob Du Dir vorstellen kannst, künftig auch so einzukaufen!

Fotos: Supermarktblog

flattr this!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 1001