Keine drei Monate ist es her, dass Real seinen neuen Markt in Essen-Altendorf eröffnet hat, aber die Lobhudeleien sind schon beachtlich:
“Das Ergebnis kann sich sehen lassen”
“ein Einkaufserlebnis der neuen Generation”
“setzt weit über Essen hinaus neue Standards”
“eine neue Zeitrechnung”
“die Zukunft des Einkaufens”
Schade halt, dass die Formulierungen alle von Real selbst stammen.
Nun ist es ja nicht so, dass der Metro-Tochter diese Selbsthypnose nicht zu gönnen wäre. Viel zu feiern gab es in letzter Zeit schließlich nicht. Die Umsätze enttäuschen, die Läden im Ausland sind verkauft, und anstatt die bekannten Eigenmarken zu verbessern, werden neue Billigartikel in die Regale gestellt. Wenn’s dann mal wieder nach vorne geht, dürfen ruhig auch mal die Korken knallen. Immerhin ist der umfassend belobigte Markt die erste Neueröffnung seit Jahren. (Wenn auch als Ersatz für einen veralteten Standort, der in der Nähe dicht gemacht wurde.)
Es lohnt sich aber genauso, die 9500 Quadratmeter auch noch mal etwas weniger sektlaunig zu betrachten. Immerhin hat Real-Geschäftsführer Didier Fleury angekündigt, Essen-Altendorf sei “Vorbild für die zukünftige Ausrichtung und Weiterentwicklung von Real”.
Hoffentlich gilt das vor allem für die Außengestaltung: Metro hat ihrem SB-Warenhaus (sowie ein paar Fachmärkten, die mit eingezogen sind) nämlich ein Center gebaut, das sich sich unaufdringlich an den üblichen Großparkplatz schmiegt und aussieht, als sei es von positiv größenwahnsinnigen Hobbit-Architekten entworfen worden: mit sanftem Glasfassadenschwung, begrünten Dachflächen und lustigen Eingangshöhlen.
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Auch bei Supermärkten zählen aber vor allem: die inneren Werte. Und die erzählen, dass die “Zukunft des Einkaufens” aus Sicht von Real ziemlich nah an der Gegenwart liegt.
Dabei hat man sich sichtlich angestrengt, das bisherige Ladendesign zu modernisieren. Als erstes springt die neue Mustertapete ins Auge, auf der die Marktkategorien verschiedenen Farben (vor dem etwas rätselhaften Hintergrund aus Blättern, Herzen, Nüssen und Zahnrädern) zugeordnet sind.
Von der hohen Decke mit den Holzverstrebungen baumeln Sortimentswegweiser, auf denen einen Stellvertreterkunden mit dem Real-Werbeversprechen anlächeln: “Einmal hin. Alles drin.” Konsequent ist die neue Beschilderung aber nicht: Mal ist das Untersortiment danach benannt, was sich mit den erhältlichen Artikeln anstellen lässt (“Kochen”, “Backen”, “Reinigen”), ein andermal steht da doch wieder fantasielos die Futterart (“Molkereiprodukte”).
Der ganze Laden ist hell und spart nicht mit Platz, im breiten Mittelgang ließen sich bestimmt gut Einkaufswagen-Rallyes fahren.
In der Mitte ist der große Wochenmarktzauber auf die Obst- und Gemüse-Abteilung niedergegangen, die aus dem übrigen Real-Design heraussticht und Preisschilder in Tafeloptik mit Schreibschriftpreisen verpasst bekommen hat. (Edeka lässt schön grüßen.) Zwischen Pilzsorten-Erklärtafel und “Wiegecenter” sind fast alle die Artikel auf grüne Lieferkisten aufgebockt. Ein eigenes Logo stellt die Abteilung zusätzlich heraus. Das alles ist ordentlich und schick – aber bei so manchem Konkurrenten längst Standard.
Auch in der gegenüberliegenden “Meine Drogerie” halten sich die Überraschungen in Grenzen. Die größte ist vielleicht die Grundfarbe schwarz. Die geschwungenen Regalreihen und die gesonderte Beleuchtung haben sich die Konstrukteure hingegen bloß aus dem aktuellen Regelbuch zur Drogerieabteilungsgestaltung im deutschen Lebensmittelhandel abschauen müssen.
Interessant ist nicht nur, was Real in seinem neuen Markt verändert hat, sondern vor allem: was nicht. Und das ist – leider – ziemlich entscheidend.
Der Marktaufbau ist nämlich enttäuschend klassisch: Neben dem Eingang auf der rechten Seite ist das Infoterminal gepflanzt, und das versprochene “Einkaufserlebnis” beginnt immer noch mit allerlei nicht zum Verzehr Geeigneten: DVD-Player, Wäsche, Fahrradschläuche. Zumindest sind das einige der Produkte, mit denen Real seine Kundschaft im Essener Markt empfängt. (Und damit kaum einen Millimeter von seinem bisherigen Konzept abweicht.) Erst wer sich durch Elektronik, Textilien, Heimwerkerbedarf und Autozubehör gearbeitet hat, steht am Ende des langen Seitengangs vor der SB-Bäckerei und merkt: Huch, hier gibt’s auch Essbares.
Es mag ja sein, dass Real-Kunden außer dem Wocheneinkauf auch noch Schraubenschlüssel und neue Scheibenwischer fürs Auto mitnehmen wollen. Aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die ganz oben auf dem Einkaufszettel stehen und deshalb zuerst im Einkaufswagen landen?
Die Aufteilung ist noch unverständlicher, weil Real zumindest eingesehen hat, dass die “Wohnwelten” – also die Sortimente Küchenutensilien, Badezimmerzeugs und Haustierartikel – viel besser ans Ende des Markts, noch hinter die Tiefkühlabteilung passen. Und wenn die Real-Geschäftsführung weiterhin davon überzeugt ist, im “Markt der Zukunft” auch Unterhaltungselektronik verkaufen zu müssen, dann gehören die genau dorthin.
Ausgecheckt wird ja sowieso durch die riesige Kassenphalanx in der Mitte, an der eine Mitarbeiterin zu Stoßzeiten schnell damit ausgelastet ist, die zahlreichen Fehlermeldungen der SB-Kassen wieder abzustellen.
Für Real-Verhältnisse mag Essen-Altendorf ein Fortschritt sein, ein großer sogar. (Zumal dort auch der interessante Tiefkühlober steht, wie Supermarktblog-Leser wissen.) Für die triste Umgebung ist er das allemal. Und das lässt sich nun wirklich nur von wenigen Einkaufscentern behaupten. Dazu ist der Markt klimaschonend gebaut, beteuert das Unternehmen, und man habe “die Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten intensiviert”. Aber mit all den Anstrengungen ist es der Metro-Tochter letztlich vor allem gelungen, einen relativ zeitgemäßen Lebensmittelmarkt auf die Grüne Wiese zu stellen, der außenrum genug Platz hat, um auch ein paar Spezialisten einziehen zu lassen, die als zusätzlicher Hinfahrtgrund funktionieren: dm, Deichmann, Denn’s Biomarkt.
Eine “einzigartige Einkaufsstätte”, wie Real-Chef Fleury behauptet, ist das aber nur für Leute, die sonst nie bei der Konkurrenz einkaufen gehen. (Die im übrigen gerade ziemlich aufrüstet, z.B. Rewe mit der angekündigten Neuerfindung der Toom-Flächen.)
Um im deutschen Lebensmittelhandel mithalten zu können, muss sich Real künftig noch ein bisschen mehr einfallen lassen.
Und wie kauft sich’s in Ihrem Real ein? Schreiben Sie’s in die Kommentare!
Fotos: Supermarktblog