Es war alles so schön vorbereitet. Über viele Monate, ach was: zweieinhalb Jahre! hatte sich Aldi darauf vorbereitet, den Kern seines Geschäftsmodells in die Gegenwart zu beamen. Erstmals in der jüngeren Geschichte der beiden Unternehmen Nord und Süd sollten in sämtlichen Märkten die gleichen Eigenmarken zu kaufen sein: überall Kokett statt Solo; Pizz‘ah statt Mama Mancini; Knusperone statt Gletscherkrone. Und dazu: Gut bio.
Die Plakate waren gedruckt, ein lustiges Werbevideo auf einen notdürftig umgetexteten 90er-Jahre-Song von Vanilla Ice abgedreht („Preis, Preis Baby“) – die Sause konnte losgehen. Also erschien am 12. März in Essen und Mülheim die vorbereitete Pressemeldung mit dem Titel „ALDI Nord und ALDI SÜD führen Eigenmarken zusammen“.
Das war, im Nachhinein betrachtet, ein eher suboptimales Timing.
Denn genau zu dieser Zeit traf die Corona-Krise viele europäische Länder mit unvorhergesehener Wucht. Einreisestopps wurden verhängt, Geschäfte und Restaurants geschlossen. Mit einem Mal war das Wichtigste im Lebensmitteleinzelhandel: die Grundversorgung. Keine gute Voraussetzung, um über neu designte Eigenmarken zu reden. Die „Alles bleibt besser“-Plakate, die Aldi für die angelaufene Kampagne schon an die Märkte gehängt hatte, wirkten mit einem Mal wie ein schlechter Scherz.
In den darauffolgenden Wochen rückten dann auch völlig andere Themen in den Mittelpunkt der Aldi-Kommunikation: Zusammenhalt, Rücksichtnahme, #gemeinsamgehtalles.
Das Kuriose ist: Gleichzeitig hätte der Zeitpunkt für Aldis offiziellen Eigenmarken-Neustart kaum besser gewählt sein können. Weil er 1.) einen Schlamassel beseitigen muss, in den sich der Discounter selbst hinein manövriert hat; und 2.) weil Eigenmarken für viele Kund:innen künftig möglicherweise wieder eine sehr viel größere Rolle beim Einkaufen spielen, wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise spürbar werden.
Aldis Grundversprechen
Aldis Grundversprechen lautet: Durch die Vereinheitlichung der Eigenmarken spare man „Kosten für aufwendige Verpackungen und Werbemaßnahmen“ und reiche diese Vorteile an die Kund:innen weiter.
„Wir wollen [ihnen] das geben, was sie sich wünschen – einen einfachen Einkauf und ein Sortiment, das sie begeistert.“
Bis Ende des Jahres werden 100 Eigenmarken vereinheitlicht. Einige erhalten neue Namen, manche eine veränderte Rezeptur. Diese „Harmonisierung“ sieht Aldi als „konsequenten Schritt“, um seine „Marktposition zu festigen“. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Für die andere Hälfte lohnt es sich etwas weiter auszuholen.
Immer mehr Marken im Regal
In den vergangenen Jahren haben es sich viele Deutsche angewöhnt, einen Großteil ihrer Lebensmitteleinkäufe in klassischen Supermärkten zu erledigen (siehe Supermarktblog). Die Marktforschung sieht dafür mehrere Gründe: Vielen Haushalten sei es wirtschaftlich zuletzt eher gut gegangen; und jüngere Konsument:innen legten mehr Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit. (Dass Handelsketten wie Edeka und Rewe die Preise der Discounter mit eigenen Marken im Basissortiment exakt abbilden, dürfte aber ebenfalls nicht geschadet haben.)
Der klassische Discount kommt hierzulande noch immer auf einen stattlichen Marktanteil von über 40 Prozent; allerdings mit schrumpfender Tendenz (GfK, 2019).
Deshalb haben sich Anbieter wie Aldi, Lidl und deren Mitbewerber zunehmend den veränderten Erwartungen der Kundschaft angepasst. Sie bauen freundlichere Läden, bieten vielfältigere Sortimente und erweiterten ihr Angebot, so wie Aldi, mit bekannten Marken. (Online wirbt Aldi Süd aktuell damit, 187 Herstellermarken im Sortiment zu führen; Abb. unten von 2019.)
Das Ziel ist: für Kund:innen attraktiver zu werden, die beim Einkauf zwar auch auf den Preis gucken, aber deswegen noch lange nicht auf Jacobs, Persil und Dr. Oetker verzichten wollen. Genau darauf haben sich die Supermärkte und der Discount-Wettbewerber Lidl längst eingestellt.
Gleichzeitig war es für Aldi von großer Bedeutung, dem eigenen Preisimage weiter gerecht zu werden. Viele Markenartikel, die neu ins Regal kamen, wurden deshalb günstiger verkauft als es anderswo im Lebensmitteleinzelhandel bis dahin üblich war. Das wollte die Konkurrenz nicht auf sich sitzen lassen, deshalb hielt sie regelmäßig mit noch niedrigeren Aktionspreisen für die gleichen Produkte dagegen.
Die Quittung
Dafür haben die Unternehmen inzwischen die Quittung bekommen. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) analysierte, dass Eigenmarken im Discount im vergangenen Jahr „nicht nur relativ an Marktanteil, sondern auch absolut an Umsatz“ verloren. Die Marktforscher:innen schlussfolgern, dass „[i]nnerhalb des Discounts (…) ein Umstieg von den Handelsmarken zur Herstellermarke stattgefunden haben“ könnte (GfK Consumer Index, Dezember 2019).
Die Einlistung der vielen neuen Markenprodukte hat also vielleicht gar nicht, wie von Aldi beabsichtigt, dazu geführt, neue Kund:innen in die Läden zu locken, sondern bloß bereits treue Discount-Kund:innen bei Aldi andere Artikel einkaufen lassen.
Manchem Wettbewerber ging es wohl ähnlich. Aldi & Co. seien damit ein Stück weit „Opfer des eigenen Erfolgs geworden, weil die Markenlistungen im Discount die dort dominierende Handelsmarke teils in die Defensive gedrängt haben“, erklärt die GfK.
Kein Wunder, dass Nord und Süd nun so ein Eigenmarken-Theater veranstalten. Die Zusammenführung ist der Versuch, eine Delle auszugleichen, die man sich selbst in den Lack gefahren hat.
Die Offensive soll nicht bloß Aldis „Marktposition festigen“ – sondern vielmehr dafür sorgen, dass der Discounter nicht dahinter zurückfällt. Denn nach wie vor besteht der allergrößte Teil des Aldi-Sortiments aus selbst erdachten Fantasiemarken, bei denen man sich keine dauerhafte Schwäche erlauben kann.
Nicht mehr automatisch bloß billig
Der Wandel im Verhalten vieler Kund:innen betrifft aber nicht den Discount allein. Die Bedeutung, die Kund:innen Eigenmarken beimessen, ist für alle Handelsketten entscheidend. Zumal sich die Wahrnehmung der Produkte, die unter eigenem Namen verkauft werden, zuletzt deutlich zum Positiven entwickelt hat.
Im „Handelsmarkenmonitor 2019“ – einer Studie zu Einstellungen von Verbraucher:innen – attestiert das Marktforschungsinstitut Ipsos Eigenmarken für deren Wahrnehmung durch die Kund:innen eine „Annäherung an Herstellermarken“. In vielerlei Hinsicht (z.B. beim Verpackungsdesign, zum Teil auch bei der Qualität) würden die ehemals vornehmlich als Billigprodukte verbuchten Artikel inzwischen von Kund:innen als gleichwertig gegenüber „echten“ Markenprodukten gesehen.
Das hat auch Nachteile: Nicht mehr 76 Prozent (wie im Vorjahr), sondern nur noch 66 Prozent sehen Eigenmarken als besonders günstige Alternative. (Was vor allem an den Mittel- und Premiummarken liegen dürfte, die Zusatznutzen zu höheren Preisen versprechen.)
Handelsmarken werden vielfältiger
Ob und wie sich das durch Corona wieder ändert, kann auch der Handel zum jetzigen Zeitpunkt schwer vorhersehen. Branchenkenner:innen (z.B. der britische Fachdienst IGD Retail Analysis) gehen davon aus, dass insbesondere Niedrigpreis-Eigenmarken wieder an Gewicht gewinnen. Die GfK gibt widerum zu bedenken, dass sich die in den vergangenen Jahren gewachsenen Ansprüche der Kund:innen auch in der Krise nicht so einfach in Luft auflösen werden.
Supermärkte und Discounter verfolgen (auch deshalb) unterschiedliche Strategien, um die Vorteile ihrer Produkte herauszustellen.
1. Qualitätsversprechen
Lidl müht sich seit längerem, Eigenmarken mit zusätzlichen Qualitätsversprechen aufzuwerten. Darauf zielt u.a. die Kooperation mit dem Anbauverband Bioland ab, dessen Gütesiegel auf einer wachsenden Zahl an Lidl-Eigenmarken in Bioqualität auftaucht (siehe Supermarktblog).
Angesichts des aktuellen Preiskampfs zwischen den Anbietern ist diese Strategie zwar in den Hintergrund gerückt. Das dürfte aber kaum auf Dauer so bleiben. Kürzlich hat die Zentrale in Neckarsulm Schutz für die Marke „LQ – Beste Lidl Qualität“ beantragt. Die könnte für den Discounter durchaus zu einer entscheidenden Säule in der Kommunikation werden – sofern sich die Marketingabteilung irgendwann damit ausgetobt hat, der Konkurrenz eine reinzuflammen.
2. Individualisierung
Eigenmarken, die wie Marken funktionieren, sind für Handelsketten eine hervorragende Möglichkeit, in Teilsortimenten zusätzliche Kompetenz zu demonstrieren. Außerdem ist’s praktisch, wenn es besagte „Marken“ exklusiv in den eigenen Filialen zu kaufen gibt.
Bei Aldi erfüllen Produkte mit dem Absender der früheren Traditionsmarke Schneekoppe, unter deren Namen Aldi inzwischen selbst Produkte herstellen lassen darf, diese Funktion (siehe Supermarktblog).
Edeka kooperiert u.a. mit dem Erlebnisgutscheinverkäufer Jochen Schweizer für eine Produktreihe, die sich an eine aktive Konsument:innen richtet, die sich ausgewogen ernähren wollen (und nicht zu genau auf die Nährwertangaben schauen). Es gibt u.a. „Fruity Paleo Mix“-Müsli, „Exotic Snakefruit Chips“ und „Chocobars Kakao“.
Genau wie bei Aldi und Schneekoppe taucht auch Edeka bei Jochen Schweizer nicht unmittelbar als Absender auf den Produkten auf. (Sondern wieder der Edeka-Ableger Euco.)
3. Design
Günstig sein, aber nicht unbedingt so aussehen – das ist die Strategie, mit der die allermeisten Handelsketten ihre Eigenmarken auch optisch aufwerten, um sie näher an Herstellermarken heranzurücken – und den Produkten der Konkurrenz in nichts nachzustehen.
Aldi ist das mit zahlreichen Verpackungen seiner zusammengeführten Eigenmarken durchaus gelungen; und dass Rewe seiner Discountmarke ja! gerade ein sehr viel individuelleres Design gönnt (siehe Supermarktblog), ist wohl auch kein Zufall.
Aufholbedarf gibt es derweil im Drogeriefachmarkthandel, etwa bei Rossmann, wo man seit einiger Zeit ebenfalls an einer Neupositionierung seiner Eigenmarken arbeitet.
Mit durchaus beachtlichen Ergebnissen: Die Wasch-, Putz- und Reinigungsmittelmarke domol sieht mit manchen ihrer Packungsdesigns inzwischen hochwertiger aus als daneben stehende klassische Marken. (Kostet dann aber auch ein paar Cent mehr als die schlichtere Basisvariante.)
Mehr für wenig
All das ändert nichts daran, dass die Ketten nach wie vor in regelmäßigen Abständen an die Kernkompetenz ihrer Eigenmarken erinnern: den besonders günstigen Preis. So wirbt u.a. die Lidl-Schwester Kaufland wieder offensiv für ihr Basissortiment unter dem Namen K-Classic:
„Mehr für wenig! Die größte K-Classic-Auswahl zum Discountpreis“
Aber schon weil viele Konkurrenten parallel dazu eine ständige Weiterentwicklung der Produkte vorantreiben, wäre es für Aldi Nord und Aldi Süd kaum eine Option gewesen, weiter so vor sich hin zu wurschteln wie bisher.
Eigenmarken, haben Albrechts gemerkt, sind längst kein Selbstläufer mehr, nur weil sie weniger kosten und die Produktqualität in Ordnung ist. Auch Tandil, Moser Roth und Milsani müssen ihre Beliebtheit immer wieder aufs Neue verteidigen.
Bedürfnis nach Traditionsmarken
Vor allem dann, wenn die GfK recht behält: Um unterschiedliche Tendenzen im Kaufverhalten feststellen zu können, teilen die Marktforscher:innen Konsument:innen in Gruppen ein, u.a. „Budgetierende Stabile“ und „Pessimisten“ – denen zwar einerseits eine gewisse Preissensibilität unterstellt wird. Das macht sie aber andererseits nicht automatisch zu Eigenmarkenkäufer:innen:
„Vor allem die budgetierenden Stabilen haben das starke Bedürfnis nach vertrauensvollen Traditionsmarken, von denen sie unhinterfragt annehmen können, dass diese die heutigen sozio-ökologischen Standards erfüllen und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis bieten.“
Wenn es den Discountern gelingt, dieses starke Bedürfnis mit eigenen Marken zu knacken, wäre das ein großer Schritt, um der Dominanz der Supermärkte wieder mehr entgegenzusetzen als reine Preisschreierei. So lange weiter darum gestritten wird, wer die kleinsten Preise hat, macht die strategischen Differenzierung aber weiter Urlaub.
Billig bleibt billig. Wer mehr sein will, muss das seiner Kundschaft auch plausibel erklären können.
Titel [M]: Aldi/Smb, Fotos: Supermarktblog

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Der Beitrag Aldis Eigenmarkenhausputz – und wie sich die Bedeutung von Händlermarken in der Krise wandelt erschien zuerst auf Supermarktblog.