Der deutsche Discount legt sich gerade mächtig ins Zeug, sein einstiges Alleinstellungsmerkmal – den unkomplizierten Einkauf zum niedrigen Preis – mit diversen anderen zwangszuverheiraten und so den Einkaufsvorlieben einer wachsenden Zahl an Kund:innen zu entsprechen.
Netto (ohne Hund) wirbt in TV-Spots für seine vegane Eigenmarke „Vehappy“, das Bio-Sortiment und „nachhaltiger Einkaufen zum fairen Preis“. Dazu bekommt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, aber halbwegs ohne ökologische Vollsauerei produziert wurde, einen Panda des Lizenzpartners WWF aufgeklebt. (Wo man auch schon seit längerem komplett schamfrei ist, was die kommerzielle Vermietung seines Maskottchens angeht.)

Darüber hinaus verdichten sich die Anzeichen dafür, dass auch Aldi den Wettbewerb um Besser-Bio-Produkte hierzulande nicht an sich vorbei ziehen lassen möchte und die von der österreichischen Tochter Hofer erfolgreich erprobte Regional-Bio-Marke „Zurück zum Ursprung“ in die hiesigen Läden holen könnte. „Biohandel“ hatte das bereits vor einem Jahr angedeutet (Text im Abo lesbar; siehe dazu auch Supermarktblog vom Frühjahr).
Die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) will nun erfahren haben, dass die Marke bei Aldi Nord und Süd „voraussichtlich im Oktober (…) eingeführt“ werden könnte, um Gut Bio und Schneekoppe zu ergänzen – wahrscheinlich mit Ware, die nach den Richtlinien der großen Bio-Anbauverbände hergestellt wurden, aber ein eigenes Gütesiegel tragen sollen („Prüf nach“).
Nur Lidl könnte sich eigentlich ruhigen Gewissens zurücklehnen.
Gute Preise und gute Produkte
In Neckarsulm – bzw. inzwischen: Bad Wimpfen – hat man früher als die Konkurrenz verstanden, wie der Discount seine Rolle ein Stück weit neu definieren muss, um weiter möglichst viele Gesellschaftsschichten anzusprechen. Daraus hat sich im Laufe der vergangenen Monate die Richtig-Billig-Richtig-Bio-Strategie entwickelt: Niedrigpreise fürs Stammklientel auf der einen Seite – und Bio-Lebensmittel, die über den EU-Standard hinausgehen, auf der anderen (siehe Supermarktblog). Zu diesem Zweck ist Lidl eine Kooperation mit dem Anbauverband Bioland eingegangen, die auch regelmäßig beworben wird.
Bis 2025 will der Discounter „10 Prozent Bio- oder Bioland-Lebensmittel im Lidl-Festsortiment“ führen. Um die auch sichtbar werden zu lassen, platzierte der Discounter seine Bio-Produktauswahl zuletzt in zahlreichen Märkten im Block: Bio-Obst und Gemüse gemeinsam am Markteingang, Bio-Molkereiprodukte gemeinsam in der Kühltheke – und in neu gestalteten Filialen gab es sogar ein eigenes Regal für die übrige Bio-Auswahl.
„Wie ein kleiner Bio-Markt, nur halt im Discounter“ sah das aus, stand vor wenigen Monaten hier im Blog. Anschließend machte Lidl das, was man auch in der Vergangenheit am besten beherrschte, nachdem irgendwer innerhalb des Unternehmens etwas konsequent Fortschrittliches beschlossen hatte: einen Rückzieher.
So ist es – nach gescheitertem Click-&-Collect-Anlauf und eingestelltem Online-Lebensmittelversand – auch diesmal.
Adieu, Bio-Blockplatzierung
Denn die sorgsam zwischen Aktionsartikeln und Wochenangeboten aufgeschütteten Bio-Inseln sind inzwischen wieder abgesoffen. Erst musste die Regalreihe am Markteingang dran glauben: Bio-Müsli, Bio-Tee, Bio-Konfitüre, Bio-Tomatenmark, Bio-Haferflocken, Bio-Öle, Bio-Mandel-Drink und Bio-Wein wurden zurück in die jeweiligen Kategorien zur regulären Ware sortiert.
Anschließend verschwand das grün eingerahmte Kühltheken-Separée für Bio-Joghurt, Bio-Quark, Bio-Käse u.a.
Und zum Schluss musste die Bio-Sortierung beim Obst und Gemüse dran glauben. In meiner Lidl-Filiale hing noch eine Weile das große Bio-Eigenmarken-Logo über den bisher für die Produkte reservierten Schütten; drinnen lagen aber schon wieder konventionelle Äpfel und Avocado nebeneinander, und an den Preisschienen fand sich der Hinweis:
„Unsere Bioland- und Bio-Artikel findest du ab sofort im jeweiligen Obst- und Gemüsebereich.“

Zu den Gründen, aus denen sich Lidl für die Zurücksortierung entschieden hat, will man sich beim Unternehmen auf Supermarktblog-Anfrage nicht äußern, eine Sprecherin erklärt:
„Bio(land)-Produkte sind weiterhin ein wichtiger Teil unserer Sortimentsgestaltung. Daher platzieren wir sie sukzessive in allen Filialen neben dem jeweiligen konventionellen Artikel. So sind die Produkte nach Warengruppen sortiert und unsere Kunden können einzelne Artikel direkt miteinander vergleichen.“
Möglich ist, dass die arg prominente Platzierung der im Vergleich teureren Ware Lidl ein Problem in der Preiswahrnehmung bei der Stammkundschaft beschert hat; oder dass man in der Zentrale befürchtete, mit den Bio-Blöcken vor allem gezielt Bio kaufende Kundschaft anzusprechen, nicht aber Bio-Gelegenheitskäufer:innen, die bei jeder Warenkategorie neu entscheiden, was sie kaufen.
Ans andere Ende der Theke verlagert
Für alle, die sich an die Sortierung gewöhnt haben und die Blöcke quasi als Startrampe genutzt haben, um in Bio-Qualität verfügbare Artikel in den Einkaufswagen zu legen und anschließend mit konventionellen zu ergänzen, ist das eine schlechte Nachricht.
Weil das, was sich bislang bequem an einem Ort in den Einkaufswagen legen ließ, jetzt wieder im ganzen Laden zusammen gesucht werden muss. (Der Bioland-Naturjoghurt steht in meiner Filiale jetzt ernsthaft am komplett anderen Ende der Kühltheke um die Ecke.)
Für Lidl hat all das den unpraktischen Effekt, dass das 340 Artikel umfassende Bio-Sortiment im Gesamtangebot jetzt sehr viel weniger auffällt – und es vielmehr den Anschein hat, als habe Lidl seine Bio-Auswahl reduziert. Gleichzeitig muss man als Kund:in die Entscheidung treffen, ob sich die Mühe lohnt, im riesigen Käseangabot den kleinen grünen Karton mit dem Bio-Weichkäse ausfindig zu machen. Oder man die Bio-Bevorratung nicht vielleicht doch auf einen Laden verlagert, der es einem damit etwas leichter macht.
Seine zu Themenwochen zusammengefassten Angebotsartikel – auch zusätzliche Bio-Ware! – platziert Lidl auf der Aktionsfläche nicht umsonst stets im Block: weil sie dann unübersehbar ist und Sortimentskompetenz ausstrahlt. Fürs reguläre Angebot darauf zu verzichten, kommt einer Selbstsabotage gleich.
Wobei diese nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre natürlich ebenfalls längst zur Liste der Alleinstellungsmerkmalen von Deutschlands umtriebigstem Discounter gehört.
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Der Beitrag Lidl sabotiert seine sorgsam aufgebaute Kompetenz im Bio-Sortiment erschien zuerst auf Supermarktblog.