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Aldi Süds Alleingang mit „Nur Nur Natur“ und der Streit über die richtige Besser-Bio-Strategie

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Nachdem die Zeichen in den vergangenen Jahren zunehmend auf Zusammenarbeit standen und sogar die Eigenmarken-Sortimente einander angeglichen wurden, scheint es zwischen Aldi Nord und Aldi Süd nun grundsätzliche Differenzen bei der richtigen Strategie für biologisch erzeugte Lebensmittel zu geben.

2019 hatten die Schwesterunternehmen ihre Bio-Linien unter dem Nord-Label „Gut Bio“ im bisherigen Süd-Design zusammengeführt (siehe Supermarktblog) und dieses später durch eine überschaubare Zahl an Bio-Artikeln unter der Markenlizenz von „Schneekoppe“ ergänzt – ohne den Kund:innen zu erklären, warum (siehe Supermarktblog).

Noch im zurückliegenden Januar demonstrierte man Einigkeit und kündigte per gemeinschaftlicher Erklärung eine Kooperation mit Naturland an, die durch ein neues Förderprogramm zum Schutz und zur Förderung der Artenvielfalt ergänzt werde. Wie diese Kooperation umgesetzt würde, ließ man damals im Unklaren (siehe dazu diese Supermarktblog-Analyse).

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Inzwischen deutet sich an, dass es über die künftige Bio-Ausrichtung in Nord und Süd keine Einigkeit gibt. Einen gemeinsamen strategischen Auftritt wird es in der bisherigen Form jedenfalls nicht mehr geben: Zu Beginn der Woche hat Aldi Süd im Alleingang die neue Marke „Nur Nur Natur“ gestartet und verspricht dafür auf den Verpackungen ein „Bio, das weitergeht“.

Kleingarten der Bio-Versprechen

Zur Definition bemüht man gleich einen ganzen Kleingarten an mehr oder weniger greifbaren Versprechungen, u.a. „hochwertige Rohstoffe“, „schonende Verarbeitung“, „extra lange Reifezeiten“, „ursprüngliche Rezepturen“, „guter Geschmack und höchste Qualität in ihrer natürlichsten Form“. Bei Nur Nur Natur soll es keine Geschmacksverstärker geben, keine zugesetzten Aromen und keine überflüssigen Zusatzstoffe.

  • Zunächst sind nach Unternehmensangaben 15 Produkte verfügbar, die allermeisten davon nach den Richtlinien des Bio-Anbauverbands Naturland zertifiziert.
  • Die Strategie lehnt sich eng an die erfolgreiche Etablierung der Besser-Bio-Marke „Zurück zum Ursprung“ bei der österreichischen Aldi-Süd-Tochter Hofer an (siehe Supermarktblog).
  • Nur-Nur-Natur-Artikel stehen bislang neben ähnlichen bzw. fast identischen Gut-Bio-Artikeln im Regal.
  • Auf die Rückseite der Verpackungen ist – anders als bei fast allen anderen Eigenmarken – nur das Aldi-Süd-Logo gedruckt, nicht das von Aldi Nord.
  • Bis Mitte 2024 soll die Zahl der Nur-Nur-Natur-Artikel auf bis zu 50 anwachsen.
  • Die Supermarktblog-Frage, ob und wann auch frisches Obst und Gemüse unter dem neuen Label in die Läden kommt, lässt Aldi Süd unbeantwortet.
Auf der Rückseite der Verpackungen ist nur das Aldi-Süd-Logo abgebildet; Foto: Smb

Nur-Nur-Natur-Produkte sind zurückhaltend und weniger verspielt gestaltet als vergleichbare Gut-Bio-Artikel. Weil die neue Marke keinen direkten Rückschluss auf die Bio-Qualität zulässt, steht „BIO“ als hellgrüner Zusatz vor jedem Produktnamen, der in grüner Blockschrift auf weißem Grunddesign gesetzt ist. Ergänzend kommen Aquarell-artige Abbildungen (Kuh, Käselaib, Tomaten, Acker) oder Sichtfenster zum Einsatz.

Klareres Design, Produkt-Besonderheiten auf der Vorderseite im Mittelpunkt: Nur Nur Natur hebt sich klar vom bisherigen Aldi-Basis-Bio ab; Foto: Smb

Besonderheiten vorn auf der Packung

Auf der Vorderseite steht in der Regel gut sichtbar das Naturland-Logo. Ein weiterer Fokus liegt auf der Hervorhebung individueller Produktnutzen bzw. Besonderheiten im Herstellungsverfahren. Auf manchen, aber nicht allen Verpackungen steht auf der Rückseite eine kurze Erläuterung, was die Naturland-Richtlinien ausmacht.

Auf den meisten Verpackungen ist das Naturland-Logo nicht zu übersehen; Foto: Smb

Mit Nur Nur Natur fährt Aldi Süd eine merkwürdige Mischstrategie: Einerseits hat man sich dazu entschieden, ein eigenes Label für seine Besser-Bio-Produkte aufzulegen, das Zurück zum Ursprung von Hofer schon sehr nahekommt; gleichzeitig wollte man sich nicht darauf verlassen, eigene Richtlinien und Ziele für besagtes Label zu formulieren, sondern setzt zusätzlich – wie fast alle Wettbewerber – auf eine offizielle Verbands-Zertifizierung.

Dies erfolgt dann allerdings nur „größtenteils“: z.B. der Nur Nur Natur Tomatenketchup trägt zumindest zur dieswöchigen Einführung kein Naturland-Siegel, sondern ist wie alle Gut-Bio-Produkte nach EU-Bio-Mindeststandards hergestellt.

Gleichzeitig hat Aldi Süd erklärt, auch einzelne Gut-Bio-Produkte Naturland-zertifizieren zu lassen: u.a. die Gut-Bio-Frischmilch, die bereits das Verbandslogo auf der Verpackung trägt.

Aldi Nord setzt stattdessen auf Gut Bio

Und das ist wirklich maximale Markenstümperei, weil man als Kund:in künftig bei jedem Bio-Produkt ganz genau hinsehen muss, um zu erkennen, nach welchen Standards es hergestellt wurde – was sich hätte vermeiden lassen, indem man Nur Nur Natur konsequent als grundsätzlich zertifizierte Bio-Ware und Gut Bio konsequent als günstigeres Basis-Bio etabliert hätte.

Auf Supermarktblog-Fragen zur Markenstrategie will Aldi Süd nicht antworten. Eine Sprecherin erklärt:

„Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zur Sortimentsgestaltung zum aktuellen Zeitpunkt nicht näher äußern können.“

Für die externe Kommunikation gilt die mit Nur Nur Natur suggerierte Transparenz also schon mal nicht.

Zumindest die Markeneinführung bzw. deren Bekanntgabe scheint aber eher hastig erfolgt zu sein: Im aktuellen Wochenprospekt (und dem der nächsten Woche) sind die neuen Produkte noch nicht erwähnt; in der Eigenmarken-Übersicht auf aldi-sued.de ist Nur Nur Natur drei Tage nach dem Start ebenfalls noch nicht angekommen; und die auf die Produkte gedruckte Adresse aldi-sued.de/nurnurnatur verweist noch auf die allgemeine Bio-Übersicht (mit UTM-Tracking „Verpackungslink“).

Bei Aldi Nord sollen ausgewählte Gut-Bio-Artikel künftig Naturland-zertifiziert sein; Foto: mb

Möglicherweise ergeben sich die zuvor genannten Ungereimtheiten dadurch, dass Aldi Nord nicht mitziehen will: In Essen hat man sich stattdessen dazu entschlossen, die angekündigte Naturland-Zertifizierung auf existierende Gut-Bio-Produkte zu übertragen, ohne eine neue Marke dafür aufzulegen. Ein Aldi-Nord-Sprecher bestätigt auf Supermarktblog-Anfrage:

„Die neue Bio Marke ‚Nur Nur Natur‘ wird ausschließlich von ALDI SÜD eingeführt.“

Aldi Nord konzentriere sich in seiner Bio-Strategie „derzeit vorrangig auf die Kooperation mit dem Bioverband Naturland unter der Eigenmarke GUT bio“.

„Erste Artikel (z.B. eine Bio-Milch) sind bereits regional erhältlich und das Sortiment wird in diesem Jahr sukzessive ausgebaut. So werden in den nächsten Monaten weitere Artikel aus dem Trockensortiment sowie Milch- und Molkereiprodukte mit Naturland-Zertifizierung eingeführt.“

Bei der Kooperation mit Naturland handele es sich hingegen „um eine gemeinsame Initiative von ALDI Nord und ALDI SÜD“.

Alte Wurst, neue Rezeptur

Damit ist das Bio-Chaos aber noch nicht perfekt, denn die Einführung von Nur Nur Natur wirft weitere Fragen auf, z.B. ob Aldi Süd zumindest einen Teil des bisherigen Gut-Bio-Sortiments durch Nur Nur Natur ersetzen wird. Fakt ist, dass der Discounter für die neue Marke unterschiedliche Maßnahmen in Kraft gesetzt hat: von der Einführung komplett neuer Produkte über Rezeptänderungen, Herstellerwechsel und den Ersatz existierender Artikel bis zur Sortimentserweiterung.

Einige Beispiele:

Das neue „Bio-Bratwurstsortiment“ von Nur Nur Natur entspricht auf den ersten Blick exakt dem bisherigen von Gut Bio. Hersteller der aktuell unter beiden Namen angebotenen Hähnchen- bzw. Schweinebratwurst ist in beiden Fällen HoWe Wurstwaren aus Nürnberg; auch der Regalpreis ist mit 3,99 Euro identisch. Statt des EU-Bio-Labels auf der Gut-Bio-Variante trägt die Nur-Nur-Natur-Bratwurst aber das Naturland-Siegel, außerdem verspricht die Verpackung:

„100 % natürliche Inhaltsstoffe, ohne Nitritpökelsalz, ganzjähriger Auslauf und Platz, extra Tierwohlkontrollen“

Aus der Zutatenliste auf der Rückseite geht zudem hervor, dass für die Label-Umstellung offensichtlich die Rezeptur angepasst wurde: Der in der Hähnchenbratwurst von Gut Bio enthaltene Stabilisator (Natriumcitrate, Dextrose), Zucker und Gewürzextrakte (Zitronen-, Macisextrakt) fehlen in der Nur-Nur-Natur-Auflistung; die übrigen Inhaltsstoffe sind identisch, ebenso wie die Nährwertangaben (bis auf den etwas geringen Salzgehalt).

Es spricht wenig dafür, dass Aldi Süd die Gut-Bio-Bratwürste künftig zusätzlich zu denen von Nur Nur Natur verkaufen wird.

Dinkel-Spaghetti als Ergänzung

Auch geriebener Bio-Käse (Emmentaler, Mozzarella) wird aktuell in zwei Varianten angeboten: von Gut Bio mit EU-Bio-Label, hergestellt in Bayern – und Naturland-zertifiziert von Woelke Käse aus dem Salzburger Land in Österreich. Für die Besser-Bio-Variante verlangt Aldi Süd einen Aufpreis von 20 Cent pro 150-Gramm-Packung (1,79 Euro vs. 1,99 Euro). Dass es auf Dauer wirklich beide Varianten braucht, ist fraglich.

Doppelter Bio-Reibekäse – aber wie lange? Foto: Smb

Anderswo ist die Positionierung klarer: Zusätzlich zu den regulären Gut-Bio-Spaghetti, die gerade (auch bei Aldi Nord) massiv im Preis herabgesetzt wurden (von 1,49 Euro auf 95 Cent) gibt es von Nur Nur Natur Bio-Spaghetti aus Dinkel für 1,65 Euro pro 500-Gramm-Packung. Angesichts Preisdifferenz und unterschiedlicher Inhaltsstoffe könnten beide Produktvarianten erhalten bleiben.

Basis-Bio-Spaghetti und eine Besser-Bio-Variante aus Dinkel ergänzen sich; Foto: Smb

Beim Tomatenketchup scheint die Gut-Bio-Variante derweil aus dem Regal verschwunden zu sein, dafür sind zwei Varianten (regulär und Curry) von Nur Nur Natur verfügbar, aber wie erwähnt: bislang ohne Naturland-Zertifizierung.

Der Nur-Nur-Natur-Ketchup trägt bislang kein Naturland-Siegel; Foto: Smb

Die Nur Nur Natur „Frische traditionelle Biomilch“ ist wiederum „so naturbelassen wie möglich“ und außerdem „pasteurisiert, nicht homogenisiert“ – nach Aldi-Angaben „ein Novum im deutschen Discount“. Kostenpunkt: 1,49 Euro, exakt soviel wie die homogenisierte Gut-Bio-Bergbauen-Heumilch, die es daneben (noch) gibt.

Die neue Biomlich ist nicht homogenisiert; Foto: Smb

Ohne Drehverschluss zum Plastiksparen

Für besagte Besser-Bio-Milch bedient sich Aldi Süd zudem einer von den österreichischen Kolleg:innen für Zurück zum Ursprung entwickelten Strategie und verzichtet auf einen Schraubverschluss an der Packung, um Material zu sparen: „Ohne Verschluss – 40% weniger Plastik“, heißt es dort. Stattdessen ist auf der Seite eine Bildanleitung gedruckt, die dabei hilft, die Packung – wie früher üblich – an der oberen Lasche aufzureißen. Was einerseits löblich ist.

Und andererseits ziemlich dämlich für ein Produkt, für das aufgrund seiner Verarbeitung empfohlen wird, es vor dem Genuss zu schütteln, um den Rahm wieder gleichmäßig zu verteilen. (Was lustig wird, wenn die Lasche nicht sehr sauber eingerissen wurde.)

Richtig übersichtlich ist das alles nicht – und es wird keine kleine Aufgabe, Ordnung ins Bio-Chaos zu bringen, um den Kund:innen am Regal endlich die Orientierung zu erleichtern, anstatt für immer neue Irritationen zu sorgen.

Möglicherweise waren das auch die Bedenken von Aldi Nord, bei der Besser-Bio-Strategie der Süd-Schwester nicht mitzuziehen und sich – nach allem, was bislang bekannt ist – für die Lidl-Variante zu entscheiden: eine (Teil-)Aufwertung der existierenden Bio-Eigenmarke durch Verbandszertifizierung.

Zu spät, zu zaghaft

Eine zwischenzeitlich registrierte gemeinsame Besser-Bio-Marke unter dem Namen „Zurück zur Natur“ (siehe Supermarktblog) scheint sich damit erledigt zu haben.

Und: Wie Schneekoppe sich künftig in die Aldi-Bio-Riege einfügen soll, ist weiterhin völlig unklar – keiner der beiden Discounter äußert sich dazu auf Anfrage. (Online wird bei beiden Aldis aber nur noch ein sehr überschaubares Schneekoppe-Sortiment angezeigt, das bei Aldi Süd gerade mal vier Produkte umfasst, bei Aldi Nord einige mehr .)

Am Gondelkopf ist bei Aldi Süd weiterhin Gut Bio neben ein bisschen Schneekoppe positioniert: Foto: Smb

Die Nord-Variante für Besser-Bio allerdings ist, wie schon mal angedeutet, wirklich die allerkleinste aller Lösungen – und kommt etliche Jahre nachdem die komplette Konkurrenz Verbandskooperationen für Eigenmarken angekündigt hat: Im Discount preschte Lidl bereits vor fünf (!) Jahren mit Bioland vor und bietet heute etwa 100 zertifizierte Bio-Artikel an; zuletzt meldete Penny im Frühjahr, seine Bio-Eigenmarke „Naturgut“ teilweise Naturland-versiegeln zu lassen.

Anstatt diesen Rückstand zeitig mit einer gemeinsamen Strategie aufzuholen, gehen Nord und Süd nun unterschiedliche Wege. Leichter dürfte es dadurch nicht werden, Aldi landesübergreifend als glaubwürdigen Besser-Bio-Anbieter zu etablieren.

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Der Beitrag Aldi Süds Alleingang mit „Nur Nur Natur“ und der Streit über die richtige Besser-Bio-Strategie erschien zuerst auf Supermarktblog.


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