Falls Sie im Edeka-Markt Ihres Vertrauens Kund:innen mit grünen Einkaufswagen durch die Gänge rollen sehen, die dabei auf Touchscreens herumtippen, dann ist Ihnen die Zukunft des Einkaufens begegnet, wie sie sich Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler vorstellt – also: zumindest zwischen Emden und Eisenhüttenstadt.
Dort will die größte Edeka-Regionalgesellschaft bis Ende 2023 nach eigenen Angaben rund 210 Märkte mit dem „Easy Shopper“-System ausgestattet haben, der „schnellsten und einfachsten Art des Einkaufens“, bei der die Waren direkt am Wagen gescannt werden, um sie nachher zügig bezahlen zu können. (Überall sonst kommt die Edeka-eigene Konkurrenz „Smart Shopper“ zum Einsatz.)
Hört sich super an! Die Supermarktblog-Testbilanz fiel zu Beginn des Jahres jedoch eher durchwachsen aus und erntete in den Kommentaren prompt Widerspruch von Easy-Shopper-affinen Kund:innen, die die Technologie verteidigten als hätten sie sie selbst entwickelt.
Auch die Fachpresse berichtet bislang fast ausschließlich positiv. So staunte u.a. die „Lebensmittel Zeitung“ im Februar unter der Überschrift „Edeka rollt Hightech-Trolleys aus“, dass sich die Self-Scanning-Einkaufswagen „als Lieblinge von umsatzstarken Kunden und damit auch von Kaufleuten“ zeigten. Zitiert wird u.a. ein Edeka-Kaufmann, der „je nach Woche zwischen 26 und 32 Prozent seines Gesamtumsatzes mit dieser Form des Self-Scannings“ registriere.
Von Vertrauen und Ehrlichkeit
Umso verschnupfter reagierte man bei Edeka Minden-Hannover, wo man die Technologie ganz unbedingt als Erfolg verstanden wissen will, auf die Supermarktblog-Frage, ob das System möglicherweise aufgrund von Diebstahl-Anfälligkeit bei den ersten Händler:innen schon wieder aussortiert würde; ein Markt bei Berlin, in dem exakt das inzwischen passiert ist, sei eine Ausnahme, erklärte man. Weiter hieß es:
„Wir können (…) nicht bestätigen, dass es durch den Einsatz des EASY Shoppers zu erhöhten Diebstahlversuchen kommt. Grundsätzlich bringen wir unseren Kunden das nötige Vertrauen entgegen und setzen auf deren Ehrlichkeit beim Scannen der Produkte.“


Naja, „zur Abschreckung von Ladendieben“ sei in die ursprünglich designten Einkaufswagen auf jeden Fall „Wiegetechnik integriert“, schreibt die „LZ“: „Der Trolley schlägt Alarm, wenn mehr Gewicht neu in den Wagen gelegt wird, als die gescannten Artikel haben.“ Ganz so groß ist das Vertrauen also schon mal nicht.
Bei einem erneuten Easy-Shopper-Test in einer weiteren Berliner Filiale haben sich außerdem diverse Komplikationen aufgetan, die ebenfalls am Wahrheitsgehalt der Edeka-Behauptung zweifeln lassen. Dazu kommen technische und organisatorische Mängel, die zumindest Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Systems erlauben.
Besser nicht mehr umentscheiden
Los ging’s bei meinem Einkauf nach der Anmeldung an einem von 30 zur Verfügung stehenden Easy Shoppern des neuen abgespeckten Modells mittels App (die diesmal kein Problem war) direkt mit einem bildschirmfüllenden Hinweis:
„Liebe Kunden, es kann zu einer zufällig ausgewählten Stichprobe an der Kasse kommen. Diese Stichprobe dient der Qualitätssicherung und der ständigen Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“
(Bitte merken, das wird gleich noch relevant.)

Der anschließende Einkauf verlief dann tatsächlich verhältnismäßig einfach: Produkt aus dem Regal nehmen, rechts unterm Wagengriff scannen, zeitverzögerte Anzeige auf dem Display abwarten, ggf. Menge anpassen und zum virtuellen Einkaufswagen hinzufügen. Die Produktliste vom vorigen Einkauf wird mitübertragen und steht etwas unübersichtlich über den schon gescannten Artikeln; was nicht nochmal gekauft werden soll, kann per Wischgeste gelöscht werden.
Durch das große Display lassen sich zügig auch Produkte finden, die über keinen eigenen Barcode verfügen. Und wer einkauft, was er immer kauft, dürfte mit dem Easy Shopper tatsächlich zügiger durch den Markt kommen – insofern ist die Begeisterung mancher Kund:innen durchaus nachvollziehbar.
Schwieriger wird’s, wenn man sich während des Einkaufs umentscheidet und gescannte Artikel wieder zurücklegen will. Bei der von mir zufällig gegriffenen Multischüssel mit Deckel für 15 Euro ist das noch kein Problem.
Zurückgeben nicht erlaubt
Ab einem Warenwert über 25 Euro ändert sich das aber schlagartig: Der Gin für 27,95 Euro und der Wodka für 29,95 Euro wollen, einmal gescannt, trotz Rücklage ins Regal nicht mehr freiwillig aus dem virtuellen Einkaufswagen weichen. Auf dem Easy-Shopper-Bildschirm erscheint der Hinweis:
„Leider kann dieser Artikel nicht zurückgegeben werden.“

Also: Klappe halten und hoch die Gläser? Nee, wer nicht widerstandslos „OK“ klicken mag, kann alternativ die Schaltfläche „Jetzt einen Mitarbeiter rufen“ betätigen. Daraufhin bittet der Easy Shopper über einem abgebildeten Grundriss des Markts, in dem die einzelnen Abteilungen – Tiefkühlung, Konserven, Getränke usw. – anklickbar sind:
„Helfen Sie unseren Mitarbeitern, Sie zu finden. Wo befinden Sie sich?“
Was wohl bedeutet, dass sich der angebliche „Hightech-Trolley“ im Markt vom Personal nicht von sich aus lokalisieren lässt, wenn’s mal ein Problem geben sollte.
Weil die Rückgabe nicht nur explizit für Spirituosen eingeschränkt zu sein scheint, sondern sich auch der gescannte Edeka-Wasserkocher für 34,95 Euro aus der Liste zu verschwinden verweigert, erfolgt die Absendung des gewünschten Hilferufs: „Ein Mitarbeiter ist auf dem Weg, um Ihnen zu helfen“, heißt es auf dem Display, „OK“ – und dann passiert: lange nichts.
- Nach fünf Minuten ist keine Hilfe in Sicht;
- nach zehn Minuten sind diverse Markt-Mitarbeiter:innen an meinem Easy Shopper mit dem rot leuchtenden Signal (für „Benötigt Hilfe“) vorbei gelaufen, ohne ein Wörtchen zu sagen;
- nach fünfzehn Minuten geb ich das Warten endgültig auf und frage den nächsten passierenden Edeka-Arbeitskleidungsträger, ob er mir helfen könne: nee, Schulterzucken, bitte zur Kasse gehen.
Vorsicht, selbsttätig scannender Wagen
Das ist ein bisschen enttäuschend, zumal ich meinen Einkaufswagen, um schneller gefunden zu werden, zuvor extra noch gut sichtbar in den Hauptlauf vor der Getränkeabteilung gedreht hatte – was dieser piepend mit einem ungewollten Zusatz-Scan des auf Griffhöhe am Regalende positionierten 3-Liter-Vorrats Roter Wikinger-Met quittierte.
Kostenpunkt: 34,99 Euro, deshalb: „Leider kann dieser Artikel nicht zurückgegeben werden.“ Ähm, ernsthaft?


Ein weiterer Test bestätigt die Vermutung: Wer den Easy Shopper innerhalb eines engen Regallaufs um 180 Grad dreht, z.B. um zu wenden, scannt im ungünstigsten Fall ein Produkt mit, das gar nicht gekauft werden soll, weil der Laser unterm Griff sofort zu arbeiten beginnt, wenn ihm ein Strichcode zu nahe kommt. Wer zu diesem Zeitpunkt abgelenkt ist und seine Liste nicht nachkontrolliert, zahlt an der Schnellkasse nachher im Zweifel Produkte mit, die gar nicht im Wagen liegen.

Und das ist wirklich ein ziemliches Armutszeugnis für eine Fortschritt und Einfachheit vorgaukelnde Technologie.
(Aber es dürfte sicher interessant sein, wie man das beim Start-up Pentland Firth, welches den selbst entwickelten Easy Shopper nach Angaben der Fachpresse an Handelsunternehmen im Ausland lizenzieren will, das neuen Partnern erklärt.)
Und weil’s so schön ist: Bonus-Kontrolle
Zurück zur „Easy Shopper Kasse“, deren Kennzeichnung in diesem Fall mit Aufstellern für Gratiszugaben an Nutzer:innen der (anderen) Edeka-App teilverdeckt wurde.

Die Kassenkraft weiß auch nicht, warum die angeforderte Hilfe nicht gekommen ist – ist ihr auch schnuppe, sie will die ins Regal zurückgelegten Artikel im Bezahlvorgang direkt an der Kasse löschen, nachdem sie sich davon überzeugt hat, dass ich Wodka, Gin, 3 Liter Met und Wasserkocher nicht im zweiten Boden meines Daypack-Rucksacks verstaut habe. Eine Liste mit den mir berechneten Produkten sehe ich als Kunde während es Vorgangs auf dem Screen nicht mehr – wieso?
Stattdessen darf ich nochmal aus dem Kopf auflisten, was alles raus aus der Liste soll. Jaja, das könne schon mal passieren, dass der Wagen irgendwas scannt, das man gar nicht reinlegen wollte, tröstet die Mitarbeiterin.
Bezahlen per App geht jetzt leider auch nicht mehr.
Aber weil’s gerade so schön ist mit uns an der „Schnellkasse“: Bonus-Kontrolle von drei eingekauften Artikeln – weil das Device der Kassenkraft anzeigt, dass ich die Multischüssel und noch einen weiteren Artikel gescannt, aber wieder gelöscht habe, was die anfangs angekündigte „Stichprobe an der Kasse“ nicht ganz so „zufällig ausgewählt“ erscheinen lässt wie behauptet, sondern im Gegenteil: ziemlich systematisch, zumindest bei Nutzer:innen, deren Einkaufsverhalten bereits dann als verdächtig gewertet zu werden scheint, wenn sie einzelne gescannte Artikel wieder ins Regal zurücklegen.
Kontrolle ist besser
Zur Belohnung kriegt man als Easy-Shopper nach dem Bezahlen – nein, kein Dankeschön für den Einkauf auf dem Display angezeigt. Sondern: Werbung.
Die beiden Easy-Shopper-Kundinnen vor mir wurden im übrigen ebenfalls kontrolliert und durften ihren hübsch eingetüteten Einkauf dafür nochmal teilauspacken.
Oder wie es Edeka für seinen Wundereinkaufswagen annonciert:
„Alles easy hier.“
Auf Supermarktblog-Anfrage räumte Edeka Minden-Hannover zu Beginn des Jahres „diverse technische und organisatorische Mechanismen“ ein, „die zur Diebstahl-/Missbrauchsprävention genutzt werden“. In der konkreten Anwendung bedeuten diese für betroffene Kund:innen aber einen Wegfall der zentralen Vorteile des Systems: Man muss Waren auf Geheiß der Kassenkraft doch noch mal auspacken; und sobald man sich auf die Hilfe von Personal aus dem Markt verlassen muss (falls die denn erfolgt), ist jegliche Zeitersparnis dahin.
Wie gesagt: Wer einkauft, wie er immer einkauft, kann vom Easy Shopper durchaus profitieren.
Von „Vertrauen“ und „Ehrlichkeit“
Dass Edeka Minden-Hannover seinen Kund:innen „grundsätzlich (…) das nötige Vertrauen“ entgegen brächte und „auf deren Ehrlichkeit beim Scannen der Produkte“ setzte, scheint mir aber widerlegt zu sein – weil die beschriebenen Maßnahmen in diesem Umfang kaum notwendig wären, würde man keine erhöhten Diebstahlversuche mit dem Easy Shopper fürchten. Mal sehen, wer schneller die Freude an diesem Spaß verliert: Kund:innen, die durch häufige Kontrollen ausgebremst werden; oder Edeka, das den zusätzlichen Aufwand an einer separaten Kasse wuppen muss.
Selbst die ausschließlich positiv berichtende „Lebensmittel Zeitung“ wunderte sich über den Erfolg der Technologie, „weil ähnliche Kleincomputer an Einkaufswagen bei ihrer ersten Präsentation durch IT-Hersteller bei den damaligen Konsumenten jämmerlich durchgefallen waren“.
Vielleicht haben die ja damals auch schon sehr verdächtig eingekauft.
Der Beitrag Wie Edeka beim Easy Shopper seinen Kund:innen misstraut erschien zuerst auf Supermarktblog.